Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Er weiß sehr wohl, es wird in Zukunft<br />
viel Hass auf ihn warten, denn Nakhane<br />
tritt gerade vor die ganze Welt<br />
und personifiziert dabei zwei Sachen,<br />
die so viele Menschen verachten: Er ist<br />
schwarz und schwul.<br />
„Ich werde nie erlauben, dass mich dieser<br />
Hass erreicht. Niemals. Das verdienen<br />
sie nicht“, sagt er entschieden. „Wenn<br />
überhaupt, dann bringt es mich dazu,<br />
noch mehr zu machen. Ich klinge damit<br />
vielleicht wie ein Politiker – aber wir können<br />
dem Hass nicht erlauben zu gewinnen.“<br />
Vor allem und gerade jetzt nicht. „Es sind<br />
dunkle Zeiten. Aber wir haben so etwas<br />
schon mal durchgemacht. Die Menschheit<br />
lernt nicht, das ist offensichtlich. Ich dachte,<br />
wir würden all das hinter uns lassen,<br />
aber Liebe kommt eben nicht einfach so<br />
– wir müssen dafür arbeiten. Das ist das<br />
Einzige, was ich aus meinem religiösen<br />
Leben mitgenommen habe: Liebe musst<br />
du leben.“<br />
Seine Kreativität ist dabei nicht unbedingt<br />
seine Waffe gegen den Hass, denn<br />
der Wunsch nach Musik ist bei ihm eine<br />
Familientradition. „Meine Mutter und ihre<br />
Schwestern haben alle in Chören gesungen.<br />
Mozart, Händel. Klassisch trainierte<br />
Sängerinnen, was damals großartig für<br />
mich war – und heute ganz schrecklich,<br />
weil sie ständig alle eine Meinung zu meinen<br />
Phrasierungen und meiner Atemtechnik<br />
haben!“, lacht er. Gleichzeitig zu diesen<br />
Prägungen hörte er bei seiner Tante die<br />
großen Soulmeister wie Marvin Gaye und<br />
The O’Jays. Er wurde nicht nur ein Fan von<br />
ihnen, er war regelrecht besessen. „Ich war<br />
besessen von Musik überhaupt. Ich habe<br />
immer die Platten meiner Mutter ruiniert“,<br />
gesteht er. „Sie liebte es zwar, dass ich<br />
ihre Musik liebe, aber sie hasste es, dass<br />
sie ständig wieder neue Platten kaufen<br />
musste – und manche waren echt schwer<br />
zu bekommen!“<br />
Er war zwölf, als er eine für ihn einfache<br />
Entscheidung traf, obwohl er auch über<br />
eine Karriere als Sportler nachdachte: „Ich<br />
laufe wirklich gern. Aber ich liebe Musik!<br />
‚Das wird es sein, was ich tun werde‘, entschied<br />
ich damals.“ Während seine Mutter<br />
hinter ihm stand, gab es deswegen viele<br />
Streitigkeiten mit seinem Vater. „Er wollte<br />
immer, dass ich Anwalt oder Buchhalter<br />
werde. ,Warum kannst du nicht wie andere<br />
Jungs sein?‘, waren ausgerechnet seine<br />
Worte.“ Und damals ging es noch nicht<br />
einmal um Nakhanes Coming-out. Als es<br />
endlich so weit war, „war es schwierig, für<br />
alle Beteiligten. Außer für meine Freunde,<br />
denen war es sowieso klar.“ Der Widerstand<br />
in der Familie ging sogar so weit,<br />
dass er sein Schwulsein wieder verleugnete<br />
und für kurze Zeit versuchte, ein strikter<br />
Christ zu sein und dementsprechend zu<br />
leben – bis er endgültig feststellte: So geht<br />
es nicht weiter! „Da hatte ich zum Glück<br />
schon meine eigene Wohnung. Und endlich<br />
machte dann auch mein Vater seinen<br />
Frieden mit dem Fakt, dass er es nicht<br />
ändern kann.“<br />
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Nakhane<br />
schon an seiner eigenen Musik. Sein erstes<br />
Album erschien 2013, da war er 25. „Es<br />
dauerte, bis es in Südafrika sein Publikum<br />
fand, und da schrieb ich bereits an völlig<br />
neuen Songs.“ Kurze Zeit später erschien<br />
