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54 / STAMMGAST<br />
55<br />
English Summary<br />
Lockruf des Apfelkuchens<br />
„Stammgäste“ in Bichlbach: So ganz trifft es diese Bezeichnung für Familie Bog<br />
nicht. Denn sie sind mittlerweile seit so vielen Jahren und Generationen hier,<br />
dass es sich für sie mehr wie eine zweite Heimat anfühlt.<br />
Da sitzen sie gemütlich in der<br />
guten Stube ihrer Pension,<br />
zwischen sich den jüngsten<br />
Sohn der Gastfamilie, und<br />
sind ganz ins Spielen vertieft: Gerhild<br />
Bog, die dem kleinen Baumeister<br />
Halt gibt beim Rangieren seiner Fahrzeuge,<br />
und ihr Sohn Matthias, der mit<br />
dem gelben Helm auf dem Kopf für den<br />
stilechten Rahmen sorgt. Vater Uwe beobachtet<br />
in Ruhe vom Lehnsessel aus die<br />
Szenerie. Draußen lecken die voröster lichen<br />
Sonnenstrahlen mit aller Kraft am noch<br />
reichlich verbliebenen Schnee und wecken<br />
die Vorfreude auf entspannte Urlaubsstunden<br />
im Freien, die jetzt nicht mehr lange auf<br />
sich warten lassen.<br />
Heimatgefühl pur<br />
„Wir sind eigentlich keine Stammgäste<br />
mehr, sondern eher schon Einheimische, die<br />
die meiste Zeit des Jahres anderswo leben“,<br />
kommentiert Gerhild Bog den Moment des<br />
familiären Miteinanders, in dem zwischen<br />
Urlaubern und Gastgebern kaum mehr zu<br />
unterscheiden ist. Palmsonntag 1960 sei sie<br />
zum ersten Mal mit ihren Eltern in Bichlbach<br />
gewesen, erzählt die Pfälzerin. Der Vater<br />
hatte in der Jugend die Gegend mit dem<br />
Fahrrad erkundet und lieben gelernt. Später<br />
wollte er sie mit seiner Familie wiedersehen.<br />
Aus einem spontanen Halt wurde<br />
ein einwöchiger Aufenthalt und daraus …<br />
Familie Bog verbringt<br />
in Bichlbach Urlaube,<br />
die sich mehr nach<br />
Heimat als nach<br />
Fremde anfühlen.<br />
„Meine Eltern haben sich infiziert“, scherzt<br />
Bog. „Wir sind immer und immer wieder<br />
gekommen.“<br />
„Ostern zu Hause gibt es bei uns eigentlich<br />
gar nicht mehr“, berichten die Bogs. Der<br />
Funke vom ersten Aufenthalt habe stets<br />
weitergeglommen. Wobei die Familie nicht<br />
nur zur Winterszeit nach Bichlbach gereist<br />
ist. „Wir haben alle Jahreszeiten hier verbracht“,<br />
sagen sie und berichten von anderen<br />
Urlaubern, die sie dabei immer wieder<br />
getroffen haben: „Die kamen aus Flensburg<br />
oder aus Stuttgart – es war jedes Mal wie<br />
eine Art Klassentreffen.“ Einschließlich<br />
der Gegenbesuche jenseits der<br />
Urlaube ist so eine Bichlbacher-<br />
Gemeinde aus Gästen entstanden.<br />
Welche gewaltigen Veränderungen<br />
die nunmehr 58 Jahre<br />
mit sich brachten, macht eine<br />
lakonische Bemerkung des Ehemanns<br />
deutlich, der sich an winterliche<br />
Liftfahrten erinnert: „Am<br />
Anfang fuhren wir mit dem Zweier-<br />
Sessel und haben uns 20 Minuten lang<br />
den A* abgefroren. Jetzt brausen wir<br />
im gemütlichen Sechser in ein paar Minuten<br />
hinauf.“ Auch die einstigen Zimmer mit<br />
Waschbecken und Toilette für alle „übern<br />
Gang“ sucht man heute vergebens. Mag der<br />
Komfort auch bescheiden gewesen sein,<br />
langweilig ist es der Familie nie geworden,<br />
„die Natur war für uns Kinder ein großartiger<br />
Spielplatz“, sagt Matthias Bog.<br />
Für uns Kinder war<br />
die Natur immer ein<br />
großartiger Spielplatz.<br />
Matthias Bog, Stammgast in Bichlbach<br />
