E_1938_Zeitung_Nr.061
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18 Automobil-Revue — N° 61<br />
« Dieses Wallis (ja, wieso nennt man s nicht,<br />
wenn man die berühmtesten Gegenden der Erde<br />
aufzählt?) ist eine unvergleichliche Landschaft;<br />
erst erfasst ich's noch nicht in Wahrheit, weil<br />
ich's verglich: mit dem Bedeutsamsten meiner<br />
Erinnerungen, mit Spanien, mit der Provence<br />
(der es ja in der Tat durch die Rhone blutsverwandt<br />
ist), aber erst seit ich's ganz um<br />
seiner selbst Willen anstaune, offenbart es mir<br />
seine grossen Verhältnisse und in ihnen, nach<br />
und nach erkennbar, die süsseste Anmut und<br />
die stärkste Ueberlieferung. » So schrieb aus<br />
seinem Chäteau de Muzot ob Sierre Rainer<br />
Maria Rilke — und er hat damit das Tiefste<br />
gesagt, was sich über diese Landschaft sagen<br />
lässt; in seinen Worten ist alles, alle Möglichkeit<br />
enthalten, deren man bedarf, um das Wallis<br />
zu erkennen, seine Natur, seine Metaphysik.<br />
Man kann es aus einem ersten Eindruck erleben,<br />
gewissj aber begreifen kann man es wirklich<br />
nur « nach und nach »: in Versenkung, wie<br />
ein Mystiker.<br />
«Heroisches Land»<br />
Abseits von der Hauptstrasse, an Hänge gelehnt,<br />
eng in der Talweite, verträumt, umklungen<br />
von der Melodie der Jahrhunderte, von der<br />
sein Strom etwas mitzunehmen scheint auf dem<br />
Wege zum fernen Mittelmeer, ganz echtes Wallis,<br />
liegt, voller « Anmut und Ueberlieferung •»,<br />
das kleine Raron. Auch darin ist es ein rechtes<br />
Kind dieser Erde, dass es, wenn auch seltener,<br />
noch einen zweiten Namen trägt'.<br />
Rarogne! So still wie heute war es nicht immer.<br />
Wehrhaft und unternehmend geboten über<br />
seine Marken die Freiherren, die nach ihm sich<br />
benannten; nicht weniger als fünf von ihnen<br />
regierten das Oberwallis als Bischöfe von Sitten;<br />
etliche amteten in weltlicher Gewalt als<br />
des Oberwallis Landeshauptleute. Nicht alle<br />
erwarben sich wie einer jener geistlichen Fürsten<br />
(Wilhelm I.) den Ehrentitel eines « Guten<br />
», und an seinen Bruder Wytschart knüpft<br />
sich eines der traurigsten Kapitel aus der<br />
Schweizergeschichte. Er war ein harter Herr,<br />
hielt Freundschaft mit den Savoyern und<br />
brachte die Bauern gegen sich auf. Sie rotteten<br />
sich zusammen, stürmten die freiherrlichen<br />
Burgen, verwüsteten die freiherrlichen Güter,<br />
und der Landeshauptmann musste* flüchten.<br />
Auf einmal standen sich zwei mächtige Parteien<br />
gegenüber, denn Wytschart war Berner<br />
Bürger, das Volk aber fand Hilfe bei Luzern,<br />
Unterwaiden und Uri. Die Berner fielen ins<br />
Wallis ein, die Walliser ins Berner Oberland,<br />
und der Bruderkampf endete mit dem heissen<br />
Treffen bei Ulrichen im Goms, das die Walliser<br />
gewannen. Das war 1419. Was ihnen das<br />
Schwert errungen hatte, verdarb ihnen jedoch<br />
die Diplomatie: sie mussten Wytscharts Rechte<br />
anerkennen. Doch war seines Bleibens hierzulande<br />
nicht mehr lange — er war zu verhasst<br />
Die Kirche von Raron.<br />
Baron<br />
Ein Kapitel Walliser Geschichte — Rainer Maria Rilkes Grab<br />
Text und Aufnahmen: Dr. Willy Meyer.<br />
und wanderte aus. Zum Glück waren nicht alle<br />
Raroner führenden Männer gleich ihm. Im<br />
Gegenteil, die Umsicht der meisten wurde<br />
sprichwörtlich, und Raronia prudens, kluges<br />
Raron, wurde um ihretwillen der Ehrenname<br />
des Ortes.<br />
Die Burg der Freiherren lag nun in Trümmern,<br />
und die ewig junge Natur begann sie zu<br />
übergrünen, wie drüben am Heidnischbiel, gen<br />
St. German, die Keltengräber — die fast erst<br />
unsere Zeit entdeckt hat. Da brach im Dorfe<br />
unten der Bietschbach aus. Ungestüm überflutete<br />
er seine Ufer, warf Hausrat und Gemäuer<br />
vor sich her und zerstörte auch die<br />
Kirche. Nur ihr Glockenturm steht noch heute<br />
und in seiner Nähe das stattliche Maxenhaus,<br />
dessen unteres Stockwerk wie das seine halb<br />
von Schutt überdeckt ist. Da galt es, ein neues<br />
Gotteshaus zu errichten, und der bischöfliche<br />
Oberhirte, kein Geringerer als Kardinal Schinner,<br />
förderte das fromme Werk. Dort, wo die<br />
Stammburg der Raroner gewesen war, auf<br />
ihren Mauern und unter Einbeziehung ihrer<br />
Reste, erstand fast ein Jahrhundert nach ihrer<br />