sein erster Roman – und er bekam plötzlich<br />
sogar eine Filmrolle: „The Wound“<br />
stand gerade auf der Shortlist für den<br />
Oscar, auch wenn es nicht für die finale<br />
Nominierung gereicht hat. „Ich weiß auch<br />
nicht, wie das alles geschah … Ich schaue<br />
auf mein Leben und es ist so eigenartig“,<br />
überlegt er. „Ich wusste zwar früh, dass<br />
ich für all diese Künste große Leidenschaft<br />
empfand, aber ich dachte immer,<br />
ich müsste mich entscheiden. Das ist es<br />
jedenfalls, was alle sagen.“ Aber Menschen<br />
konstruieren diese Vorstellungen, diese<br />
Rollen natürlich nur. „Bevor wir kolonialisiert<br />
wurden, war das Sein eines Künstlers<br />
in Südafrika, dass du von deinen Ahnen<br />
ausgewählt wurdest, denn du solltest die<br />
Botschaften der Vorfahren oder Götter<br />
oder was auch immer weitergeben. Das<br />
wurde durch Tanz getan, durch Poesie,<br />
durch Singen und Schauspielern. Und du,<br />
als der Sprecher für diese Entitäten, musstest<br />
du das alles gleichzeitig können – und<br />
das auch noch sehr gut! Die Idee, dass man<br />
nur eines machen kann, war also nie eine<br />
afrikanische Sache – das kommt aus<br />
der westlichen Kultur. Das müsst ihr<br />
nicht auf mich übersetzen, das ist<br />
euer Scheiß!“, lacht er.<br />
Der Erfolg des Films, die Aufmerksamkeit,<br />
die sein Roman<br />
bekommen hat, und jetzt<br />
die weltweite Veröffentlichung<br />
seines zweiten<br />
Albums „You Will Not<br />
Die“ durch ein Major-Label,<br />
das alles machte die<br />
letzten Monate zur aufregendsten<br />
Zeit seines<br />
Lebens. „Ich kann jetzt<br />
keine Angst vor all dem<br />
haben, was passiert.<br />
Wenn ich mich unsicher<br />
fühle, dann reiße ich mich<br />
zusammen. Wenn ich unzufrieden<br />
bin, dann kann ich<br />
es in der Zukunft<br />
immer noch<br />
besser<br />
machen<br />
–<br />
aber<br />
MUSIK<br />
jetzt gilt: Tu es, zum Teufel!“ Es ist der<br />
Moment, auf den er sein Leben lang hingearbeitet<br />
hat. „Und ich bin froh, dass es erst<br />
jetzt passiert, wo ich älter bin.“<br />
Schon alleine deshalb, weil heute jeder –<br />
und auch Nakhane – über die Social Media<br />
erreichbarer, näher und verwundbarer ist<br />
als je zuvor. Es ist oft schwer, den Troll<br />
nicht zu füttern, doch auf Hasskommentare<br />
reagiert er bedacht, wie letztens auf<br />
Twitter mit einem „Vielen Dank.“ „Mich<br />
hat eine Freundin vor vielen Jahren schon<br />
gefragt, was ich tun würde, wenn jemand<br />
einfach sagen würde, dass er mich hasse.<br />
Mich und meine Arbeit. Damals meinte<br />
ich, das wird mir nie passieren, weil meine<br />
Arbeit nie die Bedeutung haben wird, dass<br />
sich jemand diese Mühe macht.“ Als es<br />
dann doch losging, rief er sie an: „Du wirst<br />
nicht glauben, was gerade jemand zu<br />
mir gesagt hat! Jemand hat mir den Tod<br />
gewünscht!“ Sie haben nur gelacht. „Es hat<br />
mir zwar noch niemand so etwas direkt<br />
ins Gesicht gesagt … aber ich wäre bereit<br />
dafür. Ich komme aus einer starken Familie.<br />
Meine Mutter meinte zu mir, als dieser<br />
Hass begann: ,Du kommst klar, oder?‘ Ich<br />
fragte: ,Wie kommst du darauf?‘ ,Weil du<br />
bei uns aufgewachsen bist!‘, war ihre Antwort“,<br />
lacht er wieder und sagt dann mit<br />
Ruhe und Selbstsicherheit: „Wir haben uns<br />
immer gegenseitig sehr übel aufgezogen<br />
und haben dafür immer unsere größten<br />
Unsicherheiten und Schwächen genommen.<br />
Deshalb kann mir das alles nicht<br />
wehtun.“ *fis