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Wir Unternehmer – Porträt<br />

Juni 2005: Kundin möchte Buch abholen: „Irrungen, Wirrungen“<br />

o<strong>de</strong>r so ähnlich, Autor weiß sie nicht mehr. Tatsächlich<br />

abgeholt hat sie dann „Bianca – Raffi nierte Intrigantin“.<br />

März 2008: „Ich hätte gerne Band 101 von Harry Potter.“<br />

März 2008: „Haben Sie ,Tiefgebirge‘ von Charlotte Roche?“<br />

März 2008: „Haben Sie ,Nasszelle‘ von Charlotte Roche?“<br />

Juni 2008: Kun<strong>de</strong> reicht wortlos einen Zettel rüber: „Charl.<br />

Roche: Schleimhäute und Mösen.“<br />

Juli 2008: „Ich hätte gern ein Schulbuch, Nummer weiß ich<br />

nicht, wie es heißt auch nicht, ich weiß nur, wie es aussieht.“<br />

So etwas sammeln die Buchhändler auf einer Liste, die „Kuriositäten“<br />

heißt.<br />

Sigrid Heinze ist von Anfang an dabei, seit mehr als 20 Jahren<br />

arbeitet sie bei „Sosch“. Es habe einfach nie einen Grund gegeben,<br />

woan<strong>de</strong>rs hinzuwechseln. Sie erzählt von Kun<strong>de</strong>n, die<br />

heute Mitte 20 sind, die früher auf ihren Knien saßen und sich<br />

Bil<strong>de</strong>rbücher zeigen ließen. Sigrid Heinze lacht laut. Sie ist<br />

eine quirlige Nord<strong>de</strong>utsche mit einer zauseligen Frisur und einer<br />

Vorliebe für bunte Pullover. Man lerne die Kun<strong>de</strong>n ja langsam<br />

kennen, merke sich Gesichter, Geschmäcker. Und wenn<br />

sie ein Buch empfehle, frage sie später oft, ob es gefallen habe.<br />

Dabei ergeben sich Gespräche, so kommt man sich näher.<br />

An freundlichen Gesten ist die Beziehung reich zwischen<br />

„Sosch“ und <strong>de</strong>n Stammkun<strong>de</strong>n. Über all die Jahre sind die<br />

Verkäufer und die Kun<strong>de</strong>n auch zusammen älter gewor<strong>de</strong>n.<br />

Es kamen Kin<strong>de</strong>r zur Welt, Angehörige verstarben, einmal ein<br />

Kollege. Man hat davon oft gewusst und Anteil genommen.<br />

„Ich komme hier schon ewig her“, sagt Regine Schrö<strong>de</strong>r. Sie<br />

fühle sich aufgehoben, gut beraten, könnte Stun<strong>de</strong>n verbringen<br />

zwischen <strong>de</strong>n Regalen, hier reinblättern o<strong>de</strong>r da. „Ich<br />

habe nie das Gefühl, die wollen in erster Linie, dass ich etwas<br />

kaufe“, sagt sie. „Die wollen, dass mir etwas gefällt.“ Deswegen<br />

macht sie sich die Mühe mit <strong>de</strong>m Weg, wo es doch viel<br />

bequemer wäre, die Bücher im Internet zu bestellen und sich<br />

zuschicken zu lassen. Aber <strong>de</strong>r Bücherbote sagt eben nicht:<br />

„Erzählen Sie mal, wie fan<strong>de</strong>n Sie das Buch?“ Es ist <strong>de</strong>m La<strong>de</strong>n<br />

gelungen, eine Grenze zu wahren. Obwohl auf Supermarktgröße<br />

angewachsen, ist er nicht zum anonymen Warenanbieter<br />

gewor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn vertrautes Gesicht geblieben.<br />

