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MEDIAkompakt_MK_24

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DIE ZEITUNG DES STUDIENGANGS MEDIAPUBLISHING<br />

DER HOCHSCHULE DER MEDIEN STUTTGART AUSGABE 02/2018 05. 07. 2018<br />

media<br />

kompakt<br />

NEXT<br />

WAS PASSIERT NACH DER HAFT? INSIGHTS, S.8<br />

DAS SAGEN DIE STERNE FÜR DICH FUTURE, S.20<br />

ACHTUNG, FERTIG, LIEBE! SOCIETY, S.39


2<br />

EDITORIAL<br />

mediakompakt<br />

Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser,<br />

Der Nächste bitte! Was kommt als nächstes? Welche Herausforderung<br />

steht bevor? Wie geht es weiter im Leben? Oder ganz kurz: „NEXT“. So ist<br />

die aktuelle Ausgabe der <strong>MEDIAkompakt</strong> betitelt, die Nummer <strong>24</strong>. Sie wird<br />

von den Studierenden des Studiengangs Mediapublishing der Hochschule<br />

der Medien verantwortet wird. Von der Konzeption über die inhaltliche<br />

Ausgestaltung bis zum Layout, der Produktion und der wirtschaftlichen<br />

Umsetzung. Ganz schön beachtlich, was auf 40 Seiten vorgelegt wird.<br />

Beispiele gefällig? Ein Ehepaar, das seit 55 Jahren verheiratet (und verliebt<br />

wie am ersten Tag) ist, verrät im Interview, was ihr Geheimnis des Glücks<br />

ist. Wie sieht die nahe Zukunft der Mobilität aus? Mit Autos, Car-Sharing<br />

oder ganz anderen Konzepten? Auch dazu gibt es Antworten. Und wie<br />

könnte die digitale Bildung von morgen oder übermorgen aussehen? Dazu<br />

findet sich in dieser Ausgabe von <strong>MEDIAkompakt</strong> eine Analyse. Das<br />

Thema „Bauen in Zukunft“ wird beleuchtet, ebenso wie die Frage nach den<br />

Zukunftsängsten, die viele Menschen umtreibt. Jede Menge Lesestoff, aber<br />

überzeugen Sie sich davon am besten selbst.<br />

Ganz wichtig an dieser Stelle ist ein dickes Dankeschön an die<br />

Anzeigenpartner der <strong>MEDIAkompakt</strong>. Denn ohne ihre Unterstützung<br />

würde es diese Zeitung nicht geben.<br />

Viel Spaß beim Lesen!<br />

Reimund Abel<br />

INSIGHTS<br />

3 Das Eis in deiner Hand<br />

Fear Of Missing Out<br />

4 That‘s amore!<br />

Ein Leben lang mit einem Menschen<br />

6 Wer wohnt da neben dir?<br />

WG-Mitbewohner im Studium<br />

7 Zeit ist Geld<br />

Die Geschichte muss immer weitergehen<br />

8 Nach der Haft<br />

Ein Mörder erzählt aus seinem Leben<br />

10 Weniger arbeiten, mehr erleben!<br />

Diese Buchtipps helfen, um auszubrechen!<br />

12 Völlig ausgebrannt<br />

Frührente wegen Burnout?<br />

13 Der Nächste, bitte!<br />

Wie sich ein Therapeut während der Sitzung fühlt<br />

FUTURE<br />

14 Nächstes Zuhause: Weltraum<br />

Terraforming als Plan B für die Erde?<br />

16 Was macht mobil?<br />

Mobilität für den modernen Menschen<br />

18 In Zukunft autonom<br />

Teilautonom ist erst der Anfang<br />

20 Your next summer!<br />

Tipps für den ultimativen Sommer in Stuttgart<br />

22 Was kommt da auf uns zu?<br />

Die Folgen des Insektensterbens<br />

<strong>24</strong> 21st Century Skills in Schulen<br />

Die Digitalisierung im Bildungssystem<br />

25 Fressen oder gefressen werden<br />

Zahllose Versuchungen im Supermarkt<br />

26 Vom Ast zum Palast<br />

Die nachhaltige Architektur der Zukunft<br />

28 Next Level: Medizin<br />

Operationen in virtueller Realität<br />

29 Die Motivation am Weltuntergang<br />

Dystopische Zukunft vor Realität?<br />

Chefredaktion <strong>MEDIAkompakt</strong><br />

SOCIETY<br />

IMPRESSUM<br />

<strong>MEDIAkompakt</strong><br />

Zeitung des Studiengangs Mediapublishing<br />

Hochschule der Medien Stuttgart<br />

HERAUSGEBER<br />

Prof. Christof Seeger; Reimund Abel<br />

Studiengang Mediapublishing<br />

Postanschrift: Nobelstraße 10<br />

70569 Stuttgart<br />

REDAKTION<br />

Reimund Abel<br />

E-Mail: abel@hdm-stuttgart.de<br />

PROJEKTLEITUNG<br />

Jessica D‘Arnese, Laura Holzinger, Laura Cüppers<br />

ANZEIGENVERKAUF<br />

Michelle Jehle, Saskia Heller, Theresa von Zepelin,<br />

Lisa Schuler, Isabell Wieland, Claudia Seibert,<br />

Lisa Hartel,Felix Melzer, Alisa Annese<br />

PRODUKTION<br />

Samuel Trautmann, Lisa Maier, Caroline Komynarski,<br />

Marina Mack, Gabriela Müller, Anzhelika Golenkrin,<br />

Lilia Koch<br />

BILDREDAKTION<br />

Vanessa Santos, Sandra Eberwein<br />

MEDIANIGHT-TEAM<br />

Lena Armbruster, Rosa Abu Dabash, Fabian Öhrle,<br />

Lucca Reder, Luisa Flaig, Anja Gehring, Leonie Tiebel<br />

DRUCK<br />

Z-Druck Zentrale Zeitungsgesellschaft GmbH & Co. KG<br />

Böblinger Straße 70<br />

71065 Sindelfingen<br />

ERSCHEINUNGSWEISE<br />

Einmal im Semester zur Medianight<br />

30 Generation Zukunftsangst!<br />

Bist du bereit?<br />

31 Drum prüfe, wer sich ewig bindet<br />

Beziehungen im Wandel der Zeit<br />

32 Regional, gesund und voll im Trend<br />

Gründe, nach regionalen Waren zu greifen<br />

34 Zero Waste in Stuttgart<br />

Maßnahmen gegen die Vermüllung der Meere<br />

35 Von Apple-Jüngern und Sneaker-Sammlern<br />

Über den Markenfetisch<br />

36 Stilles Örtchen, oder doch nicht?<br />

Die Entscheidung vor der Tür<br />

37 Entscheide! Dich! Jetzt!<br />

Tipps gegen die Unentschlossenheit<br />

38 Digitalisierung trifft Kirche<br />

Welche Zuflucht bietet die Religion?<br />

39 Liebe los!<br />

Nächstenliebe in der Praxis


2/2018<br />

INSIGHTS<br />

3<br />

Das Eis in<br />

deiner Hand<br />

FOMO, Fear Of Missing Out: Ein Phänomen, das<br />

immer mehr Menschen erfasst. Nur nichts verpassen,<br />

ja keinen Trend verschlafen. Immer auf dem Sprung<br />

sein. Aber brauchen wir das wirklich? Eine Analyse.<br />

VON ALISA ANNESE<br />

Das Handy klingelt. Flo fragt, ob du Lust<br />

auf einen Grillabend hast. Noch<br />

spontan zum Supermarkt und dann ab<br />

zum Grundstück. Coole Leute, schönes<br />

Wetter, gute Musik und angenehme<br />

Stimmung. Dir geht es gut, du hast eine tolle Zeit.<br />

Solange, bis das Smartphone brummt. Ein paar<br />

Leute aus deiner alten Klasse haben auf Facebook<br />

und Insta ein Bild gepostet: feiernde Meute auf<br />

dem Felix Jaehn-Konzert. Du wirst unruhig, kein<br />

Bock mehr auf Grillen. Wieso bist du nicht auch<br />

auf einem coolen Event? Dieses ständige Gefühl,<br />

etwas zu verpassen, und das moderne Phänomen<br />

dahinter, hat mittlerweile einen Namen: FOMO,<br />

Fear Of Missing Out. Doch was genau ist FOMO<br />

eigentlich? Und wie sehr hat es sich auch in dein<br />

Leben geschlichen?<br />

„Wir wollen die<br />

ganze Welt haben<br />

und dabei nichts<br />

verpassen.“<br />

Wie kann es sein, dass durch Social Media<br />

deine Laune von top auf flop geht, fragt man sich.<br />

Dan Ariely, ein amerikanisch-israelischer Psy -<br />

chologe, erklärt es so: Wir messen unser Glück<br />

nicht nur daran, wie es für uns gerade ist.<br />

Vielmehr hängen wir dem nach, wie es hätte sein<br />

können. What if? Das heißt, wenn wir nicht<br />

wüssten, dass Bekannte gerade auf einem coolen<br />

Konzert sind, würden wir einfach den Grillabend<br />

ge nießen. Oder auch mal einen Tag allein auf der<br />

Couch mit Ben & Jerry‘s.<br />

Aber durch die Bilder, die wir unreflektiert Tag<br />

für Tag konsumieren, meinen wir zu wissen, dass<br />

es etwas Besseres für uns gibt. In unserer<br />

Vorstellung sehen wir unsere Welt auf einer<br />

höheren Ebene, eine spaßigere, perfektere Welt.<br />

Der Kontrast zwischen der Welt in unserer Vor -<br />

stellung und der harten Realität macht uns sehr<br />

unzufrieden und unglücklich, manchmal gerade -<br />

zu depressiv. Und zwar selbst dann, wenn unser<br />

Leben eigentlich wirklich toll ist.<br />

Unsere Generation tanzt zu einer ganz eigenen<br />

Melodie. Wir arrangieren unser Essen, um ein Bild<br />

für Social Media zu machen. Und posten Bilder,<br />

die uns makellos an Traumstränden oder auf Par -<br />

tys zeigen. „Wir teilen alles“, heißt es. Doch in<br />

Wirklichkeit ist Social Media kein Abbild der<br />

Realität. In Wirklichkeit ist es die Illusion eines<br />

scheinbar perfekten Lebens. Oder würdest du das<br />

un vorteilhafte Bild von dir mit Doppelkinn pos -<br />

ten? Oder deine Probleme und Schwächen öffent -<br />

lich breit zu treten?<br />

Auch vor Beziehungen macht das Phänomen<br />

FOMO keinen Halt. Wir streben nach dem<br />

Perfekten. Wir schauen uns Hollywood-Streifen<br />

an. Und strahlende Paare auf Facebook und Insta.<br />

Und fragen uns mit Blick auf unsere Beziehung:<br />

Gibt es vielleicht etwas Besseres? Etwas, das uns<br />

mehr erfüllen oder glücklicher machen würde<br />

und unsere Bedürfnisse erfüllt?<br />

Vielmehr geht es darum, die eigene kleine per -<br />

fekte Welt zu entdecken. Glücklich darüber zu<br />

sein, einen liebenswerten Menschen an seiner Sei -<br />

te zu haben. Fähig zu sein, das wirklich zu sehen,<br />

zu genießen und wertzuschätzen. Das macht zu -<br />

frieden und „satt“.<br />

Wie in diesem Beispiel. Ein Vater geht mit<br />

seinen Kindern in die Stadt, will ihnen ein Eis<br />

ausgeben. Erdbeere, Vanille und Schokolade!<br />

Freudestrahlend nehmen die Kleinen das Eis ent -<br />

gegen. Dann sehen sie die Süßigkeiten, die es<br />

sonst noch im Laden gibt. Plötzlich sind sie unzu -<br />

frieden. Jeder will noch was Süßes. Da verrät<br />

ihnen der Vater sein Geheimnis vom glücklichen<br />

Leben. „Ihr habt jetzt ein Eis in euren Händen. Ge -<br />

nießt es, seid glücklich, dass ihr eins habt. Wieso<br />

schaut ihr nach dem, was ihr nicht habt? Die<br />

anderen Süßigkeiten habt ihr jetzt nicht. Wenn<br />

ihr euch nicht auf das einlasst, was ihr in eu ren<br />

Händen haltet, sondern nur nach dem anderen<br />

schaut, wird euer Eis wegschmelzen und ihr wer -<br />

det keinen Genuss mehr daran haben können.<br />

Also habt Freude an eurem süßen, köstlichen Eis.<br />

Schmeckt es und genießt es.“<br />

Foto: Unsplash


4 INSIGHTS<br />

mediakompakt<br />

Fotos: Privat<br />

That’s amore!<br />

Ein Leben lang mit einem Menschen zusammen sein? Für viele unvorstellbar. Irene<br />

und Gino Carboni aus Leonberg sind seit 55 Jahren verheiratet und verliebt wie am<br />

ersten Tag. Was ist das Rezept einer glücklichen Ehe? Ein Gespräch.<br />

VON JESSICA D’ARNESE<br />

mediakompakt: Was ist das Rezept für da s Eheglück?<br />

Gino Carboni: Auf jeden Fall ist Geduld eine wich -<br />

tige Zutat.<br />

Irene Carboni: Genau, Geduld gemischt mit Ver -<br />

ständnis und Vertrauen. Und natürlich Liebe!<br />

mediakompakt: Wer hat das Sagen in der Ehe und<br />

wie äußert sich das?<br />

Irene: Es war eigentlich immer ausgeglichen. Jetzt<br />

im höheren Alter bestimme ich ein biss chen mehr<br />

als er. Das zeigt sich dadurch, dass ich alle<br />

Angelegenheiten und Termine organisiere.<br />

Gino: Gleich geblieben ist, dass wir mit den<br />

wichtigen Entscheidu ngen immer beide einver -<br />

standen sein müssen.<br />

mediakompakt: Was schätzen Sie besonders an dem<br />

anderen und was nicht?<br />

Irene: Gino ist ein großartiger Hausmann, er hilft<br />

immer. Von seiner Mutter hat er als kleiner Junge<br />

viel über Haushalt und Küche gelernt. Seine<br />

Ungeduld ist etwas, das mich manchmal nervt.<br />

Gino: An Irene gefällt mir alles, wir haben uns<br />

einfach aneinander gewöhnt.<br />

mediakompakt: Wie sieht das gemeinsame Leben<br />

aus?<br />

Irene: Wir führen auch heute noch ein sehr<br />

erfülltes und aktives Leben. Wir nutzen den Tag<br />

und gehen viel spazieren, machen Ausflüge,


2/2018 INSIGHTS<br />

5<br />

kochen zusammen, verbringen Zeit mit der Fami -<br />

lie und hören täglich Musik.<br />

mediakompakt: Können Sie jeweils von einer posi -<br />

tiven Erinnerung aus Ihrer Ehe erzählen?<br />

Irene: Ich erinnere mich besonders an die Gebur -<br />

ten unserer beiden Töchter und an die Zeit, in der<br />

sie aufwuchsen.<br />

Gino: Das waren auch für mich sehr schöne Zeiten<br />

voller Freude.<br />

mediakompakt: War es Liebe auf den ersten Blick?<br />

Gino: Als ich sie das erste Mal sah, war ich 23 Jahre<br />

alt und mit einem Freund im Park in Freudenstadt<br />

spazieren. Ich fragte sie direkt nach dem Weg, was<br />

nur ein Vorwand war. Mit ihrem blonden Haar<br />

und den strahlend blauen Augen hat sie mir sofort<br />

gefallen.<br />

Irene: Damals war ich 19 Jahre alt und dachte:<br />

Wow, ein hübscher Kerl. Wir verabredeten uns<br />

dann zum Tanzen, wo wir uns richtig kennen -<br />

lernten.<br />

„Er war mein<br />

erster und mein<br />

einziger Mann.“<br />

mediakompakt: Gab es Hürden, die zu überwinden<br />

waren, um zusammen sein zu können?<br />

Gino: Ich kam 1959 als italienischer Gastarbeiter<br />

nach Deutschland. Im norditalienischen Verona<br />

waren wir einer deutschen Stadt zugeteilt worden.<br />

Dass ich nach Freudenstadt kam, wo ich später<br />

Irene traf, war purer Zufall. Ich arbeitete als<br />

Bauarbeiter und schickte Geld nach Hause. Die<br />

Verträge waren befristet, so war es nie sicher,<br />

wann ich zurückgehen würde. Als es soweit war,<br />

schrieben Irene und ich uns Briefe. Anschließend<br />

arbeitete ich wieder in Deutschland, wo ich<br />

irgendwann endgültig bleiben durfte. Für uns galt<br />

es aber ganz andere Hürden zu überwinden.<br />

Meine Mutter hatte eine andere Frau für mich<br />

ausgewählt: eine italienische Bäuerin aus meiner<br />

Heimat. Irene war deutsch und für meine Mutter<br />

eine Fremde.<br />

Irene: Meine deutsche Familie, vor allem meine<br />

Mutter, hatte etwas gegen unsere Verbindung, da<br />

Gino ein Italiener ist. Ich durfte ihn zwar<br />

mitbringen, aber nur bei Dunkelheit, damit es<br />

niemand mitbekam. Damals hatte man in<br />

Deutschland Italienern gegenüber eine starke<br />

Abneigung, geprägt durch den Krieg. Es gab auch<br />

Probleme, weil Gino katholisch und ich<br />

evangelisch bin. Heiraten unter diesen Um -<br />

ständen war früher nicht so leicht. Viele wollten<br />

uns umstimmen.<br />

mediakompakt: Waren Sie jeweils der erste und<br />

einzige Partner für den anderen?<br />

Irene: Er war mein erster und mein einziger Mann.<br />

Gino: Ich hatte vor der Irene keine feste Partnerin.<br />

In Italien hatte ich als kleiner Junge eine<br />

Freundin, das war nichts Ernstes.<br />

mediakompakt: Wie lief der Heiratsantrag ab?<br />

Irene: Als er mir sagte, dass er mich heiraten<br />

möchte, saßen wir auf einer Bank im schönen<br />

Schwarzwald mit Blick auf den Bärensee. Ich habe<br />

sofort Ja gesagt. Zu dem Zeitpunkt kannten wir<br />

uns knapp drei Jahre, ich fand es gut früh zu<br />

heiraten.<br />

mediakompakt: Was waren Ihre Erwartungen an die<br />

gemeinsame Ehe?<br />

Gino: Wir haben gar nicht nachgedacht, wir waren<br />

einfach verliebt. Gewusst haben wir, dass wir auf<br />

jeden Fall Kinder haben möchten.<br />

Irene: Genau. Uns war klar, dass wir bis zur Geburt<br />

des ersten Kindes beide arbeiten müssen, um alles<br />

anzuschaffen. Angefangen bei der Wasch -<br />

maschine.<br />

„Kein Mensch ist<br />

perfekt.“<br />

mediakompakt: Wann wurde geheiratet?<br />

Irene: Am 4. Oktober 1962 in einer Kirche in Ita -<br />

lien, zudem noch standesamtlich. Gefeiert haben<br />

wir bei Ginos Mutter mit leckerem Lamm und<br />

einer mehrstöckigen Torte. Später spielte Ginos<br />

Onkel Ziehharmonika.<br />

mediakompakt: Immer mehr Paare lassen sich<br />

scheiden, was denken Sie darüber?<br />

Gino: Die frühe Trennung vieler Paare spiegelt<br />

Egoismus wider.<br />

Irene: Früher hat man weniger schnell aufgegeben.<br />

Der Anspruch der Menschen ist gestiegen. Ein<br />

hoher Lebensstandard kostet Geld, was dazu<br />

führt, dass Mann und Frau viel arbeiten gehen<br />

müssen. Der Zeitmangel und der Stress wirken<br />

sich negativ auf die Ehe aus. Zudem finde ich,<br />

junge Menschen sollten sich vor Augen führen,<br />

dass kein Mensch perfekt ist. Dann würden sie<br />

vielleicht mehr Kompromisse eingehen. Ob man<br />

heiraten möchte oder nicht, muss jeder für sich<br />

entscheiden. Ein Leben ohne Ehe wäre für uns<br />

nichts gewesen, viel zu langweilig (lacht).<br />

mediakompakt: Haben sich die Erwartungen an die<br />

Ehe erfüllt?<br />

Gino: Ja, sicher!<br />

Irene: Ja, unbedingt. Wir sind sehr glücklich, dass<br />

alles so gelaufen ist.<br />

Irene und Gino<br />

Carboni lieben<br />

sich heute noch<br />

genauso wie<br />

früher.


