Ausgabe 45 - Alsdorfer Stadtmagazin
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Hallo,<br />
mein Name ist<br />
Ursula Bürsgens<br />
Ich bin Grafik Designerin. Bis vor eineinhalb<br />
Jahren habe ich begeistert für<br />
die „undsonst?!“ gearbeitet. Frau<br />
Brandts und ich haben viele Seiten<br />
des Magazins gestaltet. In den letzten<br />
Jahren hatte ich zu bestimmten Themen<br />
auch einiges geschrieben, wie<br />
z.B. über die mini Pferdchen in Warden,<br />
zum Europafest ein Interview<br />
mit dem Bürgermeister von Kerkrade,<br />
oder über den Besuch kleiner <strong>Alsdorfer</strong><br />
Fußballer bei Alemannia Aachen<br />
mit Interview von Willi Landgraf. Das<br />
machte mir immer sehr viel Freude.<br />
Seit 2008 wohne ich mit meinem<br />
Lebensgefährten in Aachen Laurensberg,<br />
direkt gegenüber meiner Mutter.<br />
Ich wollte sie dort ein wenig unterstützen.<br />
Aber ich bin trotzdem noch<br />
ein <strong>Alsdorfer</strong>.<br />
Am Freitag dem 13. November 2009<br />
hatte ich eine Gehirnblutung. Genauer<br />
gesagt, es war eine Sinusthrombose.<br />
Ich spürte eine Erkältung, eher auf<br />
meiner linken Kopfseite. Ich hatte<br />
leichte Schmerzen im Stirn- und Nackenbereich<br />
sowie auch Schnupfen.<br />
Die Wärme mit einer Höhensonne<br />
und Massage mit „Franzbrandwein“<br />
sollte mir schnell helfen. Doch am<br />
nächsten Morgen ging es mir noch<br />
schlechter. Die Kopfschmerzen waren<br />
extrem, sonst hatte ich fast nie damit<br />
Probleme. Ich musste mich Erbrechen,<br />
ich wollte nur im Bett bleiben und<br />
meine Ruhe haben. Den restlichen<br />
Tag und die folgende Nacht schien<br />
ich wohl zu schlafen. Am Morgen<br />
wurde ich nicht mehr wach. Ich war<br />
nicht mehr ansprechbar. Krankenwagen,<br />
Notarzt, Universitätsklinik<br />
Aachen, MRT, Operation, Intensivstation.<br />
Dann bin ich aufgewacht, nur<br />
ein Traum, Augen zu. Wieder aufgewacht,<br />
noch immer ein Traum, Augen<br />
zu. Und dann, warum Träume ich<br />
immer das gleiche, immer Krankenhaus!<br />
Zuerst sehe ich Menschen in<br />
grünen Kitteln und Mutter, Freund,<br />
Bruder, Schwester. Die guckten mich<br />
so traurig an. Seltsam, ich sah nur die<br />
linke Hälfte ihrer Gesichter. Aber ich<br />
kannte diese Leute, es war meine<br />
Familie. Sie sprachen mich an, stellten<br />
sich namentlich vor und fragten, ob<br />
ich gerne etwas zu trinken möchte.<br />
„Weiß“ und „Papa“, das war das einzige<br />
was ich sagen konnte. Das erste<br />
was ich trank, war Wasser in weißen<br />
Bechern. „Papa“, mein Vater starb<br />
leider schon 2001, war der Name für<br />
alle Besucher. Später kam ein<br />
„Mama“ dazu, meine Mutter war<br />
wohl darüber sehr glücklich.<br />
Das ich kaum sprechen konnte, war<br />
mir nicht so aufgefallen. Warum ich<br />
überhaupt dort war, das wunderte<br />
mich. Lange und schwierige Erklärungen<br />
der Ärzte oder Verwandten konnte<br />
ich zwar hören, aber weniger verstehen.<br />
„Schlimme Krankheit, aber<br />
bald wieder gesund“ das glaubte ich<br />
und das reichte mir erstmal als Erklärung.<br />
Mein „Auferstehen“ ging im<br />
