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Grundschule aktuell 135

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Thema: Räume zum Leben und Lernen<br />

Anna Dittert<br />

Schul(bau)alltag heute<br />

Anspruch und Wirklichkeit<br />

Räumliche Arrangements in der Schule erfahren in den letzten Jahren vermehrte<br />

Aufmerksamkeit. Die Metapher vom Raum als dem dritten Pädagogen ist ein<br />

gängiger Begriff und auch der pädagogische Raum hat zunehmend Einzug in<br />

die pädagogischen Diskussionen gefunden. Gestaltungspreise und Dokumentationen<br />

über erfolgreiche Schulen, die den Raum in seiner pädagogischen Bedeutung<br />

hervorheben, lassen die Öffentlichkeit aufmerksam werden. Unbestritten<br />

scheint, dass sich die Raumverhältnisse nicht nur auf das Wohlbefinden, sondern<br />

auch auf das Verhalten und die Leistungsfähigkeit von Pädagogen und<br />

Schülern auswirken.<br />

Ein Blick in den Schul(bau)alltag<br />

zeigt aber auch, dass Schulraum<br />

kein isolierter pädagogischer<br />

Handlungsraum ist, sondern von<br />

einer Vielzahl verschiedener politischer<br />

und gesellschaftlicher Faktoren beeinflusst<br />

wird. Defizite sind erkennbar, in<br />

den baulichen Gegebenheiten und der<br />

räumlichen Ausstattung besteht Entwicklungsbedarf.<br />

In der Praxis haben<br />

die pädagogischen Notwendigkeiten<br />

noch einen zu geringen Einfluss auf die<br />

architektonische Gestaltung von Schulgebäuden.<br />

Ausgehend davon, dass pädagogische<br />

Überlegungen und Entwicklungen<br />

immer auch Vorstellungen vom idealen<br />

Lern- und Lebensraum beinhalten,<br />

müssen sich praktische und realisierbare<br />

Konsequenzen für die Schulraumgestaltung<br />

im Sinne von Schule als Lebensund<br />

Erfahrungsraum formulieren lassen.<br />

Neuralgische Punkte für<br />

die Entwicklung einer kindgerechten<br />

Lernkultur<br />

Ein von Buddensiek (2010, 149 f) gefordertes<br />

anderes Haus ist notwendig – angesichts<br />

der veränderten Lernkultur und<br />

der veränderten Kindheit, die von einer<br />

zunehmenden Institutionalisierung geprägt<br />

ist. Die sich wandelnden Lebenssituationen,<br />

der wachsende Anteil von<br />

Kindern und Jugendlichen mit schwierigen<br />

Sozialisationshintergründen, die<br />

auch daraus resultierende Ganztagsschulbewegung<br />

mit »längeren Schultagen«<br />

stellen neue Anforderungen<br />

an den Lebensraum Schule. Mehr als<br />

ein Ort, in dem Lesen, Schreiben und<br />

Rechnen gelehrt wird, ist Schule heute<br />

Ort des Lebens, ein Ort des sozialen<br />

Lernens. Der schulische Bildungsauftrag<br />

erweitert sich durch die in Ganztagsschulkonzepten<br />

geforderte Integration<br />

von Gemeinschafts- und Freizeitaktivitäten<br />

und nicht zuletzt durch die<br />

<strong>aktuell</strong>e Entwicklung zur Inklusiven<br />

Schule. Diese Tendenzen gehen einher<br />

mit einer veränderten Lernkultur, die<br />

individualisiertes und selbstständiges,<br />

zugleich aber auch kooperatives Lernen<br />

fordert. Sie ist geprägt von handlungsorientierten,<br />

entdeckenden Unterrichtsformen,<br />

in denen sich die Schüler<br />

ihr Wissen selbst aneignen, ihre Lernprozesse<br />

selbst steuern und Verantwortung<br />

übernehmen. Die Wissensvermittlung<br />

durch die Lehrkräfte tritt<br />

dabei zunehmend in den Hintergrund.<br />

Watschinger (2007, S. 31) beschreibt die<br />

Schule in diesem neuen Verständnis<br />

als bewegte Lernlandschaft, die individuelle<br />

Vielfalt und Gemeinschaftserfahrung<br />

zulässt und einen Lernprozess<br />

fördert, in dem sich forschendes Lernen<br />

mit Einzel- und Teamarbeit abwechseln.<br />

Vor dem Hintergrund solch offener<br />

Unterrichtsstrukturen, die eine differenzierte<br />

Lernorganisation erfordern,<br />

gewinnt die Schulraumgestaltung, die<br />

sowohl ästhetische Qualität als auch<br />

Funktionalität im Blick behalten muss,<br />

an Bedeutung; kurz: Neues Lernen<br />

braucht neue Räume.<br />

Ästhetische Qualität durch sinnanregende<br />

Schulraumgestaltung<br />

Schule soll den Kindern Geborgenheit<br />

und Sicherheit in einer vorgeordneten<br />

Lebenswelt bieten, in der<br />

sie entsprechend ihren Bedürfnissen<br />

selbstständigen Erfahrungen nachgehen<br />

können. Um einen solchen Schulraum<br />

zu schaffen, der sinnliche und<br />

bedürfnisorientierte Erfahrungsprozesse<br />

ermöglicht, bedarf es grundsätzlich<br />

einer sinnanregenden Schulraumgestaltung.<br />

Diese muss unabhängig von<br />

pädagogischen Leitideen ganzheitlich<br />

die Wirkungen von Raumform, Farbe,<br />

Licht, Material und Akustik beachten,<br />

um eine Atmosphäre zu schaffen, die<br />

dem Lernen und Wohlbefinden zuträglich<br />

ist (vgl. Rogger 2007, S. 140). Denn<br />

sinnliche Erfahrungen in der Bauwahrnehmung<br />

haben einen entscheidenden<br />

Einfluss auf die kindliche Entwicklung.<br />

Kinder wachsen heute mehr denn je in<br />

einer sinnesfeindlichen Umwelt auf, die<br />

Flurschule nach einer »Sanierung«<br />

körperlich-sinnliches Erleben aus ihren<br />

Alltagserfahrungen verdrängt (vgl.<br />

Zimmer 2010, S. 27). Sinnesorgane aber<br />

benötigen differenzierte Anregungen,<br />

um sich zu entfalten und weiterzuentwickeln;<br />

Sinnesqualität bedeutet so immer<br />

auch Erkenntnisqualität. »Nur was wir<br />

mit unseren Sinnen entdecken, gelangt<br />

auch in unser Gehirn. Das heißt, was<br />

wir im wahrsten Sinne des Wortes ›begreifen‹,<br />

kann auch begriffen werden.<br />

Wer fühlen, riechen, schmecken, hören<br />

und sehen kann, wird auch bei sich<br />

selbst ankommen können und darüber<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>135</strong> • September 2016<br />

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