COLUMBA Magazin 3-2017
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<strong>COLUMBA</strong><br />
In der Zeit der abgebrochenen Studiengänge<br />
haben sich Elisabeth und Roland<br />
angewöhnt, draußen auf der Schaukel<br />
im Garten zu sitzen, noch am Morgen,<br />
während der Nebel die beiden umhüllt.<br />
Das erinnerte Elisabeth immer ein wenig<br />
an Wagners „Götterdämmerung“.<br />
Und Roland mochte es, wie der Tee seinen<br />
Körper wärmte. Die Stunden vor<br />
Sonnenaufgang waren den beiden damals<br />
schon die liebsten des Tages. Sie<br />
gaben ihnen Ruhe.<br />
Eigentlich führten sie die „Schaukelzeit“<br />
ein, um miteinander über Florian<br />
zu reden: Elisabeth redete über die<br />
Dummheit der Professoren, die endlich<br />
fair benoten müssten. Roland redete<br />
über die Faulheit von Florian, der<br />
endlich etwas durchziehen sollte. Vor<br />
ihrem Sohn wollten sie nicht darüber<br />
sprechen, es war sein Leben und er<br />
sollte von ihnen nur Unterstützung erfahren.<br />
Keinen Pessimismus.<br />
Im März <strong>2017</strong> ist Florian längst ausgezogen,<br />
wohnt seit Jahren mit seiner<br />
Freundin zusammen. Trotzdem haben<br />
Elisabeth und Roland nicht mit ihrer<br />
Tradition gebrochen. Egal wie viel Zeit<br />
der Job forderte oder wie viel im Haushalt<br />
zu erledigen war, der Schaukelzeit<br />
blieben die beiden treu.<br />
Auch in den Wochen nach der Urlaubsidee<br />
sitzen sie fast jeden Morgen auf<br />
der Bank.<br />
Sie wollen nach Barcelona, in die<br />
schönste Stadt der Welt, wie ihr Sohn<br />
Florian schwärmt. Ein Jahr lang hat er<br />
dort spanische Literatur studiert, bevor<br />
er nach München zu einem Philosophie-Studium<br />
wechselte. Elisabeth und<br />
Roland planen ihren Spanien-Trip im<br />
Nebel, bei Tee und Gummimatte. Bis<br />
zum April. Dann geht es nicht mehr.<br />
Elisabeth klagt oft über Schmerzen<br />
und fühlt sich schwach. Sie und Roland<br />
stehen später auf und planen fortan bei<br />
Morgenlicht am Wohnzimmertisch.<br />
Im Mai hebt das Flugzeug schließlich<br />
ab: Düsseldorf – Barcelona. Die Maschine<br />
hat 20 Minuten Verspätung.<br />
Während die beiden am Gate sitzen<br />
und warten, holt Roland eine Papierrolle<br />
aus seinem Koffer. Sie ist an den<br />
Seiten angekokelt und schwarz, eine<br />
graue Kordel und ein Wachssiegel halten<br />
sie zusammen. Sie sieht aus wie<br />
eine Schatzkarte aus einem alten Piratenfilm.<br />
Er überreicht sie Elisabeth.<br />
Die entziffert die krakelige Schrift in<br />
schwarzer Tinte:<br />
Mein liebster Schatz! Da<br />
Florian meinte, Barcelona sei<br />
die schönste Stadt der Welt,<br />
wollte ich dir, der schönsten<br />
Frau MEINER Welt, eine<br />
Überraschung machen. Wir<br />
unternehmen eine kleine<br />
Schatzsuche. An sieben Tagen<br />
unseres Urlaubs erwartet dich<br />
ein kleines Rätsel. Wenn du<br />
alle löst, werde ich dich um<br />
etwas bitten, das ich niemals<br />
gewollt habe. Du aber früher<br />
einmal unbedingt.<br />
Dein erster Hinweis erwartet<br />
dich dort, wo - wenn man<br />
unserem Buch über Barcelona<br />
glauben darf - die beste<br />
Wahrheit der Stadt liegt.<br />
Roland“<br />
Das „Buch über Barcelona“ ist ein Reiseführer<br />
mit mehr als 200 Seiten. Elisabeth<br />
und Roland hatten ihn damals für<br />
Florian gekauft, der aber hatte ihn in<br />
Deutschland vergessen.<br />
Der erste Tag in Barcelona ist ein Dienstag,<br />
fast 40 Grad ist es heiß, als Elisabeth<br />
und Roland am Nachmittag aus ihrem<br />
Hotel auf die Straße treten. Elisabeth<br />
ist schnell erschöpft. Schweiß verdunkelt<br />
den Stoff um den Verschluss ihrer<br />
Schirmmütze und rinnt die Beuge ihres<br />
Halses hinunter. Sie hat die Mütze<br />
aufgesetzt, „um cool zu sein“, sagt sie.<br />
Roland weiß es besser – seine Elsbeth<br />
hatte ihre Haare immer so gerne geflochten.<br />
Früher, vor dem Krebs...<br />
Roland schlägt vor, einen schattigen<br />
Platz zu suchen, am besten in einem<br />
Weinlokal in der Nähe des Hotels. Beide<br />
sind viel zu früh am Tag betrunken,<br />
lachen und tauschen Erinnerungen an<br />
