Ärzteblatt Oktober 2006 - Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern
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LEITARTIKEL<br />
Gedanken zur Kammerwahl<br />
Unter dieser Überschrift hat ein engagiertes, in den Vorständen<br />
von Kammer und Kassenärztlicher Vereinigung (KV) vertretenes<br />
Mitglied der ärztlichen Selbstverwaltung die Befürchtung<br />
geäußert, daß die bevorstehende Wahl zur 5. Legislaturperiode<br />
von der Ärzteschaft unseres Landes nicht wahrgenommen<br />
werden könnte. Es seien seine Erfahrungen im Vorstand<br />
und in der Kammerversammlung, die ihn zu der Forderung<br />
„Niedergelassene wählen Niedergelassene“ veranlassen,<br />
damit die spezifischen Probleme der Niedergelassenen in die<br />
Kammerversammlung transportiert werden.<br />
Man darf einigermaßen überrascht und verwundert sein –<br />
gerade weil es sich um einen engagierten, erfahrenen Aktivisten<br />
der Selbstverwaltung handelt. Überrascht und verwundert<br />
deswegen, weil sich aus diesen Worten eine verblüffende<br />
Unkenntnis der differenzierten Aufgaben der <strong>Ärztekammer</strong>n<br />
kundtut, wie man sie allenfalls von an der Selbstverwaltung<br />
nicht interessierten Kollegen erwarten würde. Weiterbildung,<br />
Fortbildung, Qualitätssicherung, Berufsordnung<br />
und Berufsgerichtsbarkeit sind die Aufgabenbereiche einer<br />
<strong>Ärztekammer</strong>. Die ärztliche Selbstverwaltung mit ihren höchsten<br />
Organen Kammerversammlung und Vorstand ist nicht<br />
nur Interessenvertretung der gesamten Ärzteschaft, sondern<br />
immer auch mittelbare Staatsverwaltung und nimmt hoheitliche<br />
Aufgaben wahr. Sie ersetzt die unmittelbare Staatsverwaltung<br />
(früher noch bekannt als Kreisarzt, Bezirksarzt, Abteilung<br />
Gesundheits- und Sozialwesen beim Rat des Kreises<br />
usw. bis hin zum Zentralkomitee) und setzt sich kritisch mit<br />
den Einflüssen des Staates auseinander. Die Auseinandersetzung<br />
mit der Einflußnahme des Staates („Staatsmedizin“)<br />
gewinnt gerade in der aktuellen gesundheitspolitischen Situation<br />
eine zunehmende Bedeutung.<br />
In den Gremien der <strong>Ärztekammer</strong> geht es gerade nicht um<br />
die Durchsetzung von Gruppeninteressen. Vielmehr ist die<br />
Situation der gesamten Ärzteschaft unabhängig von der<br />
Stellung des einzelnen im medizinischen Betreuungsprozeß<br />
Gegenstand ärztlicher Berufspolitik in den Kammern. Dies<br />
verlangt integrative und ausgleichende Fähigkeiten von den<br />
Standesvertretern. Immer dann, wenn aus der Selbstverwaltung<br />
heraus (materiell bestimmte) Gruppeninteressen erkennbar<br />
werden, wird die ärztliche Selbstverwaltung unglaubwürdig<br />
und angreifbar. Diese Angriffe werden dann – mit freudiger<br />
Sekundanz einiger Medien – gern von den Politikerinnen<br />
und Politikern geführt, denen die Selbstverwaltung<br />
ohnehin ein Dorn im Auge ist.<br />
Die Unterstellung, niedergelassene Ärzte würden in der Kammerversammlung<br />
nicht wahrgenommen, ist abstrus und wird<br />
gerade in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion<br />
mit jedem Ärztetag, jeder Kammerversammlung, jeder Ausgabe<br />
des <strong>Ärzteblatt</strong>es und auf jedem nationalen Protesttag<br />
widerlegt. Kolleginnen und Kollegen, die sich besonders<br />
engagiert für die Interessen ihrer Fachgruppe einsetzen, sind<br />
sicher in der Vertreterversammlung der KV gut aufgehoben.<br />
In die Kammerversammlung gehören die Ärztinnen und<br />
Ärzte, die bereit sind, über ihre Fachgruppe und Arbeitsstelle<br />
hinaus zu denken und unter Abwägung auch widerstreitender<br />
Interessen zu handeln.<br />
Damit wir – die verfaßte Ärzteschaft – „wahrgenommen werden<br />
und das unsägliche Gefühl der Ohnmacht aufhört“, achten<br />
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei Ihrer Wahlentscheidung<br />
mehr auf persönliche Integrität, Kommunikationsfähigkeit<br />
und ärztliche Souveränität als auf die Fachrichtung<br />
und die Dienststellung des Kandidaten. Dann wird<br />
auch die 5. Kammerversammlung in <strong>Mecklenburg</strong>-<strong>Vorpommern</strong><br />
ihre Aufgaben im Sinne der gesamten Ärzteschaft erfüllen<br />
und ihren Beitrag in der gesundheitspolitischen Auseinandersetzung<br />
dieser Tage leisten können.<br />
Dr. Wilfried Schimanke<br />
SEITE 340 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN