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Im Netz der Spinnen<br />
Für uns kaum zugänglich und nicht kontrollierbar<br />
ist die Vibrationswelt der Spinnen. Was bei vielen<br />
Menschen Ängste verursacht, fasziniert den Spinnenforscher<br />
Christian Kropf, Dozent am Institut für<br />
Ökologie und Evolution, Kurator am Naturhistorischen<br />
Museum und Mitorganisator des bisher<br />
grössten europäischen Spinnenkongresses.<br />
Unilink: Viele Menschen haben Angst<br />
vor Spinnen. Müssen wir uns in der<br />
Schweiz fürchten?<br />
Christian Kropf: Die Gefährlichkeit von<br />
Spinnen wird masslos übertrieben. In<br />
unserer heimischen Fauna gibt es die<br />
Dornfingerspinne, deren Biss körperliches<br />
Unwohlsein, verbunden mit Fieber und<br />
Schüttelfrost, verursachen kann. Die<br />
Spinnen lähmen mit ihrem Gift die Beute;<br />
die wenigsten würden es aber schaffen,<br />
die menschliche Haut zu durchdringen.<br />
Gefährlich für den Menschen sind die<br />
Kammspinnen aus Mittel- und Südamerika<br />
und die Schwarze Witwe aus dem<br />
Mittelmeerraum. Da heute die Kühlsysteme<br />
auf den Schiffen viel besser sind,<br />
gelangen diese Arten jedoch kaum noch<br />
als «Bananen-Spinnen» zu uns.<br />
Trotzdem siedeln sich durch den<br />
zunehmenden globalen Handel neue<br />
Spinnenarten in Europa an. Welche<br />
Auswirkungen hat das?<br />
Bis jetzt konnten wir keine gravierenden<br />
Auswirkungen feststellen. Eingeschleppte<br />
Pflanzen wie der Riesenbärenklau aus dem<br />
Kaukasus stören das Ökosystem hingegen<br />
beträchtlich. Unter den Biologen gibt es<br />
zwei Sorten: Einerseits den «Gärtnertyp»,<br />
der geltend macht, dass fast alle Blumen<br />
aus dem Ausland stammen. Andererseits<br />
diejenigen Biologen, die Schreckens-<br />
Szenarien auf uns zukommen sehen. Eine<br />
potenzielle Gefahr besteht bei eingeschleppten<br />
Arten immer, aber die Auswirkungen<br />
sind schwierig abzuschätzen.<br />
Wie erklären Sie sich die weit<br />
verbreitete Angst vor Spinnen?<br />
Ich denke, dass die Vorbildwirkung der<br />
Eltern eine Rolle spielt. Wenn die Eltern<br />
beim Anblick einer Spinne hysterisch<br />
reagieren, schaut das Kind diese Angst<br />
ab. Weiter glaube ich, dass sich viele<br />
Menschen fürchten, weil wir die Spinnen<br />
nicht einschätzen können. Wenn ein<br />
Hund die Zähne fletscht, passen wir auf.<br />
Die Spinnen reagieren jedoch für uns<br />
unerwartet und unvorhersehbar. Das<br />
16 <strong>unilink</strong> <strong>September</strong>/2008<br />
Der Spinnenforscher Christian<br />
Kropf ist fasziniert von<br />
der Widerstandsfähigkeit der<br />
Spinnen und ihrem kunstvollen<br />
Netzbau.<br />
kommt daher, dass wir in einer optischakustischen<br />
Welt leben, während sich die<br />
Spinnen in einer Vibrationswelt bewegen.<br />
Sie sehen und hören schlecht, können<br />
aber mit zahllosen Sinnesorganen die<br />
Erschütterungen des Bodens und des<br />
Netzes sowie jeden Lufthauch wahrnehmen.<br />
Was hat es mit der Geschichte<br />
von der Beule aus den Ferien an sich,<br />
die plötzlich aufplatzen und aus der<br />
unzählige Spinnen herauskriechen<br />
sollen?<br />
Das ist eine moderne Legende. Nach<br />
momentanem Wissensstand gibt es keine<br />
einzige Spinnenart, die Eier in andere<br />
Organismen legt. Allerdings existieren in<br />
anderen Ländern Fliegen, die ihre Eier<br />
gerne in die Wäsche legen. Von dort aus<br />
fressen sich die parasitären Larven in die<br />
Muskeln. Deshalb bügeln Menschen in<br />
den betroffenen Regionen ihre Kleider<br />
ganz heiss.<br />
Was fasziniert Sie an Spinnen?<br />
Ich bewundere die Spinnen für ihren<br />
kunstvollen Netzbau. Radnetze bestehen<br />
aus zwei verschiedenen Fadenarten. Die<br />
Radialfäden sind straff gespannt und<br />
zeigen Bewegungen an. Demgegenüber<br />
sind die Klebfäden extrem dehnbar und<br />
elastisch, so dass sie nicht zerreissen,<br />
wenn sich ein Insekt verfängt. Die Spinnen<br />
selber kleben wahrscheinlich nicht an<br />
diesen Fangfäden, weil sie mit einem<br />
ölhaltigen Schutzfilm ausgestattet sind.<br />
Mich fasziniert generell, wie Spinnen<br />
funktionieren. Beispielsweise können diese<br />
Tiere blitzschnell laufen, verfügen aber<br />
über keine Streckmuskeln. Sie bewegen<br />
sich mit Hilfe eines erhöhten Körperflüssigkeiten-Drucks<br />
fort – vergleichbar mit<br />
einem Schlauch, der sich füllt und entleert.<br />
Dann gibt es diese spannende Tiergruppe<br />
seit über 380 Millionen Jahren, sie hat<br />
alle Katastrophen überlebt – eine richtige<br />
Erfolgskonstruktion.<br />
Warum sind Spinnen so widerstandsfähig?<br />
Sie sind klein, können sich dadurch gut<br />
verstecken und notfalls auch von der<br />
Erdwärme profitieren. Zudem können<br />
sich Spinnen – wenn nötig – auch selber<br />
einspinnen und in ihrem Kokon Überflutungen<br />
überstehen. Ihr Gift erlaubt es den<br />
Spinnen, auch grössere Beute zu machen<br />
und sich zu verteidigen. Als wechselwarme<br />
Tiere erfrieren Spinnen auch nicht<br />
so schnell. Schliesslich ist die Vielfalt von<br />
Lebensstrategien riesig: Spinnen können<br />
alle Landlebensräume besiedeln.<br />
Interview: Salomé Zimmermann<br />
Arachnologen-Kongress<br />
In der letzten Augustwoche fand an der<br />
Universität Bern der 24. Europäische<br />
Arachnologen-Kongress statt. Berner<br />
Biologen organisierten den Kongress für<br />
170 Spinnenforscher aus 35 Ländern<br />
– den grössten europäischen Spinnenkongress,<br />
den es je gab. Themenschwerpunkte<br />
waren die Erfassung der Artenvielfalt,<br />
Spinnengifte, die Spinnen als Teil des<br />
Ökosystems und Spinnentiere wie Skorpione<br />
oder Weberknechte. Weitere Informationen<br />
unter: www.esa2008.unibe.ch