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6 KULTUR JOKER THEATER<br />
Ohne Wut geht gar nichts<br />
Das Theater Zeppelin zeigt in Kooperation mit Vanessa Valk die Bilderbuchgeschichte „Frida und das Wut“<br />
im Freiburger E-Werk<br />
Wer einmal live und hautnah<br />
einen ausgewachsenen Tobsuchtsanfall<br />
erlebt hat, weiß was<br />
heftige Gefühle sind. Gerade<br />
Kinder sind da hemmungslos<br />
– und nicht selten selbst völlig<br />
überfordert, verquicken sich hier<br />
doch Allmachtsgefühle, Rausch,<br />
Kontrollverlust und Zerstörungslust<br />
zu einer erschreckenden Explosion.<br />
Jetzt zeigte das Theater<br />
Zeppelin in Koproduktion mit<br />
Vanessa Valk die Bilderbuchgeschichte<br />
„Frida und das Wut“<br />
für Zuschauer ab vier Jahren<br />
im ausverkauften Freiburger E-<br />
Werk – mit Schau-, Puppen- und<br />
Schattenspiel und jeder Menge<br />
Live-Musik (Text und Regie:<br />
Mia Grau). Uraufgeführt wurde<br />
„Frida und das Wut“ auf dem<br />
Hoheluftschiff in Hamburg mit<br />
Puppenspielerin Vanessa Valk<br />
und Musiker Konrad Wiemann,<br />
beide leben mit ihren Familien<br />
in Freiburg, Valk war einige Jahre<br />
festes Ensemblemitglied am<br />
Stadttheater.<br />
Eine riesige Holzkiste steht<br />
im Kammertheater. Während<br />
Konrad Wiemann mit Schnauzer<br />
und Schiebermütze erst<br />
stoisch am Schlagzeug seine<br />
kabarett<br />
18.<br />
freiburg–<br />
g re n ze nlos–<br />
festival<br />
comedy<br />
chanson 22.Januar—<br />
4. Februar<br />
2<strong>01</strong>7<br />
KOKO & DTK<br />
Entertainment<br />
GmbH<br />
Zeitung liest und dann mit der<br />
elektrischen Gitarre rockige<br />
Akkorde spielt, rappelt es schon<br />
ordentlich im Karton: Die Kiste<br />
bebt und klappert, wenig später<br />
steigen Rauchwolken aus ihrem<br />
Inneren auf (Bühne: Jens Burde).<br />
Und das alles nur, weil Frida<br />
ihr Zimmer aufräumen und<br />
zum Mittagessen kommen soll!<br />
„Blöde Mama, ich hau dich kaputt“<br />
schreit sie, ihr Wut hüpft<br />
dazu wie ein Schattenteufel:<br />
Mit rot-schwarzer Fusselmähne<br />
und Vampirgebiss, zwei Fühler<br />
vorwitzig in die Luft gereckt.<br />
Wenn es ratlos oder traurig ist,<br />
hängen diese Fühler zur Freude<br />
des Publikums nach unten.<br />
Beängstigend sieht dieses Wut<br />
nicht aus, aber wild. Sein lustig<br />
geknurrtes „Nein“ ist radikales<br />
Lieblingswort.<br />
Vanessa Valk führt ihre beiden<br />
Figuren mit Präzision: Frida mit<br />
Zöpfen und beweglichen Gliedmaßen<br />
am Stock, ihr Wut als<br />
Klappmaul-Monster (Puppenbau<br />
– Vanessa Valk, Arne Bustorff).<br />
Noch haben die beiden jede<br />
Menge Spaß, aber dann wird<br />
Frida in ihr Zimmer geschickt<br />
und Mama weiß sich nicht mehr<br />
Die Puppenspielerin Vanessa Valk<br />
Musikalische Kriegsführung<br />
Duo Contour zeigte im Ewerk im Rahmen der Russischen<br />
Kulturtage „Battaglia“<br />
Nein, „Frieden“ werden die<br />
beiden in der zweiteiligen musikalischen<br />
Farce „Battaglia“<br />
nicht schließen. Dazu hätte es<br />
wohl eines dritten Teils bedurft.<br />
Um eine einvernehmliche Lösung<br />
geht es hier auch nicht, sondern<br />
um „Battaglia“ – Schlacht,<br />
Provokation, Streit, Kampf. All<br />
dies brachte das Duo Contour<br />
(Lee F. Ferguson – Percussion,<br />
Stephen Altloff – Trompete)<br />
auf der Basis einer knappen,<br />
aber urkomischen Textvorlage<br />
von Daniil Charms im Rahmen<br />
der Russischen Kulturtage<br />
als musikalisch-theatralische<br />
Performance (Komposition:<br />
Igor Majcen, Soundinstallation:<br />
Astrid und Ephraim Wegner,<br />
Regie: Petra Faißt) auf die<br />
Ewerk-Bühne.<br />
Wie heißt es doch so schön:<br />
Mit Humor wird alles leichter.<br />
Auch das Verständnis. Zumindest<br />
im Stück „Battaglia“, das<br />
all die unsinnigen Duelle dieser<br />
Welt auf Charms grotesken<br />
Wortwechsel herunterbricht.<br />
Kriegstreiber sind zwei vergleichsweise<br />
harmlose Gesellen:<br />
Der trocken-lakonische Andrej<br />
Semjonovitsch und der infantilpenetrante<br />
Mathematiker. Diese<br />
beiden beginnen also eine<br />
zu helfen und singt ein sehr trauriges<br />
Lied: Denn wie kann man<br />
leben mit soviel Trotz und Wut,<br />
wie Freude und Freunde finden,<br />
