E_1936_Zeitung_Nr.067
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24 AUTOMOBIL-REVUE DIENSTAG, 18. AUGUST <strong>1936</strong> — N° 67<br />
Brauchen, wir ihn noch vorzustellen? Obering.<br />
Neubauer, den Rennchef von Mercedes-Benz, eine<br />
populäre Figur auf allen grossen Rennplätzen...<br />
Der Mann-mit den zwei Stoppuhren.<br />
Oberingenieur Neubauer.<br />
Im vorigen Jahr beim «Grossen Preis der<br />
Schweiz> sahen die Tausende von Tribünenbesuchern<br />
einen seltsamen Mann unmittelbar an der<br />
Strecke stehen. Caracciola lag damals weit in Führung.<br />
Jedesmal wenn das helle Singen des Rennwagens<br />
hinter den fernen Bäumen des Bremgartenwaldes<br />
hörbar wurde, dann rapid anschwoll und<br />
schliesslich der Wagen in phantastischem Tempo<br />
durch die Tribünenkurve fegte, trat dieser Mann<br />
mit zwei Stoppuhren in der Hand ganz nahe 'an<br />
die Bahn heran. Aufmerksam sah er dem Wagen<br />
entgegen. Mit heftigem Ruck fuhren seine beiden<br />
Hände, die Stoppuhren drückend, nieder, und dann<br />
nickte der Mann Caracciola zu. In jeder der 70<br />
langen Runden des schweren Rennens stand Neubauer,<br />
der Rennleiter der im vorigen Jahr siegreichen<br />
Mercedes-Equipe, an dieser Stelle der<br />
Bahn. Im letzten Drittel des Rennens, als der Kampf<br />
sich soweit entschieden hatte, dass Caracciola nur<br />
noch seinen sicheren Vorsprung zu halten brauchte,<br />
diktierte Neubauer seinem Fahrer das notwendige<br />
Tempo mit weichen Handbewegungen, genau anzusehen,<br />
wie wenn ein Kapellmeister sein Orchester<br />
dirigiert. An den Rundenzeiten war später zu<br />
erkennen, wie genau Rennleiter und Fahrer hierbei<br />
aufeinander eingespielt waren. Um wenige Sekunden<br />
wurde die Rundenzeit grösser, wenn Neubauers<br />
Hände ganz weich und flach hin und her<br />
strichen, um sofort wieder zu sinken, wenn Neubauer<br />
auch nur diese Handbewegung unterliess<br />
oder gar beim Aufrücken eines Konkurrenten in<br />
den letzten Runden des Rennens die schwarzrote<br />
Fahne der Mercedes-Equipe zeigte.<br />
Mit dieser Fahne hat es überhaupt eine eigene<br />
Bewandtnis. Sie gehört zu Neubauer und gehört<br />
dem<br />
JeCdhexxenhügeC<br />
dex JlemschiacfUea<br />
untrennbar zur Mercedes-Equipe. In Verbindung<br />
mit einer Startnummer gezeigt, bedeutet sie dem<br />
dahinrasenden Fahrer die kurze Nachricht, dass<br />
jener Konkurrent gefährlich zu werden beginnt.<br />
Die Fahne nach oben gehalten bedeutet, «überhole<br />
wer vor dir liegt». Und die Fahne über dem Kopf<br />
geschwungen heisst, letzten Einsatz, aber auch<br />
Siegesfreude, wenn der Kampf entschieden ist.<br />
Wenn ein Rennleiter sich so gut mit seinen Fahrern<br />
versteht, dass sie im Kampf des Rennens auf<br />
kaum sichtbare Handbewegungen von ihm reagieren,<br />
dann muss dieser Rennleiter einen erstaunlichen<br />
Einfluss auf seine ganze Mannschaft ausüben.<br />
Das ist bei Neubauer auch wirklich der Fall.<br />
Seine Mechaniker gehen für ihn durchs Feuer. Gibt<br />
es in der letzten Nacht vor einem grossen Rennen<br />
noch unerwartet harte Arbeit, dann ist Neubauer<br />
der Erste, der etwas zu essen und zu trinken für<br />
die Leute besorgen lässt, von deren genauer Arheimbefehle<br />
signalisierten. E. H.<br />
Erstaunlich, was für ein scharfes Auge Neubauer<br />
als Rennleiter für die vielen Nebenumstände<br />
besitzt, die den Ausgang eines Rennens zu beeinflussen<br />
vermögen. Vor dem Start eines Regenrennens<br />
liess er beispielsweise die Griffe der<br />
Wagenheber mit Isolierband umwickeln, damit den<br />
Monteuren beim blitzschnellen Reifenwechsel die<br />
nassen Wagenheber nicht entgleiten können. Das<br />
Meisterstück von Neubauers vielgerühmter Renntaktik<br />
war wohl das Avusrennen des vergangenen<br />
Jahres. Im Vorlauf und im Hauptlauf waren fünf<br />
bzw. zehn Avusrunden zu fahren. Die Beobachtungen<br />
während des Trainings hatten ergeben,<br />