6 INSIGHTS<br />

mediakompakt<br />

Wer wohnt da neben dir?<br />

Viele haben in ihrem Studium ihre WG-Erfahrungen gesammelt. Sei es im<br />

Wohnheim, einer Verbindung oder einer privaten WG. Ein Psychogramm<br />

von Mitbewohnern, die jeder schon mal erlebt hat.<br />

VON LUISA FLAIG<br />

Der Schnorrer<br />

Jeder kennt ihn, und wiklich<br />

jeder verabscheut ihn. Er ist der<br />

Schnorrer. Er bedient sich an<br />

anderer Mitbewohner Eigentum<br />

nur all zu gerne. Sei es das<br />

Waschmittel, ein Regenschirm<br />

oder die Lebensmittel. Er liegt<br />

immer auf der Lauer, immer will<br />

er von etwas profitieren. Er<br />

wartet nur darauf, bis er wieder<br />

et was ergattern kann. Er geht<br />

allen, wirklich allen, tierisch auf die Nerven und<br />

ist in jeder WG gefürchtet. Oder, noch schlimmer,<br />

er wird gar gehasst. Aber du findest ihn leider<br />

überall.<br />

Das Muttersöhnchen<br />

Er hat die Wäsche noch nie<br />

selbst gemacht, da er jedes<br />

Wochenende nach Hause zu<br />

seiner Mama fährt. Es heißt, er<br />

wisse nicht einmal, wo die<br />

WG-Waschmaschine steht.<br />

Wenn er nicht mit Mama tele -<br />

foniert, im Fitness-Studio oder<br />

an der Uni ist, nimmt er ab und<br />

zu an gemeinschaftlichen Akti -<br />

vi täten teil. Seine Koch kennt -<br />

nisse beschränken sich maximal auf Maultaschen<br />

aus der Packung. Soll er mal putzen, scheitert er<br />

schon bei dem Versuch, den Staubsaugerbeutel zu<br />

tauschen.<br />

Der Ordnungsfreak<br />

Ordnung ist das halbe Leben!<br />

Das ist das Motto dieses<br />

Mitbewohners, dessen Puls so -<br />

fort in die Höhe schnellt, wenn<br />

die Spülmaschine falsch ein -<br />

geräumt wurde oder er ein Haar<br />

im Abfluss der Dusche erkennt.<br />

Er nimmt den Putzplan sehr<br />

genau. Und wenn du das auch<br />

tust und immer pünktlich in die<br />

WG-Kasse einzahlt, so wirst du<br />

mit ihm keine Probleme bekommen. Der Messie<br />

und der Ordnungsfreak sind wegen ihres komplett<br />

unterschiedlichen Sauber keits empfin dens natür -<br />

liche Feinde.<br />

Die WG-Mama<br />

Sie zeichnet sich durch das<br />

Führen der Kasse oder das<br />

Organisieren des Putzplans aus.<br />

Und sie hat immer ein offenes<br />

Ohr für den Herzschmerz oder<br />

die Sorgen des Alltags ihrer Mit -<br />

bewohner. Ihre Tür steht jeder -<br />

zeit für einen Smalltalk offen.<br />

Dadurch kennt sie die Ter min -<br />

kalender aller anderen aus- wen -<br />

dig. Eindeutig zu weit geht sie<br />

allerdings, wenn sie dich fragt, wann du letzte<br />

Nacht heimgekommen ist oder wann du mit dem<br />

Lernen für die nächste Klausur anfängst.<br />

Der Snob<br />

Er ist kein typischer Student,<br />

denn er lebt auf großem Fuß. Er<br />

muss stinkreiche Eltern haben.<br />

Sein Zimmer ist vollgepropft mit<br />

technischen Gadgets, die zu -<br />

sammen den Gegenwert eines<br />

super teuren Sportwagens erge -<br />

ben. Außerdem findet sich teu -<br />

rer Likör bei ihm, den er sich<br />

gelegentlich als Digestif nach ei -<br />

nem aufwendig gekochten Din -<br />

ner gönnt. Seine Vorliebe für Sterne-Gastronomie<br />

lässt ihn die Aldi-Einkäufe seiner Mitbewohner<br />

verschmähen.<br />

Der Säufer<br />

Es ist Montagabend, und alle<br />

Mitbewohner erholen sich vom<br />

Wochenende, doch er, der<br />

Säufer, sitzt schon wieder mit<br />

dem halben Studiengang in der<br />

Küche und vernichtet ein Bier<br />

nach dem anderen. Was ist wohl<br />

seine neueste Er rungenschaft für<br />

noch schnelleres und noch<br />

effizienteres Trinken? Der Bier -<br />

trichter. Er nimmt es mit dem<br />

Studium nicht so genau, denn dafür hat er keinen<br />

Kopf, da er viel zu oft zu verkatert ist, um Vor -<br />

lesungen zu besuchen.<br />

Das Phantom<br />

Manche Mitbewohner haben<br />

ihn noch nie gesehen und<br />

wissen nicht, wie er aussieht. Er<br />

ist immer unterwegs ist, hat<br />

keine Zeit am WG-Leben teil -<br />

zuhaben. Er wohnt faktisch nur<br />

deshalb mit dir unter einem<br />

Dach, weil er nicht im Auto<br />

schlafen möchte. Wenn er sein<br />

Zimmer nicht gerade an einen<br />

komischen Untermieter abgege -<br />

ben hat und die WG mit seiner Anwesenheit<br />

beglückt, hat er viel zu erzählen. Bei dem<br />

Phantom bleibt zu hoffen, dass er bald aus- und<br />

ein besserer Mitbewohner einzieht.<br />

Der Messie<br />

Wenn du das Zimmer dieses<br />

Mitbewohners je zu Gesicht<br />

bekommen wirst, dann nur<br />

bei gedämmten Licht und<br />

mit der Ausrede: „So sieht es<br />

nicht immer aus!” Eine<br />

glatte Lüge, denn der Messie<br />

findet immer irgendwelche<br />

Ausreden, weshalb er nicht<br />

putzen muss. Auch die Klei -<br />

der des Messies können<br />

ohne jede Schwierigkeiten Wochen oder sogar<br />

meh r ere Monate auf dem Wäscheständer ver -<br />

weilen, ohne dass sie abgehängt wird. Er hat<br />

einfach Wichtigeres zu tun.<br />

Der Öko-Freak<br />

Nicht nur sein veganes Ess -<br />

verhalten unterscheidet ihn<br />

komplett von den anderen.<br />

Sobald ein Kleidersammel-Flyer<br />

ins Haus flattert, ist er der erste,<br />

der seine alte Klamotten vor die<br />

Tür stellt, denn man muss ja an<br />

seine Nächsten denken. Und wir<br />

leben sowieso alle im Überfluss.<br />

Dein Facebook-Feed wird von<br />

ihm mit PETA- und anderen<br />

Aktivisten-Videos zum Thema Tierschutz und<br />

Umwelt zugemüllt. Grausam! Willst du mit ihm<br />

eine Diskussion über Politik führen, sei bloß<br />

gewarnt!


2 /2018 INSIGHTS<br />

7<br />

Zeit ist Geld<br />

Die Geschichte muss immer weitergehen. Es scheint,<br />

als würden Medienunternehmen nur ihre Zeit absitzen<br />

und mit gut laufenden Reihen in Literatur, TV und Gaming<br />

ihr Geld machen. Oder sind wir selbst daran schuld?<br />

VON THERESA VON ZEPELIN<br />

Zeit ist Geld.“ So sagt es ein deutsches<br />

Sprich wort, und was Sprichwörter sagen,<br />

soll be kanntlich ja seine Richtigkeit<br />

haben. Genauso sehen das wohl auch<br />

Medienunternehmen. Ein Phänomen ist<br />

die Weiterführung gut laufender Reihen, sei es in<br />

der Literatur, TV oder im Gaming. Übrigens ist das<br />

keine Erfindung der Neuzeit. Das sieht man an<br />

den endlosen Reihen von Asterix-Comics, Agatha<br />

Christies unzähligen Krimis über Miss Marple und<br />

Hercule Poirot. Oder an Doctor Who und seinen<br />

seit den 60er Jahren andauernden Abenteuern.<br />

Aber auch heute schrecken die Medien nicht<br />

zurück, eine Reihe so lange fortzuführen, wie sie<br />

beim Kunden gut ankommt. Großer Vorteil: Alle<br />

Titel können gemeinsam vermarktet werden, das<br />

spart Marketingkosten. Es hat sich fast schon zu<br />

einem Sport entwickelt, die Kuh so lange zu<br />

melken wie möglich. Anders gesagt: Dem Kon -<br />

sumenten wird auch noch das letzte Geld aus der<br />

Tasche gezogen.<br />

Verlage klopfen sich vermutlich auf die<br />

Schultern, da sie es schaffen, zum Beispiel die Kin -<br />

der und Jugendlichen weiter und weiter zum<br />

Lesen zu animieren. Dann wird aus einem gut<br />

laufenden Titel ganz schnell eine Massenproduktion<br />

von Titeln. Ganz oben in der Liste<br />

sind Reihen wie „Gregs Tagebuch“ und „Liliane<br />

Susewind“. Fernseh-Produzenten sind stolz auf<br />

ihre große Fan-Base und verdienen nebenbei eine<br />

beachtliche Summe mit Merchandise-Artikeln.<br />

Das beste Beispiel sind Serien wie „Supernatural“,<br />

hier sind es aktuell 13 Staffeln. Oder eben die<br />

Sci-Fi-Serie „Doctor Who“, bei der allein die<br />

moderne Neuproduktion elf Staffeln umfasst. Und<br />

bei Spiele-Entwicklern sieht es ähnlich aus. Hier<br />

wird nicht nur der jeweilige Folgetitel immer teu -<br />

rer, sondern es werden jede Menge Zusatzinhalte<br />

(DLC) im Spiel angeboten. Ein aktuelles Beispiel<br />

dafür ist Ubisoft. Mit seinem brandneuen Spiel<br />

„Assas sins Creed: Origins“ verdoppelte das fran -<br />

zösische Unternehmen seine Erstverkaufszahlen<br />

im Vergleich zum Vorgänger. Nebenher nimmt<br />

Ubi soft mit Zusatzinhalten mehr ein als mit dem<br />

Verkauf des Spiels.<br />

Damit ist aber noch lange nicht Schluss.<br />

Heutzutage werden die Medien crossmedial<br />

vermarktet. Das bedeutet, zum neuen Spiel<br />

kommt ein Buch heraus, zum Buch wird eine App<br />

auf den Markt gebracht, und so weiter. So entsteht<br />

ein Selbstläufer, wie es Harry Potter, der<br />

bekannteste Zauberer der Literatur, zeigt. Ein und<br />

derselbe Inhalt wird einfach wieder und wieder<br />

und wieder vermarktet. Sei es als illustrierte<br />

Ausgabe oder als Jubiläumsausgabe mit dem<br />

neuem Cover.<br />

Der neueste Clou von Warner Brothers,<br />

Inhaber der Vermarktungs- und Filmrechte, ist<br />

eine App aus eigenem Hause. Sie lässt den Spieler<br />

in die Zaubererwelt eintauchen. Die App selbst ist<br />

wird kostenlos angeboten, durch halbdurch -<br />

sichtige Mikrotransaktionen, wie zum Beispiel<br />

den Kauf von Energie, wird dem Spieler das Geld<br />

auf magische Weise entzogen.<br />

Das Schlimmste: Die Zielgruppe sind nicht<br />

Erwachsene, sondern Kinder und Jugendliche, die<br />

bereit sind, ihr ganzes Taschengeld dafür<br />

auszugeben. Wie war das noch mit der Zeit und<br />

dem Geld? „Zeit ist Geld.“ Geld, das von den<br />

Taschen der Käufer in die der Unternehmen fließt,<br />

während sie sich nur Zeit nehmen müssen.<br />

Eigentlich gar nicht so dumm, denn trotz allem<br />

sind sie alle Wirtschafts unternehmen, die am<br />

Ende des Tages Plus machen müssen. Wir Kunden<br />

beschweren uns bei jedem neu erschienenen Teil,<br />

dass es die bösen Medienkraken nur auf unsere<br />

Kohle abgesehen haben, kaufen dann jedoch<br />

fleißig weiter.<br />

Die große Frage dabei: Hat das noch etwas mit<br />

Qualität zu tun? Oder lassen wir uns gerne einfach<br />

immer wieder in dieselben Welten entführen, egal<br />

um welchen Preis? Persönlich darf ich mir da<br />

selbst an die eigene Nase fassen, wenn ich die<br />

endlos langen Buchreihen in meinem Regal so<br />

anschaue.<br />

Doch inzwischen merke ich, dass ich immer<br />

häufiger meine Augen verdrehe, wenn hinten auf<br />

dem Buchrücken mal wieder „Die grandiose<br />

Fortsetzung der Bestseller-Reihe“ steht. Vielleicht<br />

sollte jeder von uns sich dieses Dilemma bewusst<br />

machen und vermehrt zu Einzeltiteln greifen,<br />

statt immer mehr Fortsetzungen zu verlangen.<br />

Denn Veränderung fängt im Kleinen an.<br />

Fortsetzungen und lange Reihen werden trotzdem<br />

auch weiterhin große Erfolge feiern, aber geben<br />

wir auch den Einzeltiteln mal wieder eine Chance,<br />

groß raus zu kommen.<br />

Foto: Trendreport


8<br />

INSIGHTS<br />

mediakompakt<br />

Nach<br />

der Haft<br />

Henry-Oliver Jakobs aus<br />

Hamburg erzählt im Interview<br />

von seiner Vergangenheit als<br />

Mörder, aus seinem Leben in<br />

Gefangenschaft und warum er<br />

heute Jugendlichen hilft, nicht<br />

auf die schiefe Bahn zu geraten.<br />

VON LISA HARTEL<br />

Foto: Michael Rauhe


2/2018 INSIGHTS<br />

9<br />

mediakompakt: Herr Jakobs, sie saßen fast zwei<br />

Jahrzehnte in Haft. Warum?<br />

Jakobs: Mit 25 Jahren wurde ich wegen Mord,<br />

versuchtem Mord, Raub und Vertuschung einer<br />

Straftat zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe<br />

verurteilt. Mitte der Neunziger habe ich auf zwei<br />

Menschen geschossen, eines der Opfer verstarb.<br />

Ich saß elf Jahre im Hochsicherheitsbereich im<br />

berüchtigten Hamburger Gefängnis „Santa Fu“.<br />

Darauf folgte die Sozialtherapie, Untersuchungs -<br />

haft und drei Jahre im offenen Vollzug. Seit 2014<br />

bin ich auf Bewährung frei.<br />

mediakompakt: Das andere Opfer hat schwer ver -<br />

letzt überlebt. Sind sie sich nach der Tat jemals<br />

begegnet?<br />

Jakobs: Nein.<br />

mediakompakt: In welchem Verhältnis standen sie<br />

zu den Opfern?<br />

Jakobs: Ich kannte meine beiden Opfer seit Jahren,<br />

und dies geschäftlich wie auch ein wenig privat.<br />

mediakompakt: Wie würden sie ihr 25-jähriges Ich<br />

beschreiben?<br />

Jakobs: Ich komme aus einer Familie, die auf St.<br />

Pauli einige Geschäfte betrieb. Unsere Familie war<br />

sehr leistungsorientiert, die Geschäfte standen<br />

immer im Vordergrund. Wenn ich jetzt sage, ich<br />

war ein Straßenkind, hört sich das seltsam an. Ich<br />

hatte immer genug Essen und Kleidung. Was es<br />

nicht gab, war familiäre Wärme.<br />

Ich habe mit sieben Jahren angefangen, Dieb -<br />

stähle zu begehen. Heute kann ich sagen, dass ich<br />

das Strafgesetzbuch bis auf Sexual straftaten und<br />

Menschenhandel durchlaufen habe. Bis zu meiner<br />

Verurteilung habe ich leider nie negative Konse -<br />

quenzen für mein Handeln er fahren.<br />

mediakompakt: Geben sie ihrem Umfeld deshalb<br />

eine Mitschuld, weil sie nie erwischt oder gestoppt<br />

wurden?<br />

Jakobs: Nein. Auf gar keinen Fall. Die Schuld bei<br />

anderen zu suchen, halte ich für sehr fragwürdig.<br />

Ich wusste, es hat mich gereizt. Durch die Gewalt<br />

habe ich mein Selbstbewusstsein aufgebaut. Das<br />

war meine persönliche Entscheidung.<br />

mediakompakt: Wann sind sie zum ersten Mal mit<br />

Schusswaffen in Berührung gekommen?<br />

Jakobs: Mit 18, glaube ich.<br />

Jakobs: Sehr monoton. Man steht morgens auf, es<br />

gibt kein Wecken. Das ist ein Irrglaube, denn es ist<br />

nur eine Lebendkontrolle. Etwa fünfmal so viele<br />

Menschen wie draußen nehmen sich im Knast das<br />

Leben. Dann gibt es Frühstück. Das Essen allge -<br />

mein ist eine Katastrophe. Ein Insasse ist zudem<br />

verpflichtet, während der Haft zu arbeiten.<br />

mediakompakt: War es ihnen wichtig, sich weiter -<br />

zubilden?<br />

Jakobs: Ich habe eine Ausbildung als Maler und<br />

Lackierer gemacht und gehörte zu den elf besten<br />

in Hamburg. Nicht nur im Vergleich mit anderen<br />

Gefangenen, sondern in ganz Hamburg. Danach<br />

habe ich viele Jahre im Gefängnis gearbeitet. So<br />

habe ich versucht, den Kopf etwas anzustrengen.<br />

Anfangs war ich aber sehr aggressiv. Damals habe<br />

ich die Schuld für meine Haft bei anderen gesucht.<br />

mediakompakt: Wie darf ich mir ihre Zelle vor -<br />

stellen?<br />

Jakobs: Der Knast war nie mein Zuhause. Ich wur -<br />

de gegen meinen Willen festgehalten. Aber natür -<br />

lich habe ich versucht, mich wohnlicher einzu -<br />

richten. Ich hatte Gardinen vor dem Fenster,<br />

damit man die Gitter nicht sieht, eigene Bett -<br />

wäsche und einen Fernseher. Alles, was ich mir<br />

durch meinen geringen Verdienst eben leisten<br />

konnte.<br />

mediakompakt: Und persönliche Dinge wie Fotos?<br />

Hingen welche an den Wänden?<br />

Jakobs: In den ersten Jahren ja. Damals war ich<br />

noch verheiratet. Ich habe zwar über all die Jahre<br />

immer Besuch bekommen, aber irgendwann<br />

nahm ich die Fotos ab.<br />

mediakompakt: Gibt es Freundschaften im Ge -<br />

fängnis?<br />

Jakobs: Zum Ende der Haft ja. Aber generell eher<br />

nicht.<br />

mediakompakt: Was war das schlimmste Erlebnis<br />

hinter Gittern?<br />

Jakobs: Während der Haft sind einige Angehörige<br />

verstorben, mein Großvater und mein Vater zum<br />

Beispiel. Vom Tod meines Großvaters habe ich<br />

abends aus dem Fernseher erfahren. Das hat mich<br />

sehr schockiert. Und als mein Vater starb, war es<br />

ähnlich. Die Wärter haben nichts von seinem Tod<br />

erzählt. Sie wussten nicht, wie ich reagiere.<br />

und durch meine langjährige ehrenamtliche Tä -<br />

tigkeit einen neuen Bekanntenkreis aufgebaut.<br />

Dazu gehören heute Polizisten oder auch Sozial -<br />

pädagogen.<br />

mediakompakt: Haben sie noch engeren Kontakt zu<br />

Ihrer Familie?<br />

Jakobs: Sporadisch. Ich führe mein eigenes Leben.<br />

mediakompakt: Ist es schwer, im Gefängnis Gefühle<br />

zuzulassen?<br />

Jakobs: Ein komplexes Thema. Bei mir gab es<br />

dieses Gefühl der emotionalen Abgestorbenheit<br />

nicht erst in der Haft, sondern auch zuvor. Damit<br />

kämpfe ich bis heute.<br />

mediakompakt: Heute helfen sie Jugendlichen,<br />

nicht auf die schiefe Bahn zu geraten. Was moti -<br />

viert sie dazu?<br />

Jakobs: Meine Arbeit ist für mich inzwischen zur<br />

Berufung geworden. Ich mag den Ausdruck Wie -<br />

der gutmachung nicht. Aber ich möchte mich der<br />

Aufklärung widmen. Jugendliche sehen oft das<br />

schnelle Geld, aber langfristig gesehen ist Krimi -<br />

nalität ein Minus geschäft. Es kann nicht funk -<br />

tionieren, endet im günstigsten Fall mit dem<br />

Knast, bei vielen mit dem Tod. Das bewegt die<br />

Jugendlichen. Ich versuche zu erklären, wen man<br />

bei einer Straftat alles zum Opfer macht. Auch die<br />

eigene Familie. Und dass Kriminalität sehr einsam<br />

macht.<br />

mediakompakt: Sind es bereits straffällig gewordene<br />

Jugendliche? Oder arbeiten sie präventiv?<br />

Jakobs: Beides. Im Projekt „Sozialförderndes<br />

Boxen“ arbeiten wir mit tendenziell gefährdeten<br />

Jugendlichen. Im Präventionsunterricht sprechen<br />

wir aber alle Jugendlichen an, weil es wichtig ist,<br />

im jungen Alter aufzuklären.<br />

mediakompakt: Was ist das wichtigste das sie den<br />

Jugendlichen mit auf den Weg geben?<br />

Jakobs: Kriminalität lohnt sich nie. Es zerstört<br />

alles.<br />

mediakompakt: Was wünschen sie sich für ihre Zu -<br />

kunft?<br />

Jakobs: Dass das, was ich jetzt mache, so weiter -<br />

gehen kann. Das ist nicht so einfach, weil der Staat<br />

sich raushält. Wir sind ein gemein nütziger Verein,<br />

der nur über Spenden getragen wird.<br />

mediakompakt: War ihnen beim Schusswechsel<br />

klar, dass sie ihr Opfer töten werden?<br />

Jakobs: Ja. Gewalt ist eine Spirale. Ich habe mit 13<br />

oder 14 Jahren angefangen, körperliche Gewalt<br />

ohne Waffen auszuüben, mit 15 dann mit Mes -<br />

sern und das hat einfach immer zuge nom men.<br />

Machen sie Sport?<br />

mediakompakt: Es könnte mehr sein, aber ja.<br />

Jakobs: Ich vergleiche Gewalt immer mit Sport.<br />

Man fängt klein an und steigert sich immer mehr.<br />

Und irgendwann verliert man das Em pa thie -<br />

vermögen und das Schmerzgefühl.<br />

mediakompakt: Wenn Sie zurückblicken, wie sah<br />

ihr Alltag im Gefängnis aus?<br />

mediakompakt: Hatten sie Angst vor der Freiheit?<br />

Jakobs: Nein. Ich lebe sehr strukturiert und ver -<br />

gleiche das immer mit Hardware und Software.<br />

Erstmal wollte ich mich um die Hardware, also<br />

eine Wohnung und Arbeit kümmern. Später<br />

kamen emotionalere Dinge hinzu. Wie etwa eine<br />

neue Partnerin zu finden.<br />

mediakompakt: Beschreiben sie mir den Tag der<br />

Entlassung? Ist das eine romantische Vorstellung,<br />

dass draußen Menschen auf einen warten?<br />

Jakobs: Meistens ist man da sehr einsam. Auch<br />

deshalb liegt die Rückfallquote bei Erwachsenen<br />

sehr hoch. Das liegt an vielen Faktoren, man<br />

findet schwer einen Arbeitsplatz, eine Wohnung<br />

oder neue Freunde. Ich habe Hamburg verlassen<br />

mediakompakt: Beschreiben sie sich in wenigen<br />

Worten.<br />

Jakobs: Verantwortungsvoll. Ehrlich. Die Welt, in<br />

der ich mich bewege, möchte ich etwas besser<br />

machen. Aber das Wort Gutmensch passt nicht zu<br />

mir.<br />

mediakompakt: Was ist das Beste, was ihnen je pas -<br />

siert ist?<br />

Jakobs: Meine Freundin. Und dass ich diese Arbeit<br />

habe. Die Jugendlichen sind für mich wie meine<br />

Spiegelbilder von damals. Sie profitieren von mir.<br />

Und ich lerne von ihnen.<br />

mediakompakt: Vielen Dank für Ihre Zeit und das<br />

offene Gespräch.