früher aus. Er erinnert sich an den ersten<br />
Kuss unter den Ästen einer Weide,<br />
sie erzählt vom ersten Mal Sex, ein halbes<br />
Jahr später an derselben Stelle. So<br />
war es immer: Roland der Ruhige, Elisabeth<br />
die Wilde. Wenn Roland einen<br />
Abend am Lagerfeuer vorschlug, wollte<br />
Elisabeth in die Disco, wenn Elisabeth<br />
davon sprach in die Großstadt zu ziehen,<br />
renovierte Roland ein Häuschen<br />
auf dem Land.<br />
"Das Beste kommt zum Schluss!", heißt<br />
es, aber das stimmt nicht. Das Beste<br />
war im Leben von Elisabeth und Roland<br />
immer da. Der andere steuerte bei, was<br />
einem selbst fehlte.<br />
In der Weinstube ist das letzte Glas Wein<br />
geleert, beide sitzen trotzdem noch<br />
etwa eine halbe Stunde da und lachen.<br />
Dann schiebt Roland einen kleinen weißen<br />
Zettel über den Tisch. Wieder ist er<br />
mit einem roten Wachssiegel verschlossen,<br />
diesmal ist darauf die Zahl Eins eingedrückt.<br />
In Vino Veritas, meine Liebe<br />
Elsbeth. Ich hoffe, dir hat die<br />
Wahrheit mindestens so gut<br />
geschmeckt, wie ich es mir für<br />
dich wünsche.<br />
Mögliche Orte für den<br />
nächsten Hinweis gibt es 1001,<br />
aber nur zu einer Zeit bist du<br />
dort richtig.<br />
Roland“<br />
In der Nacht entdeckt sie den nächsten<br />
Hinweis auf ihrem Kissen. Er führt zu<br />
einem Morgenspaziergang ans Meer,<br />
noch vor dem Frühstück, „wenn der Nebel<br />
sich erhebt“. Nebel gibt es dann doch<br />
keinen, dafür beobachten die beiden,<br />
wie sich die Sonne über die Grenze des<br />
Ob eine Spritztour, ein Wochenend-Ausflug oder<br />
eine längere Reise liegt allein in Ihrer Hand.<br />
Schenken Sie einem Menschen die Möglichkeit,<br />
noch einmal die Orte seines Lebens zu besuchen.<br />
Horizonts stemmt und das erste Licht<br />
des Tages einen weißen Streifen in die<br />
Meeresoberfläche brennt.<br />
Sechs Tage lang führen die Hinweise zu<br />
Museen, in Restaurants oder auf Spaziergänge.<br />
Immer sind es Sehenswürdigkeiten<br />
oder Orte, mit Aussicht auf<br />
den Sonnenauf- oder -untergang und<br />
das Meer. Roland hat sich auch hier an<br />
Wagner orientiert, seine Elsbeth verband<br />
dessen Götterdämmerung immer<br />
mit dem Licht der Sonne, das während<br />
ihrer Auf- und -untergänge in verschiedenen<br />
Farben ineinander verschwimmt.<br />
Am siebten Tag muss Elisabeth ins<br />
Krankenhaus. Sie kann sich kaum noch<br />
auf den Beinen halten, ihr ist schwindelig<br />
und sie hat Fieber. Seit dem Abend<br />
im Weinlokal hat sie immer seltener gelacht,<br />
stattdessen immer häufiger gelächelt.<br />
Lautes Lachen kostet zu viel Kraft.<br />
Bedeutet Schmerzen. In der Brust, in<br />
der Lunge, im Kopf. Überall. Selbst dort,<br />
wo der Krebs sich nicht eingenistet hat.<br />
Am Abend sitzt Roland am Krankenhausbett<br />
und hält die Hand von Elisabeth.<br />
Sie atmet schwer, die Haut in ihrem<br />
Gesicht ist eingefallen, am ganzen<br />
Körper ist sie blass. Das Piepsen der<br />
Geräte symbolisiert für Roland keine<br />
Überwachung des Lebens mehr, für ihn<br />
ist es ein Countdown zum Tod. Er bricht<br />
das Siegel des letzten Zettels selbst und<br />
liest vor: „Meine Elsbeth, ich habe mit<br />
dir die beste Zeit in meinem Leben verbracht.<br />
Trotzdem habe ich eine Sache<br />
nie gewollt, eine Frage nie gestellt, auf<br />
die du doch immer gewartet hast. Willst<br />
du mich heiraten?“<br />
Roland weint, als er seine Elsbeth lächeln<br />
sieht.<br />
Manuel Stark<br />
Manuel Stark hat Kommunikationswissenschaft<br />
und Philosophie in Bamberg studiert.<br />
Er wird an der Deutschen Journalistenschule<br />
zum Redakteur ausgebildet und arbeitet als<br />
freier Journalist.<br />
„Da würde ich gerne noch mal hinfahren ...“<br />
Ein häufig geäußerter Satz von Menschen, deren Leben sich dem Ende neigt.<br />
Erfüllen Sie diesen Wunsch und besuchen Sie mit einem lieben Menschen<br />
wichtige Orte seines Lebens, Stationen Ihrer gemeinsamen Erinnerung.<br />
Für diese Reise vermieten wir das entsprechende Fahrzeug<br />
mit viel Platz, auch für einen Rollstuhl.<br />
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