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LITERATUR KULTUR JOKER 19<br />

Sprachränder / Rändersprachen<br />

Der 21. Hausacher LeseLenz findet vom 27. Juni bis 6. Juli statt<br />

Maarten Inghels, der<br />

flämische Dichter, hat<br />

vielleicht ein neues Genre<br />

geschaffen. Auf dem „weiten<br />

Feld“, das manchmal<br />

als Wort-Landschaften der<br />

Lyrik bezeichnet wird.<br />

„Begräbnis-Gedichte“ für<br />

Menschen, an die sonst niemand<br />

erinnern würde. Mit<br />

Džvehad Karahasan durch<br />

Sarajevo zu gehen, bedeutet<br />

die einstige Belagerung<br />

der bosnischen Stadt aus<br />

der Sicht eines großen Romanciers<br />

zu erleben. Leid,<br />

aber auch den Widerstand<br />

zu spüren, der Hoffnung<br />

schenkt. Aurélia Lassaque<br />

singt ihre Gedichte teilweise<br />

in der Sprache der Troubadoure.<br />

Auf Okzitanisch.<br />

Arno Camenisch spricht in<br />

seinem neuen Buch, das im<br />

Winter der Bündner Berge<br />

spielt, vom „Hüttli“ und<br />

lässt Paul sagen: „Hörst<br />

Du, wie schön das unter<br />

den Schuhen knirscht, sagt<br />

der Paul, das ist wie das Lied<br />

aus unserer Kindheit.“ Richard<br />

Kitta, ein Meisterpoet der interaktiven<br />

visuellen Lyrik in der<br />

Slowakei, Dogan Akhanli, der<br />

Kölner, auf die Verhaftungsliste<br />

Erdogans kam und in Spanien in<br />

Gewahrsam genommen wurde<br />

oder das erste Lyrik-Symposium<br />

des Hausacher LeseLenzes<br />

mit Anja Utler, Maren Kames,<br />

Marcel Beyer und Nico Bleutge.<br />

José F. A. Oliver, Kurator des Hausacher LeseLenz Foto: Archiv des Autors<br />

Es ist Spannendes geboten. Das<br />

diesjährige Programm reicht<br />

von den Sprachrändern bis hin<br />

zu den Rändersprachen.<br />

Im letzten Jahr feierte der<br />

Hausacher LeseLenz sein 20.<br />

Jubiläum. 20 Jahre jung und<br />

immer wieder überraschend anders.<br />

Was mit drei Schriftstellerinnen<br />

und Schriftstellern bei<br />

einem als zögerlich zu bezeichnenden<br />

Besuch der ersten Veranstaltung<br />

mit 13 ZuhörerInnen<br />

im Frühjahr 1998 begann, hat<br />

sich zu einem der „spannendsten<br />

Literaturfestivals im deutschsprachigen<br />

Raum entwickelt“<br />

(FAZ).<br />

Hunderte von AutorInnen<br />

waren mittlerweile zu Gast.<br />

Zwischen vier- und fünftausend<br />

literaturbegeisterte Menschen<br />

nahmen allein 2017 an den „öffentlichen“<br />

Lesungen teil. Hinzu<br />

kamen über 2.000 SchülerInnen<br />

aus Hausach, dem<br />

Kinzigtal, der gesamten<br />

Ortenau und darüber hinaus,<br />

die insbesondere<br />

die Reihe „kinderleicht &<br />

lesejung“ des Hausacher<br />

LeseLenzes „begeistert<br />