10<br />

INSIGHTS<br />

mediakompakt<br />

Weniger arbeiten, mehr erleben!<br />

Was kommt als NEXT: Studium abschließen! Job finden? Oft ist das der<br />

Einstieg ins Hamsterrad – gefangen in einem Nine-to-five-Arbeitsalltag.<br />

Du willst die Tage bis zur Rente nicht zählen müssen und dein Leben<br />

erleben? Dann helfen diese Buchtipps, um auszubrechen!<br />

VON LENA-MARIE ARMBRUSTER UND ROSA ABU DABASH<br />

DEFINIEREN, ELIMINIEREN,<br />

TANGO TANZEN!<br />

Eines der bekanntesten Bücher, wenn es um das Thema „Ausbrechen aus dem Alltag“ geht, ist der<br />

Spiegel-Bestseller „Die 4-Stunden-Woche“von Timothy Ferris. Neben seinen vielseitigen Hobbys,<br />

wie zum Beispiel Tango tanzen, Schauspielen in China oder Hongkong, Motorradrennen fahren,<br />

Fremdsprachen erlernen oder einfach nur die Welt bereisen, schafft es der Neue Reiche (wie er die<br />

Zielgruppe und sich selbst bezeichnet) sein eigenes Unternehmen mit nur vierArbeitsstunden in<br />

der Woche erfolgreich zu managen. Wie das gehen soll? Angefangen mit seiner eigenen<br />

persönlichen Geschichte, führt Ferris den Leser Schritt für Schritt durch seine Anleitung zum<br />

einem besseren Leben. Mit Hilfe von vier Schritten, die er Definition, Eliminieren, Automation<br />

und Liberation nennt, soll jeder Mensch in der Lage sein, sein Einkommen um hundert Prozent zu<br />

steigern, seine Arbeitszeit zu halbieren oder zumindest seine Urlaubszeit zu verdoppeln. Der Leser<br />

erfährt dabei nicht nur Ferris per sönlichen Weg dahin, sondern gewinnt<br />

Einblicke über andere Menschen, die tatsächlich einen Ausweg aus ihrem<br />

persönlichen Hamsterrad gefunden haben. Mit viel Humor und gnadenloser<br />

Ehrlichkeit hält uns der Autor den eigenen Spiegel vor die Nase und<br />

konfrontiert uns mit unseren schlimmsten Schweinehunden. Auch wenn es<br />

nicht für jeden möglich ist, die Schritte eins zu eins umzusetzen, bieten die<br />

vielen Tipps und Tricks eine gute Grundlage, um gewisse Situationen in<br />

seinem Leben zu überdenken und vielleicht sogar neu anzupacken.<br />

Timothy Ferris. Die 4-Stunden-Woche. Ullstein Verlag. 352 Seiten. 11,00 EUR<br />

Mit Genehmigung der Ullstein Buchverlage<br />

Foto: Unsplash


2/2018 INSIGHTS<br />

11<br />

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dazu? Neben praktischen wie auch bürokratischen Hürden, Versicherungen und Steuern, erklärt<br />

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geachtet werden muss. Dabei hilft er Unsicherheiten über Bord zu werfen<br />

und gibt Tipps zum richtigen Nischenprodukt. Kapitel für Kapitel<br />

beantwortet nicht nur er selbst, sondern auch andere digitale Nomaden,<br />

Fragen, wie die eigene Berufung gefunden wird und wie man die eigenen<br />

Leidenschaft zu einem Job macht. Anhand seiner eigenen Geschichte<br />

eines digitalen Nomaden, möchte er seinen Lesern verdeutlichen, dass<br />

jeder den Weg zum ortsunabhängigen Arbeiten einschlagen und<br />

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Sebastian Kühn. Das Handbuch für digitale Nomaden: Selbstbestimmt leben –<br />

ortsunabhängig arbeiten. Redline Verlag. 320 Seiten. 19,99 EUR<br />

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mit den inneren Konflikten, helfen dem Leser zu neuen Denkanstößen und Ideen. Besonders<br />

schön zu lesen ist das Kapitel von Mischa Miltenberger über die eigenen<br />

Ängste, und wie du diese in Griff bekommst. Abgesehen von seiner<br />

eigenen Geschichte, widmet der Unternehmer, Blogger und Autor Tim<br />

Chimoy 16 weiteren Querdenkern ein ganzes Kapitel in seinem Buch.<br />

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die gekauften Dinge, gehen wieder arbeiten. Und wofür? Gehalt? Rente? Arbeits losen -<br />

sicherung?Für Tim Chimoy ist die soziale Absicherung allerdings kein Argument mehr, denn es sei<br />

viel wichtiger, Freiheit zu genießen und Erlebnisse sollten eine höhere Priorität als Besitz haben.<br />

Chimoy begleitet den Leser durch das Buch und konfrontiertihn mit<br />

Fragen. Dadurch soll der Leser zum Nachdenken animiert werden und für<br />

sich selbst erörtern, wo er sich selbst in der Zukunft sieht. Dabei steht im<br />

klaren Fokus: Ein Job ist nicht nur dafür da, um Geld zu verdienen. Es geht<br />

vielmehr darum, Leidenschaft und Spaß miteinander zu verknüpfen, denn<br />

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12<br />

INSIGHTS<br />

mediakompakt<br />

Foto: Pixabay<br />

Völlig ausgebrannt<br />

Ständiger Termindruck, immer mehr Überstunden, zu wenig Sicherheit. Die Zahl der<br />

Menschen in Deutschland, die wegen psychischer Probleme in Frührente gehen,<br />

hat sich in den vergangen 20 Jahren verdreifacht. Einer der Gründe dafür: Burnout.<br />

VON ANJA GEHRING<br />

Burnout ist ein bisschen so wie<br />

Radioaktivität – man sieht es nicht,<br />

man riecht es nicht, man schmeckt es<br />

nicht. Und wenn man es fühlt, ist es<br />

meistens zu spät“, sagt Holger Kracke<br />

(48). Kracke beschäftigt sich seit acht Jahren mit<br />

der Krankheit, ist seit kurzem Bundesvorsitzender<br />

des Vereins für Burnout-Prävention und Pro -<br />

phylaxe. Der Verein ist der Überzeugung, dass<br />

viele Fälle mit der richtigen Vorbeugung<br />

verhindert werden könnten. „Als ich mich mehr<br />

mit dem Thema Burnout beschäftigt habe, fiel mir<br />

auf, wie wenig wir darüber wissen. Wie selten wir<br />

zuordnen können, warum es uns so geht, wie es<br />

uns geht.“<br />

Dieses Nicht-Zuordnen-Können hat bei Jürgen<br />

Schiller* am 1. Februar vor vier Jahren zum<br />

Zusammenbruch geführt. Heute weiß er, dass er<br />

zu vor fast sechs Monate lang an Burn out-<br />

Symptomen wie Angstzuständen und Schwindel -<br />

anfällen gelitten hat, bevor er nach einer Panik -<br />

attacke ins Krankenhaus kam.<br />

„Ich habe die Symptome falsch gedeutet,<br />

dachte, das geht wieder vorbei. An psychische<br />

Probleme habe ich nicht gedacht.“ Der heute<br />

52-Jährige kommt mit Verdacht auf Herzinfarkt<br />

ins Krankenhaus. Dort heißt es, er sei völlig ge -<br />

sund. Doch sein Hausarzt stellt einen Tag nach<br />

dem Zusammenbruch die Diagnose Burnout. „Im<br />

ersten halben Jahr danach erlitt ich täglich zwei<br />

bis drei Panikattacken. Es bildet sich eine Angst<br />

vor der Angst. Wenn man alleine oder in un -<br />

gewohnter Umgebung ist, reichen kleinste An -<br />

zeichen, wie leichte Atemprobleme, um eine<br />

Attacke auszulösen.“<br />

Die Bundesanstalt für Ar beits schutz und<br />

Arbeitsmedizin definiert Stress so: „Ein als<br />

unangenehm empfundener Zustand, der von der<br />

Person als bedrohlich, kritisch, wichtig und<br />

unausweichlich empfunden wird. Er entsteht<br />

besonders dann, wenn die Person einschätzt, dass<br />

sie ihre Aufgaben nicht bewältigen kann“.<br />

Eine Definition von Burnout könne laut<br />

Holger Kracke ganz ähnlich aussehen: „Alle<br />

Menschen, die an Burnout leiden, werden im<br />

Laufe der Krankheit im Grunde genommen diese<br />

zwei Sätze sagen: ,Ich kann nicht‘ und ,Ich schaffe<br />

es nicht‘.“<br />

Vor seiner Krankheit arbeitete Jürgen Schiller<br />

täglich zwischen zehn und zwölf Stunden als Ab -<br />

teilungsleiter in einer Bank, war im Gemeinderat,<br />

Vorstandsmitglied und Finanzwart eines Fuß -<br />

ballvereins. „Heute weiß ich, dass ich notorisch<br />

überlastet war, selbst kleine Erholungspausen<br />

fehlten.“ Der Stress führte zu einer ständigen<br />

Cortisol-Ausschüttung, also der Produktion eines<br />

Stress-Hormons, das zur Energiegewinnung bei -<br />

trägt. Der Körper kam nicht zur Ruhe. Nach der<br />

FAKTEN<br />

Diagnose begann sofort die Behandlung. Durch<br />

Gespräche mit Psychologen lernt Jürgen Schiller,<br />

wie wichtig es ist, auf seinen Körper zu achten und<br />

sich Ruhepausen zu gönnen. Zwischenzeitlich<br />

arbeitet er wieder. Statt zwölf Stunden am Tag aber<br />

nur noch acht, und auch nicht mehr als Ab -<br />

teilungsleiter. Seine Arbeit im Gemeinderat hat er<br />

aufgegeben, er achtet auf seine Grenzen. „Ich<br />

kann die Zeichen meines Körpers, wie Schwindel,<br />

jetzt schnell deuten und darauf reagieren“, sagt er.<br />

Wie kann man Burnout vorbeugen? Holger<br />

Krackes prägnante Antwort darauf: Mit Genuss -<br />

momenten. Auch Jürgen Schiller gibt solchen<br />

Genussmomenten mittlerweile einen Platz in<br />

seinem Leben. Er und seine Frau haben zuhause<br />

eine Sauna gebaut, er fährt Rad, macht Ent -<br />

spannungsübungen. Und er macht auch einfach<br />

mal nichts. Heute fühlt sich der Fußball-Fan<br />

wieder gesund. Aber er weiß, dass er weiter auf sich<br />

achten muss: „Ich habe zwei Jahre gebraucht, bis<br />

ich wiederhergestellt war. Mein Körper war lahm -<br />

gelegt.“<br />

*Name geändert<br />

Jeder Zweite in Deutschland sieht bei sich selbst ein Burnout-Risiko, 23 Prozent beobachten<br />

an sich wiederauftretende Symptome. Diese können sein: Anhaltende Müdigkeit,<br />

Schlafstörungen und Erschöpfung, nachlassende Leistungsfähigkeit, Rückzug. Bei<br />

Erkennung dieser Symptome ist ein Arztbesuch unbedingt notwendig. Burnout ist eine<br />

psychische Krankheit, die professionelle Hilfe erfordert. Unter www.hilfe-bei-burnout.<br />

de sind Therapeuten aus ganz Deutschland aufgelistet.


2/2018 INSIGHTS<br />

13<br />

Der Nächste,<br />

bitte!<br />

Foto: Pixabay<br />

„Wie geht es Ihnen damit? Wie fühlen Sie sich dabei?“ Typische Fragen, die man<br />

im Kopf hat, wenn man an Psychotherapie denkt. Im Schnitt hat ein Therapeut<br />

30 Patienten pro Woche. Wie fühlt sich eigentlich der Therapeut während der<br />

Sitzungen und wie empfindet er den Patientenwechsel?<br />

VON CAROLINE KOMYNARSKI<br />

Stellen wir uns folgende Situation vor: Ein<br />

Wartezimmer voll mit Menschen, die auf<br />

ihre Behandlung warten. Ein Name wird<br />

aufgerufen, endlich ist man dran. Doch<br />

was passiert eigentlich während der<br />

Wartezeit im Behandlungsraum? Wie empfindet<br />

der Behandelnde den immer wiederkehrenden<br />

Wechsel von einem zum anderen Patienten?<br />

Wie gehen Psychotherapeuten mit dem Kom -<br />

men und Gehen ihrer Patienten um. Gerade sie<br />

müssen mit traumatischen Erlebnissen oder psy -<br />

chi schen Erkrankungen umgehen und dennoch<br />

eine professionelle Distanz wahren können. Ein<br />

ständiger Patientenwechsel kann hilfreich sein, so<br />

wird der Fokus immer wieder auf den sich im<br />

Raum befindlichen Patienten gelegt.<br />

Therapeuten sind auch nur Menschen<br />

„Bei besonders schlimmen Geschichten<br />

kommt es vor, dass ich dies in die Sitzung des<br />

nächs ten Patienten mitnehme und mich stärker<br />

auf den aktuellen Patienten konzentrieren muss“,<br />

sagt Janina, Psychotherapeutin in Ausbildung.<br />

Mit neuen Patienten beschäftigt sie sich innerlich<br />

länger. „Während der ersten Sitzungen schwingt<br />

Unsicherheit mit. Dabei stelle ich mir die Frage,<br />

wie ich helfen kann und wo Parallelen zu anderen<br />

Patienten oder gar zum meinem Leben zu finden<br />

sind“, sagt sie. Fänden sich Gemeinsamkeiten zu<br />

ihrem Leben, fällt es schwerer sachlich zu bleiben,<br />

sie denke dann viel über den Fall nach. Manchen<br />

Therapeuten kommt der Patientenwechsel ge -<br />

legen. Zum einen hilft der Anschlusstermin dem<br />

Therapeuten einen Schnitt zu machen und sich<br />

abgrenzen zu können, zum anderen ist es<br />

manchmal notwendig Patienten zu begrenzen. Zu<br />

viel Aufarbeitung an einem Termin ist nicht<br />

sinnvoll.<br />

Der Weg der psychisch erkrankten Person wird<br />

vom Therapeuten intensiv begleitet. Patienten<br />

gewähren nirgendwo einem anderen Menschen<br />

so intime Einblicke in die Gefühlswelt. Dabei<br />

entsteht eine besondere Bindung und Nähe – auch<br />

für den Therapeuten. Janina hat ein ehrliches<br />

Interesse daran, dass der Patient gesund wird.<br />

Jedoch muss sie zugleich die Distanz wahren.<br />

Manche Patienten wird sie nie vergessen und<br />

immer im Gedächtnis behalten. Wegen einer<br />

besonderen Bindung, einer spannenden Biografie<br />

oder einer interessanten Ausprägung einer<br />

Störung. Beeindruckt ist Janina von Patienten,<br />

denen man anmerkt, dass sie an sich arbeiten, von<br />

de nen, die es schaffen, ihre Erkrankung zu<br />

überwin den oder reflektiert mit ihr zu leben. Der<br />

Erfolg eines Patienten hinterlässt bei ihr den<br />

größten Eindruck. Zeitgleich macht es sie<br />

glücklich zu wissen, dass sie helfen konnte.<br />

Dennoch fällt auch ihr nach einer erfolgreichen<br />

Therapie der Ab schied gelegentlich schwer. „Nach<br />

der Therapie hoffe ich immer, dass meine<br />

Patienten ihren Weg durchs Leben alleine<br />

meistern.“<br />

Zwei Ratschläge für den weiteren Lebensweg<br />

Am Ende der Therapie gibt Janina ihren<br />

Patienten stets diesen Ratschlag mit auf dem Weg:<br />

„Seien Sie achtsam mit sich”. Achtsamkeit spielt<br />

eine große Rolle. So können laut der Therapeutin<br />

Frühwarnzeichen und kleine Veränderungen<br />

schnel ler erkannt werden. Der Patient spüre eher,<br />

wenn es wieder in die falsche Richtung geht, es<br />

könne rechtzeitig gegengesteuert werden.<br />

„Erinnern Sie sich an die positive Psychologie,<br />

die ich mit Ihnen erarbeitet habe”, so der zweite<br />

Ratschlag. Wichtig ist, dass der Patient sich einen<br />

positiven Ausgleich im Alltag schafft. Doch ihre<br />

Arbeit endet nie, denn im Wartezimmer ne benan<br />

benötigt schon der nächste Patient ihre Hilfe.


