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Gästemagazin Grenzenlos Sommer 2018

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32 / FEDERKIELSTICKEN<br />

33<br />

Stich für Stich zur Kunst<br />

Die Federkielstickerei – ein seltenes Handwerk. In aufwendiger Handarbeit verziert<br />

Markus Sebrich Gürtel, Träger und Beutel und macht sie zu kostbaren Unikaten.<br />

Als die Flößer damals die Isar hinunterfuhren,<br />

frisch geschlagenes<br />

Holz in die Städte des Nordens<br />

transportierten, da trugen sie<br />

schwere, breite Gürtel. Nicht nur als Zeichen<br />

ihrer Kraft und Stärke, sondern auch zur Aufbewahrung<br />

für den Lohn, den sie für Holz<br />

und Arbeit erhielten. Gut verborgen vor den<br />

Augen und dem Zugriff von Räubern bargen<br />

die aufwendigen Handwerksstücke ihren Inhalt<br />

eng am Körper – und zierten nach außen<br />

ihren Träger: Kunstvolle Muster waren darin<br />

eingestickt – Symbole zur Herkunft und zum<br />

Beruf, Anfangsbuchstaben des Namens oder<br />

verschlungene Ornamente. Kein Stück glich<br />

dem anderen. Zugleich waren solche Gürtel<br />

selbst eine Wertanlage, dienten mitunter als<br />

Tauschwährung, zum Beispiel für eine Kuh.<br />

Kostbares Material<br />

Gleich zwei solcher „Geldkatzen“ hat<br />

Markus Sebrich in seiner Werkstatt ausgestellt.<br />

Er ist einer der wenigen im Lande,<br />

der das alte Handwerk des Bestickens noch<br />

beherrscht. Ein junger Mann, aber mit dem<br />

Blick und der Abgeklärtheit von einem, der<br />

sich gar nichts anderes mehr vorstellen kann<br />

als diese Kunst. Ihr besonderer Wert liegt in<br />

dem Material, in dem sie ausgeführt ist: feine<br />

Streifen, geschnitten aus dem Kiel von Pfauenfedern,<br />

über Generationen hinweg haltbar.<br />

„Wenn man sie sorgfältig aufbewahrt, können<br />

die Stickereien ein biblisches Alter erreichen“,<br />

berichtet Markus Sebrich.<br />

Federkielsticken, das bedeutet nicht nur<br />

„ungewöhnliches Material“. Das bedeutet<br />

auch Geduld und Genauigkeit. Einen ledernen<br />

Hosenträger zu besticken, nimmt, je<br />

nach Umfang der Verzierungen, schon mal<br />

60 und mehr Stunden in Anspruch. Das beginnt<br />

damit, dass sich Sebrich mit seinen<br />

Kunden über deren Vorstellungen unterhält,<br />

über Form, Farbe und Material.<br />

Danach folgen Skizzen für das Muster,<br />

die detailgenaue Übertragung aufs Material<br />

und schließlich das Sticken. Kielstreifen für<br />

Kielstreifen sticht er durchs Leder, der Zeichnung<br />

folgend. Mit freier Hand, ohne Nadel,<br />

nur das harte Material der Federspitze wird<br />

ab und zu nachgeschärft. Der Handwerker<br />

sitzt dabei auf seinem Stickrössl, vor sich<br />

das Werkstück eingespannt, versunken in<br />

seine Arbeit, die Ahle, mit der er die feinen<br />

Löcher im Stickmuster setzt, entspannt in<br />

der Hand. „Ich fange immer mit dem Mittelstück<br />

an, das beim Hosenträger über der<br />

Brust liegt“, erzählt er. „Von da aus entwickelt<br />

sich dann das ganze Werk.“ Wenn er<br />

die Rahmen linien stickt, laufender Hund<br />

oder laufender Schrägstich oder Hahnentritt<br />

oder eine Mischung aus allen dreien, nimmt<br />

er den Rhythmus auf, der den Rest jeder<br />

Arbeit prägt.<br />

Dem Betrachter erschließt sich bald, warum<br />

das keine Arbeit „für nebenher“ oder<br />

„für schnell-schnell“ ist. Auch er habe das<br />

früh erkannt, als er sich dieser Beschäftigung<br />

zuwandte, erinnert sich Sebrich. „Ich<br />

wollte damals selbst einen solchen Hosenträger<br />

und erfuhr, dass es eine Wartezeit von<br />

zwei Jahren gibt. So lange wollte ich nicht<br />

warten und habe lieber selbst gelernt, wie’s<br />

English Summary<br />

Markus Sebrich is one of only a few<br />

people who still master the traditional<br />

craft of embroidery. He’s a young man,<br />

but with the gaze and serenity of one<br />

who can imagine nothing more than<br />

this art. An old quill embroiderer from<br />

the village, who no longer practises<br />

the craft himself, introduced him to<br />

its subtleties – and its most important<br />

secret: how to split the quill correctly.<br />

What also makes this art very special is<br />

geht.“ Um dann die Erfahrung zu machen,<br />

dass nicht das Tempo das Kriterium ist, sondern<br />

die Präzision und das Verständnis fürs<br />

Material.<br />

Geheimnis wird bewahrt<br />

Ein alter Federkielsticker aus dem Ort, der<br />

selbst das Handwerk nicht mehr ausübt,<br />

weihte ihn in die Feinheiten der Arbeit ein<br />

– und in das wichtigste Geheimnis: „Wie<br />

man den Federkiel richtig spaltet. Da hat<br />

jeder von uns seine eigene Methode. Und<br />

die wird auch als Geheimnis bewahrt.“ Die<br />

nötigen Federn erhält er von zwei Pfauenhaltern<br />

aus Uffing und Antdorf: „Pfauen sind<br />

in unserer Region selten geworden, früher<br />

gab’s die auf vielen Höfen. Darum ist die<br />

Federkielstickerei im Alpenraum auch schon<br />

so lange zu Hause.“ Nicht nur Hosenträger,<br />

auch Gürtel und Geldbeutel wandern inzwischen,<br />

in Sebrichs kleiner Werkstatt bestickt,<br />

in den Besitz kunstsinniger und stilbewusster<br />

Menschen. Menschen, die sich nicht<br />

mit billigeren Imitaten begnügen. Die sich<br />

auf Fantasie, Geschick und Sorgfalt dieses<br />

jungen Mannes verlassen, der einen einzigartigen<br />

Weg für seine Kunst gefunden hat.<br />

Stich für Stich.<br />

<br />

Ulrich Pfaffenberger<br />

the material it uses: fine strips cut<br />

from peacock tail feathers and<br />

durable for generations. “If you keep<br />

them carefully, the embroideries can<br />

reach biblical age,” says Markus. Quill<br />

embroidery means more than just<br />

an “unusual material”; it also involves<br />

great patience and accuracy, as depending<br />

on the decorations, it can take<br />

sixty hours to embroider something<br />

like a pair of leather braces.<br />

Wenn man sie<br />

sorgfältig<br />

aufbereitet,<br />

können die Stickereien ein<br />

biblisches Alter erreichen.<br />

Markus Sebrich, Federkielsticker<br />

Federkielstickerei<br />

Sebrich<br />

+49 160 97965119<br />

info@federkielsticken.de<br />

www.federkielsticken.de

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