dass die dünnen Bahnrennreifen für vier bis höchstens<br />
fünf Runden reichten. Es war ein ganz grosses<br />
Wagnis und doch wohl überlegt, dass Neubauer<br />
seine Rennwagen ohne Reifenwechsel die<br />
fünf Runden des Vorlaufes und die zehn Runden<br />
des Hauptlaufes durchfahren liess. Je dünner die<br />
Gummiauflage der Reifen, um so weniger bestand<br />
die Gefahr des Abfliegens der Laufflächen bei den<br />
hohen Geschwindigkeiten, die auf der Avus gefahren<br />
werden. Sorgfältig diktierte Neubauer dem<br />
führenden Fagioli das Tempo. Wieder wurden die<br />
Rundenzeiten um Sekunden schneller oder langsamer<br />
nuanciert durch zwei Hände, die abwechselnd<br />
die Stoppuhren drückten und mit weichen<br />
Bewegungen dem aufmerksamen Fahrer die Geheimbefehle<br />
signalisierten.<br />
„Der" Dr. Feuereissen ! -<br />
Im früheren «ADAC», und dem heutigen<br />
«DDAC» gab es immer einen Mann, den alle fürchteten<br />
und doch liebten: den gestrengen, aber gerechten<br />
«Doktor», der alle Schlachten lenkte, leitete<br />
und dafür «verantwortlich» zeichnete. Er war<br />
die rechte Hand von Präsident Kroth, und es gab<br />
kein Rennen in Deutschland und keine andere Veranstaltung<br />
automobilistischen Charakters, bei der<br />
er nicht dirigierte und über dem Ganzen schwebte<br />
(natürlich nur bildlich).<br />
.«.und sein «Gegenspieler», Dr. Feuereissen, der<br />
die Rennmannschaft der Auto-Union betreut.<br />
Dieser Doktor trat im Jahre <strong>1936</strong> zur Auto-Union<br />
über und übernahm die Leitung der Rennabteilung.<br />
Es klingt so wunderbar leicht und schön: «Leiter<br />
einer Rennabteilung». Und jeder Aussenstehende<br />
denkt so bei sich: «Herrlich, das wäre ein<br />
guter Posten für mich!» Aber mit der «Herrlichkeit»<br />
einer solchen Stellung hat es bestimmt seine zwei<br />
Seiten. Alles ginge ja noch — die riesengrosse<br />
Verantwortung dafür, dass die Wagen in Ordnung<br />
sind, dass die Mechaniker zuverlässig arbeiten,<br />
dass der Pendelverkehr von der Fabrik zu den<br />
Rennen rechtzeitig funktioniert, dass die gefahrenen<br />
Wagen gleich nach der Schlacht abtransportiert<br />
werden und die frisch überholten zum ersten<br />
Training des nächsten Rennens bereits wieder am<br />
Platz sind, dass die etwa 70 Kopf starke Helferschar<br />
gut untergebracht ist —, alles das wäre ja<br />
noch zu schaffen und ist eine Organisationsfrage,<br />
die sich bei entsprechendem Talent und Uebung<br />
durchführen lässt, aber das schwierigste Kapitel für<br />
den Rennleiter liegt auf einem ganz anderen Gebiet!<br />
Das ist das Team selbst. Drei ungefähr gleich<br />
gute und berühmt sein wollende Fahrer unter<br />
eine Decke, das heisst in gutem Einvernehmen<br />
und unter Wahrung des Fabrikinteresses, in<br />
die Wagen zu bringen, das ist schon Kunst, und<br />
hier erhebt sich für den Rennleiter die Klippe,<br />
die ihm die meisten Sorgen bereitet.<br />
Drei verschiedene Temperamente zügeln — und<br />
wenn man die Ersatzfahrer mitrechnet, vier bis<br />
sechs! Dazu muss man beinahe Hellseher, Psychiater<br />
und Dompteur sein. Und Geduld muss man<br />
haben und Nerven aus «Stahl und Eisen». Aber<br />
gerade dieser Dr., dessen Name aus «Feuer»<br />
und «Eisen» zusammengesetzt ist, überwindet auch<br />
diese Schwierigkeiten mit weltmännischer Gelassenheit<br />
Ṡehr nett ist die Geschichte, die er uns neulich<br />
vor dem Nürburgrennen erzählte. So ein Rennleiter<br />
muss im Nebenamt auch Schriftleiter sein,<br />
denn was für eine Unzahl von Bewerbungsschreiben<br />
aller Art er da täglich zugesandt bekommt,<br />
lässt sich nicht «ausdenken. Ganze Auktionen von<br />
Angeboten und Erfindungen häufen sich auf dem<br />
Schreibtisch des Sekretariates — lOOprozentige<br />
Garantien für Siege. Die Spitzenleistung punkto<br />
Originalität bildete das Schreiben eines noch unbekannten<br />
Meisters des Volants, der ungefähr folgendes<br />
vorzubringen sich berufen fühlte:<br />