14<br />

FUTURE<br />

mediakompakt<br />

Nächstes Zuhause:<br />

Weltraum<br />

Foto: Pixabay<br />

Asteroiden, die haarscharf an<br />

der Erde vorbei rasen,<br />

Atomwaffen, oder eine<br />

mögliche neue Eiszeit – nur<br />

drei mög liche Bedrohungen<br />

für die Erde. Doch was ist der<br />

Plan B? Ein Ansatz ist<br />

Terraforming.<br />

VON MARINA MACK<br />

Entweder wir verlassen die Erde oder wir<br />

werden sterben.“ Das sagt der US-<br />

Physiker Michio Kaku. Stellt sich die<br />

Frage, was unser neues Zuhause sein<br />

wird. Die Erde ist der einzige Planet im<br />

Sonnensystem, auf dem Menschen leben können.<br />

Andere Planeten sind zu kalt oder zu heiß und<br />

haben keine geeignete Atmosphäre. Mit dem<br />

sogenannten „Terraforming“ könnte man einen<br />

für uns lebensfeindlichen Planeten bewohnbar<br />

machen. Dazu müssten Temperatur, Atmosphäre<br />

und Oberfläche umgestaltet und erdähnlich<br />

gemacht werden.<br />

Wenn man sich vorstellt, wie zum Beispiel der<br />

Mars langsam zur Erde wird und wir dorthin<br />

umziehen, fühlt man sich wie in einem Science-<br />

Fiction- Film. Tatsächlich entwickelte sich das<br />

Konzept des Terraformings aus Zukunftsroman<br />

und der Wissenschaft. Der Autor Jack Williamson<br />

prägte 1942 diesen Begriff als Erster in einem<br />

Science-Fiction Roman.<br />

Auf der Erde betreiben wir, seit es die Land -<br />

wirtschaft gibt, Terraforming. Beispielsweise, in -<br />

dem wir den Regenwald abholzen oder Flächen<br />

bewässern. Auch wenn uns die Veränderungen an<br />

der Erdoberfläche und die Klimaerwärmung in<br />

den vergangenen 5000 Jahren enorm erscheinen,<br />

wurde kein drastisches Terraforming betrieben.<br />

Außerdem können wir nicht mal mit Sicherheit<br />

sagen, ob die Veränderungen des Klimas und der<br />

Atmosphäre durch menschliches Handeln oder<br />

natürliche Ursachen wie Sonnenwinde zurück -<br />

zuführen sind.<br />

Einen anderen Planeten dagegen so zu<br />

verändern, dass wir darauf wie auf der Erde leben<br />

können, ist die Vision von Befürwortern des<br />

Terra formings. Als mögliche Kandidaten gelten<br />

Mars, Venus, Mond und Merkur, wobei der Mars<br />

der absolute Top-Kandidat ist. Dies liegt auch<br />

daran, dass er der Erde in vielen Dingen ähnelt.<br />

Die Tages länge und Achsenneigung kommen<br />

denen der Erde sehr nah. Die Masse der<br />

Marsatmosphäre ist gering im Gegensatz zur<br />

Venus mit einer 10.000- mal größeren Masse. Die<br />

Mondatmosphä re hat sogar eine Masse von nur<br />

13 Tonnen, also ein Vakuum. Beim Mond -<br />

terraforming müsste die Atmosphäre somit neu<br />

erschaffen werden, da eine Umwandlung kaum<br />

möglich wäre. Das und die geringe Schwerkraft<br />

machen den Mond zu einem ungeeigneten Kan -<br />

didaten für Terraforming.<br />

Mit der Schwerkraft auf dem Mars könnten wir<br />

ganz gut leben. Die Temperatur ist ein weiterer<br />

wichtiger Faktor. Die Durchschnittstemperatur


2/2018 FUTURE<br />

15<br />

auf dem Roten Planeten erscheint uns mit minus<br />

56 Grad Celsius eiskalt. Es wäre aber machbar, die<br />

Temperatur um 50 bis 60 Grad zu erhöhen. Venus<br />

und Merkur dagegen sind von den Temperaturen<br />

eher problematisch.<br />

Für die Venus wurde als erster Planet ein<br />

Terraformingkonzept entwickelt. Als der Planeto -<br />

loge Carl Sagan im Jahre 1961 seinen Plan<br />

vorstellte, ging er von einer Venus aus, auf der<br />

eine Temperatur von 60 Grad herrschen. Später<br />

stellte sich heraus: Die Venus ist höllisch heiß mit<br />

einer Temperatur von 465 Grad. Dennoch halten<br />

Fans von Carl Sagan am Terra forming dieses<br />

Planeten fest. Ebenso ungeeignet ist der Merkur<br />

mit seinen drastisch schwankenden Tempera -<br />

turen zwischen minus 180 Grad und plus 430<br />

Grad. Was außerdem für den Mars als perfekten<br />

Kandidaten spricht, ist, dass gefrorenes Wasser<br />

und Kohlendioxid vorhanden ist – perfekt für den<br />

Aufbau einer Atmosphäre. Weitere zu berück -<br />

sichtigende Faktoren sind ein Magnetfeld, die<br />

Solareinstrahlung, der Luftdruck und die Be -<br />

schaffenheit der Oberfläche. Wenn man den Mars<br />

also in eine zweite Erde verwandeln möchte, muss<br />

eine irdische Atmosphäre mit dem richtigen<br />

Druck erschaffen werden. Zusätzlich gilt es, einen<br />

Wasserkreislauf mit Meeren, Seen und Flüssen,<br />

Regen und Grundwasser zu erschaffen. Wir<br />

brauchen zudem eine schützende Ozonschicht,<br />

der Mars müsste deutlich wärmer werden.<br />

Zur Umsetzung gibt es viele zum Teil auch<br />

nicht umsetzbare Konzepte. Eine Möglichkeit<br />

wäre, mit genetisch manipulierten Mikroorga -<br />

nismen Algenteppiche und Moose auf dem Mars<br />

wachsen zu lassen, die mit ihrem Stoffwechsel das<br />

Klima verändern. Man könnte den Planeten mit<br />

Asteroiden aus dem All bombardieren und<br />

dadurch das Eis schmelzen und die Temperatur<br />

erhöhen. Weitere Ideen sind, die Pole mit dem<br />

Kohlendioxideis zum Schmelzen zu bringen,<br />

mithilfe von Treibhausgasen die Atmosphäre zu<br />

verändern oder riesige Spiegel in der Umlaufbahn<br />

zu platzieren, um die<br />

Oberfläche damit auf -<br />

zuheizen.<br />

Egal, welcher Plan<br />

betrachtet wird, dazu<br />

müssen Unmengen an<br />

Equipment und außer -<br />

dem tausende Arbeits -<br />

kräfte auf den Mars<br />

trans portiert werden. „Wir betreiben Trans port<br />

ins All mit völlig ungeeigneten, weil viel zu teuren<br />

Methoden“, sagt der Geologe Michael Boden von<br />

der Deutschen Raumfahrtgesellschaft. Man<br />

bedenke auch die Auswirkung auf die Umwelt<br />

durch unzählige Raketenstarts. Wenn wir Raketen<br />

mit Hilfe elektromagnetischer Be schleunigung in<br />

Richtung Mars schicken könnten, wäre das<br />

möglich. Zudem gibt Michael Boden dies zu<br />

bedenken: „Es sind riesige Materialflüsse und<br />

Ener gie ströme in Gang zu setzen, was nicht<br />

Milliarden, sondern Billionen Dollar und einige<br />

Jahrhunderte an Zeit kosten würde.“ Und wie<br />

lange bleibt so eine neue Atmosphäre denn<br />

überhaupt stabil? Zuletzt sollte aus ethischer Sicht<br />

überlegt werden: Was ist, wenn auf dem Mars<br />

bereits Leben existiert?<br />

Was ist,<br />

wenn auf dem Mars<br />

Leben existiert?<br />

Es sind jedoch sinnvolle Alternativen zum<br />

Terraforming vorstellbar. Eine davon ist das<br />

sogenannte „World House Concept“: ein zwei bis<br />

drei Kilometer hohes, erweiterbares Konstrukt auf<br />

dem Mars, das luftdicht ist und ein licht -<br />

durchlässiges Dach besitzt. Der finanzielle und<br />

technische Aufwand wäre im Gegensatz zum<br />

Terraforming deutlich geringer. Noch sinnvoller<br />

könnten gigantische,<br />

rotierende Zylinder im<br />

All sein. Es wäre mög -<br />

lich, dass dort Hun -<br />

dert tausende Men -<br />

schen ein neues<br />

Zu hause finden. Sie<br />

hätten im Weltall ihr<br />

eigenes Wetter, eine<br />

eigene Landwirtschaft, Natur und einen nor -<br />

malen Tagesrhythmus. Durch die Rotation<br />

entstünde sogar das Gefühl der Schwerkraft. Auch<br />

hier könnte man im Laufe der Zeit anbauen. „Das<br />

ist besser als jedes Terraforming“, sagt Michael<br />

Boden. Doch sollten wir tatsächlich die Erde<br />

verlassen und uns eine neue Heimat auf bauen?<br />

Enthusiasten wie der Tesla-Chef Elon Musk und<br />

der Amazon-Eigner Chef Jeff Bezos (beide<br />

Multimilliardäre) träumen davon, fast alle<br />

Menschen ins All zu holen und die Erde in eine<br />

Parklandschaft zu verwandeln. Davon hält<br />

Michael Boden nichts. Er sagt: „Die Erde muss auf<br />

gar keinen Fall abgeschrieben werden. Sicher wäre<br />

es für die Ökosphäre besser, es gäbe nur zwei bis<br />

drei Milliarden Menschen, aber auch mit den<br />

sieben Milliarden kommen wir schon klar.“<br />

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16<br />

FUTURE<br />

mediakompakt<br />

Was macht mobil?<br />

Foto: Pixabay


2/2018 LIFESTYLE<br />

17<br />

Mobilität ist für den<br />

modernen Menschen ein<br />

sehr wichtiges Thema.<br />

Aber wie bewegen wir uns<br />

in Zukunft von A nach B?<br />

Ein Blick in die Glaskugel?<br />

VON FABIAN ÖHRLE<br />

Die Automobilindustrie steckt momen -<br />

tan in einer tiefen Krise, der Diesel -<br />

skandal warf ein schlechtes Licht auf<br />

einen Großteil der konventionellen<br />

Hersteller und ließ diese weltweit an<br />

Vertrauen einbüßen. Umso lauter werden nun die<br />

Stimmen, die einen Umschwung in der Mobilität<br />

fordern.<br />

Vor allem in großen Städten gibt es immer<br />

mehr alternative Verkehrskonzepte wie bei -<br />

spielsweise Car2Go, das es nun in mittlerweile 26<br />

Innenstädten gibt und von über drei Millionen<br />

Usern genutzt wird. Das Prinzip ist ganz einfach:<br />

Per App loggt sich der Nutzer in die eigene Car -<br />

2Go-Karte ein und sieht, wo Fahrzeuge stehen und<br />

ob ein Fahrzeug frei ist. Dieses kann er nun durch<br />

einen Touch reservieren und anschließend per<br />

App aufschließen und losfahren.<br />

Für viele Leute in den Städten ist dies eine<br />

willkommene Alternative zum eigenen Auto, aber<br />

auch zu Taxi, Bus und Straßenbahn, da aufgrund<br />

der mangelnden Parkplätze und extrem teurer<br />

Park häuser das Autofahren keinen Spaß mehr<br />

macht und eher als lästiges Übel empfunden wird.<br />

In den nächsten Jahren wird es hier zu einer<br />

Differenzierung kommen, das sagen uns die<br />

Experten. Wobei das Auto sicher lich als be -<br />

liebtestes Beförderungsmittel weiterhin erhalten<br />

bleiben wird. Die Veränderungen werden jedoch<br />

in der Art der Automobile, ihrer Be schaffenheit<br />

sowie deren Nutzung weiter zu nehmen. Vor allem<br />

in den Städten gibt es im Bereich der Elektro -<br />

mobilität noch riesige Ent wick lungspotentiale,<br />

zudem werden die Sha ring-Angebote weiterhin<br />

zunehmen.<br />

Der größte Unterschied zur heutigen Fort -<br />

bewegungskultur besteht hierbei laut Dr. Ulrich<br />

Schiefer, Geschäftsführer des Klein serien -<br />

herstellers At track, vor allem in der multi modalen<br />

Nutzung von Fahrzeugen, das heißt, dass es in den<br />

urbanen Zen tren nicht mehr nötig ist, unbedingt<br />

ein ei genes Kfz zu besitzen oder mit einem<br />

eigenen Wagen zu fahren, um mobil zu sein. Die<br />

Zukunfts vision ist demnach, dass sich die<br />

verschiedenen Mobilitätskonzepte mit unter -<br />

schiedlichen Fort bewegungsmitteln ergän zen. So<br />

soll es möglich werden, dass man mit dem Flug -<br />

zeug am Flughafen ankommt, von dort aus weiter<br />

mit einem Car sharing-Anbieter in die In nen stadt<br />

fährt und sich dann mit einem gemieteten E-Bike<br />

oder E-Scooter auf den letzten Teil des Weges<br />

macht.<br />

Dabei fällt jedoch auf, dass die angebotenen<br />

Sha ring-Konzepte in den urbanen Zentren vor<br />

allem auf die elektrisch angetriebenen Fahr zeug -<br />

ver sionen setzen, da hier keine großen Distanzen<br />

zurückgelegt werden müssen.<br />

Auch die Anzahl der privat genutzten<br />

Elektro-Autos wird in den nächsten Jahren zu -<br />

nehmen, da Pendler sel ten mehr als 100 km<br />

zurücklegen müssen und hier für die heutige Tech -<br />

nik der elektronisch angetriebenen Fahrzeuge<br />

schon längst ausreicht. Weiterhin bietet die<br />

Anschaffung eines Elektro autos viele Vorteile ge -<br />

genüber einem konven tionell angetriebenen Kfz,<br />

so gibt es beispielsweise in vielen Innenstädten<br />

zentrumsnahe Parkplätze, die kostenlos und nur<br />

für Elektroautos aus ge wie sen sind.<br />

Vor allem kleine Fahrzeuge werden hier<br />

gefragt sein, da die Parkplatz-Situation in den<br />

meisten großen Städten in aller Regel mangelhaft<br />

ist und deshalb die großen Automobile, die zurzeit<br />

so gern gekauft werden, wenig Sinn machen. Auch<br />

Staat und Her steller reagieren auf den Trend und<br />

bieten für die meist eher kleineren Elektro -<br />

fahrzeuge verschiedene Kaufprä mien an.<br />

Für alle diejenigen, die sich jedoch kein<br />

eigenes Elektroauto leisten können oder wollen,<br />

wird es die oben erwähnten Sharing-Angebote ge -<br />

ben, die in nächster Zeit noch weiter ausgebaut<br />

wer den. Wichtig dabei werden die niedrige<br />

Schwelle zur Nutzung der Fahrzeuge und deren<br />

Ver fügbarkeit sein. Vorstellbar wäre beispielsweise<br />

eine App, über die sich die komplette Fahrt planen<br />

lässt und so einen bestmöglichen Komfort für den<br />

Nutzer bietet.<br />

Foto: Pexels


18<br />

FUTURE<br />

mediakompakt<br />

Foto: Pexels<br />

In Zukunft autonom<br />

Das assistierte oder das teilautomatisierte Fahren wird inzwischen sehr geschätzt<br />

und gerne angewendet. Egal, ob Totwinkelwarner oder automatisches Einparken –<br />

viele Helferlein im Auto erleichtern unser Leben. Doch das ist erst der Anfang!<br />

VON LILIA KOCH<br />

Die Automobilbranche schläft nicht, sie<br />

bietet Fahrern im mer mehr Funk -<br />

tionen und Komfort. In der Zukunft<br />

wird die Technologie so fortge -<br />

schritten sein, dass wir uns voll -<br />

kommen automatisiert bewegen können – ins<br />

Fahr zeug einsteigen, ein Ziel nennen!<br />

Und los geht’s. Das Auto fährt die gesamte<br />

Strecke allein, sucht sogar einen Parkplatz und<br />

parkt dann sogar noch selbstständig ein. Wäh -<br />

rend dessen muss der Fahrer oder die Fahrerin<br />

nicht auf die Straße achten und kann nebenher<br />

arbeiten oder Videos anschauen. Das autonome<br />

Fahren soll nicht nur Zeit schenken, sondern auch<br />

den Verkehr sicherer machen.Denn: Die meisten<br />

Un fälle verursacht der Mensch.<br />

Wir werden die komplette Kontrolle und<br />

Entscheidungsfreiheit schon bald an Maschinen<br />

ab geben. Heute entscheiden wir, wann wir brem -<br />

sen oder abbiegen. „Wenn wir vom auto ma -<br />

tisierten Fahren sprechen, sprechen wir von<br />

einem intelligenten System, das die Funktionen<br />

eines menschlichen Gehirns über nehmen wird“,<br />

„Wir werden<br />

die Kontrolle an<br />

Maschinen abgeben.“<br />

erklärt Cornelia Brodersen, Produktmanagerin für<br />

automatisiertes Fahren bei Bosch. Es erfasse sicher<br />

die Umgebung, verortet sich selbst und inter -<br />

pretiere, plane und entscheide aufgrund dieser<br />

Informationen, wie und wo wohin es sich be -<br />

wegen wird. Das autonome Fahren unterteilt sich<br />

in fünf Level (siehe Infobox). „Wir sind aktuell in<br />

der Übergangsphase von Level zwei zu Level drei.<br />

Der Fahrer hat noch die volle Verantwortung für<br />

das Fahrzeug, Seitentätigkeiten sind erlaubt in Le -<br />

vel drei, jedoch muss der Fahrer bereit dazu sein,<br />

jederzeit zu übernehmen“, klärt Cornelia Bro -<br />

dersen auf.<br />

Wann Level fünf erreicht wird, sei nicht sicher,<br />

denn in Deutschland gibt es für das komplett<br />

autonome Fahren keine Gesetzgebung. Die Ber -<br />

liner Charité zum Beispiel und die Berliner Ver -<br />

kehrsgesellschaft testen zurzeit Roboterbusse, die<br />

Patienten und Besucher ohne Fahrer ans Ziel brin -<br />

gen. Mit maximal zwölf km/h fahren vier Mini -<br />

busse täglich auf dem Campus und erproben die<br />

Technik. „Zurzeit werden Sonderprojekte<br />

genehmigt, bei denen Fahrzeuge ab Level vier in


2/2018 FUTURE<br />

19<br />

sogenannten restricted areas fahren dürfen“, er -<br />

läu tert die Produktmanagerin.<br />

Aktuell arbeitet Bosch, einer der größten<br />

Autozulieferer der Welt, gemeinsam mit Daimler<br />

an dem Projekt „urban automated taxis“. In Zu -<br />

kunft ist es möglich, ein autonom fahrendes Taxi<br />

mit einer App zu rufen und sich zum gewünschten<br />

Ziel transportieren zu lassen. Car- Sharing auf ei -<br />

nem ganz neuen Niveau, bei dem Menschen die<br />

Zeit im Fahrzeug sinnvoll nutzen können und kei -<br />

nen Führerschein benötigen.<br />

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Online-<br />

Marketing<br />

„Wir arbeiten an<br />

urban automated<br />

taxis.“<br />

Die Technik und Infrastruktur der Städte soll<br />

so ausgereift sein, dass wir keine Taxi- und Bus -<br />

fahrer mehr brauchen werden, sagen Experten<br />

voraus. „Bis es so weit ist, dauert es noch, auto -<br />

nome Taxis werden wir nicht sofort flächen -<br />

deckend in allen Städten haben. Solange es den<br />

Mischverkehr geben wird, werden sowohl Taxials<br />

auch Busfahrer benötigt.“<br />

Die Zukunft verspricht einen spannenden<br />

Fortschritt in der Mobilität. Das Auto wird ein Ort,<br />

in dem wir während der Fahrt vieles tun können,<br />

von denen wir heute noch träumen. Ob ein<br />

Nickerchen im Stau oder surfen im Internet: Alles<br />

ist möglich.<br />

DIE 5 LEVEL DES<br />

AUTONOMEN<br />

FAHRENS<br />

Level 1 – Assistiertes Fahren<br />

Bestimmte Assistenzsysteme wie<br />

der Totwinkel-Warner unterstützen<br />

den Fahrer.<br />

Level 2 – Teilautomatisiertes Fahren<br />

Das Auto kann einzelne Aufgaben<br />

übernehmen, beispielsweise<br />

im Stau beschleunigen.<br />

Level 3 – Hochautomatisiertes Fahren<br />

Insbesondere auf Autobahnen kann<br />

das Fahrzeug die komplette Steuerung<br />

übernehmen. Der Fahrer muss während<br />

der gesamten Zeit aufmerksam sein.<br />

Level 4 – Vollautomatisiertes Fahren<br />

Alle Funktionen werden vom Fahrzeug<br />

übernommen. Der Fahrer muss jedoch<br />

in der Lage sein, in brenzligen Situationen<br />

zu übernehmen.<br />

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Level 5 – Fahrerlose Autos<br />

Es wird kein Fahrer mehr gebraucht.


20<br />

FUTURE<br />

mediakompakt<br />

Your next summer!<br />

Du willst wissen, wie dein Sommer 2018 wird? Lass dir von unseren Profiwahrsagerinnen die Zukunft<br />

voraussagen, entdecke alte Serien neu und hol dir Freizeit-Tipps für den ultimativen Sommer in Stuttgart.<br />

Von Laura Cüppers und Leonie Tiebel<br />

Noch keine Pläne für den sommer?<br />

Die heißesten, wenn auch nicht geheimsten, fünf Stuttgart-tipps gibt‘s hier:<br />

1. Eugensplatz. Besonders im Sommer lohnt sich der Aufstieg<br />

über die Eugenstaffel zum beliebten Eugensplatz. Oben angekommen,<br />

hat man nicht nur eine wundervolle Aussicht über die<br />

Dächer Stuttgarts, sondern auch die Möglichkeit, sich ein leckeres,<br />

hausgemachtes Eis aus dem Eis-Bistro Pinguin schmecken<br />

zu lassen. Egal ob mit Freunden oder alleine mit Buch – hier bietet<br />

sich die perfekte Gelegenheit, einen sommerlichen Abend<br />

ausklingen zu lassen.<br />

2. Mineralbad. Wenn das Wetter dann mal so überhaupt<br />

nicht mitspielt, entspann doch mal so richtig in einem der<br />

drei Mineralbäder in Stuttgart. Wusstest du, dass Stuttgart<br />

das höchste Mineralwasservorkommen in ganz Westeuropa<br />

hat? Doch das Wasser ist nicht nur mineralhaltig<br />

sondern manchmal auch kohlensäurehaltig, also quasi der<br />

natürlichste Whirlpool der Welt direkt vor deiner Tür!<br />

3. Besenwanderung. Funktioniert sowohl bei Nieselregen, als auch bei 40 Grad im Schatten. Eine<br />

Wanderung durch die Weinreben Stuttgarts mit Erfrischungen in den Besenwirtschaften, die auf dem<br />

Weg liegen. Gutes Essen und guter Wein. Was will man mehr?<br />

4. Open-Air-Kino. Es hat ja durchaus seinen Reiz, sich im<br />

Hochsommer ins kühle Kino zu verziehen. Wer aber sehr auf<br />

Sonne und Frischluft steht und dabei nicht auf den Kino-Gang<br />

verzichten mag, der ist im August und September gut beim<br />

Open-Air-Kino vor dem Mercedes-Benz Museum aufgehoben.<br />

Vor imposanter Kulisse und unter freiem Himmel werden sowohl<br />

aktuelle Filme als auch Klassiker gezeigt.<br />

5. Stuttgarter Stadtstrand. Was die Ostsee kann,<br />

kann Stuttgart schon lange! Zwar haben wir hier nur den<br />

Neckar, und der Stadtstrand begrenzt sich auf wenige Quadratmeter<br />

– von der S-Bahn Haltestelle in Bad Canstatt ist<br />

man jedoch man in wenigen Gehminutn bei Liegestühlen, Sand<br />

und kühlen Getränken. Zudem gibt es dort auch echt gute<br />

Burger. Vorsicht, Öffnungszeiten beachten!<br />

Warum immer Netflix schauen und neue Serien suchten? Geh doch mal #backtotheroots<br />

