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AurumNo14_Komplett

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FINE ARTS<br />

PHOTOGRAPHY<br />

DAVID LYNCH UNTITLED, Los Angeles,1990s, © David Lynch<br />

HELMUT NEWTON, Bergstrom over Paris, Paris 1976 © Helmut Newton Estate<br />

DIE NEUE, DREITEILIGE AUSSTELLUNG „Nudes“ ist die erste<br />

Präsentation in der Geschichte der Berliner Helmut Newton Stiftung,<br />

die ausschließlich dem Genre Akt gewidmet ist.<br />

Der nackte Körper gehört zur Kunst seit der berühmten Venus von Willendorf,<br />

die vor etwa 30.000 Jahren von einem unbekannten Künstler<br />

erschaffen wurde, und auch in der Fotografie, dem ältesten der neuen<br />

Medien, erscheint das Aktbild bereits in der Pionierzeit, also ab 1839.<br />

Seitdem hat sich eine ganz besondere Kombination von Exhibitionismus<br />

und Voyeurismus vor den Kameralinsen Tausender von Fotografen<br />

entwickelt – mal realistisch, mal inszenierend. Die drei in der<br />

Ausstellung vorgestellten Fotografen gehören zu den einfühlsamsten,<br />

experimentellsten und prägendsten Aktfotografen des ausgehenden 20.<br />

Jahrhunderts.<br />

SAUL LEITER (1923–2013) hat parallel zu seiner Modefotografie<br />

für „Harper’s Bazaar“ und den Farbabstraktionen, die seit den späten<br />

1940er-Jahren in den Straßen New Yorks entstanden, auch Aktbilder<br />

im Studio inszeniert. Diese stillen und intimen Schwarz-Weiß-Aufnahmen,<br />

die Leiter in der eigenen Dunkelkammer entwickelte, blieben zu<br />

seinen Lebzeiten gewissermaßen unter Verschluss, nur wenige Freunde<br />

kannten sie. Die weiblichen Modelle waren Freundinnen oder Geliebte<br />

des Künstlers, der sie in seiner New Yorker Wohnung, im gegebenen<br />

Raumgefüge und mit den vorhandenen Accessoires, porträtierte; es waren<br />

keine beauftragten professionellen Akt-Modelle. Sie kollaborierten<br />

geradezu verschwörerisch mit dem Fotografen und brachen das häufig<br />

so dualistische Prinzip von Voyeurismus und Exhibitionismus zugunsten<br />

eines spielerischen Miteinanders auf.<br />

Nach Leiters Tod im Jahr 2013 werden die unterschiedlichen Aspekte<br />

seines Werkes von der Direktorin der Saul Leiter Foundation, Margit<br />

Erb, aufgearbeitet und publiziert. So entstand im Frühjahr 2018 im<br />

Steidl-Verlag eine Publikation zu der beschriebenen Aktserie unter dem<br />

Titel „In My Room“, im Sommer 2018 zeigte die New Yorker Howard<br />

Greenberg Gallery eine Ausstellung mit Neuvergrößerungen ausgewählter<br />

Akt-Motive – und nun, ab Herbst 2018, wird in der Helmut<br />

Newton Stiftung erstmals überhaupt eine Präsentation mit über 200<br />

Vintage oder Late Prints von Leiters bislang relativ unbekanntem Akt-<br />

Werk zu sehen sein. Etwa die eine Hälfte dieser Bildauswahl hängt gerahmt<br />

an der Wand, die andere liegt als Bildschnipsel, vom Fotografen<br />

selbst fragmentiert, in einer Ausstellungsvitrine. Diese winzigen Silberprints<br />

mit ihren amorphen Risskanten bilden dort gewissermaßen eine<br />

eigene, zweite Ausstellung en miniature. Zusätzlich werden die zehnteilige,<br />

zeitlose Farbbildserie einer halb nackten jungen Frau auf der<br />

Terrasse eines Hauses am Meer, aufgenommen 1958 in Lanesville, Massachusetts,<br />

sowie 15 von Leiters handkolorierte Schwarz-Weiß-Abzüge<br />

unterschiedlicher Formate gezeigt, die auf seine intensive Beschäftigung<br />

auch mit dem Medium Malerei verweisen. So sehen wir in diesem Ausstellungsteil<br />