wenn da nur Krallen und Fäuste<br />
sind? Dann wirft Frida ihren<br />
Dämon aus dem Fenster und in<br />
einen Eimer, fühlt sich plötzlich<br />
ganz leicht und will in Zukunft<br />
nur noch lieb sein. Spinat essen?<br />
Nägel schneiden? Zimmer aufräumen<br />
– kein Problem. Mama<br />
und der Musiker-Papa in den dicken<br />
Puschen freuen sich, doch<br />
nicht lange und Frida bekommt<br />
Bauchweh und schlimme Träume.<br />
Die sieht das Publikum in<br />
einer Guckkastenbühne mit<br />
buntem Schattenspiel: Wie<br />
Fridas Bett auf hohen Wellen<br />
schwankt und schaukelt, wie sie<br />
untergeht im Meer und dort fiesen<br />
Tieren begegnet, wie sie im<br />
Urwald landet und verprügelt<br />
wird. Und plötzlich ist es allen<br />
sonnenklar: Ohne Wut geht gar<br />
nichts, fehlt Selbstbewusstsein,<br />
Kraft und Eigenwille zur Gegenwehr.<br />
Wie sich mit so einem Wut leben<br />
lässt, erzählt Vanessa Falk<br />
in einfachen, aber sehr dynamischen<br />
Szenen. Konrad Wiemann<br />
untermalt mit vielerlei<br />
Instrumenten und einem Soundteppich<br />
voller Atmosphäre, der<br />
mal rockig, mal poetisch ist. Die<br />
Zuschauer sind gebannt dabei,<br />
gibt es doch nicht nur immer<br />
wieder was zu lachen, sondern<br />
auch viele überraschende Regieideen.<br />
Ein aufrichtiges und empathisches<br />
Stück, das Kindern auf<br />
Augenhöhe begegnet und ihre<br />
Erfahrungen ernst nimmt, ohne<br />
ihnen mit zu viel Radau Angst<br />
zu machen. Umgesetzt wird es<br />
mit Raffinesse und Originalität.<br />
„Nein!“ knurrt es danach vielstimmig<br />
im Foyer und auf der<br />
Toilette.<br />
Weitere Aufführungen: 28. Januar,<br />
17.30 Uhr, Kulturzentrum<br />
3Klang, Laufen (www.kulturzentrum3klang.de);<br />
25. Februar,<br />
11 Uhr, Vorderhaus Freiburg<br />
Marion Klötzer<br />
völlig sinnfreie Diskussion, die<br />
sich in einen aberwitzigen Streit<br />
auswächst. Ganz wie im echten<br />
Leben halt.<br />
Mathematiker: „Ich habe eine<br />
Kugel aus meinem Kopf geholt.“<br />
Reaktion des anderen: „Steck<br />
sie zurück.“ „Nein, das werde<br />
ich nicht.“ „Nun gut, dann eben<br />
nicht.“ „Ich lasse es.“ „Ja, lass es<br />
halt.“ „Also habe ich gewonnen.“<br />
„Gut, du hast gewonnen, beruhige<br />
dich.“ „Ich beruhige mich<br />
nicht.“ „Du magst zwar ein Mathematiker<br />
sein, aber, ehrlich,<br />
du bist nicht gerade sehr helle.“<br />
„Ich bin wohl helle und weiß<br />
schrecklich viel.“ „Viel schon,<br />
aber lauter Mist.“ „Nein, kein<br />
Mist.“ „Ich hab’s satt, mich mit<br />
dir herumzustreiten.“ „Nein, du<br />
hast es nicht satt!“<br />
Dies der ganze Text, der in<br />
verschiedenen Variationen mit<br />
getauschten Rollen und Perspektivwechseln<br />
durchgespielt<br />
und hin- und hergeworfen wird.<br />
Irgendwann schießt der Mathematiker<br />
den anderen – der sich<br />
so gar nicht auf ihn einlassen<br />
will – nieder. Der steht aber wieder<br />
auf, denn auch darauf lässt er<br />
sich nicht ein.<br />
In dieser Handlung nach einem<br />
tieferen Sinn zu graben, ist vielleicht<br />
müßig. Das Stück indes<br />
wirkt nachhaltig. Es profitiert<br />
nicht nur von einer Reihe charmanter<br />
Regieeinfälle, sondern<br />
eröffnet vor allem in musikalischer<br />
Hinsicht noch eine ganz<br />
andere Dimension. Analog zu<br />
den Wortwechseln werden auch<br />
instrumental die Strippen gezogen,<br />
der Duellcharakter auf<br />
mehreren Ebenen ausgefochten,<br />
wenn sich Rede- und Antwort in<br />
den konterkarierenden Klangfarben<br />
von Trompete, Schlagzeug<br />
und Xylophon entladen –<br />
Pfeifen, Trommeln, Schnarren,<br />
Scharren, Quietschen, Brummen,<br />
Steppen.<br />
Eine ziemlich plakativ veräußerte<br />
Streitform ist diese musikalische<br />
Kriegsführung zwar,<br />
die aber auch das kindlich-naive<br />
der Textvorlage trefflich erfasst<br />
und ab und an das Theater des<br />
russischen Konstruktivismus<br />
aufscheinen lässt. Und die beiden<br />
Musiker agieren einfach<br />
famos. Sie zelebrieren diese<br />
Musik mit Hochgenuss, bis am<br />
Ende die Bühne dann wirklich<br />
aussieht wie ein Schlachtfeld.<br />
Ist das vielleicht die Botschaft,<br />
dass man aus jeder Schlacht ein<br />
Spiel machen kann?<br />
Friederike Zimmermann<br />
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