und geh die Semesterferien oldschool an. Welche mtv shows suchen wir?<br />

LÖSUNG: PIMP MY RIDE / DATE MY MOM / CATFISH / FRIENDZONE<br />

Freund +<br />

+ Fisch


2/2018 FUTURE<br />

21<br />

Krebs. Back to Muddi! Zeit für einen<br />

kleinen Tapetenwechsel. Die Semesterferien<br />

sind für dich die perfekte Gelegenheit,<br />

raus aus der Party-WG und rein ins heimelige<br />

Elternhaus zu kommen. Endlich wieder<br />

Käsekuchen, Gute-Nacht-Küsschen und alte<br />

NSYNC-Poster an den Wänden. Wenn du da<br />

nicht vom Uni-Stress abschalten kannst, ist<br />

dir auch nicht mehr zu helfen.<br />

Löwe. Du bist der Grillprofi des Jahrtausends,<br />

das stinkende Hassobjekt der Nachbarn<br />

vom Balkon über dir. Jetzt ist es an der<br />

Zeit, dir eine Schürze mit coolem Aufdruck<br />

zu gönnen (#StarWurst. Vorsichtig sein du<br />

musst. Die Wurst eine dunkle Seite schon<br />

hat) und die Nachbarn mit neuen Rezepten<br />

zu besänftigen. Dein Sommermotto: Ich<br />

muss Fett verbrennen, schmeiß den Grill an!<br />

Jungfrau. An Badeseen lauern sie, an Flüssen<br />

und im Park. Eigentlich überall. Schon<br />

mal was von Anatidaephobie gehört? Google<br />

mal! Wenn du nicht aufpasst, könntest auch<br />

du bald ein Betroffener werden. Setz dich<br />

also frühzeitig mit dieser Angst auseinander<br />

und geh diesen Sommer nur in Begleitung an<br />

den See – ach, was rede ich! Aus dem Haus!<br />

Aus dem Bett! Hörst du es watscheln?<br />

Waage. Die Sonne brutzelt vor sich hin,<br />

der Kessel kocht zum Überlaufen und ein<br />

Steppenläufer hoppelt einsam durchs Bild.<br />

Langeweile pur! Alle Freunde sind verreist.<br />

Selbst der Schachspieler auf dem Schloßplatz<br />

hat keinen Bock mehr auf dich. Wie<br />

du dieser düsteren Zukunft jetzt noch<br />

entkommen kannst? Schau doch mal in den<br />

Veranstaltungstipps vorbei, dann wird dein<br />

Sommer noch legen… wait for it.<br />

Skorpion. Nur pumpen, pumpen, pumpen?<br />

Deine Freunde haben bereits jede<br />

Ausrede ausgespielt, um nicht mit dir ins Gym<br />

zu müssen, doch du bist der unaufhaltsame<br />

Gym Knopf. Halt doch mal die Luft an und<br />

geh Kompromisse ein! Deine Freunde wollen<br />

alle viel lieber entspannt im Freibad liegen.<br />

Falls du doch nicht auf’s Training verzichten<br />

kannst, schnapp dir deinen Proteinshake,<br />

den Volleyball und beache doch einfach dort.<br />

Schütze. Raus aus dem Keller! Zeit für<br />

den Computerflüsterer, sein Domizil zu<br />

verlassen. Auch wenn der Keller Videospiele,<br />

Bier und angenehme Kühle verspricht –<br />

draußen spielt die Musik. Wenn du der Sonne<br />

und den Menschen da draußen eine Chance<br />

gibst, hast du diesen Sommer die exklusive<br />

Chance, dich vom bleichen Schlossgespenst<br />

mit Zocker-Augen in Mr. Baywatch höchstpersönlich<br />

zu verwandeln. Versprochen!<br />

Steinbock. Dein Sommer fällt ins Wasser<br />

– es regnet (ja, nur für dein Sternzeichen).<br />

Hör auf, Trübsal zu blasen und mach das<br />

Beste draus! Hol dir fancy Regenstiefel,<br />

pack den knallgelben Regenmantel und das<br />

passende Quietscheentchen aus und spring in<br />

Pfützen. Kauf dir eine fleischfressende<br />

Pflanze, nenn sie Helga und gieß sie mit<br />

Regenwasser (#Pflanzentipp: Sie verträgt<br />

kein Leitungswasser). Sieh es positiv, Stichwort<br />

wettshirtdayallday und esse das nächste<br />

Mal gefälligst deinen Teller auf!<br />

Wassermann. What is love? Auf einer 90er<br />

Party in der Saturday Night findest du es<br />

heraus. Du bist zwar blue (da ba dee da ba<br />

daa), aber Ladies and Gentleman, it’s die<br />

Liebe fürs Leben! Schwing die Hüften, denn<br />

Rythm is a Dancer. Dann heißt es für euch<br />

ganz schnell „Let’s talk about Sex“, aber<br />

ihr wollt es that way. Und if you wannabe<br />

der Partner fürs Leben, dann hüpft ihr bald<br />

gemeinsam hier und dort und überall ins<br />

Abenteuerland der Liebe.<br />

Fische. Dein Sommer besteht aus Acai-<br />

Bowls, Chiasamen und eventuell einer<br />

Ginverkostung, alles was den modernen<br />

Hipster so ausmacht. Du willst anders sein,<br />

achtest auf deinen Körper und dein persönliches<br />

Umfeld, denn wer mit dir befreundet<br />

ist, muss #healthyandhappy sein. Wenn du<br />

deiner Umwelt wirklich mal was Gutes tun<br />

willst, hör auf, dein Essen zu fotografieren,<br />

pack deinen Fjällräven und dein Mate und<br />

helf bei verschiedenen sozialen Einrichtungen<br />

in Stuttgart.<br />

Widder. Deine Sommer-Headline: Semesterferien<br />

2018 oder die längste Netflix-und-<br />

Chill-Party meines Lebens. Der Strand-Body<br />

hat dieses Jahr nicht wirklich geklappt? Das<br />

Badehöschen sitzt noch nicht? Kein Problem,<br />

setz diesen Sommer einfach mal aus. Wozu<br />

gibt es dunkle Zimmer, Eimer voll Eis und laufend<br />

neue (oder alte) Serien?<br />

Stier. Holy Guacamoly – dein Sommer wird<br />

grün! Anfang August wirst du auf einmal<br />

von einer Welle der Camping-Lust gepackt.<br />

Schnapp‘ dir Sack, Pack, Partner und Flaschenöffner<br />

und raus in die Natur mit dir!<br />

Und immer dran denken: Bären haben mehr<br />

Angst vor dir, als du vor ihnen.<br />

Zwillinge. Wasser marsch! Egal ob Meer,<br />

See oder Pfütze nach dem Sommergewitter<br />

– Du bist der King of Water, die Königin der<br />

Feuchtgebiete. Bei Austrocknungsgefahr<br />

flüchtest du sogar unter die Rasensprinkleranlage<br />

im Stadtpark. Komm doch mal wieder<br />

an den Strand der Tatsachen und schalte einen<br />

Gang zurück, sonst rutschst du noch aus!


22<br />

FUTURE<br />

mediakompakt<br />

Was kommt da auf uns zu?<br />

Foto: Pixabay<br />

Mit dem Summen und<br />

Brummen könnte es bald ein<br />

Ende haben. Es gibt immer<br />

weniger Insekten bei uns,<br />

das gefährdet unser<br />

Ökosystem. Welche Folgen<br />

hat das, was können<br />

wir dagegen tun?<br />

VON GABRIELA MÜLLER<br />

Es ist stiller geworden auf den Wiesen und<br />

Feldern, in Gärten und Parks. Die<br />

Insektenwelt steckt in Schwierigkeiten.<br />

An einigen Standorten gibt es manche<br />

Arten nicht mehr, oder es kommen im -<br />

mer weniger vor. Laut Ergebnissen, die der Ento -<br />

mologische Verein Krefeld über 27 Jahre ge -<br />

sammelt hat, ist die Biomasse der Flug insekten in<br />

Deutschland um 75 Prozent zurückgegangen. Die<br />

Studie sorgte nicht nur wegen der erschreckenden<br />

Zahl für Aufsehen, sondern auch, weil sie eine der<br />

wenigen Langzeitstudien über Insekten ist. Denn<br />

der Bestand der Tiere ist witterungsabhängig und<br />

kann somit oft von Jahr zu Jahr unterschiedlich<br />

sein.<br />

Mit Hilfe der Bevölkerung will der Natur -<br />

schutzbund (NABU) eine Datengrundlage gene -<br />

rieren und ruft 2018 erstmals bundesweit auf, sich<br />

an der Aktion „Insektensommer“ zu beteiligen.<br />

Ermutigt durch die jährlichen Vogelzählungen,<br />

mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat,<br />

sollen in zwei Aktionszeiträumen im Juni und<br />

August Insekten registriert werden. Falschbe -<br />

stimmungen können, so die Erfahrung, durch die<br />

große Masse an Daten ausgeglichen werden.<br />

Außerdem soll mit der Aktion erreicht werden,<br />

dass das Thema in der Bevölkerung mehr ver -<br />

ankert wird und dass Menschen bereit sind, sich<br />

damit auseinanderzusetzen. „Denn nur was man<br />

sieht und kennt, hält man auch für schützens -<br />

wert“, sagt Dr. Stefan Kress, Vorstandsmitglied des<br />

NABU Stuttgart und zuständig für das Thema<br />

Insekten.<br />

Woran liegt das Insektensterben?<br />

Als ein Grund des Verschwindens gilt die<br />

Zerschneidung der Lebensräume durch Straßen<br />

und Wohnbebauung. Auf den begrenzten Flächen<br />

kommt es zu genetischer Verarmung. Zudem hat<br />

sich die landwirtschaftliche Struktur verändert.<br />

Wiesen werden intensiver bewirtschaftet, ge -<br />

düngt und häufiger gemäht. Felder werden immer<br />

größer, somit gibt es weniger Ackerränder mit<br />

Blühstreifen und Hecken. Neben dem einseitigen<br />

Nahrungsangebot durch Monokulturen, leiden<br />

die Insekten unter dem Einsatz von Pestiziden.<br />

Eine weitere Bedrohung sind veränderte Boden -<br />

verhältnisse durch die Überfrachtung mit Stick -<br />

stoff von Abgasen und Düngemitteln. Magere,<br />

nährstoffarme Standorte, wo nur spezielle Pflan -<br />

zen überleben können, bieten eine hohe Arten -<br />

vielfalt. Viele Insekten sind daran angepasst. Diese<br />

Pflanzen werden verdrängt, da der Stickstoff das<br />

Wachstum von Pflanzen begünstigt, die auf<br />

nährstoffreichen Fettwiesen wachsen.<br />

Foto: Stefan Kress<br />

Wildbienen erkunden eine Nist- und Überwinterungshilfe.<br />

Um Insekten zu unterstützen kann man solche<br />

Insektenhotels im Garten aufstellen. Nach der Eiablage<br />

werden die hohlen Röhrchen verschlossen.


2/2018 FUTURE<br />

23<br />

Wie kann man Insekten helfen?<br />

Wer Insekten unterstützen möchte, kann<br />

einheimische Blumen, Sträucher oder Bäume<br />

anpflanzen und ihnen so eine Nahrungsquelle<br />

schaffen. Dabei ist zu beachten, dass nicht alle<br />

insektenfreundlichen Samenmischungen trotz<br />

der Beschriftung die geeigneten Pflanzen ent -<br />

halten. Hier lohnt es sich, auf den einschlägigen<br />

Fachhandel zurückzugreifen.<br />

Wichtig ist, den Insekten mehr Lebensräume<br />

zu bieten. Insektenhotels dienen als Nist- und<br />

Überwinterungshilfe. Die meisten Wildbienen<br />

nisten jedoch im Boden. Eine kleine karge Stelle<br />

im Garten mit trockenem Erdboden eignet sich<br />

dafür gut. Tote Pflanzenstängel und totes Holz<br />

sollte man einfach einmal liegen lassen. Sie<br />

werden als Baumaterial genutzt. An Brennnesseln<br />

entwickeln sich einige Schmetterlingsraupen. Auf<br />

den Einsatz von Pestiziden sollte man verzichten<br />

und beim Mähen kann man „Mahd-Inseln“<br />

stehen lassen, einen Teil also nicht mähen. Schon<br />

zehn Prozent der Fläche reichen aus, damit In -<br />

sekten die restliche Fläche allmählich wieder -<br />

besiedeln können. Auch beim Einkaufen kann<br />

man Gutes tun und zum Beispiel auf Saft von<br />

Streuobstwiesen, Bio-Produkte und regionale und<br />

saisonale Lebensmittel achten.<br />

Was passiert, wenn die Insekten fehlen?<br />

Fakt ist, wir brauchen Insekten. Sie sind<br />

unverzichtbar für das Ökosystem. Fachleute<br />

sprechen von den sogenannten „Ökosystem-<br />

Dienstleistungen“, die Insekten erbringen. Als<br />

Zersetzer von organischen Stoffen sorgen sie<br />

beispielsweise für Bodenfruchtbarkeit. Vor allem<br />

meint man damit aber die Bestäubungsleistung.<br />

Vier von fünf aller Pflanzen in Deutschland sind<br />

auf Insekten angewiesen. Aktionen von Super -<br />

märkten, die ihre insektenabhängigen Produkte<br />

aussortieren, zeigen dies eindrücklich. Die Regale<br />

sind dann komplett leergeräumt oder nur lücken -<br />

haft bestückt. Es fehlen Obst- und Gemüsesorten,<br />

Küchenkräuter, Öle, Kaffee, Tiefkühlkost, Säfte<br />

und Pflegeprodukte.<br />

Insektenbestäubung führt nachweisbar zu<br />

größeren, aromatischeren Früchten und Ertrags -<br />

steigerung. Doch nicht nur für den Menschen hat<br />

der Insektenrückgang Konsequenzen. Wenn es<br />

weniger Insekten gibt, fällt gleichzeitig die<br />

Nahrungsquelle für bestimmte Tiere, wie Vögel<br />

weg, die dadurch ebenfalls seltener werden.<br />

Ökosysteme sind flexibel und können Störungen<br />

verkraften. Wenn ein System zu stark in eine<br />

Richtung verändert wird und einen bestimmten<br />

Punkt erreicht, bricht es zusammen. In der<br />

Wissenschaft spricht man von „tipping points“<br />

(Kipppunkte). Der alte Zustand ist dann nicht<br />

wiederherzustellen, egal, was man tut. „Wir<br />

wissen einfach nicht, ob diese Kipppunkte bei den<br />

Insekten jetzt schon erreicht sind“, sagt<br />

NABU-Experte Kress. Die Hoffnung habe er noch<br />

nicht aufgegeben, denn Insekten hätten ein<br />

extremes Vermehrungspotential. Solange die<br />

Arten nicht komplett ausgestorben sind, stehen<br />

die Chancen gut, dass sich der Bestand wieder<br />

erholt. Vorausgesetzt, man bietet ihnen dafür<br />

auch den nötigen Platz.<br />

NABU-AKTION „INSEKTENSOMMER“<br />

Die zweite Insekten-Zähl-Aktion dieses Jahres findet im Zeitraum vom 3. bis 12. August statt.<br />

Hierfür soll man sich einen Beobachtungsplatz suchen und im Umkreis von höchstens zehn<br />

Metern eine Stunde lang Insekten zählen. Am besten eignet sich dafür ein sonniger, windstiller<br />

Tag. Grundsätzlich soll man jedes entdeckte Insekt melden. Bei 33.000 verschiedenen Arten in<br />

Deutschland ist das aber nicht immer einfach, selbst für Experten. Deshalb hat der NABU<br />

Kernarten definiert, auf die man besonders Acht geben kann. Im August sind das unter anderem<br />

die Blaue Holzbiene, der Siebenpunkt-Marienkäfer und der Schwalbenschwanz, einer der<br />

schönsten heimischen Schmetterlinge. Weitere Informationen unter:<br />

https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/insektensommer/index.html<br />

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<strong>24</strong><br />

FUTURE<br />

mediakompakt<br />

21st Century Skills in Schulen<br />

Foto: Pixabay<br />

Die Digitalisierung betrifft auch das deutsche Bildungssystem und stellt<br />

Schulen und Lehrer vor Herausforderungen. Wie gehen unterschiedliche<br />

Schulen damit um? Drei Standpunkte dazu.<br />

VON SAMUEL TRAUTMANN<br />

Wir sind fortschrittlicher als andere<br />

Schulen, da wir überhaupt Tablets<br />

haben“, sagt Dr. Harald Hochwald,<br />

Lehrer für Physik und Sport am<br />

Schickhardt-Gymnasium Stuttgart.<br />

Dort kommen die Schüler ab der 5. Klasse im Fach<br />

Medienbildung mit digitalen Medien in Berüh -<br />

rung. Dass es in jedem Klassenzimmer einen<br />

Rechner mit interaktiver Tafel, Internetzugang<br />

und Dokumentenkamera gibt, sei laut Hochwald<br />

kein Standard an Schulen. Das Gymnasium hat<br />

be reits viele Tablet-Projekte durchgeführt. Für die<br />

Zu kunft ist geplant, die interaktive Tafel durch<br />

Tab lets für die Lehrer zu ersetzen. Hochwald hält<br />

es für möglich, dass man „auf die Tablet-Variante<br />

umsteigt“, anstatt alte Geräte zu ersetzen, da diese<br />

„viel geschmeidiger funktioniert“.<br />

Doch er ist nicht der Meinung, dass Schüler<br />

nur mit Tablets arbeiten sollten. Es sei wichtig, für<br />

jede Aufgabe ein geeignetes Medium zu verwen -<br />

den, da der Lerneffekt sonst verloren ginge. Die<br />

Schüler sollten also sowohl den Umgang mit<br />

analogen als auch digitalen Medien erlernen.<br />

Hochwald denkt nicht, „dass Bleistift und Papier<br />

verdrängt werden.“ Durch die Mischung käme ein<br />

zeitgemäßes Arbeiten zustande. Er kritisiert das<br />

Bildungswesen insofern, „dass es ein sehr sta -<br />

tischer, langsamer Apparat und die IT-Branche<br />

sehr schnelllebig ist“.<br />

Prof. Dr. Edwin Hübner, seit 2015 Professor für<br />

Medienpädagogik an der Freien Hochschule<br />

Stuttgart und Experte für das System der<br />

Waldorfschulen, sieht die Problematik von einem<br />

anderen Standpunkt. Wenn man Schüler<br />

ausschließlich mit digitalen Medien lernen lasse,<br />

habe das zur Folge, „dass wir die Kinder medien -<br />

kompetent machen wollen, sie aber in<br />

Wirklichkeit medieninkompetent bezüglich der<br />

alten Medien machen“.<br />

Wie bei allen anderen Schulen werde auch an<br />

Waldorfschulen das Ziel verfolgt, „dass am Ende<br />

ein Schüler rauskommt, der kompetent, sprich<br />

me dien mündig ist“. Hübner ist es wichtig, dass<br />

ein Schüler „Medien gezielt nutzen kann“ und<br />

„souverän ist zwischen den verschiedenen Me -<br />

dien.“ Durch zu intensive Nutzung, beispielsweise<br />

eines Tablets, könnten die Kinder lebensunfähig<br />

und medienunmündig gemacht werden, warnt<br />

Hübner. Sie könnten von einzelnen Geräten<br />

abhängig werden. „Ich muss mich selbst beherr -<br />

schen können, wenn ich etwas anderes be -<br />

herrschen will“, sagt er, „und fähig sein, mal zwei<br />

Tage ohne auszukommen“. Hübner hofft, dass<br />

man „die Geräte gezielt einsetzt, wo es Sinn<br />

macht“, dabei aber das Buch und die Handschrift<br />

nicht vernachlässigt.<br />

Dieter Umlauf, Pädagoge und Medien fach -<br />

berater am Schulamt Fulda, hat sich um fassend<br />

mit der Thematik beschäftigt. „Ich bin seit 1988<br />

Lehrer und stelle fest, dass wir Lehrpläne leider<br />

nicht neu denken, sondern nur neu schreiben, das<br />

ist ein ganz großes Problem.“ In Ländern wie<br />

Südkorea dagegen hätten digitale Medien eine<br />

„große Selbstverständlichkeit“ und würden – im<br />

Gegensatz zu Deutschland – nicht tabuisiert.<br />

Umlauf sagt, wir geben „den Kindern nicht die<br />

Möglichkeit, schon im Vorschulalter oder in der<br />

Grundschule damit einzusteigen.“ Sie würden<br />

nicht auf das Lernen mit digitalen Medien<br />

vorbereitet.<br />

Bei der Frage, ob digitale oder analoge Medien<br />

genutzt werden sollten, gehe es nicht um ein<br />

entweder oder, sondern um ein sowohl als auch.<br />

Die Schüler sollen nach seiner Aussage lernen, für<br />

die Probleme des 21. Jahrhunderts Lösungen zu<br />

finden. „Ich kann die Probleme von morgen nicht<br />

mit Mitteln von heute lösen.“ Die Verwaltungen<br />

von Schulen und Schulämtern müssten sich den<br />

modernen Medien öffnen.<br />

Seine Erfahrung: Es gebe zu viele Verbote, die<br />

einen sinnvollen Einsatz digitaler Medien aus -<br />

schließen. „Solange wir da nicht wie andere<br />

europäische Länder progressiv nach vorne gehen,<br />

wird es aufgrund der föderalen Struktur der<br />

Bundesrepublik Deutschland nicht möglich sein,<br />

bundesweit Strukturen auszubauen, die digitalem<br />

Ler nen förderlich sind.“


2/2018 FUTURE<br />

25<br />

Fressen oder gefressen werden<br />

Dutzend Neonröhren erhellen den großen Raum. Enge lange Gänge, verflochten wie im<br />

Labyrinth. Am Rand unzählige Pappschachteln, aufgereiht in Regalen. Links und rechts in den<br />

