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WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Lebenslinie<br />
Wenn die<br />
Sirene singt<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />
Andreas Schmidt und<br />
sein Alter Ego, die<br />
Operndiva Tante Woo.<br />
Als Operndirektor lebte Andreas Schmidt für die Kunst, bis seine Seele nicht mehr konnte.<br />
Heute hilft er anderen psychisch kranken Kulturschaffenden – in Gestalt der verglühten<br />
Diva Tante Woo, Star der Hamburger Travestieszene und Schirmherrin des Vereins Künstlerhilfe.<br />
Es ist bumsvoll im kukuun Club an der Reeperbahn.<br />
Der Smalltalk summt, der Sekt perlt, Stößchen, Küsschen.<br />
Auf der Bühne glänzt ein Flügel still im lila<br />
Rampenlicht. Da streckt sich eine große, strassberingte Hand<br />
durch den Vorhang, Daumen hoch. Alles verstummt, der<br />
Vorhang fliegt auf und da ist sie: bodenlange Abendrobe,<br />
Kaskaden von Perlenketten, Ohrringe wie Kronleuchter, lila<br />
Lippen, Smokey Eyes, auf dem Kopf eine Art Tsunami aus<br />
fliederfarbener Zuckerwatte – Auftritt Tante Woo.<br />
„Hallo, meine Lieben!“ Mit samtweichem Bariton stellt<br />
die Diva den lieben Jungen in ihrem Schlepptau vor: Roman<br />
Grübner alias Roman WHO?, ihr künstlerischer Überlebenspartner.<br />
Mit dem sie nach der letzten Show auf der Aida<br />
fast auf dem Meer ausgesetzt worden wäre! „Ein Drama,<br />
meine Lieben“, schäkert die Woo und lässt die Wimpern<br />
klimpern. Sie beide allein im Dingi, im Mondschein auf dem<br />
Ozean … Zum Glück mal wieder knapp die Kurve gekriegt.<br />
Darum geht es im übertragenden Sinn auch beim<br />
Benefizkonzert für ihren Verein, erklärt Tante Woo: „Die<br />
Künstlerhilfe e. V. ist entstanden, weil ich bekloppt bin.“<br />
Ungeschminkt und ohne Publikum drückt Travestiekünstler<br />
Andreas Schmidt (50) es anders aus. „Wenn ich<br />
morgens die Augen aufschlage, möchte ich tot sein“, sagt er.<br />
Wegen seiner psychischen Krankheit gehe er oft tagelang<br />
nicht raus. Dann ist alles zu viel: Die Gedanken, die ihm wie<br />
Kometenhagel durch den Kopf schießen. Die bodenlose Ver-<br />
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