Wandel
Lösungen für eine bessere Welt Global Investor, 01/2017 Credit Suisse
Lösungen für eine bessere Welt
Global Investor, 01/2017
Credit Suisse
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GLOBAL INVESTOR 1.17 —08<br />
Pensionsbezüger auf jeweils 100 20- bis 64-Jährige, die in das System<br />
einzahlen. Bis 2060 wird sich diese Kennzahl indes fast verdoppeln,<br />
nämlich auf 55 Bezüger pro 100 Einzahler.<br />
Vielleicht noch wichtiger sind in diesem Generationenvertrag die<br />
Transferzahlungen, die über das staatlich finanzierte Bildungs- und<br />
Gesundheitswesen an junge Menschen erfolgen, weil Gesellschaften<br />
mit den Bildungs- und Gesundheitsinvestitionen letztlich Humankapital<br />
schaffen. Als Humankapital werden die Fähigkeiten und das Wissen<br />
bezeichnet, aus dem sich die Einkommen der Erwerbstätigen<br />
ableiten. Es ist möglicherweise die wichtigste Determinante für die<br />
Grösse des «wirtschaftlichen Kuchens» und des sozialen Wohlergehens<br />
einer Gesellschaft. In gewissen Ländern generieren diese Systeme<br />
jedoch nicht genug Investitionen in die Jugend.<br />
Neuformulierung des Generationenvertrags<br />
Vor diesem Hintergrund und wegen der dramatischen, durch die Globalisierung<br />
und den technologischen Fortschritt angestossenen Veränderungen<br />
wird heute vermehrt darüber diskutiert, wie sich der Generationenvertrag<br />
entwickeln und anpassen lässt, um die Anforderungen<br />
des 21. Jahrhunderts besser zu erfüllen. Fundierte Diskus sionen<br />
setzen indessen ein grundlegendes Verständnis seiner Bedeutung<br />
in einer Gesellschaft voraus. Welche Rolle spielt er für die Umverteilung<br />
von Ressourcen zwischen verschiedenen Altersgruppen?<br />
«Als Humankapital<br />
werden die Fähigkeiten<br />
und das Wissen<br />
bezeichnet, aus dem<br />
sich die Einkommen<br />
der Erwerbstätigen<br />
ableiten.»<br />
Grundsätzlich geht es im Generationenvertrag um die Umverteilung<br />
von Ressourcen zwischen Generationen. Es ist für eine Gesellschaft<br />
sinnvoll, diese Umlagerung festzuschreiben und zu steuern, sofern<br />
man davon ausgeht, dass Bedürftige mehr Unterstützung erhalten<br />
sollen, während Reichere auch mit etwas weniger auskommen.<br />
Wie sollte ein Generationenvertrag also konzipiert werden, damit er<br />
weitherum als wünschbar, fair und dem übergeordneten Wohl der<br />
Gesellschaft zuträglich angesehen wird?<br />
Der Generationenvertrag kann durchaus als generationenübergreifende<br />
Sozialversicherung verstanden werden. Andere Formen<br />
der Sozialversicherung, wie beispielsweise die Sozialhilfe, sind nicht<br />
von der Lebensphase des Bezügers abhängig. Die Wünschbarkeit<br />
einer generationenübergreifenden Versicherung wird dann offensichtlich,<br />
wenn wir verstehen, dass viele Aspekte unseres Erwerbslebens<br />
einem gigantischen Roulette gleichen, in dem die Gewinnchancen<br />
allerdings zu unseren Gunsten spielen. Die meisten von uns werden<br />
eine relativ glückliche Hand beweisen: Sie haben eine erfüllende,<br />
gut bezahlte Karriere und finden – vielleicht abgesehen von kurzen<br />
Phasen der Arbeitslosigkeit – immer eine Anstellung. Damit legen sie<br />
die Basis für einen komfortablen Ruhestand. Für einige wenige von<br />
uns wird das Arbeitsleben indes weniger glücklich verlaufen: Sie leiden<br />
unter den Folgen von Behinderungen, längerer Arbeitslosigkeit,<br />