Schachteln gilt es zahllosen Versuchungen zu widerstehen. Vor allem die roten Schilder mit den<br />

durchgestrichenen Preisen locken noch mehr als die auf weißem Grund.<br />

VON FELIX MELZER<br />

Der Boden, gekachelt mit unauffälligen<br />

gelben Fliesen. Das Surren der<br />

Kühlschränke, das Rollen von Eisen<br />

auf Fliesen durchbricht die Stille. Noch<br />

steht nicht alles in den Regalen, es ist ja<br />

erst kurz nach Ladenöffnung. Ein Mann mit<br />

schwarzen Haaren, blauem T-Shirt und Jeans<br />

räumt die auf einer Palette liegende Ware in die<br />

Regale ein. Trotzdem sind auch schon einige<br />

Kunden da. Manche schieben für ihren Wochen -<br />

einkauf einen Wagen vor sich her und bleiben an<br />

jedem Regal stehen. Andere kaufen sich nur<br />

Bedarf für den Arbeitstag: Brote, Käse, Salami,<br />

Cola. Noch ist die Luft frisch. Kein Geruch nach<br />

Bier von kaputten Flaschen. Es ist erst 8 Uhr. Noch<br />

ist nicht viel los im Supermarkt an der Rosen -<br />

steinstraße in Stuttgart.<br />

Zur gleichen Zeit am anderen Ende der Stadt.<br />

Zwischen Lieferwagen, Gabelstaplern und Lastern<br />

erhebt sich vor den Toren der Stadt ein<br />

Sammelsurium aus Obst, Gemüse, Blumen und<br />

Fleisch. Händler bieten ihre Ware an, Kunden<br />

laden ein. Mitten auf dem Großmarkt hat sich ein<br />

Un ternehmen niedergelassen: Lieferladen.de. Jo -<br />

hannes Kunkel, seit vier Jahren Geschäftsführer<br />

von Lieferladen, beginnt seinen Arbeitstag wie<br />

immer. Erst werden die Liefer-Routen für den Tag<br />

geplant, im Laufe des Vormittags wird die Ware<br />

abgeholt oder angeliefert. Bestellt werden kann<br />

am Vortag bis <strong>24</strong> Uhr, geliefert wird am Folgetag.<br />

Immer mehr Menschen kaufen Lebensmittel<br />

im Internet. Laut einer Studie von Dialego bestel -<br />

len viele Nahrungsmittel online, da es bestimmte<br />

Produkte in ihrer Nähe nicht gibt. Das trifft<br />

demnach auf drei Viertel der Befragten zu. Der<br />

Wunsch nach Produkten, die nicht jeder Super -<br />

markt hat, wird immer größer. Kunden legen<br />

immer mehr Wert auf bio und lokal. Kunkel sagt,<br />

dass „der Trend zu regionalen Produkten in<br />

Zukunft wachsen wird“. Das beschreibt auch den<br />

Er folg von Supermärkten wie dem Lieferladen.<br />

Wie könnte also der Supermarkt von morgen<br />

aussehen? Der Arbeitstag von Leon (Name geän -<br />

dert) beginnt um 13 Uhr. Nachdem die Pakete in<br />

Kisten verpackt wurden, belädt er den Kühlraum<br />

des Sprinters. Leon ist Fahrer bei Lieferladen.de.<br />

„Eine Tour geht bis Abends. Viele Kunden sind<br />

Unternehmen, die wollen nur Milch und Obst.“<br />

Der Rest seien Privatpersonen. Besserverdienende,<br />

oder Leute, die sich den Aufwand für den Einkauf<br />

sparen möchten. Johannes Kunkel ergänzt, dass<br />

sich das Angebot an alle richtet, „die Wert auf<br />

frische und regionale Lebensmittel legen“. Der<br />

Kundenstamm ist breit gemischt. Es gibt die<br />

klassische Familie mit zwei Kindern, die sich be -<br />

wusst für Bioware entscheiden, ebenso wie das<br />

Ren tnerehepaar, das froh ist, nicht selber ein kau -<br />

fen gehen zu müssen.<br />

Der Gang zum Supermarkt ist längst nicht<br />

mehr nur für den Großeinkauf gedacht. Das Leben<br />

ist spontaner, eingekauft wird nebenher. Davon<br />

pro fitiert der E-Commerce. Kunkel geht davon<br />

aus, in der Zukunft werde ein Teil des Umsatzes im<br />

Lebensmittelhandel vom stationären zum On -<br />

line handel verschoben. Der stationäre Handel<br />

wird aber weiter seine Berechtigung haben. Dafür<br />

spricht, dass nur im Supermarkt die Ware per -<br />

sönlich angeschaut werden kann. So sieht es auch<br />

das Institut LINK in einer Umfrage. Allerdings<br />

werde sich die Dichte an stationären Händlern<br />

verringern, heißt es in der Studie. „Discounter<br />

und spezialisierte Händler werden von den Verän -<br />

derungen weniger betroffen sein“, erläutert<br />

Kunkel.<br />

Es ist Abend geworden. 20.30 Uhr: Leon ist<br />

von seiner Tour zurück. Auf dem Großmarkt ist<br />

nichts mehr los. Vereinzelte LKW-Fahrer sind<br />

noch da, die hier die Nacht verbringen. Leon stellt<br />

den Lieferwagen ab. Eine halbe Stunde später<br />

steht in der Rosensteinstraße der letzte Kunde an<br />

der Kasse, kurz vor Ladenschluss. Es ist Leon, er<br />

kauft sich ein Abendessen. Der überdachte<br />

Parkplatz nebenan ist fast leer. Bis auf ein Auto.<br />

Leon steigt ein. Dann ist der Parkplatz leer.<br />

Foto: Pexels


26<br />

FUTURE<br />

mediakompakt<br />

Vom Ast<br />

zum Palast<br />

Wie sieht die nachhaltige<br />

Architektur der Zukunft aus?<br />

Die Ausstellung „Baubionik –<br />

Biologie beflügelt Architektur“<br />

im Naturkundemuseum<br />

Stuttgart widmete sich mit<br />

neuen Forschungsansätzen<br />

aus dem Programm<br />

„Transregio 141“ diesem<br />

Thema.<br />

VON ROSALIE SCHNEEGAß<br />

Wer bei umweltschädlicher Wirt -<br />

schaft zuerst an Verkehr und Auto -<br />

industrie denkt, wird überrascht<br />

sein: Es ist die Bau branche, die<br />

mehr Schmutz, Ener gie und<br />

endliche Rohstoffe verbraucht als alle anderen<br />

Industrien der Welt. 40 Prozent des Energie -<br />

verbrauchs und 40 Prozent der Müll pro duktion<br />

macht das weltweit aus. Gleichzeitig ist es<br />

unmöglich – im Gegenteil zu Plastikmüll oder<br />

importierten Nahrungsmitteln – auf Woh nen zu<br />

verzichten. Angesichts des Klimawandels und der<br />

Ressourcenknappheit ist es eine der größten<br />

Herausforderungen von Wissenschaft und Ar -<br />

chitektur, hier neue Lösungen zu finden. Wie<br />

schaffen wir es, mehr Menschen auf weniger<br />

Fläche unterzubringen? Wie lassen sich Häuser<br />

aus lokal verfügbaren, nachwachenden Roh -<br />

stoffen ohne Müll herstellen? Wie können wir<br />

künftig wohnen, ohne für Heizung, Licht zu viel<br />

Ressourcen zu verbrauchen und Schadstoffe zu<br />

emittieren?<br />

Die Baubionik ist da ein vielversprechender<br />

Ansatz. Denn all diese Anforderungen erfüllt die<br />

Natur bereits. Alle pflanzlichen Strukturen nutzen<br />

Sonnenenergie. Ihre Konstruktionen gehören zu<br />

einem natürlichen Kreislauf, in dem sie entstehen<br />

und abgebaut werden. Zudem sind Pflanzen in der<br />

Lage, sich bei Schäden selbst zu reparieren und<br />

mechanischen Beanspruchungen anzupassen.<br />

Für einen Sonderforschungsbereich der<br />

Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der<br />

Ende 2014 eingerichtet wurde, arbeiteten Archi -<br />

tekten, Biologen und Ingenieure aus Stuttgart,<br />

Tübingen und Freiburg an naturinspirierten<br />

Foto: Kovalenko<br />

neuen Konzepten für die Architektur. Die<br />

Ergebnisse des Projekts mit der Bezeichnung<br />

„Transregio 141“ waren im Naturkundemuseum<br />

Stuttgart ausgestellt.<br />

Die einzelnen Projekte widmeten sich ganz<br />

verschiedenen Fragestellungen. Dabei geht es um<br />

be wegliche und verformbare Elemente, neues<br />

Foto: Strelitzia, Reginae, Lienhard, Baumann


2/2018 FUTURE<br />

27<br />

Design und moderne, abbaubare Materialien. So<br />

wird zum Beispiel erforscht, welche Rolle tech -<br />

nische Textilien in der Architektur der Zukunft<br />

spielen könnten. Professor Götz T. Gresser, Leiter<br />

des Deutschen Instituts für Textil- und<br />

Faserforschung dazu: „Technische Textilien<br />

haben eine ausgesprochen hohe Inno -<br />

vationskraft. Sie sind leicht und flexibel und las -<br />

sen sich deshalb im Faserverbund für Leicht -<br />

baukonstruktionen in der Architektur<br />

her vorragend einsetzen.“<br />

Ein weiterer Ansatz, der in der Ausstellung zu<br />

besichtigen war, beschäftigt sich mit verzweigten<br />

Stahlstützen, die pflanzlichen Verzweigungen<br />

sehr ähnlich sind. Stahlstützen sind in der Her -<br />

stellung meist teuer und energieaufwendig,<br />

Pflanzen dagegen bringen ähnlich stabile,<br />

komplexere Verzweigungen durch natürliches<br />

Wachstum hervor. Dabei halten sie mühelos<br />

Wind und Regen stand und sind hochindividuell.<br />

Kei ne Verzweigung gleicht vollständig der an -<br />

deren. Von den Astkonstrukten unserer<br />

heimischen Bäume bis zum Säulenkaktus: Die<br />

Baubioniker suchen möglichst viele pflanzliche<br />

Vorbilder, erstellten danach 3-D- Com -<br />

putermodelle von ihnen und testen diese mit tels<br />

Simulationen auf mechanische Belas tungen.<br />

Verzweigungen mit symmetrischen Aufbau von<br />

drei oder vier gleichwertigen Ästen, die man zum<br />

Beispiel beim japanischen Pa pierbusch findet,<br />

dienten als Vorbilder für echte Konstruktionen.<br />

So sind Ergebnisse der Baubionik zum Beispiel in<br />

Stuttgart am Flughafen zu sehen.<br />

Ein Gebäude muss viele Anforderungen<br />

erfüllen: Es soll stabil sein, eine angenehme<br />

Innen atmosphäre haben, Leitungen für Strom,<br />

Gas, Wasser, Heizung und Daten besitzen.<br />

Architekten haben seit langem die Fun -<br />

Foto: Kovalenko<br />

ktionsweisen von Tieren und Pflanzen im Auge,<br />

um sich Anregungen aus der Natur für ihre<br />

Konzepte zu holen. Der Sonderforschungsbereich<br />

„Transregio 141“ hat viel dafür getan, dass Häuser<br />

in Zukunft nachhaltiger gestaltet werden.<br />

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28<br />

FUTURE<br />

mediakompakt<br />

Foto: Pexels<br />

Next Level: Medizin<br />

Medizinstudenten üben eine OP – der Patient leidet am grauen Star. Die getrübte Linse<br />

wird vom Auge abgelöst und durch eine neue ersetzt. Ein kurzer Moment reicht, um das Auge<br />

des Patienten schwer zu verletzen. Nicht aber hier, es wird in der virtuellen Realität geprobt.<br />

VON MICHELLE JEHLE<br />

Was bisher vor allem in der Gam -<br />

ing-Industrie angewandt wird, hält<br />

Einzug in die Medizin. Patienten<br />

mit schweren Ver brennungen<br />

können dank der VR-Tech nologie<br />

auf Schmerzmittel während der Ver bandswechsel<br />

verzichten. Mittels einer speziellen Brille und<br />

eines Headsets werden die Pa tien ten in die<br />

Snow-World versetzt, eine an der Universität<br />

Washington entwickelte Win terlandschaft.<br />

Der Patient bewegt sich dabei durch eine<br />

Schnee landschaft, inklusive Pinguinen und<br />

Schnee ballschlacht. Die Ablenkung soll Schmer -<br />

zen lindern – und das um bis zu 50 Prozent. Ähn -<br />

liche Ergebnisse werden sonst durch Morphium<br />

erreicht. Positive Nebeneffekte der Be handlung:<br />

Es wird keine Abhängigkeit erzeugt und die<br />

Wahrscheinlichkeit einer Depression bei Lang -<br />

zeitpatienten verringert.<br />

Auch in der Behandlung von Suchtproblemen<br />

oder Phobien findet VR Anwendung. So berichtet<br />

die Barmer Krankenkasse von Patienten, die ihrem<br />

Suchtmittel ausgesetzt werden und lernen, diesem<br />

zu widerstehen. Eine Vorbereitung auf die Zeit<br />

nach der Therapie. Arachnophobiker werden mit<br />

virtuellen Spinnen konfrontiert, um ihre Angst zu<br />

überwinden. Die Therapie ist besser zu kon -<br />

trollieren, leichter umzusetzen und kosten -<br />

günstiger als die traditionelle Form.<br />

Neben dem Einsatz als „alternative Heil -<br />

methode“ wird VR auch als Lehrmittel eingesetzt.<br />

Studenten können lebensrettende Maßnahmen<br />

ohne Gefahr üben. Sei es bei einer Operation am<br />

Gehirn oder im Umgang mit Traumapatienten.<br />

Vir tuelle Realität ermöglicht schnelleres und<br />

sicheres Lernen, bereits gewonnenes Wissen kann<br />

auf die Probe gestellt werden. Eine Prozedur, die<br />

bei Flugzeug-Piloten gang und gäbe ist. In Zukunft<br />

soll es möglich sein, Behandlungsmethoden am<br />

vir tuellen Patienten zu erforschen.<br />

Kritik wird aber geäußert, alles kann die neue<br />

Technologie laut der Wissensseite der „Welt“<br />

nicht erzeugen. In der Handhabung mit der VR<br />

erleben die Studierenden nicht, wie sich die<br />

Netzhaut anfühlt, die mit der Pinzette berührt<br />

wird. Die Übung kann theoretisch im T-Shirt<br />

durchgeführt werden – und doch sitzen die Stu -<br />

dierenden dort im Kittel, um ihr Gehirn aus -<br />

zutricksen. Dass dieser Trick auch tatsächlich<br />

funktioniert, bestä tigen viele der Operierenden.<br />

Sie sagen, sie hätten etwas gespürt und nach dem<br />

Eingriff die Pinzette am Kittel abgewischt. Eine<br />

echte, trockene und un benutzte Pinzette.<br />

Die virtuelle Realität kann die Studierenden<br />

nicht auf den Moment vorbereiten, in dem sie<br />

einem Patienten eine schlechte Nachricht<br />

überbringen müssen. Oder der Familie berichten<br />

müssen, dass die Mutter die schwere Operation<br />

leider nicht über standen hat. Sie kann Menschen,<br />

die eine Hand oder ein Bein verloren haben, die<br />

Glied maßen nicht zurückgeben. Und sie kann Be -<br />

troffene nicht von deren Depression heilen.<br />

Dennoch bietet die virtuelle Realität viele<br />

Möglichkeiten, den Menschen zu helfen und The -<br />

rapien zu unterstützen. Sie kann die Grundlage für<br />

die Erforschung neuer Behandlun gen sein und<br />

den Studierenden die Scheu vor den Umgang mit<br />

dem menschlichen Körper nehmen.<br />

Noch wird der Einsatz der Virtual Reality in der<br />

Medizin von vielen Experten eher belächelt als be -<br />

fürwortet. Es ist nicht mehr als ein Nice-to-have,<br />

das aus der Gaming-Welt in die Wissenschaft<br />

schwappt. Es liegt an uns, sich auf die Tech nologie<br />

einzulassen. Und bereit zu sein für das nächste<br />

Level der Medizin.


2/2018 FUTURE<br />

29<br />

Die Motivation<br />

am Weltuntergang<br />

Alles was den Weltuntergang<br />

zelebriert, wird verschlungen.<br />

Wenn der Mensch die<br />

dystopische Zukunft der<br />

Realität vorzieht, muss mit<br />

uns etwas im Argen liegen.<br />

VON LISA SCHULER<br />

Donald Trump fördert das Lesen! Ja, das<br />

mag erstaunen. Schließlich ist der<br />

US-Präsident hauptsächlich für seine<br />

auf <strong>24</strong>0 Zeichen limitierten Aussagen<br />

bekannt, die sich stilistisch durch die<br />

Verwendung vieler Adjektive und kurzer Sätze<br />

auszeichnen. Wirklich traurig. Denn mit seiner<br />

Vereidigung zum mächtigsten Politiker der Welt<br />

katapultierte er einen fast ebenso alten Roman an<br />

die Spitze der Bestsellerlisten. George Orwells<br />

„1984“ musste sogar nachgedruckt werden, um<br />

das Verlangen der Massen zu stillen.<br />

Ein Unternehmer wird Präsident und weckt<br />

ein Bedürfnis nach Weltuntergangsliteratur?<br />

Interessant. Hieß es nicht „Make America Great<br />

Again“? Was wird es sein? Die amerikanische<br />

Uto pie oder Orwells düstere Zukunft mit Dikta -<br />

tor, Überwachungsstaat und Wahrheits mini -<br />

sterium, das die Geschichte umschreibt und<br />

propagiert. Es dürfte eine Frage der Perspektive<br />

sein. Alternative Fakten? Vielleicht. Fakt ist, dass<br />

die Faszination von Utopie und Dystopie sogar<br />

noch älter ist als der Mann im Weißen Haus.<br />

Es war einmal die Utopie. Oder, um es<br />

genauer zu sagen: eher keinmal. Denn die Utopie<br />

besticht dadurch, nicht zu sein. „Nicht-Ort“<br />

heißt sie auf Griechisch, etwas das nirgends ist.<br />

Und doch stellt sie die ideale Gesell schaft dar. Ein<br />

Versprechen der Voll kommen heit. Aber ein<br />

unerreichbares.<br />

Die Utopie ist das vom Menschen geplante<br />

Paradies, ganz ohne göttlichen Bestimmer. Wenn<br />

das Wolkenschloss untergeht, die Utopie<br />

scheitert, nennt man es Dystopie. Sie ist das ver -<br />

lorene Paradies. Als „schlechter Ort“ übersetzt, ist<br />

sie realer und versteckt sich in zahlreichen<br />

Gewändern: apokalyptisch, post-apokalyptisch.<br />

Oder: weder noch.<br />

Wichtig ist, dass sie die Negation der Utopie ist.<br />

Die Manipulation des Individuums durch die Ge -<br />

sellschaft. Perfektion zu Lasten der Freiheit. Dieser<br />

Albtraum wird stetig auf neue Weise in ver -<br />

schiedenen Medien erzählt.<br />

Ein wiederkommendes Wiegenlied. Als wolle<br />

der Mensch sich selbst mit der dunkelsten Zukunft<br />

quälen. Der Mensch als Masochist? Wohl eher als<br />

Realist, denn in jeder Dystopie steckt ein Körnchen<br />

der Gegenwart.<br />

Foto: Pixabay<br />

Eine Not, die es zu beseitigen gilt. Ein Ideal, das<br />

angestrebt wird. Eine Technologie, die das Leben<br />

erleichtern soll. Es ist ein absolutes Armutszeugnis<br />

der menschlichen Geschichte, dass einfacher an<br />

Dys topien zu glauben ist als an Utopien. Und<br />

wenn die Vergangenheit von fanatischen Idealis -<br />

ten und machtergreifenden Tyrannen ge prägt ist<br />

und in der Gegenwart uns ihre Nach folger<br />

terrorisieren.<br />

Hoch lebe die Dystopie!


30<br />

SOCIETY<br />

mediakompakt<br />

Generation<br />

Zukunftsangst!<br />

Das nächste Kapitel steht an:<br />

die Zeit unseres Lebens. Du bist<br />

nicht bereit? Jederzeit kann es<br />

losgehen. Doch irgendetwas<br />

fehlt noch. Wo sind all unsere<br />

Pläne geblieben?<br />

VON LAURA HOLZINGER<br />

Foto: Pexels<br />

Achttausendsechshundertfünfzig. So vie -<br />

le Ergebnisse erhalte ich, wenn ich den<br />

Begriff „Zukunftsangst“ google. Ein<br />

Definitionsvorschlag: „Zukunftsangst<br />

bezieht sich auf all die Dinge, die<br />

möglicherweise noch kommen können und mit<br />

denen wir eventuell in der näheren oder auch<br />

ferneren Zukunft zu tun bekommen. Zukunft s -<br />

angst lähmt, belastet und beschäftigt aber schon<br />

heute und im Hier und Jetzt.“<br />

Ich kenne das Gefühl. Mich überkommt es<br />

jedes Mal, wenn mir diese eine, verdammte Frage<br />

gestellt wird: „Weißt du schon was du nach dem<br />

Studium machst?“ Für einen kurzen Moment bin<br />

ich dann wie „gelähmt, belastet und beschäftigt“<br />

(Danke, Google!). Aber wie darauf antworten?<br />

Man will nicht wie ein orientierungsloser Student<br />

rüberkommen.<br />

Jetzt zu sagen, man weiß es noch nicht, weil es<br />

einfach so ist, wäre zu unverschämt ehrlich. Und<br />

auch wenn wir eigentlich wissen, dass es okay ist,<br />

nicht jeden weiteren Schritt akribisch geplant zu<br />

haben, wollen wir doch den Eindruck vermitteln,<br />

die Planung der Zukunft sei in vollem Gange.<br />

Meine Antwort auf die immer gleiche Frage, eine<br />

Aneinanderreihung von nichtssagenden Floskeln,<br />

habe ich längst per fektioniert. Wenn mein Gegen -<br />

über alle Signale richtig deutet, fragt er nicht<br />

weiter nach.<br />

Willkommen im Club der Twentysomethings.<br />

Willkommen in der Quarter-Life-Crisis. In der<br />

Generation Zukunftsangst. Unsere Ängste, unsere<br />

Probleme sind sehr persönlich. Nach einer kurzen<br />

Recherche stelle ich fest, es geht vielen so. Die<br />

meisten Betroffenen haben ihr Studium beendet.<br />

Grund zur Freude? Nicht wirklich. Das Problem:<br />

Wir sehen die Zukunft vor lauter Möglichkeiten<br />

nicht mehr. Die Angst, man könnte vielleicht die<br />

falsche Entscheidung treffen und dadurch eine<br />

wei tere unattraktive Lücke im Lebenslauf ris -<br />

kieren, lähmt, belastet und beschäftigt eine<br />

gesamte Generation. Auch wenn es für Außen ste -<br />

hende „nicht so schlimm“ ist, besteht die Gefahr,<br />

in dieser Phase stecken zu bleiben.<br />

Unser Umfeld ist allerdings nicht so ganz<br />

unschuldig daran. Alle um uns herum versuchen<br />

uns permanent einzutrichtern, wie schwer es sei,<br />

einen guten Job zu finden. Wir sollten froh sein,<br />

wenn uns nach dem Studium überhaupt jemand<br />

nimmt. Alles sei viel zu gefragt, viel zu teuer. Eine<br />

wahre Gehirnwäsche , der wir uns eigentlich<br />

schon seit dem Abitur unterziehen.<br />

Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass all<br />

diese Ängste Quatsch sind. Wir sollten einfach<br />

loslegen. Womit? Völlig egal! Wenn ich mich<br />

nach meinem Studium zur Kosmetikerin um -<br />

schulen lassen, nochmal studieren oder ein<br />

Startup gründen will, dann kann ich das ver -<br />

dammt nochmal tun. In zehn Jahren werden wir<br />

uns garantiert alle wünschen, heute, hier und jetzt<br />

nicht solange gezögert zu haben. Wir sind quali -<br />

fiziert und mehr als bereit, weil wir endlich etwas<br />

bewegen und gebraucht werden wollen.<br />

Also: Los geht‘s<br />

FÜNF TIPPS<br />

è<br />

è<br />

è<br />

è<br />

è<br />

Darüber reden. Du wirst sehen, wie<br />

vielen es genauso geht wie dir. Das<br />

erleichtert ungemein!<br />

Triff dich mit einem Kumpel, der<br />

mit 35 immer noch studiert.<br />

Schreibe Leute mit interessanten<br />

Jobs auf Xing oder LinkedIn ein -<br />

fach mal an, und lass dir von ihnen<br />

erzählen, was sie machen.<br />

Vor allem: Lass dir nichts erzählen.<br />

Schon gar nicht von Leuten, die<br />

ihr Leben lang denselben Beruf<br />

ausüben und auch noch total<br />

unzufrieden damit sind!<br />

Denk‘ daran, dass du irgendwann<br />

mal auf diese Phase (ja, es ist nur<br />

eine Phase) zurückschauen und<br />

dich darüber schlapplachen wirst,<br />

wie unbegründet deine Sorgen<br />

doch waren.


