2012-01 - lola - Das Magazin für Düsseldorf
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<strong>Das</strong> Interview führte Beate Werthschulte.<br />
<strong>lola</strong> 9<br />
„Ich habe gefragt, warum<br />
der Mann dort sitzen und betteln muss,<br />
wenn sich doch alle um ihn kümmern. “<br />
Thomas Beckmann<br />
<strong>lola</strong> Herr Beckmann, unsere erste Frage gilt immer der Stadt<br />
<strong>Düsseldorf</strong>. Was lieben Sie, als gebürtiger <strong>Düsseldorf</strong>er, hier<br />
besonders?<br />
Beckmann Vor allem liebe ich den Rhein, er ist der Schicksalsstrom<br />
Deutschlands und eröffnet der Stadt große Möglichkeiten.<br />
Durch die Untertunnelung der Rheinuferpromenade hat<br />
die Stadt enorm an Freizeitwert gewonnen, die Altstadt wurde<br />
aufgewertet.<br />
<strong>lola</strong> Durch Ihre Konzerte sind Sie ja sehr viel unterwegs. Vermissen<br />
Sie dann Ihre Heimatstadt?<br />
Beckmann Ja, nach jeder Reise bin ich froh, wieder in <strong>Düsseldorf</strong>,<br />
dieser lebensfrohen Stadt, zu sein. Dadurch, dass der Anteil<br />
der Zugereisten, also der nicht gebürtigen <strong>Düsseldorf</strong>er, sehr<br />
hoch ist, ist die Kontaktfreude der Menschen viel größer, größer<br />
übrigens auch als in Köln.<br />
<strong>lola</strong> Gibt es Sie auch etwas, das Ihnen hier nicht gefällt?<br />
Beckmann Nein, eigentlich nicht. Lediglich das Klima ist nicht<br />
so angenehm. Wir liegen ja hier in einer Niederung, die Sommer<br />
sind oft unangenehm schwül und HNO-Erkrankungen sind in<br />
<strong>Düsseldorf</strong> und Umgebung an der Tagesordnung.<br />
<strong>lola</strong> Wie sind Sie denn nun zu Ihrem Engagement <strong>für</strong> obdachlose<br />
Menschen gekommen?<br />
Beckmann Da muss ich weit zurückgehen zu einem Erlebnis,<br />
das ich als fünfjähriger Junge hatte. Mein Vater machte mit<br />
mir einen Spaziergang durch die Altstadt zum Rhein und vor<br />
dem Rathaus saß ein Bettler. Mein Vater gab ihm 50 Pfennig,<br />
was damals nicht wenig Geld war und erklärte mir, das sei ein<br />
armer Mann. Ich fragte meinen Vater, wer sich denn um den<br />
Mann kümmern würde und bekam zur Antwort: „Der Staat“.<br />
Und auf meine Frage, wer denn der Staat sei, erklärte mir mein<br />
Vater, das seien wir alle. Also habe ich gefragt, warum denn der<br />
Mann dort sitzen und betteln muss, wenn sich doch alle um<br />
ihn kümmern. Ja, so fing es an…<br />
<strong>lola</strong> Also haben Sie 1993 eine der ersten privaten Initiativen<br />
zugunsten Obdachloser gegründet.<br />
Beckmann Ja, genau, denn ich bin der Meinung, dass man<br />
privat etwas tun muss. Obdachlosigkeit kann jeden von uns<br />
treffen, das ist ähnlich wie mit einer schweren Krankheit.<br />
Man denkt doch immer, Krebs bekämen nur die anderen, man<br />
selbst aber bliebe verschon – so lange, bis man dann doch<br />
selbst krank wird. Ein Drittel der Obdachlosen sind übrigens<br />
Akademiker und Selbstständige, oft führen der Verlust des<br />
Interview<br />
Der weltbekannte Cellist Thomas Beckmann, geboren 1957 in <strong>Düsseldorf</strong>, gründete 1993<br />
eine der ersten privaten Hilfsaktionen zugunsten obdachloser Menschen. Daraus wurde<br />
im Jahr 1996 der Verein „GEMEINSAM GEGEN KÄLTE e.V.“ Thomas Beckmann hat uns zum Interview ins<br />
Schumannhaus, die letzte Wohnung von Clara und Robert Schumann, eingeladen, wo er seit 1990 mit seiner Frau lebt.<br />
Partners, Scheidungen oder eben Drogen und Alkohol in die<br />
Obdachlosigkeit.<br />
<strong>lola</strong> Wie könnte denn den obdachlosen Menschen besser geholfen<br />
werden?<br />
Beckmann Zunächst einmal ist der Schuldgedanke völlig falsch.<br />
Die meisten Menschen denken ja, die Obdachlosen seien an ihrer<br />
Situation selbst schuld. <strong>Das</strong> stimmt aber in den allermeisten<br />
Fällen eben nicht. Und wenn das klar wird, sind die Menschen<br />
auch eher bereit zu helfen. Dann müssten die Unterkünfte rund<br />
um die Uhr geöffnet sein und Alkohol dürfte nicht grundsätzlich<br />
dort verboten sein. Auch Schlafsäle sind völlig falsch, es<br />
müssen kleinere Schlafbereiche geschaffen werden, so wie das<br />
übrigens Bruder Matthäus anbietet. Gut wäre auch, wenn die<br />
Möglichkeit bestünde, dass Paare zusammen übernachten dürfen<br />
oder dass Obdachlose ihre Hunde mit in die Unterkünfte<br />
bringen können. Hier müssen Lösungen gefunden werden.<br />
<strong>lola</strong> Herr Beckmann, sind Sie der Meinung, dass die Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />
mehr <strong>für</strong> die Obdachlosen tun müsste?<br />
Beckmann <strong>Düsseldorf</strong> gehört schon zu den Städten, die im<br />
Verhältnis viel <strong>für</strong> ihre Obdachlosen tun und einen positiven<br />
Umgang pflegen. Man muss verstehen, dass viele Obdachlose<br />
einfach lebensuntüchtig und oft auch therapieresistent sind.<br />
Sie sind zum Beispiel gar nicht in der Lage, die ihnen zustehende<br />
Grundsicherung zu beantragen. Die Beamten müssten<br />
also zu den Obdachlosen hingehen und mit ihnen gemeinsam<br />
die entsprechenden Anträge ausfüllen und eine Art Organisationsberatung<br />
oder Lebenshilfe leisten. Außerdem müssen die<br />
Obdachlosen im Straßenbild von Bürgern und Touristen akzeptiert<br />
werden.<br />
<strong>lola</strong> Was können Sie mit Ihren Konzerten bewirken?<br />
Beckmann Neben den Erlösen aus den Konzerten, die den Obdachlosen<br />
zugute kommen, erreiche ich mit meinen Konzerten<br />
das Bildungsbürgertum, die Multiplikatoren. <strong>Das</strong> heißt,<br />
es gelingt mir durch die Konzerte mehr und mehr, das Thema<br />
von der Schuldfrage zu befreien, sodass die Menschen eher bereit<br />
sind zu spenden und zu helfen. Wenn viel <strong>für</strong> Obdachlose<br />
getan wird, heißt es eben oft, die Politiker tun zu viel <strong>für</strong> die<br />
Penner. Und das möchte ich durch meine Konzerte ändern.<br />
Herr Beckmann, wir danken Ihnen ganz herzlich <strong>für</strong> das<br />
Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg und viele<br />
Unterstützer.<br />
G. Borchers