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COLUMBA Magazin 3-2017

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Als sich meine Mutter im Jahr<br />

2010 dazu entschloss, nach der<br />

Diagnose einer unheilbaren<br />

Krebserkrankung für ihre letzte Lebensphase<br />

in unsere Stadt zu ziehen,<br />

ahnte ich noch nicht, dass dies meinen<br />

beruflichen Weg entscheidend beeinflussen<br />

würde: Es ging erst einmal<br />

darum, eine geeignete Wohnung zu finden,<br />

den Umzug zu organisieren und<br />

die medizinischen und pflegerischen<br />

Grundstrukturen aufzubauen. Wir<br />

wollten ihr die verbleibende Lebenszeit<br />

so angenehm wie möglich machen.<br />

Nach kurzer Zeit war klar: Beruf, Familie,<br />

Begleitung und Pflege meiner<br />

Mutter waren auf Dauer nicht gleichzeitig<br />

machbar. Ich entschied mich dafür,<br />

eine berufliche Pause einzulegen<br />

- meine Selbstständigkeit ermöglichte<br />

diesen Schritt zeitnah. Die Prognose<br />

der Ärzte sprach vage von wenigen Monaten.<br />

Eine chronische Entzündung<br />

konnte zudem jederzeit entgleisen<br />

und zum schnellen Tod meiner Mutter<br />

führen. Doch der Tod lässt sich nicht<br />

planen: Es verblieben uns gemeinsame<br />

eineinhalb Jahre - eine Zeit, die<br />

wir trotz der Belastung sehr genossen.<br />

Damals entstand etwas Wunderbares:<br />

Das Bewusstsein des nahen Todes veränderte<br />

etwas in unserem Umgang<br />

miteinander. Wir wurden zerbrechlicher,<br />

gleichzeitig jedoch auch offener,<br />

emotionaler, authentischer. Tage wurden<br />

kostbar, Schalen brachen auf, die<br />

Wahl der Worte wurde wesentlich. Im<br />

Rückblick bin ich froh und dankbar für<br />

diese ganz besondere Zeit.<br />

Zwei Jahre später verstarb mein Vater.<br />

Im Gegensatz zu meiner Mutter starb<br />

er nicht zu Hause, sondern auf der Palliativstation<br />

einer Klinik. Obwohl wir<br />

auch hier gut begleitet und umsorgt<br />

waren, erkannte ich, welches Privileg<br />

meine Mutter gehabt hatte: Sie konnte<br />

als Schwerstkranke bis zuletzt zu<br />

Hause leben, in den von ihr gestalteten<br />

Räumen. Auch die Menschen wählte<br />

sie in dieser Zeit bewusst aus: Familienangehörige,<br />

Freunde, Bekannte, die<br />

Haushaltshilfe, den Physiotherapeuten,<br />

die Sterbebegleiterin, den Arzt.<br />

Das bedeutete für uns als Angehörige<br />

auch: Wir konnten uns in ihrem privaten<br />

Umfeld von ihr verabschieden. Und<br />

wir hatten nach ihrem Tod die Zeit, die<br />

wir uns dafür nehmen wollten. Es waren<br />

eineinhalb Tage - welch kostbares<br />

Geschenk!<br />

Laut einer Umfrage der Bertelsmann<br />

Stiftung vom Oktober 2015 wünschen<br />

sich 76 Prozent der Menschen<br />

in Deutschland, zu Hause zu sterben<br />

(https://www.bertelsmannstiftung.<br />

de/ /de/publikation/did/spotlight-gesundheit-1<br />

0201 5/vom 08.06.2016). Tatsächlich<br />

sterben dort gerade einmal 20<br />

Prozent. 80 Prozent der Bevölkerung<br />

befinden sich zum Zeitpunkt ihres Todes<br />

in Kliniken, Altenheimen, Pflegeheimen<br />

oder Hospizen. Sterben findet<br />

also meist in Räumen statt, die nicht<br />

(oder nur teilweise) bewusst gewählt<br />

werden können, deren Gestaltung vorgegeben<br />

ist. Am Ende des Lebens, in<br />

der Zeit, in der jeder Tag kostbar wird,<br />

ist man dort von Menschen umgeben,<br />

die ebenfalls nicht frei gewählt werden<br />

können: von Ärzten, Pflegenden und<br />

anderen Berufsgruppen. Und die Tage<br />

unterliegen dort größtenteils festgelegten<br />

Strukturen und Abläufen. Wachsender<br />

Personalmangel in der Pflege<br />

und dicht gefüllte Tagesabläufe erhöhen<br />

die emotionale Belastung der Mitarbeiter:<br />

Eine angemessene Wertschätzung<br />

ihrer Arbeit wird dadurch noch<br />

wesentlicher. Bedenkt man zudem die<br />

emotionale und kräftezehrende Belastung<br />

für die Schwerstkranken und<br />

deren Angehörige, stimmt dies nachdenklich.<br />

In der „Charta zur Betreuung<br />

schwerstkanker und sterbender Menschen<br />

in Deutschland" heißt es: ,,Jeder<br />

Mensch hat ein Recht auf ein Sterben<br />

unter würdigen Bedingungen" (www.<br />

charta-zur-betreuung-sterbender.de/<br />

diecharta_leitsaetze.html).<br />