2/2018 SOCIETY<br />

31<br />

Drum prüfe,<br />

wer sich ewig bindet<br />

Wer auf die Liebe seines Lebens trifft, muss nicht zwangsläufig vor den Altar treten – das<br />

moderne Märchen sieht, wenn überhaupt, auch andere Beziehungsmodelle vor.<br />

Über die Beziehung im Wandel der Zeit.<br />

VON VANESSA SANTOS<br />

Beziehung ist eines der meist disku -<br />

tierten Themen in den Medien. Wer<br />

der Flut an Artikeln Glauben schenkt,<br />

kommt zum Schluss, dass sie kein<br />

Leben lang halten. Es wird auf<br />

Scheidungsquoten und eine sinkende Anzahl an<br />

Eheschließungen verwiesen. Beziehungen werden<br />

kürzer und vor allem komplizierter. Oft wird von<br />

einer Befristung gesprochen, als würden Paare<br />

bereits bei Beginn auf ein Ende hinarbeiten.<br />

Es könnte der Anschein entstehen, dass heute<br />

weniger Paare vor den Altar treten. Statistisch<br />

betrachtet hat die Anzahl an Eheschließungen<br />

jedoch zugenommen und die Scheidungsquote<br />

liegt nur noch bei 39,56 Prozent. Die Bereitschaft<br />

zu heiraten ist also vorhanden, allerdings hat<br />

innerhalb der vergangenen Jahre eine Neu -<br />

interpretation der Beziehung stattgefunden – eine<br />

gute Partnerschaft muss nicht mehr zwangsläufig<br />

in einer Ehe enden.<br />

Auch die Rollenverteilung ist nicht mehr so<br />

festgesetzt. Wer die Ehe im Wandel der Zeit<br />

betrachtet, stellt fest, dass sie früher einer<br />

Zweckgemeinschaft<br />

gleichkam, bei der<br />

vor allem die finan -<br />

zielle Ab sicherung<br />

und der Fort be -<br />

stand der Familie<br />

im Mit telpunkt<br />

standen.<br />

Wie Marion Stel ter, freiberufliche Psychologin<br />

und Paar thera peutin in Stuttgart, sagt, ist die<br />

heutige Vor stellung der Ehe eher romantisch<br />

geprägt. Es wird nicht erwartet, dass die Frau<br />

zuhause bleibt, um sich um Mann und Kinder zu<br />

kümmern. Frauen haben die gleichen Rechte wie<br />

Männer, streben nach privater und beruflicher<br />

Selbstverwirk lichung und haben ganz andere<br />

Möglich keiten als etwa vor 50 Jahren.<br />

Neben der Ehe haben sich neue Familien und<br />

ganz neue Beziehungsformen entwickelt:<br />

Ein-Eltern-Familien, auch nicht eheliche Lebens -<br />

gemeinschaften und Partnerschaften, bei denen es<br />

keine gemeinsame Wohnung gibt oder Fern -<br />

beziehung geführt werden.<br />

Daneben wird – besonders in Großstädten –<br />

das Single-Dasein zur Norm. Während sich<br />

klassische Beziehungsmodelle auf zwei Partner<br />

beschränken, sind bei einer offenen Beziehung<br />

auch Seitensprünge erlaubt. Viele Menschen<br />

wollen nicht in einer Partnerschaft leben und<br />

geben sich mit zwanglosen One-Night-Stands<br />

zufrieden. Mag man jemanden, aber ohne Ver -<br />

pflich tungen einzugehen, entscheiden sich<br />

manche für eine lockere Affäre, bei dem der Sex im<br />

Vordergrund steht.<br />

Wer es noch komplizierter haben möchte,<br />

bezeichnet sich als Mingle – zwei Menschen, die<br />

zwar eine körperliche Beziehung führen und als<br />

Freunde viel Zeit miteinander verbringen, aber<br />

nicht wirklich zusammen sind. Niemand will auf<br />

etwas verzichten, jeder hat die Angst etwas zu<br />

verpassen. Dabei suchen viele das perfekte<br />

Gegenüber. Das Gefühl, der Partner sei<br />

nicht genug, macht sich schon<br />

bei der kleinsten Unstimmigkeit breit. Aber wäre<br />

es vor 50 Jahren nicht auch so gewesen, wenn die<br />

Möglichkeit bestan den hätte? In einer Welt, die<br />

darauf aus gelegt war, dass eine Frau nur Ehefrau<br />

und Mutter blieb, gab es wenig Spielraum, auszu -<br />

brechen. Eine Trennung war aus finanziellen<br />

Gründen häufig unmöglich, dagegen sind heute<br />

meist beide Partner finanziell unabhängig. Es<br />

muss nicht immer zur Trennung kommen, sagt<br />

die Paar therapeutin. Es gebe Paare, die um ihr<br />

Glück kämpfen: „Oft bleibt in einer Beziehung die<br />

Romantik auf der Strecke, Ver änderungen im<br />

Leben führen dazu, dass man denkt, nicht mehr<br />

zusammenzupassen“, sagt sie. Stress, eine unter -<br />

schiedliche Lebensgestaltung und wenig Zeit<br />

füreinander – das seien alles Gründe für den<br />

Wunsch einer Trennung. „Das eigentliche Pro -<br />

blem liegt darin, dass eine Therapie oft als letzte<br />

Rettung gesehen wird. Dabei ist es weitaus<br />

schwieriger einzulenken, wenn bereits so viel<br />

kaputt gegangen ist.“<br />

Marion Stelter,<br />

freiberufliche Psychologin in Stuttgart:<br />

https://www.beziehungsmuster.de/<br />

Foto: Pexels


32 SOCIETY<br />

mediakompakt<br />

Foto: Pexels<br />

Regional, gesund und<br />

voll im Trend<br />

Der Einkauf von Lebensmitteln heute ist so einfach: Im Supermarkt können wir einkaufen,<br />

was wir wollen. Zusätzlich können wir online bestellen und uns die Lebensmittel nach<br />

Hause liefern lassen. Wir sind bestens versorgt. Warum sollten wir Zeit und Mühe in<br />

Kauf nehmen, regionale Produkte auf den Teller zu bekommen? Eine Spurensuche.<br />

VON ISABELL WIELAND<br />

Für immer mehr Kunden sind regionale<br />

Lebensmittel das neue Bio. Wer wissen<br />

möchte, was in seinem Essen ist und wie<br />

viele Kilometer es zurückgelegt hat, kann<br />

nicht nur auf Wochenmärkten, sondern<br />

auch in Stuttgarts Hofläden Waren regionaler<br />

Bauern kaufen. Den Trend haben die Gründer<br />

von „StadtLandEi“ erkannt und zusammen mit<br />

dem Stuttgarter Start-Up „smark“ die Kessel-Kiste<br />

am Hauptbahnhof ins Leben gerufen. Seit Juli<br />

2017 können an einem automatisierten Holz-<br />

Pavillon in der Haupthalle rund um die Uhr<br />

regionale Produkte eingekauft werden: Eier,<br />

Maultaschen, Spätzle, Linsen und vieles mehr.<br />

Fernab von Biosiegeln beurteilen die Gründer<br />

Thomas Baur & Adnan Ribic anhand von Kriterien<br />

wie Tierhaltung, Herkunft, Nachhaltigkeit oder<br />

dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, welche<br />

Pro dukte sie anbieten. Das schöne daran: Man<br />

kann sich direkt am Automaten über Herkunft, Er -<br />

zeuger und Nährwerte informieren.<br />

Im Februar 2018 wurde der zweite Standort in<br />

Stuttgart eröffnet. Im Westen findet sich das<br />

Kessel-Lädle direkt gegenüber der U-Bahn Halte -<br />

stelle Schwab-/Bebelstraße mit über 150 Lebens -<br />

mitteln aus der Region. Eine Neuheit dabei ist der<br />

Verkauf von frischen Waren wie Obst und<br />

Gemüse. Auch das Kessel-Lädle hat sozusagen<br />

rund um die Uhr geöffnet. Neben den Waren ist<br />

auch der Aufbau der Kessel-Kiste und des Kessel-<br />

Lädles regional. Zusammen mit der Kreativ- und<br />

Upcycling-Schmiede Kesselholz-Design wurden<br />

die Holzfassaden umgesetzt. Das Holz stammt aus<br />

alten Gebäuden aus Stuttgart und Umgebung.<br />

Doch Hofläden lassen sich nicht nur in der<br />

Stadt finden, viele Landwirte veräußern direkt auf<br />

dem eigenen Hof ihre Produkte. Der Einkauf im<br />

Hofladen kann so zum Erlebnis für Groß und<br />

Klein werden. So lässt sich alles darüber erfahren,


2/2018 SOCIETY<br />

33<br />

Foto: Smark<br />

wie Tiere gehalten, ob und welche<br />

Pflanzenschutzmittel benutzt werden und wie<br />

Landwirtschaft funktioniert. Wer mal ein Ei pro -<br />

bieren möchte, dass am gleichen Tag gelegt<br />

wurde, sollte bei einem der Hofläden vorbei -<br />

schauen.<br />

Doch es gibt es viele andere Möglichkeiten,<br />

Gemüse in Stuttgart und der Region selbst<br />

anzubauen. Denn Naturbegeisterte können<br />

frisches Gemüse auf den Teller zaubern, ohne<br />

gleich aufs Land ziehen zu müssen. Das Team von<br />

„meine ernte“ beispielsweise vermietet kleine<br />

Gärten und garantiert eine Ernte während der<br />

gesamten Saison.<br />

Und so funktioniert es: Die Miet-Gärten<br />

werden im Frühjahr vom Landwirt mit mehr als<br />

20 Gemüsesorten besät. Ab Saisonstart können<br />

die Mieter den eigenen Garten genießen und ler -<br />

nen, welche Sorten wie und wann wachsen.<br />

Gartengeräte und Wasser zum Gießen werden<br />

gestellt. Frischer und gesünder geht es nicht!<br />

Zusätzlich gibt es ein Beratungsangebot mit ei -<br />

nem Gärtnerbrief per E-Mail, Sprechstunden mit<br />

dem Landwirt und vieles mehr.<br />

Wer sich nicht gleich die Pflege eines ganzen<br />

Gartens zutraut, kann sich dem Trend „Urban<br />

Gardening“ anschließen. Ziel ist, auf ungenutzten<br />

Flächen frisches Grün anzubauen und eine<br />

umwelt freundliche Versorgung mit Lebens -<br />

mitteln zu garantieren. So entstehen immer mehr<br />

Pro jekte, etwa auf leeren Parkplätzen. Der eigene<br />

Bal kon kann aber auch in ein Obst-Paradies<br />

verwandelt werden. Urban-Gardening-Anhänger<br />

sind sehr kreativ: Beete werden in alten Auto -<br />

reifen, ausgetragenen Schuhen oder auf -<br />

geschnittenen Tetrapaks angelegt und besät.<br />

Nicht nur frisch, sondern auch gesund sind diese<br />

Lebensmittel, denn es werden im Normalfall<br />

keine Pflanzenschutzmittel verwendet.<br />

Für alle Interessierten gibt es auch eine Menge<br />

an Communities mit Tipps und Tricks, wie man<br />

Urban Gardening am besten macht.<br />

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34<br />

SOCIETY<br />

mediakompakt<br />

Foto: Saskia Heller<br />

Zero Waste in Stuttgart<br />

Ein Seepferdchen umschlingt ein Wattestäbchen. Seevögel verenden qualvoll<br />

am Strand. Inseln aus Plastik treiben im Meer. Bilder, die sich ins Gedächtnis<br />

brennen. Was kann jeder von uns tun, um die Vermüllung der Meere einzudämmen?<br />

VON SASKIA HELLER<br />

Jeder Deutsche produzierte im Jahr 2015<br />

laut einer Studie des Kölner Instituts der<br />

deutschen Wirtschaft 37 Kilogramm<br />

Plastikmüll. Die Recyclingrate betrug le -<br />

diglich 49 Prozent, der Rest wird zur<br />

Energiegewinnung verbrannt. Kritiker bemängeln<br />

schon lange die geschönten<br />

Zahlen der Abfallwirtschaft.<br />

So wird ein Großteil des<br />

Plastikmülls von China auf -<br />

gekauft, um daraus neue<br />

Produkte herzustellen. Und<br />

der Abfall wird nicht einmal<br />

direkt in Deutschland<br />

recycelt. Für dieses Jahr hat<br />

China eine Reform des Ab -<br />

fallkaufs angekündigt –<br />

minderwertiger Müllsoll<br />

nicht mehr von westlichen<br />

Na tionen gekauft werden.<br />

Al so: Die Abfallwirtschaft in<br />

un serem Land muss sich was<br />

einfallen lassen.<br />

Umso wichtiger ist es,<br />

dass jeder einzelne sich Gedanken um seinen Müll<br />

macht. Zum Beispiel darüber, ob Bananen im<br />

Supermarkt in einer Plastiktüte zur Kasse getragen<br />

werden müs sen. Oder ob man den Irrsinn von<br />

gepellten und wieder in Plastik verpackten Eiern<br />

unterstützen möchte.<br />

Eine ausgesprochen clevere Alternative zum<br />

Verpackungswahnsinn bietet der Supermarkt<br />

Schütt gut im Stuttgarter Westen. Dort macht man<br />

es sich seit drei Jahren zur Aufgabe, Produkte<br />

nach haltig, möglichst regional und biozertifiziert<br />

und unverpackt anzubieten. Der Kunde bringt<br />

dazu entweder sein eigenes<br />

Ver packungsmaterial mit oder<br />

er kann im Supermarkt<br />

ökologisch verträgliche Stoff -<br />

taschen und Behältnisse in<br />

unterschiedlichen Größen er -<br />

werben. Das rein vegetarische<br />

Sortiment reicht von über -<br />

wiegend saisonalem Obst und<br />

Gemüse über Nudeln, Körner,<br />

Joghurt, Eiern, Käse bis zu<br />

Backwaren.<br />

Auch ausgefallene Produkte<br />

wie Blütenpollen für das Müsli,<br />

Waldmeisterfruchtaufstrich<br />

oder als Highlight ganz frisch<br />

Foto: Saskia Heller gemahlenes Haselnussmus<br />

finden die Kunden in dem 53<br />

Quadratmeter großen Supermarkt. „Das Lieb -<br />

lingsprodukt der Kunden sind die Shampoos. Da -<br />

von wurden 5000 Stück in zwei Jahren verkauft“,<br />

sagt Jens-Peter Wedlich, Inhaber und Gründer<br />

von Schüttgut. Shampoos, die äußerlich eher<br />

Seifen ähneln, werden einzeln in Papier verpackt<br />

und verkauft. Auch andere Drogerieartikel wie<br />

Bambuszahnbürsten und Waschmittel erfreuen<br />

sich großer Beliebtheit.<br />

Allerdings: Ein Einkauf im Schüttgut-Markt<br />

will gut vorbereitet sein. So muss sich der Kunde<br />

schon vorab Gedanken machen, welche Menge er<br />

tat sächlich benötigt und wie er die Waren trans -<br />

portieren will. Genau dadurch werde laut Wedlich<br />

der Verschwendung entgegengesteuert. Das<br />

Konzept komme gut an. Nicht nur Stuttgarter kau -<br />

fen hier gern ein. „Wir haben ein riesiges<br />

Einzugsgebiet. Die Kunden fahren aus Heilbronn,<br />

Tübingen, Ludwigsburg zu uns, sogar aus<br />

Altensteig waren neulich welche da.“<br />

Doch was kann man nun tun, wenn die Fahrt<br />

zum Zero-Waste-Supermarkt zu weit ist? Mit<br />

selbstgenähten Stoffbeuteln, zum Beispiel aus al -<br />

ten Gardinen, lassen sich zumindest die<br />

Plastiktüten im Obst- und Gemüsebereich ein -<br />

sparen. Bei Joghurt, Milch, Senf, Öl und Essig wäre<br />

es vorstellbar, vollständig auf eine Plas -<br />

tikverpackung zu verzichten und dafür lieber<br />

Mehr weg-Gläser kaufen. Wurst, Käse und Brot<br />

bes ser an der Theke kaufen, so sind auch kleine<br />

Men gen möglich. Positiver Nebeneffekt: Es ent -<br />

stehen weniger Reste. Mit ein wenig Überlegung<br />

fallen jedem von uns sicher noch mehr Wege ein,<br />

Müll zu vermeiden.<br />

www.schuettgut-stuttgart.de


2/2018 SOCIETY<br />

35<br />

Von Apple-Jüngern und<br />

Sneaker-Sammlern<br />

Aufgeschlagene Zelte, Feldbetten und Schlafsäcke, junge Menschen sitzen in<br />

Decken eingewickelt auf Campingstühlen – klingt nach einem lustigen<br />

Camping-Ausflug. Nur die Location ist ungewöhnlich: mitten in der<br />

Stadt wird tagelang kampiert. Doch warum?<br />

VON LUCCA REDER<br />

Stuttgart, 2015: Es sind Bilder, die man<br />

sonst sieht, wenn ein Pop-Star in die<br />

Stadt kommt, und man unbedingt<br />

Tickets ergattern will. Jugendliche und<br />

junge Erwachsene, sie haben teilweise<br />

extra den Weg aus anderen Städten auf sich<br />

genommen, kampieren vor dem Schuhgeschäft<br />

„Foot Locker“ in der Stuttgarter Königstraße – be -<br />

waffnet mit Zelten, Liegen, Campingstühlen und<br />

Decken.<br />

Und wofür? Für ein Paar „Yeezy Boost“.<br />

Schuhe des Rappers Kanye West in Kooperation<br />

mit Adidas. Doch nicht jeder bekommt die be -<br />

Foto: Pexels<br />

gehrten Treter. Es geht darum, ein VIP-Armband<br />

zu ergattern, das am Release-Tag der Sneaker ge -<br />

gen ein Paar der begehrten Treter eingetauscht<br />

werden kann – die Armbänder werden nach dem<br />

Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“<br />

vergeben. Die Adidas „Yeezy Boost“ kosten circa<br />

350 Euro. Die Kampierer selbst bezeichnen sich<br />

gern als „Sammler“, teilweise verkaufen sie die<br />

Schu he im Internet dann deutlich teurer an<br />

Gleichgesinnte weiter.<br />

Gehen wir der Sache noch etwas weiter auf<br />

den Grund: Für einen ganz normalen Schuh<br />

würde sicher niemand Schlange stehen. Wenn<br />

der Name eines berühmten Künstlers oder das<br />

Logo einer angesagten Marke drauf steht, wollen<br />

es plötzlich ganz viele haben, um ein Status -<br />

symbol zu besitzen. Oder, um Ein druck bei<br />

Freunden und Verwandten zu schinden.<br />

Ein weiteres Beispiel ist das Apple-Phänomen:<br />

Seit Jahren schlagen die Fans des Herstellers miot<br />

dem angebissenen Apfel im Logo ihre Lager vor<br />

den Stores auf, wenn der Release eines neuen<br />

iPhones ansteht. Bei Apple wurde dieses<br />

Phänomen sozusagen geboren. Anhänger des an -<br />

gebissenen Apfels kaufen jedes Jahr das aktuelle<br />

Mo dell des Smartphones. Unabhängig davon, ob<br />

das vorige noch funktioniert oder nicht.<br />

Das ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs. So<br />

fängt die Markensucht bei Apple-Jüngern nicht<br />

erst an, wenn ein neues iPhone herauskommt. Bei<br />

den Apple-Messen, wenn die berühmten Keynotes<br />

(früher von Steve Jobs persönlich), gehalten wer -<br />

den, verharren die Apfel-Anbeter stundenlang vor<br />

den Toren und warten auf Einlass. Und neben<br />

Fan-Foren gibt es Stammtische oder teilweise so -<br />

gar gemeinsame Sommerausfahrten. Klingt ver -<br />

rückt? Ist aber die Wahrheit.<br />

In einer WDR-Reportage war zu sehen, wie<br />

Apple-Nutzer, die ihrem neuen iPhone amouröse<br />

Gesten entgegenbrachten, in einen Magnet -<br />

resonanztomographen (MRT) gesteckt wurden.<br />

Abwechselnd wurden Produkte von Samsung und<br />

Apple gezeigt. Während die Handys von Samsung<br />

eher vernunftbetonte Hirnareale aktivierten,<br />

regten die Apple-Geräte das Gehirn dort an, wo in<br />

der Regel emotional assoziierte Gesichter, etwa die<br />

von Freunden oder Verwandten, erkannt werden.<br />

Die Nutzer entwickelten eine emotionale Be -<br />

ziehung zu ihrem Smartphone. Die Beispiele<br />

zeigen deutlich, wie groß die Markenorientierung,<br />

beziehungsweise der -zwang in der heutigen – vor<br />

allem jüngeren – Gesellschaft geworden ist. Be -<br />

reits in Schulen wird von Mobbing-Fällen<br />

berichtet, weil ein Klassen kamerad No- Name -<br />

Klamotten trägt. Jeder ver nünftig den kende<br />

Mensch sollte sich an den Kopf fassen.<br />

Es lohnt ein kritischer Blick auf die<br />

Werteverteilung in der Gesellschaft und deren<br />

Vermittlung in der Erziehung der Jüngsten. Bei all<br />

dem kommt die Frage auf, ob mit dem Kampieren<br />

vor den Stores die höchste Stufe der Markensucht<br />

erreicht ist oder ob in den nächsten Jahren ein<br />

neuer, noch abgefahrener Trend aufkommt.<br />

Wir sind auf jeden Fall gespannt!


