COLUMBA Magazin 3-2017
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IDIOLEKTIK UND<br />
METHODISCHER<br />
IMMORALISMUS<br />
Definition „methodischer Immoralismus“ nach E. Drewermann: Psychotherapeuten („Seelsorger“, so<br />
die Übersetzung dieses Wortes aus dem Griechischen) schaffen für ihre Gesprächspartner Situationen,<br />
wie sie im alten Testament beschrieben werden:<br />
Menschen gehen in den Tempel, finden dort Asyl und können sein, wie sie wirklich sind.<br />
Mit dieser bildhaften Umschreibung der Position und Haltung von Therapeuten wird deutlich, was „Seelsorge“ im<br />
wahrsten Sinne des Wortes ist: Wir befinden uns in einem Bereich, in dem Begegnungen nicht von üblichen moralischen<br />
Mustern und Bewertungen geleitet sind – es sind Begegnungen, getragen von der Überzeugung der Einzigartigkeit<br />
eines jeden Menschen, und dies "ohne Wenn und Aber".<br />
Dieses "ohne Wenn und Aber"<br />
ist Ausdruck bewusst gelebter<br />
Liebe. Dieses "ohne Wenn<br />
und Aber" bewirkt Respekt und Achtung<br />
vor jedem Menschen, mit dem ich<br />
gerade jetzt zu tun habe, der vielleicht<br />
auch meine Hilfe braucht.Dieses "ohne<br />
Wenn und Aber" liegt abseits aller Konditionierungen,<br />
unter denen wir – ungewollt<br />
– immer wieder stehen und<br />
auch leiden. Unser Lebensraum sehnt<br />
sich nach der Weite dieser Haltung,<br />
weil nur eine solche Bedingungslosigkeit<br />
Wert in Begegnungen bringt. Wunderbarerweise<br />
erleben Menschen, in<br />
dieser Gewissheit ruhend, ein rundum<br />
manifestes Glücksgefühl, ein Gefühl<br />
jenseits von gewohnten Wertmaßstäben<br />
und jenseits von „alltäglichen“ Beurteilungsgewohnheiten.<br />
"Ohne Wenn und Aber" verhindert<br />
gleichzeitig Macht und Machtmissbrauch<br />
– eine unabdingbare Voraussetzung<br />
im Verhältnis zwischen Ratsuchenden<br />
und Beratern.<br />
"Ohne Wenn und Aber" anerkennt bedingungslos<br />
ein sich selbst organisierendes<br />
Prinzip, anerkennt die „innere<br />
Weisheit“ jedes Menschen.<br />
Diese „innere Weisheit“ weist uns den<br />
richtigen Platz in menschlichen Begegnungen<br />
zu. Sie ist bei jedem Menschen<br />
einzigartig, seine Lebenskraft, weil<br />
sie Ausdruck seiner Überlebenskonzepte<br />
ist. Unser Herz sehnt sich nach<br />
Anerkennung dieser, seiner „inneren<br />
Weisheit“. Unter dieser Anerkennung<br />
gestaltete menschliche Begegnungen<br />
führen in Bereiche einer (meiner) „heilen“<br />
Welt.<br />
Diese Begegnungen tragen im sokratischen<br />
Sinne die Kraft der Mäeutik in<br />
sich: Es kann auf die Welt gebracht werden,<br />
was wunderbarerweise schon vorhanden<br />
ist, was einen Menschen ausmacht<br />
und was ihm hilft zu leben und<br />
vielleicht hilft zu sterben. Die Begegnung<br />
mit der „inneren Weisheit“, das<br />
Geborenwerden meiner Einzigartigkeit<br />
sind der „Mantel“, der mich schützend<br />
umhüllt, der mir Geborgenheit gibt,<br />
mich stärkt und nachhaltig begleitet.<br />
Idiolektische Dialoge führen, bedingt<br />
durch eine puristisch angewendete<br />
Technik, zu diesem beglückenden Erleben.<br />
In Seminaren zu Palliative Care wird<br />
immer deutlicher, wie wichtig, wie wesentlich<br />
eine in diese Richtung professionalisierte<br />
Interviewtechnik wird.<br />
Dabei geht es um eine (vordergründig)<br />
einfach erlernbare Gesprächstechnik.<br />
Und gerade ihre Schlichtheit weckt immer<br />
wieder Zweifel an der Richtigkeit<br />
und Gültigkeit idiolektischer Grundsätze.<br />
Vertrauen in diese „neue“ Interviewform<br />
kann aber nur durch praktisches<br />
Training erworben werden.<br />
Die Palliativakademien in Würzburg<br />
und Bamberg haben Ausbildungsveranstaltungen<br />
zum Thema Idiolektik<br />
in ihre Ausbildungsprogramme eingeführt:<br />
Die Resultate sind ermutigend:<br />
Sie motivieren Teilnehmer und Ausbilder,<br />
die gewonnenen Erkenntnisse und<br />
die resultierenden Hilfestellungen gerade<br />
im Alltag von Palliative Care weiterzuentwickeln.<br />
Gleichzeitig hilft Idiolektik den Anwendern<br />
in permanenter Präsenz die<br />
„richtige“ Distanz zu halten, was in vielen<br />
Situationen äußerst hilfreich sein<br />
kann. So wird Idiolektik zum Königsweg<br />
der Kommunikation.<br />
Dr. med. Hans Hermann Ehrat<br />
Vertreter der Idiolektik,<br />
der Lehre der Eigensprache.<br />
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