E_1936_Zeitung_Nr.067
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22 AUTOMOBIL-REVUE DIENSTAG, 18. AUGUST <strong>1936</strong> — JfO 67<br />
Das Wandern ist<br />
des Fahrers Lust...<br />
...Noch besser könnte man eigentlich sagen<br />
«Auto, Auto du musst wandern, von dem einen Ort<br />
zum andern ...><br />
Das ist nun allwöchentlich so — heute in Tripolis,<br />
morgen in Budapest, übermorgen an der<br />
Eifel, ein paar Wochen später in Bern und in<br />
Pescara, immer ein ganzes Völkchen beieinander,<br />
welches viele Tausende von Kilometern kreuz und<br />
quer durch Europa und Afrika gondelt. Und das ist<br />
nicht einmal etwas Besonderes für sie...<br />
Da sind die grossen Equipen wie Alfa, Auto<br />
Union, Mercedes. 4 Rennwagen — meist in Lastwagen<br />
verstaut, 60 Mechaniker, 4 Reifenspezialisten,<br />
die Mixer für den Brennstoff, die Ingenieure<br />
und Konstrukteure, die Rennmanager, die Devisenverteiler<br />
und Rechner (diese Posten wurden erst<br />
vor 2 Jahren neu eingeführt, sind aber sehr begehrt)<br />
und nicht zuletzt: die Fahrer und der Teamarzt.<br />
Ganz abgesehen von den Autoenthusiasten,<br />
Fanatikern, Freunden, Verwandten und Frauen, die<br />
auch immer mit von der Partie sind...<br />
Allein die Mechaniker der drei grossen Firmen<br />
stellen beinahe ein kleines Regiment dar. 150 Mechaniker,<br />
die untergebracht und verpflegt sein<br />
sollen und gut — denn an ihnen hängt das Leben<br />
und Erfolg der Fahrer. Ohne sie könnten die<br />
«Hundertpferdigen», die Schar der Verantwortli-<br />
wmfxm.<br />
«3000 Kilometer in einer Woche — wie machen<br />
Sie denn das, mit oder in was?> fragten wir neulich<br />
die beiden Altmeister Caracciola und Stuck,<br />
als sie am Nürburgring in ihren schnittigen Wagen<br />
vorfuhren.<br />
Der immer zufriedene Caratsch zeigte auf die<br />
schmucke« «4er»-Reihe seines blauen Kompressors<br />
und meinte:<br />
«Wenn es irgend geht, fahre ich in meinem<br />
eigenen „Häuschen", denn das ist ja mein Wagen.<br />
Zu einem anderen kommen wir nicht, solange wir<br />
rennen — und 600 oder 700 Kilometer an einem<br />
Tag machen mir nichts. Die gehen schnell vorüber,<br />
schneller als in der B.ahn oder auf dem Schiff. Ich<br />
unterhalte mich mit meinem „Moritz" oder höre<br />
meinem Radio zu — kann aussteigen, wo es mir<br />
beliebt und bin frei und selbständig. Bei grösseren<br />
Entfernungen fliege ich. Das geht wenigstens<br />
schnelle Wir werfen einen Blick in Rudis «Häuschen>,<br />
das mit allen erdenklichen Schikanen ausgestattet<br />
ist, und wir können verstehen, dass er<br />
sich in der Zweiten der Eisenbahn nicht so wohl<br />
fühlt, wie in seinem rollenden Schmuckkästchen.<br />
. Die Eisenbahn ist ihm zu schnell...<br />
Auch Meister Stuck ist derselben Meinung:<br />
«Wissen Sie, in Eisenbahnen wird mir übel, und<br />
m^mw^<br />
'Ä1Ä<br />
Sie trandern, von einem Rennen zum andern. Die Mercedes-Rennwagen werden über den Gotthald<br />
« geschaukelt». t»fi<br />
chen und die Direktoren ruhig zu Hause bleiben — dann habe ich Angst, weil die Bremsen so quietschen,<br />
und dann geht es mir — offen gesagt —<br />
und die Fahrer Ferien machen.<br />
«Eigentlich habt Ihr doch ein phantastisches zu schnell.» «Wie, bitte,» fragen wir, «zu schnell<br />
Leben,> sagte neulich eine blonde Verehrerin zu — haben wir recht verstanden?» «Ja, mir geht es<br />
Manfred von Brauchitsch. «Jeden Tag wo anders, immer zu schnell, wenn andere fahren,» sagt uns<br />