erlebt haben“ – so ein Resümee<br />

der LehrerInnen<br />

aus der Schulstadt Hausach<br />

und des Landkreises.<br />

Hervorzuheben wären<br />

neben den literarischen<br />

und bildungsbewussten<br />

Veranstaltungen für<br />

Kinder und Jugendliche<br />

weitere charakteristische<br />

Einzelreihen des Festivals:<br />

die „Begrüßungsfeier<br />

der LeseLenz-Stipendiatinnen<br />

und -stipendiaten,<br />

der Hausacher Stadtschreiberinnen<br />

und Stadtschreiber“<br />

und die „Eröffnungsveranstaltung“.<br />

Jedes Jahr ein Ereignis.<br />

Musik, Theater, Film,<br />

Bildende Kunst und Literatur,<br />

samt Ausstellungen im Dialog<br />

mit der Sprache. Darüberhinaus<br />

wird in diesem Jahr zum<br />

zweiten Mal bei der offiziellen<br />

Eröffnung der „LeseLenz-Preis<br />

der Thumm-Stiftung für Junge<br />

Literatur“ verliehen. Der Preisträger<br />

<strong>2018</strong> heißt Arne Rautenberg.<br />

Oder die „Marktlesung“<br />

am frühen Samstagmorgen;<br />

und, besonders hervorzuheben,<br />

auch am LeseLenz-Samstag, die<br />

literarisch-lyrischen Gäste der<br />

Kooperation des LeseLenzes<br />

mit 16 europäischen Lyrikfestivals,<br />

dem VERSOPOLIS-Projekt<br />

– „wo die Lyrik zuhause ist“<br />

(where Poetry lives). Anschließend<br />

das Gespräch mit zeitgenössischen<br />

RomanautorInnen –<br />

„Ins Erzählen eingehört“. Unter<br />

der Regie von Andreas Platthaus<br />

(FAZ). Heuer mit Marion Poschmann<br />

und Christoph Peters. Am<br />

Abend ein Publikumsmagnet,<br />

die lange Nacht der Lyrik. „vom<br />

poetischen w:ort“ lässt auf drei<br />

Bühnen neun bekannte und unbekannte<br />

Dichterinnen zu Wort<br />

kommen.<br />

Der LeseLenz-Sonntag ist<br />

dreigeteilt. Die Matinee, mit heiteren,<br />

poetischen, literarischen<br />

und kabarettistischen Beiträgen,<br />

die Menschen animieren sollen<br />

ebenso die Rathaus-Lesung am<br />

Nachmittag zu besuchen – „PolitSache<br />

Buch“, eine neue Reihe<br />

des Hausacher LeseLenzes, die<br />

sich dem Sachbuch widmet. In<br />

diesem Jahr Wolfgang Niess und<br />

sein Buch: Die Revolution von<br />

1918/19. Der wahre Beginn unserer<br />

Demokratie.<br />

Am Sonntagabend wird unter<br />

dem Titel „Weltlese“ Ilija Trojanow<br />

den preisgekrönten Romancier<br />

Karahasan zu Lesung und<br />

Gespräch bitten. Und und und ...<br />

Die Welt, zumindest die literarische<br />

auch in diesem Jahr wieder<br />

zu Gast in Hausach.<br />

José F. A. Oliver<br />

Bewundernswertes Vermächtnis einer jungen Autorin<br />

Das Tagebuch. Wie Otto Frank Annes Stimme aus Basel in die Welt brachte – Ausstellung im Jüdischen Museum Basel<br />