36<br />

SOCIETY<br />

mediakompakt<br />

Stilles<br />

Örtchen,<br />

oder doch<br />

nicht?<br />

Es könnte so einfach sein, auf<br />

den Topf setzen und Wasser<br />

marsch. Leider ist das nicht<br />

immerder Fall, oft ist das WC<br />

verschmutzt, oder es gibt<br />

einfach kein Klopapier. Für<br />

einige ist das größere Übel<br />

nicht die Ausstattung,<br />

sondern die Entscheidung vor<br />

der Tür: Damen oder Herren?<br />

VON ANZHELIKA GOLENKRIN<br />

Foto: Pixabay<br />

Stauwarnung: „Vorsicht vier Kilometer<br />

stoppender Verkehr auf der Autobahn<br />

81, zwischen Toiletten tür und Klo -<br />

schüssel“. So fühlt sich oft der Gang zum<br />

WC für uns Frauen an. Und wir alle<br />

haben in so einem Moment schon neidisch zur<br />

Seite geschaut. Wie eine gut ge ölte Maschine läuft<br />

ein Mann rein und wieder raus, ohne auch nur<br />

einen Hauch von einer Warteschlange.<br />

Dabei ist die Lösung so nah, aber zugleich<br />

doch so fern. Unisex-Toiletten! Diese würden<br />

nicht nur Vorteile für die hetero sexuellen<br />

Besucher haben, sondern auch helfen die LGBTI -<br />

Community mehr zu integrieren.<br />

„Wir alle in einer Toilette zusammen und<br />

gemeinsam?“, denkt sich der Unwissende im<br />

ersten Moment, und er malt sich das Schlimmste<br />

in seiner Fantasie aus. Doch die Realität ist nicht<br />

so dramatisch. Denn die Unisex-Toiletten<br />

bestehen aus einzelnen sanitären Anlagen, in<br />

denen die Intimität der Besucher bewahrt wird.<br />

Mehr Sorgen vor sexuellen Überfällen als zuvor<br />

muss man sich dadurch nicht machen.<br />

Insbesondere für Transgender, Transsexuelle<br />

und Intersexuelle wären Diskriminierungen und<br />

Unwohlsein auf dem stillen Örtchen nicht mehr<br />

an Tagesordnung. René Hornstein, Vorstands -<br />

mitglied im Bundes verband Trans*, und jemand,<br />

der sich ungerne für ein bestimmtes Ge schlecht<br />

definieren lässt, kennt alle diese Szenarien, die<br />

sich hinter den WC-Türen abspielen. Dabei<br />

fühlen sich Transgender-Frauen, die als „Mann“<br />

geboren worden sind nicht wohl eine Damen<br />

Toilette zu besuchen, weil sich die anderen<br />

Besucherinnen von ihr gestört fühlen und das<br />

auch zur Kenntnis geben. Auch hinter der<br />

anderen Tür sieht es nicht besser, denn dort bleibt<br />

es nicht nur bei verbalen Ausei n a n dersetzungen,<br />

sondern kann auch in starke Handgreiflichkeiten<br />

ausarten.<br />

Viele Universitäten und auch viele<br />

Hochschulen deutschlandweit setzen sich seit<br />

Jahren für die Einrichtung von Unisextoiletten<br />

ein. Auch bei uns stand das Thema Unisex-<br />

Toiletten zur Diskussion, wurde jedoch leider<br />

nicht durch gesetzt. Die Möglichkeit dazu bestand<br />

unter anderem für den großen Neubau der sogar<br />

mit fast doppelt so vielen WCs ausgestattet als<br />

rechtlich vorgesehen. Bei so viel Überschuss<br />

wären es keine größeren Mühen, einige Toiletten<br />

für uns alle anzu bieten.<br />

Foto: a.g.<br />

WAS BEDEUTEN<br />

DIE BEGRIFFE<br />

LGBTI:<br />

Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual,<br />

Transexuell/Transgender und Intersexual, es<br />

dient als Übergriff für die, die sich nicht zu der<br />

he terosexuellen Gemeinschaft zählen.<br />

Transgender:<br />

Das bezeichnet die Gruppe Menschen, die<br />

sich nicht mit ihrem angeborenen Geschlecht<br />

identifizieren wollen und dies auch nach<br />

außen hin präsentieren.<br />

Transsexualität/Transidentität:<br />

Sie möchten komplett als das jeweils andere<br />

Geschlecht akzeptiert werden und sie lassen<br />

sich mithilfe von Operationen und der Ein -<br />

nahme von Hormonen anpassen.<br />

Intersexuelle:<br />

Diese Menschen besitzen von Geburt an Ge -<br />

schlechtsorgane oder Ausprägungen bei der<br />

Pole. Sie sind dadurch schon biologisch nicht<br />

auf ein Geschlecht festgelegt.


2/2018 SOCIETY<br />

37<br />

Entscheide! Dich! Jetzt!<br />

Da ist sie wieder. Die Entscheidung, die getroffen werden will. Groß und schwer<br />

erscheint sie, könnte den Verlauf deines restlichen Lebens bestimmen. Du<br />

grübelst seit Stunden, vielleicht sogar Tagen oder Wochen, kommst auf keinen<br />

grünen Zweig. Was macht man in solchen Situationen? Wir geben Tipps.<br />

VON SANDRA EBERWEIN<br />

Wieso fällt es uns manchmal so<br />

schwer, uns zu entscheiden? Für Fe -<br />

lix Rebitschek liegt es auf der Hand:<br />

„Manchmal sind es zu wenige,<br />

meistens zu viele, und oft die<br />

falschen Informationen. Es liegt vor allem daran,<br />

dass die relevanten Informationen schlicht nicht<br />

zugänglich sind.“ Rebitschek ist wissen schaft -<br />

licher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für<br />

Bildungsforschung in Berlin und beschäftigt sich<br />

einge hend damit, wie Menschen mit Ent -<br />

scheidungen und deren Risiken umgehen. Als<br />

Leiter eines nationalen Forschungsprojekts will er<br />

uns im Umgang mit Entscheidungen unter Un -<br />

sicherheit stärken. Die gute Nachricht: Es gibt<br />

Tricks, die einem das Entscheiden leichter ma -<br />

chen können.<br />

Erstens: Problem erkennen und Ziel setzen<br />

Je besser du weißt, was du von deinem<br />

Beschluss haben möchtest, um so besser kannst<br />

du deine Entscheidungsmöglichkeiten abwägen.<br />

Wichtig ist, „das Problem zu schärfen”, sagt<br />

Rebitschek. Du musst dir eine neue WG suchen,<br />

weißt aber nur, dass du in eine schöne und gute<br />

WG ziehen möchtest? Dann stell dir die Frage:<br />

Was bedeutet schön und gut für dich? Ange -<br />

nehme Mitbewohner? Ein großes Zimmer? Eine<br />

gute Lage? Sobald du die für dich wichtigen Fak -<br />

toren kennst, kannst du sie untergliedern und<br />

priorisieren. Ein angenehmer Mitbewohner muss<br />

beispielsweise freundlich, ordentlich und pflicht -<br />

bewusst sein. Ein besonders angenehmer Mit -<br />

bewohner kocht vielleicht sogar dein Lieb -<br />

lingsgericht für dich, wenn du einen besonders<br />

schlechten Tag hattest.<br />

Zweitens: Dich nicht verrückt machen<br />

Wissen kann helfen, gut zu entscheiden. Aber<br />

Wissen hat nicht nur Vorteile, wie Rebitschek<br />

beschreibt: „Je mehr Informationen man ein -<br />

bezieht, desto höher ist das Risiko, dass man<br />

bestimmte Informationen berücksichtigt, die nur<br />

zufällig mit der zu treffenden Entscheidung zu -<br />

sammenhängen oder einfach zufällig nicht zu -<br />

sammenzuhängen scheinen.”<br />

Ein Beispiel: Du möchtest eine neue Kamera<br />

kaufen. Nachdem du seit Wochen recherchiert,<br />

Preise verglichen und Testberichte gelesen hast,<br />

scheint die Entscheidung noch schwieriger als<br />

zuvor. Zu viele Informationen können demnach<br />

durchaus einen negativen Effekt auf die Ent -<br />

scheidungsfähigkeit haben, da du einerseits den<br />

Foto: Unsplash<br />

Überblick verlierst und andererseits nicht mehr<br />

weißt, welche Kriterien dir wichtig sind. Re -<br />

bitschek dazu: „Robuste Entscheidungsfindung<br />

ver lässt sich auf eine überschaubare Anzahl von<br />

Schlüsselinformationen, und verzichtet daher<br />

auch auf Informationen.“<br />

Drittens: Auf dein Bauchgefühl hören<br />

Rebitschek bricht eine Lanze fürs Bauchgefühl.<br />

„Jeder Experte, Topmanager, Chefarzt wird Ihnen<br />

das bestätigen, wenn Sie danach fragen.“ Aber was<br />

ist unser Bauchgefühl, auch Intuition genannt,<br />

eigentlich? Das Unterbewusstsein verarbeitet und<br />

spei chert, was wir in der Vergangenheit gemacht<br />

und entschieden haben und merkt sich, ob die<br />

Ent scheidung einen guten oder schlechten<br />

Ausgang hatte. Verknüpft mit der jetzigen<br />

Situation ahnt es, wie ein ähnlicher Beschluss<br />

ausgehen könnte. Natürlich macht es bei<br />

manchen Entscheidungen wenig Sinn, aus -<br />

schließlich aufs Bauchgefühl zu hören, aber „ge -<br />

rade bei Problemstellungen, die nicht durch die<br />

Analyse von belastbaren Zahlen zu lösen sind”,<br />

liefert das Bauchgefühl „belegbar erfolgreiche<br />

Lösungen“, sagt Rebitschek.<br />

Viertens: Mit der Entscheidung glücklich sein<br />

Vor allem wenn du im Stress bist und nicht<br />

mehr weißt, wo dir der Kopf steht, fällt es dir<br />

schwer, gut zu entscheiden. Rebitscheks Tipp:<br />

Verzichte mit gutem Gewissen ganz absichtlich<br />

auf Optimierung. Die Methode nennt sich satis -<br />

ficing, ein Kunstwort aus satisfying und suffice.<br />

Sie funktioniert so: Setze dir ein „wün -<br />

schenswertes Aspirationslevel – wie viel sollte<br />

mindestens bei rum kommen”. Danach wählst du<br />

die erstbeste Möglichkeit, die das erfüllt. Laut<br />

Studien sind Satisficer nicht nur opti mistischer,<br />

sondern auch mit ihrem Leben zufriedener – im<br />

Gegen satz zu Maximierern, die ständig nach der<br />

optimalen Lösung suchen (die es so häufig gar<br />

nicht gibt).<br />

FAKTEN<br />

• Du triffst täglich etwa 20.000<br />

Entscheidungen<br />

• Mehr als die Hälfte der Deutschen<br />

entscheidet mehr mit de Verstand<br />

als mit dem Kopf


38<br />

SOCIETY<br />

mediakompakt<br />

Digitalisierung trifft Kirche<br />

Die digitale Transformation findet in vielen Bereichen des Lebens statt und beeinflusst uns<br />

vielfach. Orte, um aus dem gewohnten Alltag zu entfliehen, werden daher<br />

immer wichtiger. Welche Zuflucht bietet die Kirche?<br />

VON CLAUDIA SEIBERT<br />

Religion bringt Menschen zusammen<br />

und stiftet Gemeinschaft. Gläubige<br />

versammeln sich, um Messe zu feiern<br />

oder einfach beisammen zu sein.<br />

Solche persönlichen Begegnungen<br />

können aber nicht online stattfinden, das ist dem<br />

schnelllebigen Menschen jedoch zu unflexibel.<br />

Da bei helfen Auszeiten, dem Stress zu ent -<br />

kommen. Die Kirche bildet einen Gegensatz zum<br />

hek tischen Alltag, der durch moderne Kom -<br />

munikation und ständige Verfügbarkeit<br />

anstrengend geworden ist.<br />

Alles das sind Anzeichen einer großen,<br />

umfassenden Transformation: der Digitalisierung.<br />

Sie hat das Leben in nahezu allen Bereichen ver -<br />

ändert, zum Teilauf den Kopf gestellt und doch<br />

gibt es unberührt gebliebene Stellen. Die Kirche<br />

stellte lang einen Gegenpol zur Modernen dar,<br />

aber auch dort sind heute digitale Themen zu fin -<br />

den. Ein Internetauftritt und die Präsenz in sozia -<br />

len Netzwerken sind gang und gäbe. Viele<br />

Stimmen sind bereits der Meinung, es finde eine<br />

Art Medienreformation statt. Wie bei Martin Lut -<br />

her vor 500 Jahren.<br />

Die meisten Seelsorgeeinheiten haben mittler -<br />

weile eine Webseite, auf der sie sich präsentieren,<br />

etwa, um Termine oder Uhrzeiten für Gottes -<br />

dienste mitzuteilen. Auch die Jugendarbeit nutzt<br />

die sozialen Netzwerke. Über WhatsApp gibt es<br />

einen Gruppenchat für die Fastenzeit über den<br />

man Gedanken und Gebete miteinander teilen<br />

kann. Selbst der Papst hat einen eigenen Account<br />

auf Twitter und nimmt Stellung zu aktuellen<br />

Themen.<br />

Doch wie weit wird die Kirche in punkto Digi -<br />

ta lisierung mitziehen? Geht sie über das bisherige<br />

Maß hinaus? Öffnet sie sich sogar dem Gedanken<br />

einer virtuellen Messe? Messen sind ja über<br />

Fernsehen, Radio und Internet bereits live oder<br />

per Aufzeichnung zu erleben. Der päpstliche<br />

Segen an Ostern, der „Urbi et Orbi“ ist sogar auf<br />

diese Weise empfänglich und gilt für alle, die ihn<br />

über eines der Medien wahrnehmen. Momentan<br />

gilt dies nur für diesen speziellen Fall, aber viel -<br />

leicht kann künftig jeder Segen so empfangen<br />

wer den.<br />

Die Kirche hat den Wandel der Gesellschaft<br />

verstanden. Allerdings haben viele religiöse<br />

Themen noch immer eine starke Bedeutung. „Die<br />

Frage nach dem Sinn des Lebens, der Bedarf nach<br />

ge meinsam geteilten Werten, die Sehnsucht<br />

innerer Ruhe und das Einüben von Ritualen sind<br />

Zei chen das auch die jüngere Generation noch<br />

durchaus religiös ist“, erläutert Fabian Melchien.<br />

Er ist Gemeindereferent der Seelsorgeeinheit<br />

Allerheiligen in Karlsruhe. Die Kirche wird die<br />

Digitalisierung hoffentlich für sich einsetzen und<br />

dennoch ihre Werte nicht verändern.<br />

Das Internet kann helfen, verlorenen<br />

Menschen einen Platz zu geben und sie auf das<br />

Angebot der Hilfe und Gemeinschaft aufmerksam<br />

zu machen. Die digitale Welt kann die Kirche er -<br />

weitern und optimieren, sie muss nur auf die rich -<br />

tige Art genutzt werden. Tobia Luck, ehren -<br />

amtliche Dekanatsleiterin des BDKJ Karlsruhe,<br />

bringt es auf den Punkt: „Die Kirche kann die<br />

Foto: Unsplash<br />

Digitalisierung nutzen, um in allen Lebenswelten<br />

der Menschen präsent zu sein. Und vielleicht<br />

kann man so Menschen erreichen, die nicht von<br />

sich aus einen Gottesdienst besuchen würden.“<br />

Die Digitalisierung findet also bei Christen An -<br />

klang. Es hängt jedoch von jeder Gemeinde und<br />

je dem Menschen selbst ab, inwieweit Digi -<br />

talisierung genutzt wird. Die Kirche kann einen<br />

ru higen Pol in der Hektik des Alltags und somit ei -<br />

nen Zufluchtsort für alle darstellen – und dennoch<br />

digital auf der Höhe der Zeit sein.


2/2018 SOCIETY<br />

39<br />

Foto: eva / Pfisterer<br />

Liebe los!<br />

Nächstenliebe. Ein Wort, das im ersten Moment schnell erklärt ist. Es ist die<br />

Liebe zum Nächsten. Hört sich einfach an, oder? Von wegen!<br />

VON LISA MAIER<br />

Die Tür der Bahn schließt sich langsam.<br />

Eine junge Frau kommt angerannt. Du<br />

drückst schnell den Knopf. Die Tür<br />

springt wieder auf. Ein etwas außer<br />

Atem gekeuchtes Dankeschön. Andere<br />

Szene. Eine alte Nachbarin trägt zwei schwere<br />

Einkaufstaschen ins Haus. Du packst mit an. Ein<br />

dankbarer Blick.<br />

Kennt nicht jeder von uns solche kleinen<br />

Gesten im Alltag, die unseren Glauben an das Gu -<br />

te im Menschen stärken? Ist das christliche Nächs -<br />

tenliebe? „Aber sicher!“ denkst du vielleicht. „Na<br />

klar!“ sagt mein Bauchgefühl. Doch christliche<br />

Nächstenliebe ist weit mehr als solche kleinen<br />

Gesten.<br />

Der Begriff „Nächstenliebe“ stammt aus einem<br />

der Kernsätze im Alten Testament der Bibel. Dort<br />

heißt es: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie<br />

dich selbst“ (Levitikus 19,18). Dieser Satz hat es in<br />

sich. Zum einen ist hier die Rede von Liebe, zum<br />

an deren von meinem Nächsten und obendrein<br />

auch noch von einem selbst.<br />

Die Liebe ist die Grundhaltung der Christen.<br />

Gott hat seinen eigenen Sohn aus Liebe zu den<br />

Men schen hingegeben. Ist das nicht der größte<br />

Lie besbeweis, den es gibt? Diese hingebende Liebe<br />

verträgt kein bloßes Lippenbekenntnis. Sie er -<br />

greift Körper, Geist und Seele. Diese Liebe drängt<br />

zur Tat.<br />

Und wer dieser ominöse Nächste ist, findet<br />

man im Gleichnis vom barmherzigen Samariter.<br />

Es zeigt, wie drei Menschen mit dem Opfer eines<br />

Raubüberfalls umgehen. Ein Priester und ein Levit<br />

gehen achtlos an dem Überfallenen vorbei, ein<br />

Samariter leistet Hilfe. Er bringt den Verletzten in<br />

eine Herberge und sorgt für seine weitere Pflege.<br />

Wer ist also der Nächste hier? Das Opfer. Wie<br />

einfach! Lautet die Frage aber: Wer ist der Nächste<br />

für den Mann, der von den Räubern überfallen<br />

wurde? Dann ist die richtige Antwort:<br />

Der Samariter, der Mitleid hatte und Hilfe<br />

leistete. In der Bibel heißt es dazu von Jesus: „Geh<br />

hin und mache es genauso.“ Was kann man aus<br />

dem Gleichnis lernen? Das geben, was man hat<br />

und kann. Und das ganz ohne Erwartungen.<br />

Die Sozialarbeiterin und Diakonin Regina<br />

Schrempf macht das jeden Tag. Sie arbeitet in der<br />

Wär mestube in Stuttgart, einem Angebot der<br />

Evan gelischen Gesellschaft Stuttgart (kurz: eva).<br />

Im Leitbild der eva heißt es, dass Diakonie Aus -<br />

drucksform des Glaubens an Jesus Christus in tä -<br />

tiger Nächstenliebe sei. Wie erklärt Regina<br />

Schrempf das? „Wir wollen die Würde eines jeden<br />

Menschen achten und beachten, dass jeder ein<br />

Geschöpf Gottes ist. Jeder ist geliebt und<br />

gleichwertig“, sagt sie.<br />

Das erleben die Menschen, die von Dienstag<br />

bis Samstag hierherkommen. Es sind Menschen<br />

oh ne Wohnung, ohne Arbeit, ohne jeden Be -<br />

kanntenkreis, ohne Geld. Hartz-IV-Empfänger<br />

oder arme Rentner. Sie finden bei der eva Zu -<br />

wendung und Gehör. Sie können essen und trin -<br />

ken, duschen und Wäsche waschen. Außer dem<br />

gibt es Fernseher, Zeitungen und Gesell -<br />

schaftsspiele. Zudem verschiedene Freizeit- und<br />

Kul tur angebote, wie zum Beispiel ein wö chen -<br />

tlicher Singkreis, Kinonachmittage oder monat -<br />

lich „Gespräche am Abend“.<br />

Auf die Frage, was Nächstenliebe für sie<br />

persönlich bedeute, antwortet Regina Schrempf:<br />

„Für mich ist Nächstenliebe selbstlos und ehrlich<br />

und fordert nichts. Und es bedeutet, dass man für<br />

je manden anderen da ist und dass man versucht<br />

ihn so zu verstehen und anzunehmen, wie er wir -<br />

klich ist.“ Nach dem Besuch steht für mich fest:<br />

die Wärmestube ist nicht nur im Winter ein Ort,<br />

der Wärme. Auch im Sommer ist es ein Ort, der ge -<br />

füllt ist mit Wärme für den Nächsten.<br />

Nächstenliebe ist auch ohne den Glauben an<br />

Gott möglich. Für viele ist es jedoch leichter, in Je -<br />

sus Christus ein konkretes Vorbild zu haben.<br />

Und klar ist auch: Man muss einen Menschen<br />

nicht mögen, um ihn lieben zu können. Es geht<br />

nicht um positive Gefühle oder Romantik. Die<br />

Nächstenliebe ist eine willentliche Entscheidung.<br />

Sie zeigt sich in vielen Kleinigkeiten. An einem ge -<br />

drückten Knopf in der Bahn zum Beispiel oder<br />

einer schweren Einkaufstasche.<br />

Der US-Bürgerrechtler Martin Luther King sag -<br />

te einst: „Jeder muss sich entscheiden, ob er im<br />

Licht der Nächstenliebe oder im Dunkel der Ei -<br />

gensucht leben will.“<br />

Wofür entscheidest du dich?


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