die Welt sehen, was erleben — gar nicht auszudenken<br />
I» — «Gar nicht auszudenken,» wieder-<br />
«Auch das Fliegen liebe ich nicht so übermässig,»<br />
der Weltrekordmann mit Durchschnitt 312. —<br />
holte der Mercedesfahrer lachend —, «das stimmt, und lachend auf seinen Tachometer weisend, zeigt<br />
jeden Tag wo anders — die Welt sehen, mehr er uns die Zahl 40000! «Dabei haben wir erst Saisonhälfte,»<br />
setzt er hinzu — «im Oktober sind's<br />
erleben, als man oft will, nirgends Ruhe, immer<br />
Trubel, niemals müde, immer „fit" sein — vielleicht meist runde 800001» Stuck dessen Frau ihn immer<br />
ein „phantastisches Leben" — aber eigentlich begleiten soll (und zwei Foxels dazu), lobt auch<br />
nichts anderes als der reine Wanderzirkusl> das Autoradio, ohne welches die Reisen nicht annähernd<br />
so schnell vergingen. Er lässt sich auch<br />
Und trotzdem lassen sie alle diesen Beruf nicht,<br />
die einmal damit angefangen haben. Es ist in der vielfach vorlesen, oder er und seine Frau singen<br />
Tat der moderne Wanderzirkus des 20. Jahrhunderts. | zusammen «falsch, aber laut», wie er sagt, und<br />
ff<br />
Die Auto-Union disloziert nach einem neuen Renn-Schauplatz.<br />
ehe man es sich versieht, kommen sie dann von<br />
Birmingham nach Budapest oder von Tunis nach<br />
Tripolis.<br />
Auch Manfred und Bruder ziehen die «120 PS»<br />
den «300» des Flugzeuges vor. «Man kann zwischendurch<br />
schwimmen und Eiskaffee trinken gehen,<br />
übernachten, wo man will und weiterfahren,<br />
wann es einem passt.»<br />
Der junge Draufgänger Rosemeyer dahingegen<br />
ist nur fürs Fliegen. «Ich bin nirgends schnell genug,»<br />
ist seine Devise, und danach handelt er<br />
auch. Er hätte schon sein eigenes Flugzeug, wenn<br />
die Auto Union nicht ein leises Veto eingelegt<br />
hätte...<br />
Strickenderweise werden Kilometer gefressen.<br />
Chirons reisen gemächlich — das heisst, was<br />
Chiron «gemächlich» nennt. Wir haben ihn bei<br />
diesen Spazierfahrten Kurven nehmen sehen, dass<br />
wir uns sagten, «Mein Gott, wir sind doch nicht<br />
bei einem Bergrennen». Aber die blonde Baby sitzt<br />
daneben und strickt, und so lange sie strickt, ist<br />
eben das Tempo nicht zu schnell, und damit basta.<br />
Aber sie kennen auf den verschiedenen Strecken<br />
die besten Restaurants, die ausgezeichnetsten Hotels,<br />
und deshalb wissen die Rennfahrer genau:<br />
«Haltet euch hinter Chirons, wenn Ihr deren Durchschnitt<br />
halten könntl»<br />
Varzi wechselt ab, mal Auto, mal Bahn, mal<br />
Flugzeug. Je nach Ort und Stimmung. Er hat als<br />
einziger der europäischen Rennfahrer einen «Girardi»,<br />
wie man dieses Wesen nach dem früher so<br />
berühmten Verwandlungskünstler scherzhafterweise<br />
nennt. Diese Perle ist Sekretär, Mechaniker, Chauffeur<br />
und Reisemarschall in einer Person. Er ist sozusagen<br />
die linke Hand des Mailänders, denn die<br />
fechte braucht Achille ia selbst zum Rennen. Der<br />
«Girardi» heisst in Wirklichkeit Bignami, ist unersetzlich<br />
— aber nur, wenn man einen Vier- und<br />
keinen Zweisitzer zur Verfügung hat.<br />
Nuvolari, der italienische Campione, fährt im<br />
Wagen, Brivio fährtWagen, Fagioli fährt meistens<br />
Wagen, Farina fährt'Wagen, Delius und Lang fahren<br />
Wagen, Pintacuda fährt Wagen, und dann<br />
sind sie verwundert, wenn sie sich in einem Vorort<br />