kleinformatige Akt-Porträts einer oder mehrerer Frauen,<br />

die auf Sofas und Betten liegen oder im Gegenlicht zur Silhouette werden,<br />

die gedankenverloren rauchen, die sich mit größter Natürlichkeit<br />

an- oder auskleiden, die lächelnd oder verführerisch für Leiters Kamera<br />

posieren; dabei sind nicht alle Modelle nackt, doch dies macht in dem<br />

ausgewählten Bildkonvolut überraschenderweise kaum einen Unterschied.<br />

Es sind subtile, sensible, ja geradezu schüchterne Annäherungen<br />

an das Wesen und an den Körper der Frau.<br />

Eine ähnliche Bildstimmung wie bei Saul Leiter begegnet uns bei den<br />

Aktaufnahmen von David Lynch (*1946), die ein knappes halbes Jahrhundert<br />

später, vor allem in Lodz und Los Angeles, entstanden sind<br />

und ebenfalls zunächst in Buchform im Verlag der Pariser Fondation<br />

Cartier („Nudes“, 2017) veröffentlicht wurden. Es sind abstrakte Kör-<br />

perbilder, gelegentlich vollformatige Details, die meisten in Schwarz-<br />

Weiß, einige wenige in Farbe, die wir manchmal erst auf den zweiten<br />

Blick mit einem menschlichen Körper in Verbindung bringen. Lynch<br />

wählte während des Arbeitsprozesses ungewöhnliche Perspektiven und<br />

Licht-Schatten-Kontraste sowie anschließend ein großes Bildformat,<br />

das die weiblichen Modelle annähernd lebensgroß erscheinen lässt; die<br />

25 ausge-wählten Motive sind erstmals und exklusiv für die Berliner<br />

Ausstellung zusammengestellt und vergrößert worden. Lynchs Aktaufnahmen<br />

entstehen parallel zu und autonom von seinem filmischen<br />

Werk, in dem gelegentlich ebenfalls sexuelle Anspielungen und Handlungen<br />

zu sehen sind. Seine fotografischen „Nudes“ – mal Beobachtung,<br />

mal Pose – wirken vergleichbar mysteriös wie seine Filme. Wir<br />

scheinen noch in der Bildbe-trachtung das vorsichtige, ja zarte Umkreisen<br />

und Untersuchen des weiblichen Körpers mit der Fotokamera zu<br />

spüren; solche Imaginationen sind wohl nur mit dem Medium Fotografie<br />

möglich. Die Intimität – oder vielmehr die Illusion einer Intimität<br />

– entsteht hier durch die Motivik einer extrem nahansichtigen, geradezu<br />

taktilen Körperlichkeit, auch wenn wir nur einen nackten Oberschenkel,<br />

eine Schulter oder einen Arm im Bildanschnitt sehen. Die<br />

fotografierten, namenlosen Frauen sind – im Gegensatz zu dem Bildpersonal<br />

Leiters – professionelle Modelle, die in einem undefinierbaren<br />

Bildraum posieren, nur eine rekelt sich rauchend und verführerisch auf<br />

einem Sofa, wobei auch hier der Innenraum geradezu kinematografisch<br />

unscharf und unkonkret bleibt.<br />

Anders als David Lynch zeichnete Helmut Newton die Aufnahmeorte<br />

seiner Mode- und Aktbilder immer wieder genau nach, stilisierte sie<br />

mitunter ebenso wie die Modelle in seinen Aufnahmen, sei es ein panoramatischer<br />

Ausblick auf die Stadt Paris, die lang gezogene Treppe in<br />

seinem Pariser Wohnstudio oder ein Zimmer in der Berliner Pension<br />

Florian mit einer ziemlich verruchten Historie. Newton begann mit der<br />

Aktfotografie in den 1970er-Jahren, diesseits und jenseits seiner Modebildproduktion,<br />

und hat bis zu seinem Lebensende 2004 regelmäßig<br />

in diesem Genre gearbeitet. Seine Serie „Naked and Dressed“, die den<br />

Übergang vom Mode- zum Aktbild in seinem Werk markiert, und die<br />

„Big Nudes“ machten ihn Anfang der 1980er-Jahre weltberühmt und<br />

inspirierten zahlreiche Kollegen und bildende Künstler zu Nachahmungen<br />

oder Neu-Interpretationen. Bis zu seinem Tod schuf er ein unvergleichliches,<br />

rätselhaftes Werk voll subtiler Verführung und zeitloser<br />

Eleganz – auch und besonders im Akt-Genre, mit dem er manch gängige<br />

Tabus verschob oder ignorierte. Es wurde immer wieder, ganz im Gegensatz<br />

zum Aktbildwerk Leiters, bereits zu seinen Lebzeiten publiziert,<br />

teilweise entstand es sogar im Auftrag von Magazinen wie „Playboy“<br />

oder „Oui“. Zudem gelang es Newton, manche seiner frei entstandenen<br />

Aktaufnahmen in Mode- und Lifestyle-magazinen unterzubringen.<br />

Die aktuelle Präsentation vereint mehr als 80 solcher Ikonen aus seinen<br />

bekannten Ausstellungen und Projekten, etwa „Helmut Newton’s<br />

Illustrated: Pictures from an Exhibition“, „White Women“, „Sleepless<br />

Nights“, „Big Nudes“, „Sex and Landscapes“, „Work“ oder „Us and<br />

Them“, sowie etwa 40 bislang ungezeigte Werke aus dem Stiftungsarchiv,<br />

darunter zahlreiche Original-Polaroids. Gezeigt werden ganz unterschiedliche<br />

Aktaufnahmen von Newton: Porträts nackter Menschen<br />

an Swimmingpools, raffinierte Aufnahmen unbekleideter Schaufensterpuppen<br />

und andere modebasierte Aktbilder, halbnackte Modelle mit<br />

orthopädischen Stützprothesen oder provokante Inszenierungen sexueller<br />

Obsessionen in weiblicher Besetzung, die in unserer Rezeption vielen<br />

Imaginations- und Assoziationsmöglichkeiten Platz lassen.<br />

text by MATTHIAS HARDER<br />

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