«Wenn Sie wüssten, was ich weiss, würden<br />
Sie am kommenden Sonntag nicht den Stuck und<br />
den Rosemeyer starten lassen, sondern mich — der<br />
sichere Sieg wäre Ihnen beschieden I»<br />
Dr. Feuereissen antwortete gewand: «Da ich<br />
nicht weiss, was Sie wissen, lasse ich es lieber<br />
beim alten...» Und er hat recht damit gehabtI<br />
Dr. R.<br />
Im Alfa-Romeo-Stall.<br />
Alfa Romeo ist von jeher diejenige italienische<br />
Fabrik gewesen, die im Rennsport am meisten geleistet<br />
hat, und jedermann wird sich der berühmten<br />
«Monoposto»-Rennwagen erinnern, die in den Jahren<br />
1932, 1933 und zum Teil auch noch 1934 sozusagen<br />
unschlagbar waren. Nachher allerdings kamen<br />
die Deutschen mächtig auf, aber Alfa Romeo<br />
verlor den Mut nicht, und vor einigen Monaten<br />
rückte Meister Jano mit dem neuen 12-Zylinderwagen<br />
heraus.<br />
Wer leitet denn die Rennen der roten italienischen<br />
Mannschaft? Solange die Fabrik sich direkt<br />
am Rennbetrieb beteiligte, war der Konstrukteur<br />
selbst, Ingenieur Jano, von dem wir in der « Automobil-Revue»<br />
bereits gesprochen haben, der eigentliche<br />
Rennleiter; nachdem aber die rennsportliche<br />
Tätigkeit der Fabrik ganz in die Hände der<br />
Scuderia Ferrari übergegangen ist, liegt auch die<br />
sportliche Leitung der Rennen beim Ferrari-Rennstall.<br />
Enzo Ferrari amtet als offizieller Rennleiter.<br />
Und er kennt sich als früherer Rennfahrer im<br />
«Wurstkessel» sehr gut aus; da er aber nicht überall<br />
sein kann, lässt er sich von seinen Mitarbeitern<br />
Bazzi und Ugolini unterstützen, die beide über umfassende<br />
mechanische Kenntnisse verfügen. Die<br />
Anweisungen für die Renntaktik gibt aber jeweils<br />
vor jedem Rennen der Mannschaftsführer Nuvolari.<br />
Enzo Ferrari ist ein ganz gewiegter Rechner und<br />
hat z. B. mehrere Tausendmeilenrennen gewonnen,<br />
indem er vier bis fünf Verpflegungs- und Tankstellen<br />
an besonders kritischen Stellen der Strecke einrichtete.<br />
Bazzi, Ugolini, der gute Marinoni und<br />
andere bewährte Mechaniker besorgen von den<br />
Boxen aus die geheime «Zeichensprache», um den<br />
Fahrern ihre jeweilige Lage im Rennen, ihre Rückstände<br />
oder Vorsprünge bekanntzugeben, und Fep«<br />
rari überwacht alles.<br />
Bei Maserati<br />
liegen die Dinge etwas anders. Bei den Rennen,<br />
in welchen die Fabrik offiziell startet, fungiert<br />
Bindo Maserati als Rennleiter. Und ihm hat die<br />
Fabrik schon manchen Sieg zu verdanken.<br />
Was — nebenbei bemerkt — die übrigen fta- 1<br />
lienischen Renngemeinschaften betrifft, so sind wir<br />
in der Lage, zu melden, dass in allernächster Zeit<br />
alle drei Rennställe («Torino», «Maremmana» und<br />
«Subalpina») zu einem einzigen unter der Leitung<br />
der «Maremmana» vereint werden.<br />
Entsendet Maserati Kleinwagen zo einem Ren*<br />
nen, dann schwingt Graf Trossi, einer der Hauptcktionäre<br />
der Bologneser Fabrik, das Szepter als<br />
Rennmanager, und zwar mit Unterstützung Bindo<br />
und Ernesto Maseratis, sowie Roveres und Äyminis.<br />
Bugatti<br />
hat das verantwortungsvolle Amt des Rennleiters<br />
bis vor einem Jahr dem früheren Rennfahrer Meo<br />
Costantini anvertraut. Seit der Reorganisation der<br />
Fabrik (die ihre Haupttätigkeit auf den Bau von<br />
Schienenautos umgestellt hat) liegt diese Charge<br />
jedoch in den Händen Jean Bugattis, Ettores tüchtigem<br />
Sohn. Der «Junge», der im 31. Altersjahr<br />
steht und bereits mehrere Rennen erfolgreich bestritten<br />
hat, kennt nicht nur seine Motoren, sondern<br />
auch seine Fahrer, mit denen er in einem engen<br />
kameradschaftlichen Verhältnis steht. So ist bei Bugatti<br />
zwischen dem Rennleiter und den Rennfahrern<br />
Robert Benoist, Jean-Pierre Wimille, Veyron usw.<br />
eine harmonische und freundschaftliche Zusammenarbeit<br />
emporgewachsen. r.<br />
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