Rollstuhl von der Intensivstation in<br />
ein Zimmer auf der Neurochirurgie.<br />
Eine Physiotherapeutin unterstütze<br />
meine Beweglichkeit, besonders von<br />
Arm und Beinen sowie Hand und<br />
Füßen, meist nur auf der rechten<br />
Seite. Dann konnte ich mit einem Rollator<br />
schon die ersten Schritte gehen.<br />
Nach zweieinhalb Wochen Uniklinik<br />
brachte mich ein freundlicher Sanitäter<br />
zur Reha „Klinik Burg Landshut“<br />
in Bernkastel-Kues. Tag für Tag ging<br />
es mir ein wenig besser und nach<br />
zwei Wochen konnte ich schon alleine<br />
den Gymnastikraum und den Zimmer<br />
der Logopädin finden. Nach sechs<br />
Wochen konnte ich „Guten Tag Frau<br />
Sonnenschein“ zu meiner Logopädin<br />
sagen, ohne den Namen nach einigen<br />
Sekunden wieder zu vergessen.<br />
Meine Zeit in der Reha dauerte nach<br />
zwei Verlängerungen insgesamt neun<br />
Wochen. Und dann ging es nach<br />
Hause, das ich nur vorher durch Kurzbesuch<br />
der Weihnachttage, lange<br />
nicht mehr gesehen hatte. Die<br />
schlimmste Erinnerung ist der Versuch<br />
mit meinem Computer zu arbeiten.<br />
Das Drücken des Schalters funktionierte,<br />
alles andere hatte ich vergessen.<br />
Ich konnte nichts mehr, ich habe<br />
stundenlang verzweifelt geheult.<br />
Ich wusste wer ich war. Meine Familie<br />
und Freunde, mein Job, mein Zuhause,<br />
fast alle Gedanken und Erinnerungen<br />
waren da. Ich konnte aber nur<br />
einfache Worte sprechen, weitere<br />
Worte konnte ich nur gedanklich, teilweise<br />
geschrieben vor mir sehen. Die<br />
meisten Worte fehlten, das Sprechen<br />
ging nur schrittweise voran. Lange<br />
und komplexere Sätze konnte ich<br />
nicht verstehen. Stück für Stück und<br />
langsam verstand ich Informationen.<br />
Am besten funktionierte es mir alles<br />
dreimal zu sagen. Das Lesen lernen<br />
hatte ich zuerst mal nach<br />
hinten geschoben. Ich konnte<br />
schlecht Sehen, rechts fehlten<br />
immer die Bilder und Buchstaben.<br />
Bei beiden Augen ist<br />
rechtseitig die Sicht fast blind.<br />
Das Schreiben funktionierte recht<br />
gut, nur traurig, nach wenigen Minuten<br />
konnte ich die Worte und Zeilen<br />
nicht mehr sehen und verstehen.<br />
Warum? Das wissen die Logopäden<br />
und können das besser erklären. Seit<br />
meiner Operation spürte ich eine<br />
plötzliche Vergesslichkeit, nur wenig<br />
konnte ich behalten. Die Logopäden<br />
und Neurologen hatten mir erklärt,<br />
dass ich vielleicht einiges wieder<br />
sprechen, lernen und verstehen<br />
werde kann, aber nicht in wenigen<br />
Wochen. Es sind wohl die ersten 6<br />
Monate, wo vieles durch intensives<br />
Training wieder zurückkommt. Dass<br />
dieses aber ein Jahr oder sogar mehrere<br />
Jahre braucht, das wollte ich<br />
nicht hören. Ich dachte nach einem<br />
halben Jahr wieder „fit“ zu sein und<br />
auch arbeiten zu können. Aber so war<br />
es nicht!<br />
Ich war aber glücklich nach einem<br />
halben Jahr auf die Aphasiestation<br />
der Uniklinik Aachen zu kommen.<br />
Mein Lebensgefährte, mein Logopäde<br />
Georg Hilfrich, meine Hausärztin Friederike<br />
