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Tempel aus kostbarem Marmor oder gar aus<br />
Gold. Da steht nichts von immergrünen<br />
Plantagen, die sich bis zum Horizont erstrecken.<br />
Die Rede ist von Häusern und von Gärten. Und<br />
ich finde die Bibelstelle deswegen auch<br />
besonders wertvoll, weil sie sich an uns und an<br />
unsere Möglichkeiten richtet.<br />
Wir bewegen uns innerhalb von Grenzen, ja wir<br />
stoßen an Grenzen. Das ist eine Tatsache und<br />
auch eine Botschaft dieser biblischen Stelle.<br />
Diese Grenzerfahrung gibt es auch im<br />
politischen Gestalten immer wieder. Und ich<br />
gebe gerne zu: Das ärgert mitunter. Man will<br />
weiterkommen, nicht bei zu kleinen<br />
Kompromissen hängenbleiben und erfährt dann<br />
die Grenzen des Eigenen, dessen was uns<br />
möglich ist. Ja, wir wissen, dass uns nicht alles<br />
gelingen kann, wollen aber dennoch nicht<br />
aufgeben. Und ich glaube, uns kann das<br />
Vertrauen darauf, dass unser begrenztes<br />
Handeln aufgehoben ist in der Gnade Gottes,<br />
hier vor falscher Verzweiflung oder<br />
Selbstüberschätzung bewahren. Denn<br />
Selbstüberschätzung einerseits oder<br />
Ohnmachtsgefühle andererseits sind zwei ganz<br />
verschiedene Gefühlswelten, von denen wir uns<br />
nicht anfechten oder verleiten lassen dürfen.<br />
Deshalb empfinde ich die religiöse<br />
Beteuerungsformel im Amtseid auch eines<br />
Bundesministers „So wahr mir Gott helfe“ als<br />
einen Trost und einen Hinweis darauf, dass wir<br />
in unseren begrenzten Möglichkeiten gefordert<br />
sind, dass uns Mögliche zu tun. Was für ein<br />
Segen, sich selbst nicht überschätzen zu<br />
müssen, sich einzulassen auf die Gnade Gottes.<br />
Liebe Gemeinde, Glaube und Politik, das sind für<br />
mich ganz sicher keine Gegensätze. Vielmehr<br />
ruft uns der christliche Glaube dazu auf,<br />
Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen<br />
zu treffen, politisch zu handeln. Wer sich als<br />
Christ politisch engagiert, der weiß: Ich soll mich<br />
einbringen. Nicht als Zwang, nicht weil Werke<br />
uns vor Gott gerecht machen: Das haben wir<br />
durch die Reformation gelernt. Sondern weil uns<br />
die Schöpfung anvertraut ist, weil wir damit<br />
betraut worden sind, sie zu beackern, sie zu<br />
bebauen.<br />
Kennzeichnend für das Christ-Sein ist also eine<br />
aktive Gestaltung unserer Umgebung - und das<br />
ist ja schließlich Politik. Denn politisch handeln<br />
nicht nur Bundestags- oder<br />
Landtagsabgeordnete oder diejenigen, die sich<br />
in Stadträten, Kreistagsfraktionen oder<br />
Bezirksvertretungen für das Gemeinwesen, für<br />
ihre Nachbarschaft, für ihre Umwelt einsetzen.<br />
Politisch handeln vielmehr auch<br />
Klassensprecherinnen und -sprecher,<br />
Elternvertreterinnen und -vertreter,<br />
Betriebsräte, Mitglieder in Kultur-, Förder- und<br />
Sportvereinen, ehrenamtlich Engagierte in<br />
Stadtteilprojekten, in sozialen Einrichtungen<br />
und in Kirchengemeinden. Und diese Liste<br />
ließe sich weit, weit verlängern. „Suchet der<br />
Stadt Bestes“: Eine Bibelstelle, deren ganzer<br />
Wortlaut eben alle Lebensbereiche umfasst<br />
und die zugleich sehr anschaulich ist.<br />
Natürlich, oft stellt sich die Frage: Worin<br />
besteht „der Stadt Bestes“? Und es gehört auch<br />
zum politischen Tagesgeschehen, dass genau<br />
um diese Fragen und Antworten darauf<br />
gerungen wird. Zur Politik gehören Spannungen<br />
und Konflikte. Auch das Ringen um Einfluss und<br />
Macht - und das nicht nur zwischen politisch<br />
unterschiedlichen Parteien und politischen<br />
Kontrahenten. Und nicht nur in den Fragen des<br />
politischen Alltags, sondern auch in ganz<br />
grundlegenden ethischen Herausforderungen<br />
ringen wir häufig um den rechten Weg. Wie den<br />
Frieden bewahren? Welche Rolle spielen dabei<br />
militärische Mittel? Wie eine menschenwürdige<br />
Begleitung Schwerstkranker und Sterbender<br />
ermöglichen? Was ist Aufgabe des Rechts, und<br />
wo endet die Aufgabe des Rechts in einer so<br />
individuellen Situation?<br />
Darauf geben auch Christinnen und Christen<br />
unterschiedliche Antworten. Und das wird auch<br />
so bleiben, denn wir sind mit Verstand und<br />
eigenem Kopf ausgestattet und von Gott nicht<br />
gleichgeschaltet worden. Auch unter Christinnen<br />
und Christen wird es daher immer wieder<br />
Meinungsverschiedenheiten geben - selbst da,<br />
wo viele sich nach Eindeutigkeiten sehnen.<br />
Wenn ich in diesen Tagen an ganz<br />
unterschiedliche Stellungnahmen auch aus dem<br />
Bereich der Kirchen zur Frage der Zulässigkeit<br />
von Waffenlieferungen an Kurden im Irak oder in<br />
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