Auch an die gemeinsamen bunten Abende<br />
in der Pension erinnern sich alle gern. „Hier<br />
habe ich Skat und Canasta gelernt“, erzählt<br />
der Sohn. „Das spielen wir heute noch mit<br />
Ostern zu Hause verbringen?<br />
Für die Bogs fast undenkbar.<br />
Leidenschaft. Einen Fernseher gab es nur in<br />
der Stube für alle zusammen, da hat man<br />
dann mal ein Länderspiel miteinander angeschaut.<br />
Aber sonst? Wer braucht denn<br />
so was?“ Mutter Gerhild bringt es auf den<br />
Punkt: „Es waren und sind die Menschen,<br />
deretwegen wir immer wieder<br />
hier sind.“<br />
Früher und heute<br />
Die Menschen sind auch<br />
geblieben, während manches<br />
verschwunden ist, was einst<br />
als unverzichtbar galt. „Früher<br />
gab es hier sieben Wirtschaften<br />
am Ort, jetzt sind es nur noch<br />
zwei.“ Und auch die klassische<br />
Unterkunft mit Vollpension gebe es<br />
in dieser Form nicht mehr: „Frühstück,<br />
drei Gänge zu Mittag, drei Gänge zu Abend<br />
– und das reichlich“, erzählen sie, übervolle<br />
Schüsseln und Teller vor dem inneren Auge.<br />
Da hieß es ordentlich wandern zwischendurch,<br />
um die gute Urlaubskost zu verdauen.<br />
Zumal die Backkünste der früheren Wirtin<br />
noch heute ein genussvolles Lächeln auf<br />
“Regular guests” in Bichlbach: this<br />
isn’t quite true of the Bog family,<br />
which has been coming here for so<br />
many years that it feels more like<br />
a second home. Gerhild Bog visited<br />
Bichlbach for the first time with<br />
her parents in 1960. Her father had<br />
explored the area on bike in his youth<br />
and come to love it. “We don’t really<br />
ever celebrate Easter at home anymore,”<br />
say the Bogs, revealing their<br />
favourite time to visit. The excitement<br />
of their first stay hasn’t dimmed over<br />
the years, and the family has enjoyed<br />
returning to Bichlbach in all seasons,<br />
when they’re always delighted to see<br />
other regular holidaymakers, many of<br />
whom are now good friends. While<br />
the older generation enjoys every<br />
day as it comes, the young ones have<br />
grown up on activity holidays. Gerhild<br />
sums it up: “it is and always was the<br />
people that bring us back here.”<br />
die Gesichter zaubern: „Der Apfelkuchen von<br />
Hanni Bertold war einzigartig.“<br />
Immer wieder Neues zu entdecken<br />
Während die ältere Generation jeden Tag<br />
genießt, wie er sich bietet, ist der Nachwuchs<br />
auf Aktivurlaub gepolt. Matthias, im<br />
zarten Alter von einem halben Jahr erstmals<br />
auf <strong>Sommer</strong>frische in der Gegend, besucht<br />
die Zugspitz Arena inzwischen auf eigene<br />
Faust. Für Mitglieder seines Sportvereins<br />
organisiert er Ski- und <strong>Sommer</strong>freizeiten,<br />
„der halbe Ort war schon auf Besuch“. Ihm<br />
ist es auch zu verdanken, dass die Eltern<br />
einen neuen Gastgeber gefunden haben.<br />
Entdeckt hat ihn der Junior in der Fernseh-<br />
Show „Das perfekte Dinner“: „Da war einer<br />
aus Bichlbach dabei, den ich nach fast<br />
30 Jahren dort noch nicht kannte. Da musste<br />
ich gleich Kontakt aufnehmen.“ Neben vielen<br />
gemeinsamen Erinnerungen erwies sich vor<br />
allem die Kochkunst als anziehungskräftig:<br />
„Ich mag im Urlaub nicht kochen müssen“,<br />
räumt Gerhild Bog ein, „da verlasse ich mich<br />
jetzt ganz auf den Florian Fasser.“<br />
<br />
Ulrich Pfaffenberger