Stäbler, Professor Huber der<br />
Aphasiestation, seine Mitarbeiterin<br />
sowie meine Freunde setzten sich<br />
sehr dafür ein, das ich dorthin kommen<br />
konnte. Verzweifelt hoffte ich auf<br />
meine komplette Genesung. Zumindest<br />
hatte ich mir das heimlich<br />
gewünscht. Wir waren dort vierzehn<br />
Aphasiker, die täglich durch Logopäden,<br />
Krankenschwestern, Physiotherapeuten<br />
und Neurologen unterstützt<br />
und gefördert wurden. Auch mit einer<br />
Kunsttherapeutin zu Malen sowie mit<br />
einem Musiklehrer gemeinsam zu<br />
„singen“ brachte uns weiter. Seltsam,<br />
aber es ist so, Menschen die nur drei<br />
Worte sprechen, können aber singen.<br />
In dieser Zeit lernte ich viele Worte,<br />
konnte besser Sprechen und auch ein<br />
wenig mehr lesen. Jeden Tag einige<br />
Stunden zu üben, auch einzeln oder<br />
in Gruppentherapie, das war sehr<br />
wichtig. Dort lernte ich auch die<br />
ersten Schritte mit dem Computer zu<br />
arbeiten.<br />
INTERN VERWALTUNG<br />
Juli/August 2011 53<br />
So hatte ich mir damals in der Reha<br />
vorgestellt: Nach meiner Operation<br />
konnte ich nur 1% sprechen und nach<br />
meiner Genesung werde ich 100 %<br />
sprechen können. Seit der Zeit der<br />
Reha, der Aphasiestation Aachen und<br />
der vielen Monate bei meinem Logopäden<br />
sowie Logopädieschülerinnen<br />
und meiner Logopädiestudentin, lerne<br />
ich fast jeden Tag. Das Telefonieren<br />
mit Freundinnen ist auch ein gutes<br />
Training. „Memory“ oder „Stadt,<br />
Land, Fluss“ mit meiner Mutter zu<br />
spielen, unterstützt unser beides<br />
Gedächtnis. Auch Fernzusehen und<br />
anschließend mit meinem Lebensgefährten<br />
zu Diskutieren hilft mir.<br />
Woche für Woche und Monat für<br />
Monat komme ich weiter, auch nach<br />
eineinhalb Jahren. Es gibt allerdings<br />
immer wieder Tage, da vergesse ich<br />
mehrfach gelernte Worte wieder. Ich<br />
kann dann nicht gut sprechen, bin<br />
durcheinander und fast verzweifelt.<br />
Aber es sind die guten Tage, wenn<br />
man sich kräftig fühlt und konzentriert<br />
ist, fleißig lernt und auch im<br />
Garten arbeitet, da denke ich oft, es<br />
ist alles wie früher, ich bin gesund.<br />
Völlig Gesund sein, wird es wohl<br />
nicht geben, aber glücklich sein, das<br />
bin ich oft. Ob die Verkäuferinnen<br />
oder der Nachbar über mein Sprechen<br />
„grinsen“, wird mich nicht verunsichern<br />
und beleidigen. Das ist dann<br />
nicht mein, sondern ihr Problem!<br />
Für das Schreiben brauchte ich viele<br />
Tage, aber mit der Unterstützung von<br />
Microsoft Word kann ich etwas besser<br />
schreiben.<br />
Liebe Grüße und bis irgendwann,<br />
Eure Ursula Bürsgens<br />
Ich danke meinem Harry, meiner Mutter,<br />
Gina und Berni, der Familie, dem Notarzt,<br />
den Chirurgen, meiner Hausärztin,den Neurologen,<br />
den Schwestern, den Logopäden und<br />
Physiotherapeuten, den Freundinnen und<br />
Freunden, den Nachbarn, den Kollegen der<br />
»undsonst?!«, meinen treuen Kunden und<br />
natürlich vielen weiteren Menschen für ihre<br />
Unterstützung, ihre Geduld und ihre Freundlichkeit.<br />
ALSDORFER STADTMAGAZIN 3/2011