von Genf oder in Lugano an der Grenze treffen<br />
oder überholen.<br />
An allen Grenzen wissen alle Zollbeamten Bescheid.<br />
Und während sie die Pässe prüfen und<br />
um Autogramme betteln, teilen sie mit: «Der Herr<br />
Neubauer ist mit 3 Mercedeswagen schon vor 3<br />
Stunden durch.»— «Caracciola hat diesmal einen<br />
Herrn mit sich im Wagen, und die Mechaniker von<br />
der Auto Union haben uns Nadeln geschenkt!»<br />
Wo die Rennfahrer sichtbar werden, tauchen<br />
Gerüchte auf. Jungens und Mädels stehen an den<br />
Strassenecken und lauem. Sie lassen sich keinen<br />
Etancelin für einen Dreyfus vormachen und unterscheiden<br />
«8-» und «12-Zylinder» auf Distanz. Sie<br />
haben ihre Favoriten und Spezialansichten, aber<br />
sie sind sportlich genug, jede Leistung anzuerkennen.<br />
Mit den Portiers in den Hotels stehen sie auf<br />
vertrautem Fuss — wegen der Unterschriften und<br />
der Neuigkeiten. Sie machen Tauschgeschäfte mit<br />
ihnen, meistens in Autogrammen. In der Schule<br />
protzen sie dann: «Mein Freund Louis, mein Freund<br />
Hans, mein Freund Bernd...»<br />
Heute Paris — morgen Monza und so fort..«<br />
Kein Zuhause während sechs langer Monate.<br />
Und alles Gepäck dabei. Der Smoking zuunterst,<br />
der Rasierpinsel zuoberst. Und dabei gibt es Leute,<br />
die behaupten, Rennfahrer würden noch eher den<br />
Smoking gebrauchen als den Rasierpinsel!! «So<br />
'nen Bart haben» haben sie nun wirklich nicht 11<br />
Das Rennfahrervölkchen ist eine unzertrennliche<br />
Gilde. Wenn sie auch mitunter aufeinander schimpfen<br />
und einer an dem andern keinen guten Faden<br />
lässt, und wenn sie mit Zornesröte schwören:<br />
«Nächstes Jahr lasse ich aber den verfluchten<br />
Krempel sein» — so ist das nur getan als ob.<br />
Im Grunde liegt ihnen dieses Leben. Wer einmal<br />
dabei war, "kommt nicht mehr davon los. Unabhängig,<br />
die Welt offen, überall jubelnde Hände<br />
und lachende Augen, überall «Held sein» und als<br />
solcher gefeiert werden, auch wenn man nicht gewinnt.<br />
Aber für jeden ist die Chance da, und für<br />
jeden kommt sie wieder, ganz gleich, ob in San<br />
Sebastian oder in der Eifel, ob in Tunis oder In<br />
Bern. Und deshalb lässt man nicht davon und liebkost<br />
seinen Rennwagen, wenn er aus seinem Stall<br />
kommt, genau so wie der Reiter sein Pferd...<br />
Heute geht man auseinander, morgen trifft man<br />
sich wieder. Man bekämpft sich und gibt sich die<br />
Hand — man hält zusammen, denn man weiss<br />
nicht wie lange man lebt, und gerade in diesem<br />
Beruf ist ein Händedruck oft der letzte...<br />
Aber daran wird nicht gedacht, und munter<br />
geht es auf die 80000 Kilometer Reise rund um<br />
Europa und darüber hinaus. Als im Vorjahr in<br />
einem Flugzeug von Tripolis nach Rom Nuvolari,<br />
Stuck, Etancelin, Varzi, Fagioli, Chiron, Caracciola<br />
versammelt waren, fragte einer von ihnen: «Stellt<br />
Euch vor — was würde geschehen, wenn wir jetzt<br />
abstürzen würden?» Sekundenlange Pause. Dann<br />
kam es voll innerster Befriedigung aus Chirons<br />
Munde: «Dann würde der Grosse Preis von<br />
Deutschland abgesagt!» Und da freuten sie sich<br />
wie die Spatzen, dass ohne sie ein so grosser<br />
Rennen nicht stattfinden würde ...<br />
Aber das Flugzeug ist gottlob heil angekommen<br />
und sie alle werden hoffentlich noch manchen<br />
«Grossen Preis» überstehen und gewinnen!!!<br />
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