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Kultour KULTUR JOKER 19<br />

Vom Schatten ins Licht<br />

Wie Gesetzesgeber das Sexgewerbe weiter ins Abseits drängen<br />

Es zählt als das älteste Gewerbe<br />

der Welt und setzt gerade<br />

auch in Deutschland jährlich<br />

Milliarden hohe Beträge<br />

um. Die deutsche Erotikbranche<br />

boomt wie nie zuvor und<br />

lockt Kunden aus allen gesellschaftlichen<br />

Schichten in Bordelle<br />

und Stundenhotels, um<br />

sexuelle Dienstleistungen zu<br />

beziehen. Tatsächlich hat sich<br />

in den letzten Jahren ein stetig<br />

wiederkehrender Satz medial<br />

etabliert: Deutschland ist das<br />

größte Bordell Europas.<br />

Ein Service, von dem man<br />

oft nur hinter vorgehaltener<br />

Hand spricht, wenn überhaupt.<br />

Es hat sich in gutbürgerlichen<br />

Kreisen etabliert, dass Handlungen<br />

und Entwicklungen,<br />

über die man nicht redet,<br />

dementsprechend wohl auch<br />

nicht existieren können. Doch<br />

sollte man mittlerweile nicht<br />

auch begriffen haben, dass<br />

totschweigen und wegschauen<br />

nie hilfreich, sondern stets nur<br />

Nährboden für unrechtes und<br />

inakzeptables Verhalten sind?<br />

Tatsächlich wehrt sich diese<br />

Branche nun. Man möchte<br />

aus dem Schatten treten,<br />

heißt es von Seiten des BSD,<br />

dem Bundesverband Sexuelle<br />

Dienstleistungen e.V., der 2002<br />

... wurde mit fünf Kronen ausgezeichnet<br />

von selbstständigen Prostituierten<br />

und Bordellbetreibern<br />

in Berlin gegründet wurde.<br />

Anlass dazu stellte das ebenfalls<br />

im Jahr 2002 in Kraft<br />

getretene Prostitutionsgesetz,<br />

kurz ProstG, welches sexuelle<br />

Dienstleistungen erstmals<br />

offiziell als Beruf anerkannte<br />

und somit den Grundstein für<br />

einen selbstverständlicheren<br />

Umgang mit Sexualdienstleistungen<br />

legen sollte.<br />

De facto hat das ProstG die<br />

rechtliche Stellung von Prostitution<br />

als Dienstleistung mehr<br />

oder minder geregelt, sodass<br />

Prostitution und das Schaffen<br />

eines geeigneten Arbeitsumfeldes<br />

nicht mehr strafbar sind<br />

oder als sittenwidrig gelten<br />

(sollten). Das erlassene Gesetz<br />

zeigte jedoch nicht nur<br />

Auswirkungen auf das Zivil-,<br />

sondern auch Strafrecht. Seit<br />

2002 können Prostituierte<br />

Strafanzeigen gegen Freier<br />

erheben, die beispielsweise<br />

Endgeldaufforderungen nicht<br />

nachkommen. Außerdem können<br />

sich Sexarbeiter/Innen<br />

regulär in den gesetzlichen<br />

Arbeitslosen-, Renten-, und<br />

Krankenversicherungen versichern<br />

und genießen so die<br />

gleichen Rechte wie andere<br />

Arbeitnehmer und Dienstleister<br />

in Deutschland.<br />

Weitaus umstrittener, und<br />

bis heute auch aus der eigenen<br />

Branche scharf kritisiert,<br />

ist das 2017 in Kraft getretene<br />

Prostituiertenschutzgesetz<br />

(ProstSchG). Im Mittelpunkt<br />

dieses Gesetzes steht die Einführung<br />

einer Erlaubnispflicht<br />

für alle Prostitutionsgewerbe.<br />

Außerdem entstanden ist eine<br />

Anmeldebescheinigung für<br />

Prostituierte, fragwürdiger<br />

Weise in der Umgangssprache<br />

auch als „Hurenpass“<br />

betitelt. Laut Gesetzesgeber<br />

sollen Prostituierte so besser<br />

vor Ausbeutung und Zwang<br />

geschützt werden. Tatsächlich<br />

stehen Sexarbeiter/Innen in<br />

vielen Fällen einem unübersichtlichen<br />

Berg an Bürokratie<br />

gegenüber und treffen dahinter<br />

leider auch oft auf Sachbearbeitern/Innen<br />

ohne nötige<br />

Kompetenz oder Verständnis<br />

für explizite Werdegänge.<br />

Mit dem ProstSchG wurde<br />

zusätzlich eine schon lang geforderte<br />

Kondompflicht (§32<br />

Abs. 1 ProstSchG) eingeführt.<br />

Zuwiderhandlungen dieser<br />

Gesetzgebung von Seiten des<br />