Angefangen hat Sosch auf 36 Quadratmetern, bohnenstangenschmal<br />

und hochgeschossen, als wahnwitzige I<strong>de</strong>e einer<br />

jungen Frau, da war die La<strong>de</strong>nzeile in <strong>de</strong>r Gropiusstadt noch<br />

nicht mal überdacht. Anfangs habe sie bei gutem Wetter Pappkartons<br />

mit Büchern rausgestellt, um Kun<strong>de</strong>n anzulocken.<br />

„Unglaublich, wie man mal Geld verdient hat“, sagt Sonja<br />

Schwestka und lacht laut. Un<strong>de</strong>nkbar wäre das heute in <strong>de</strong>m<br />

großen, mo<strong>de</strong>rnen Einkaufszentrum, in <strong>de</strong>m alles geregelt,<br />

vorgeschrieben, durchgerechnet ist. Das Center-Management<br />

freut sich sehr an seiner einzigen Buchhändlerin. Gut sei <strong>de</strong>ren<br />

Geschäft, nötig für <strong>de</strong>n ausgewogenen Branchenmix.<br />

Den ersten Mietvertrag, im Jahr 1985, bekam Sonja Schwestka<br />

aber erst, als ihr Freund, <strong>de</strong>r honorige Steuerberater, <strong>de</strong>r<br />

heute ihr Ehemann ist und Mitgesellschafter, <strong>de</strong>n Vermieter<br />

sprechen wollte. Und angefangen hat sie mit <strong>de</strong>m billigsten<br />

Steckregalsystem, das sich fi n<strong>de</strong>n ließ. Und dann war sie am<br />

18. November 1985 fertig. Öffnete um 8.30 Uhr. Und verkaufte<br />

um 8.51 Uhr ihr erstes Buch. „Die Schwarzwaldklinik“, das<br />

„Ich bin kein Zahlenmensch. Ich habe eher ein Gefühl dafür,<br />

ob etwas stimmt o<strong>de</strong>r nicht.“ SONJA SCHWESTKA<br />

Buch zur Fernsehserie. Die Kundin hat ihr <strong>de</strong>n Kassenbeleg<br />

gerahmt und zum einjährigen Bestehen geschenkt.<br />

Dreimal hat sich Sosch seit<strong>de</strong>m vergrößert. Im Jahr 1991 auf<br />

108 Quadratmeter, weil 36 einfach nicht mehr gingen; dann<br />

1996 auf 300 und 1999 auf 620 Quadratmeter.<br />

Zu <strong>de</strong>n Ausbaustufen Sosch III und Sosch IV, wie Sonja<br />

Schwestka ihre Vergrößerungsgeschichte nennt, hat das<br />

Center-Management sie genötigt. Aus <strong>de</strong>r La<strong>de</strong>nzeile von anfangs<br />

war über die vielen Jahre ein riesiges Shopping-Center<br />

gewor<strong>de</strong>n, mit zwei Supermärkten, H & M, Pimkie, Peek &<br />

Cloppenburg, Görtz-Schuhgeschäft und Multiplex-Kino. Es<br />

ist mit 180 Geschäften auf 85.000 Quadratmetern das größte<br />

Einkaufszentrum in Berlin, die wollten keinen Minibuchla<strong>de</strong>n<br />

in ihrer Mitte, son<strong>de</strong>rn etwas Gleichwertiges. Entwe<strong>de</strong>r wachsen,<br />

sagte man Sonja Schwestka, o<strong>de</strong>r raus. Sie hatte Angst vor<br />

diesen Dimensionen, diesen Zahlen, aber sie beugte sich <strong>de</strong>m<br />

Druck. Zu meinem Glück, sagt sie heute. Der Umsatz nämlich<br />

wuchs mit, wuchs sogar noch viel mehr.<br />

Stammkundin Regina Schrö<strong>de</strong>r macht sich wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n<br />

Weg nach Hause, sie hat zwei Bücher bestellt. Bald wird sie<br />

wie<strong>de</strong>r hier hereinrollen, angetrieben von einer unerhörten<br />

Vorfreu<strong>de</strong>. Lesen, sagt sie, hat doch etwas Magisches.<br />

14 ProFirma 02 2009<br />

Fotos: Magdalena Wimmer

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