einer verfehlten Berufswahl oder plötzlich obsoleten Fähigkeiten,<br />
die sie über Jahrzehnte mühsam und mit finanziellem Einsatz erlernt<br />
haben. Dies kann zu Problemen im Alter führen.<br />
Sozialversicherung für Ältere<br />
Diesem Negativszenario soll mit einer Sozialversicherung begegnet<br />
werden. In vielen Ländern kommt dieses Ziel sogar direkt in der Bezeichnung<br />
des Programms zum Ausdruck: Sowohl die USA als auch<br />
die Schweiz bezeichnen ihr Sozialversicherungssystem als Alters-,<br />
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (sinngemäss übersetzt für<br />
die USA); in Deutschland kennt man die Gesetzliche Rentenversicherung.<br />
In Versicherungen zahlen wir in guten Zeiten ein und beziehen<br />
Leistungen, wenn und falls wir mit versicherten Schäden konfrontiert<br />
werden.<br />
In den letzten 50 bis 60 Jahren haben sich Sozialversicherungen<br />
jedoch weitgehend von Versicherungsprogrammen zu staatlich finanzierten<br />
Pensionskassen oder Altersvorsorgeplänen entwickelt, von<br />
denen flächendeckend alle profitieren. Derweil erwartet niemand<br />
Leistungen von seiner Autoversicherung, wenn er nicht einen Autounfall<br />
hatte, und niemand bezieht Arbeitslosengeld, wenn er nicht<br />
arbeitslos ist. Weshalb sollen wir da Altersvorsorgeleistungen empfangen,<br />
nur weil wir das Pensionsalter erreicht haben, und zwar insbesondere<br />
diejenigen unter uns, die ein Leben lang gut bezahlter Arbeit<br />
nachgegangen sind? Wir können genauso gut selbst und auf individueller<br />
Basis für den Ruhestand sparen. Es ist daher nicht klar, weshalb<br />
die Altersvorsorge flächendeckend über einen Einkommenstransfer<br />
zwischen Generationen erfolgen sollte. Somit stellt sich die wichtige<br />
Frage, ob die Leistungen der staatlich finanzierten Altersvorsorge<br />
nicht denjenigen vorbehalten sein sollten, die sie wirklich benötigen<br />
(und denen dann grosszügiger geholfen werden könnte).<br />
Eine Anpassung ist umso dringlicher, als dass sich die Arbeitsmarktbedingungen<br />
in den letzten 30 Jahren weltweit dramatisch verändert<br />
haben. Aufgrund der Fortschritte in der Robotik, der Informations-<br />
und Kommunikationstechnologie sowie der Computerleistung<br />
hat die Automation die Fähigkeiten weiter Bevölkerungsteile, die sich<br />
ihrem Ruhestand nähern, hinfällig gemacht. Machine Learning und<br />
künstliche Intelligenz drohen den Wert von Wissen und Fähigkeiten<br />
auszuhöhlen, in die viele gut ausgebildete Arbeitskräfte investiert<br />
haben. Daher sollte die Altersversicherung priorisiert werden und ihre<br />
Leistungen denjenigen zugutekommen, denen es in ihrem Erwerbsleben<br />
nicht gut gelaufen ist. Weil die tatsächliche Lebenserwartung<br />
ihrer Natur nach unsicher ist, sollten zudem diejenigen berücksichtigt<br />
werden, die das «Pech» haben, länger zu leben, als sie bei ihren Sparentscheidungen<br />
für die Altersvorsorge angenommen hatten.<br />
Sozialversicherung für Junge<br />
Der Erfolg im Erwerbsleben und die Lebensdauer sind an sich eine<br />
Lotterie, doch sie werden durch einen ungleich bedeutenderen Risikofaktor<br />
für das lebenslängliche Wohlbefinden übertroffen: die Lotterie<br />
der Geburt. Dieser Aspekt wurde bereits im 18. Jahrhundert durch<br />
den Philosophen Jean-Jacques Rousseau thematisiert und beschäf