Dienstleisters aus, können mit<br />

Bußgeldern von bis zu 10.000<br />

Euro geahndet werden; verstoßen<br />

dagegen Freier gegen<br />

diese Verordnung, ist ein Bußgeld<br />

bis 50.000 Euro möglich.<br />

Und erforderlich, denn immer<br />

wieder kommt es zu sexuellen<br />

Übergriffen, auch und gerade<br />

in diesem Milieu. Aber bietet<br />

dieses Gesetz tatsächlich so<br />

viel Schutz wie es namentlich<br />

verspricht?<br />

Viele Vereinigungen wehren<br />

sich gegen die schwammigen<br />

Auflagen des ProstSchG, so<br />

auch der Bundesverband für<br />

Sexuelle Dienstleistungen.<br />

Tatsächlich schaut man heute<br />

auf einen Flickenteppich<br />

in Deutschland, wenn es um<br />

rechtliche Umsetzung im<br />

Rahmen des Prostitutionsschutzgesetzes<br />

geht. Auflagen,<br />

die in München<br />

gang und gäbe<br />

sind, können in<br />

Schleswig-Holstein<br />

abgelehnt<br />

werden. Dies hat<br />

zur Folge, dass<br />

eine Prostituierte,<br />

die in München<br />

eine Anmeldebescheinigung<br />

erhalten<br />

hat, in Schlesw<br />

i g - H o l s t e i n<br />

abgelehnt wird,<br />

da das Gesetz in<br />

diesem Fall keine<br />

klaren Normen<br />

Die Villa Deluxe in Freiburg ...<br />

oder Prüfungsverfahren standardisiert<br />

hat.<br />

Nicht selten arbeiten selbstständige<br />

Prostituierte in verschiedenen<br />

Städten gleichzeitig<br />

oder wechseln diese nach<br />

ein paar Monaten; per Gesetz<br />

ist man in diesem Fall dazu<br />

verpflichtet, in jedem Bundesland<br />

eine neue Anmeldegenehmigung<br />

zu erbitten.<br />

Ein Umstand, der nicht nur<br />

Zeit- und Kostenaufwand be-<br />

Herausgeber:<br />

Helmut Schlieper (V.i.S.d.P.)<br />

Verlag:<br />

Art Media Verlagsgesellschaft mbH<br />

Auerstr. 2 • 79108 Freiburg<br />

Redaktionsleitung:<br />

Christel Jockers<br />

Redaktion:<br />

Cornelia Frenkel<br />

Peter Frömmig<br />

Annette Hoffmann<br />

Marion Klötzer<br />

Manuel Kreitmeier<br />

Nike Luber<br />

Fabian Lutz<br />

Georg Rudiger<br />

Claus Weissbarth<br />

Friederike Zimmermann<br />

Terminredaktion:<br />

Valentin Heneka<br />

deutet. Es herrscht<br />

eine Ungleichheit<br />

in dieser Gesetzgebung,<br />

denn<br />

tatsächlich gibt<br />

es kaum einen<br />

anderen Berufsstand,<br />

der zu diesen<br />

Maßnahmen<br />

verpflichtet wird.<br />

Ungleichheit<br />

durch gesellschaftliches<br />

Wegsehen,<br />

der nur mit<br />

Debatten und aktivem<br />

Hinschauen<br />

entgegengewirkt<br />

werden kann. Um<br />

den Schutz von<br />

Prostituierten und<br />

Sexarbeitern tatsächlich<br />

zu fördern,<br />

gilt es einen<br />

aktiven Diskurs<br />

zu führen; nicht<br />

über die Köpfe der Betroffenen<br />

hinweg, sondern gemeinsam<br />

mit Verbänden und Organisationen,<br />

die stellvertretend für<br />

diese Branche sprechen und<br />

agieren können. Gesellschaftliche<br />

Tabuthemen sind stets<br />

selbstauferlegte Schranken,<br />

welche wir ausschließlich und<br />

zu aller erst in unseren eigenen<br />

Köpfen öffnen müssen.<br />

Text und Fotos:<br />

Elisabeth Jockers<br />

Um Licht ins Dunkle zu bringen hat der BSD ein Gütesiegel<br />

entwickelt, das teilnehmende Bordelle unter anderem auf<br />

dienstleistende Ausstattung, Notrufsysteme, Hygiene, Barrierefreiheit<br />

oder auch den Service für die SexarbeiterInnen<br />

prüft. Nach einem detaillierten Kriterienkatalog haben sich<br />

die ersten Betriebe überprüfen lassen und werden jetzt mit<br />

einem Gütesiegel mit bis zu 6 Kronen ausgezeichnet. Hierzu<br />

mehr unter: www.bsd-ev.info<br />

Layout :<br />

Christian Oehms<br />

Telefon: 0761 / 72072<br />

Fax: 0761 / 74972<br />

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redaktion@kultur<strong>joker</strong>.de<br />

Anzeigen:<br />

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