Laut Duden versteht man unter Würde<br />

einen „Achtung gebietenden Wert,<br />

der einem Menschen innewohnt, und<br />

die ihm deswegen zukommende Bedeutung"<br />

(www.duden.de/rechtschreibung/Wuerde<br />

vom 04.05.<strong>2017</strong>). Blickt<br />

man in Alten- und Pflegeheime und<br />

allgemein in kurative Stationen, ist die<br />

Dringlichkeit unübersehbar, an diesen<br />

Orten räumliche Gestaltung und Begleitung<br />

von Menschen zu optimieren.<br />

Meine Vision ist es, nicht nur die Raumgestaltung<br />

an diesen Orten zu optimieren,<br />

sondern auch die Begleitung der<br />

schwerstkranken Menschen und ihrer<br />

Angehörigen in den Fokus zu rücken<br />

und damit ein Sterben unter würdigen<br />

Bedingungen zu ermöglichen. Diese<br />

Konstellation erlaubt einen Blick „über<br />

den Tellerrand hinaus": Raumgestaltung<br />

denkt gleichzeitig palliativ, Palliative<br />

Care denkt raumgestalterisch.<br />

Wesentlich ist dabei die Grundhaltung<br />

eines Hauses für beide genannte Bereiche,<br />

denn diese ist zu spüren: in der<br />

Qualität der Raumgestaltung und in<br />

einer qualitativ hochwertigen Versorgung,<br />

die sich an den Wünschen und<br />

Bedürfnissen der Bewohner/Patienten<br />

orientiert. Als Dipl. Farbgestalterin<br />

und Fachkraft für Palliative Care ist<br />

dabei eine enge Zusammenarbeit mit<br />

allen Nutzergruppen vor Ort unabdingbar:<br />

mit den Mitarbeitern, mit den Bewohnern/Patienten<br />

und den Angehörigen<br />

gleichermaßen.<br />

Eva Höschl<br />

Dipl. Farbgestalterin IACC, Dipl. Ing. (FH) Architektur,<br />

zert. Fachkraft Palliative Care, realisiert Farb- und<br />

Materialkonzepte im Gesundheitswesen, bietet Konzepte<br />

für eine hausinterne Organisationsstruktur Palliative Care<br />

www.eva-hoeschl.de, evahoeschl.wordpress.com<br />

Umhüllende Räume schaffen<br />

Mit dem konzeptionellen Ansatz einer Farb- und Materialgestaltung entstehen Räume, die optimale Bedingungen für alle<br />

Nutzer des Hauses schaffen. Die Qualität der Raumgestaltung, ihre Wirkung und die Atmosphäre eines Hauses tragen<br />

maßgeblich zum Wohlbefinden der Menschen bei, die sich dort aufhalten bzw. darin arbeiten. Wird die Raumatmosphäre<br />

positiv wahrgenommen, unterstützt sie zudem die jeweilige Funktion der Räume. Dies führt zu folgenden Verbesserungen:<br />

die Räume werden unbewusst als angenehm und „stimmig" empfunden,<br />

die Arbeitsabläufe der Mitarbeiter werden unterstützt und es kann optimal gearbeitet werden<br />

eine bewusste Gestaltung der Sozialräume macht Pausen effektiver, da schneller Entspannung eintritt: Das Gehirn<br />

schaltet unbewusst in den Erholungsmodus.<br />

ein konzeptioneller Ansatz ermöglicht eine Umsetzung „Stück für Stück" - je nach finanziellem Budget. Gleichzeitig<br />

haben alle das gewünschte Ziel vor Augen.<br />

Ein Farb- und Materialkonzept zu entwerfen, ist nur in enger Zusammenarbeit mit den einzelnen Nutzergruppen des Hauses<br />

sinnvoll: im Optimum mit der Leitung, den Mitarbeitern, den Bewohnern/Patienten und mit Angehörigen. Dabei werden<br />

die Raumwirkungen der einzelnen Funktionsbereiche ohne größeren Zeitaufwand erfragt - unabhängig von persönlichen<br />

Farb- oder Materialvorlieben. Die Auswertung dieser Ergebnisse ist Grundlage für alle weiteren Gestaltungsüberlegungen.<br />

Dieser Ansatz hat zwei entscheidende Vorteile. Erstens: Alle Nutzer eines Hauses können sich einbringen. Es entsteht eine<br />

gemeinsame Gestaltung, ein Teilhabe-Gefühl und die Akzeptanz für räumliche Umgestaltungen wächst. Dies wird bei der<br />

Realisierung nach meiner Erfahrung sehr positiv wahrgenommen. Zweitens: Die Zusammenarbeit ermöglicht im Entstehungsprozess<br />

einen offenen Blick, da unterschiedliche Fachkompetenzen und Erfahrungen aus der Praxis mit berücksichtigt<br />

werden können: nämlich solche von Seiten der Pflege, der Medizin, der Bewohner/Patienten und der Angehörigen.<br />

Mit Auszügen aus bereits realisierten Farb- und Materialkonzepten möchte ich gerne veranschaulichen, wie vielschichtig<br />

sich durch dieses Vorgehen Themen und Ansätze in der gestalterischen Umsetzung fortsetzen und wie sie den räumlichen<br />

Gesamteindruck prägen.<br />

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