In Amsterdam ist es entstanden,<br />

von Basel aus wurde es<br />

in die ganze Welt verbreitet,<br />

das atemberaubende Tagebuch<br />

der Anne Frank, dem sich momentan<br />

eine Sonderausstellung<br />

des Jüdischen Museums der<br />

Schweiz in Basel widmet.<br />

Die Schau dokumentiert<br />

zunächst die Genealogie der<br />

Familie Frank aus Frankfurt,<br />

deren Situation sich nach der<br />

Wirtschaftskrise 1929 verschlechtert,<br />

mehrere von ihnen<br />

ziehen 1933 nach Basel. Doch<br />

Otto Frank, Annes Vater, geht<br />

mit seinen Angehörigen nach<br />

Amsterdam, um dort eine Firma<br />

zu leiten; 1940 werden die Niederlande<br />

von den Nazis besetzt,<br />

die Ausreise in ein anderes Land<br />

ist unmöglich. Ab Juli 1942 versteckt<br />

sich das Ehepaar Frank<br />

mit seinen Töchtern Margot und<br />

Anne sowie vier Freunden in<br />

einem Hinterhaus, um der Verhaftung<br />

zu entgehen. Die Ausstellung<br />

in Basel zeigt u.a. einen<br />

rekonstruierten Querschnitt des<br />

Gebäudes in der Prinzengracht<br />

263, in dem Anne ihr Tagebuch<br />

schreibt, bevor alle Bewohner<br />

im August 1944 in NS-Vernichtungslager<br />

deportiert werden.<br />

Das Tagebuch wird vor der<br />

Gestapo gerettet, durch ihre<br />

Verbündete Miep Gries, die<br />

es nach dem Krieg Otto Frank<br />

(1889-1980) übergibt, der als<br />

einziger den Holocaust überlebt<br />

hatte. Er siedelt nach Basel um<br />

und veröffentlicht das Tagebuch<br />

seiner Tochter erstmals 1947, es<br />

erlebt in der BRD großes Interesse,<br />

aber auch Anfechtungen,<br />

und wird in über dreißig Sprachen<br />

übersetzt. 1988 erschien<br />

eine historisch-kritische Edition<br />

und schließlich eine verbindliche<br />

Gesamtausgabe mit<br />

zusätzlichen Dokumenten (S.<br />

Fischer-Verlag).<br />

Seit ihrem 13. Geburtstag<br />

musste Anne Frank (1929–<br />

1945) den Judenstern tragen,<br />

an diesem Tag bekommt sie ein<br />

Poesiealbum geschenkt, das sie<br />

alsbald für Eintragungen nutzt,<br />

mit denen sie sich selbst, ihre<br />

Familie, Freunde und Nachbarn<br />

beschreibt sowie Schikanen<br />

notiert, die Juden das Leben<br />

schwer machen. Die Lage im<br />

Versteck wird zunehmend angespannt,<br />

Konflikte bedrängen<br />

das junge Mädchen, das keinen<br />

Kontakt mehr zu Freunden haben<br />

konnte; sie fühlt sich oft<br />

missverstanden, liest viel, rettet<br />

sich in Bücher, entdeckt ihre<br />

Sexualität sowie Liebesgefühle<br />

zu Peter van Pels, der ebenfalls<br />

im geheimen Hinterhaus<br />

lebt. All dies vertraut sie ihrem<br />

Tagebuch an und als sie eines<br />

Tages bei Radio Oranje einen<br />

Minister der niederländischen<br />

Exilregierung sagen hört, dass<br />

nach Kriegsende die Unterdrückung<br />

durch die NS-Besatzung<br />

öffentlich dokumentiert werden<br />

solle, begann Anne an eine<br />

Veröffentlichung zu denken;<br />

sie überarbeitet bisherige Einträge<br />

und adressiert sie an ihre<br />

imaginäre Ansprechpartnerin<br />

Kitty. Für ihre Leidensgenossen<br />

im Hinterhaus denkt sie sich<br />

Pseudonyme aus … unmöglich,<br />

hier der Komplexität des Werks<br />

gerecht zu werden.<br />

Neben der Ausstellung in<br />

Basel ist hervorzuheben, dass<br />

das Tagebuch von Anne Frank<br />

– 70 Jahre nach der Erstveröffentlichung<br />

– als Graphic Diary<br />

erschienen ist, eindrücklich bearbeitet<br />

und illustriert von Ari<br />

Folman und David Polonsky,<br />

beide bekannt für ihr preisgekröntes<br />

Meisterwerk „Waltz<br />

with Bashir“. Auf pfiffige Weise<br />

wird hier der Originaltext mit<br />

Dialogen verbunden, einfühlsam<br />

ins Bild gesetzt und so zu<br />

neuem Leben erweckt.<br />

Das Tagebuch der Anne<br />

Frank. Graphic Diary. Umgesetzt<br />

von Ari Folman und David<br />

Polonsky. Übersetzt von Mirjam<br />

Pressler, Ulrike Wasel, Klaus<br />

Timmermann. S. Fischer-Verlag<br />

2017<br />

Das Tagebuch. Wie Otto<br />

Frank Annes Stimme aus Basel<br />

in die Welt brachte. Jüdisches<br />

Museum der Schweiz, Galerie,<br />

Petersgraben 31. Basel. Bis 8.<br />

August <strong>2018</strong> C. Frenkel

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