Vernichtung, 1512, die noch uns erhaltene<br />
St. Romanuskirche. Weit ins Rhonetal hinunter,<br />
flussauf und flussab, schaut ihr spitzer<br />
Turm; schlank und feierlich schliessen sich<br />
unter dem Reichtum ihrer netzförmigen Gewölbe<br />
Halle und Chor um manches edle<br />
Kunstwerk, und während draussen den Eindruck<br />
hohen Alters am stärksten ein nachbarlicher<br />
Zehentbau vermittelt, tun es hier drinnen<br />
ehrwürdige Wandgemälde, die erst vor<br />
nunmehr fünfzehn Jahren freigelegt wurden. An<br />
Kirche und Pfarrhaus schmiegt sich ein Friedhof.<br />
« Wie sie so sanft ruh'n, alle die Seligen »<br />
— ganz unwillkürlich singt sich das Lied in<br />
unser Herz. So still, so schön, so wirklich<br />
friedvoll ist dieser Platz. Jenseits der Kirche<br />
aber, da, wo sie gegen den Abgrund steht, hoch<br />
überm Rhonetal, an ihrer Südmauer, ist noch<br />
einmal ein Grab, für sich allein, von Steinen<br />
umzogen, von Efeu überwachsen, mit einer<br />
Marmortafel, die ein adeliges Wappen zeigt<br />
und einen teuren Namen «Rainer Maria Rilke».<br />
Hier schläft der Dichter, so wie er sich's gewünscht,<br />
von den bewegenden Visionen seines<br />
irdischen Daseins. Hier ruht er unter den<br />
Rätselzeilen, die noch er selbst sich gesetzt:<br />
Rose, o reiner Widerspruch, Lust,<br />
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel<br />
Lidern.<br />
Kein passenderer Raum für sein Grab Hesse<br />
sich denken als der Weltallausschnitt, der dieses<br />
Stück Walliserboderi um Raron ist, mit all<br />
seiner geheimnisvollen Beziehung zwischen<br />
Vergänglichkeit und Ewigkeit, Seele und Ding,<br />
Mensch und Gott, wo Berge den Himmel zu<br />
berühren scheinen, zu ihren Füssen aber die<br />
Rebe gedeiht, die Raron in seinem Wappen<br />
weist. Denn all das ist auch ein Sinnbild der<br />
Kraft dieses Wallis, das den deutschen Dichter<br />
aus Böhmen mit mütterlicher Inbrunst an<br />
sich zog, bis er in beiden Zungen seine Liebe<br />
erwiderte:<br />
«Au ciel plein d'attention,<br />
ici la terre raconte;<br />
son Souvenir la surmonte<br />
dans ces nobles monts. »<br />
(Quatrains Valaisans.)<br />
Es wird immer seltsam und vielbedeutend<br />
sein, Raron als den Zielpunkt dieses grossen<br />
Lebens zu betrachten, das in Prag begann, über<br />
soviel Fremde und Flucht tastete und in Sierre,<br />
jenem anderen Walliserdorf, die « maison » im<br />
Ursinne — die « Bleibe », fand. Denn schon<br />
der junge Rilke hatte seherisch ein Bild vor<br />
Augen, das « Raron » heissen könnte; in einem<br />
gedankenvollen Aufsatz hat einmal I. E. Poritzky<br />
diese Verse (« die er mit seiner müden,<br />
verschleierten Stimme während des Tellergeklappers<br />
im Restaurant zitierte ») wiederholt:<br />
« Ich hab' einen Friedhof gefunden,<br />
Drin weisse Blüten wehn<br />
Und drin die Dämmerstunden<br />
Wie schweigende Mönche gehn.<br />
Ich weiss einen Friedhof am Hange,<br />
Drin spätes Glühen beginnt,<br />
Wenn tief im Dorf schon lange<br />
Die Kinder schlafen sind. »<br />
neigen am ehesten<br />
dazu, durch unschöne<br />
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der Kathedrale umschlossene Berner Münsterplatz<br />
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Die Darstellung des jüngsten Gerichtes<br />
über dem Hauptportal, zu der die mittelalterlichen<br />
Künstler nachweisbar durch die grossen<br />
Mysterienspiele der vorreformatorischen Zeit angeregt<br />
worden sind, bilden den einzigartigen Hintergrund.<br />
Und Glocken und Orgel können einbezogen<br />
werden in das Geschehen auf der Bühne. Der<br />
«Ewige Reigen», der hier im August von über 120<br />
Mitwirkenden elfmal zur Aufführung gebracht wixdi<br />
ist eine neue Form des Totentanzes. Er erinnert<br />
an den tiefsinnigen Gedanken des Dichters Rilke,<br />
dass jeder seinen eigenen Tod hat, wenn in dieser<br />
feierlichen Tanzkantate der Tod als Messner, als<br />
Narr, als Kriegsmann, als Schnitter, Krämer oder<br />
Wanderer an die Menschen herantritt. Eine Auswahl<br />
der schönsten Volkslieder vom 14. bis zum<br />
18. Jahrhundert sind im «Ewigen Reigen» zu einem<br />
Tanzspiel von ergreifender Wirkung verbunden.<br />
Die Aufführungsdaten sind: der 9., II., 14., 16., 18.,<br />
20., 21., 23., 25., 27. und 29. August.<br />
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