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Gegenwind für Tunnelpläne<br />
In Haiming diskutierte man über Auswege aus dem Transit-Dilemma – auch Außerferner dabei<br />
„Tunnelblick“ – dieser Ausdruck ist zum Synonym für eine verengte<br />
Sichtweise geworden. Manche Politiker (sei es auf Bundes-,<br />
Landes- oder Gemeindeebene) scheinen indes nach Auffassung<br />
vieler zur Lösung von Verkehrsproblemen nur ein Mittel zu kennen:<br />
Neue Tunnel. Diesem Thema widmete sich am Donnerstag<br />
eine Veranstaltung in Haiming. Dort allerdings fanden Tschirgant-<br />
und Fernpassscheitel-Tunnel so gut wie keine Freunde.<br />
Von Jürgen Gerrmann<br />
Dass dieses Thema die Menschen<br />
bewegt, war daran zu erkennen, dass<br />
im Oberlandsaal kein Stuhl frei blieb.<br />
Auch Außerferner pilgerten vom<br />
Lech- ins Inntal, um sich Informationen<br />
und Debatten anzuhören und<br />
beim Abend unter dem Motto „Kein<br />
Tunnelblick“ selbst mitzudiskutieren.<br />
Dass der Abwehrkampf gegen die<br />
Röhre unter dem Simmering (wie der<br />
Gipfel des Tschirgant-Massivs konkret<br />
heißt) nun schon über eineinhalb<br />
Jahrzehnte anhält, daran erinnerte<br />
Haimings Bürgermeister Josef Leitner<br />
gleich zu Beginn. 2004 hätten sich bei<br />
einer Beteiligung von 30 Prozent in einer<br />
Volksbefragung 84 Prozent gegen<br />
dieses Projekt ausgesprochen und der<br />
Gemeinderat daraufhin beschlossen,<br />
keinen Grund dafür zur Verfügung zu<br />
stellen – und 2017 zudem jeglichen<br />
Eingriff in die Wasserreserven unter<br />
dem Tschirgant abgelehnt.<br />
DIE GEOLOGIE. Dem „unter<br />
Geologen berühmten“ Tschirgant-<br />
Karst wandte sich Ingenieurkonsulent<br />
Oliver Montag aus Leonding bei Linz<br />
zu. Dort fließe das Wasser mehrere<br />
hundert Meter pro Tag, der Berg<br />
habe eine geringe Filterwirkung, aber<br />
eine hohe Speicherkapazität: „Die<br />
Niederschläge geraten fast direkt ins<br />
Grundwasser.“ Das Trinkwasser dort<br />
sei „sehr empfindlich gegen Schadstoffe<br />
oder Schmutz.“ Der Experte:<br />
„Ich kennen keinen Tunnelbau ohne<br />
Auswirkungen – zum Beispiel auf das<br />
Grundwasser.“ Ob man so ein Projekt<br />
realisiere, sei indes eine gesellschaftspolitische<br />
Frage und müsse in einem<br />
politischen Prozess abgewogen werden:<br />
„Da gilt es, das Schutzgut Wasser<br />
gegen die Anforderungen der Infrastruktur<br />
abzuwägen.“<br />
MÜHLVIERTLER TUNNEL-<br />
PROBLEME. Ein Beispiel aus<br />
Oberösterreich schilderte Johannes<br />
Matzinger, seines Zeichens Kulturtechniker<br />
der Wasserwirtschaft. Der<br />
Götschka-Tunnel im Zuge der neuen<br />
S10 zwischen Linz und Freistadt verlaufe<br />
im Vergleich zum Tschirgant<br />
zwar nur durch einen Hügel. Aber es<br />
habe dennoch gravierende Probleme<br />
gegeben: „Quellen sind von einem<br />
Tag auf den anderen versiegt, über 50<br />
Brunnen ausgetrocknet.“ Der Loibersdorfer<br />
Bach führe kein Wasser mehr,<br />
weil der Grundwasserspiegel um 50<br />
Meter tiefer gefallen sei, die landwirtschaftlichen<br />
Nutzpflanzen dort<br />
könnten sich nicht mehr über die<br />
Kapillare mit Wasser versorgen. Nun<br />
pumpe man das im Tunnel gesammelte<br />
Wasser künstlich über eine 2,1 Kilometer<br />
lange Röhre 130 Höhenmeter<br />
hoch, damit oben wieder ein Rinnsal<br />
fließe. All diese Risiken seien zuvor<br />
bekannt gewesen und abgewogen<br />
worden, man habe sich dennoch für<br />
den Bau entschieden. Wobei die Asfinag<br />
bei der Regulierung der Schäden<br />
„fair und professionell gehandelt“<br />
habe.<br />
SORGE UMS WASSER. Hubert<br />
Wammes ist nicht nur passionierter<br />
Obstbauer, sondern auch Obmann<br />
der Wassergenossenschaft Haiming.<br />
Er schwärmte von den riesigen Reserven<br />
im Tschirgant: Das Wasserbassin<br />
im Ort fasse eine Million Liter, im<br />
Berge ruhten noch Tausende solcher<br />
Massen. Der Klimawandel setze den<br />
Obstbauern massiv zu, die Ernte sei<br />
gegenüber der Jahrtausendwende nun<br />
zwei Wochen früher, es gebe 30 statt<br />
zehn Hitzetage jährlich (und bald<br />
sogar 50). Ohne Wasser könnten die<br />
Kulturen im Inntal aber nicht betrieben<br />
werden: „Wir haben Angst, dass<br />
durch den Tunnel das Grundwasser<br />
absinkt. Und wir brauchen Reserven<br />
für den Katastrophenfall.“<br />
„RECHT AUF GESUNDHEIT“.<br />
In Fahrt kam (trotz oder gerade wegen<br />
des Staus auf den Tiroler Straßen) natürlich<br />
Fritz Gurgiser, der Obmann des<br />
Transitforums Austria-Tirol: Mittlerweile<br />
werde durch die Blechlawine die<br />
einheimische Bevölkerung Wochenende<br />
für Wochenende eingesperrt.<br />
Nun müssten die Verantwortlichen<br />
endlich den Mumm aufbringen, den<br />
Schutz der Tiroler und der regionalen<br />
Wirtschaft an die oberste Stelle zu setzen<br />
und auch auf den Straßen endlich<br />
das Verursacherprinzip einzuführen.<br />
Es müsse endlich gehandelt werden:<br />
„Wir haben die Zeit nimmer, wir können<br />
nicht mehr warten. Das Chaos<br />
Sie saßen bei der von Martin Muigg-Spoerr moderierten Info-Veranstaltung in Haiming<br />
auf dem Podium: Hubert Wammes (Obstbauer und Obmann der Wasserversorgung),<br />
Bürgermeister Josef Leitner, Fritz Gurgiser vom Transitforum Austria-Tirol, Wasserwirtschaftler<br />
Johannes Matzinger und Geologe Oliver Montag (v.l.). RS-Foto: Gerrmann<br />
hat schon längst ein Ausmaß erreicht,<br />
dass die Straßenverkehrsordnung ein<br />
Einschreiten der Behörden verlangt.“<br />
Die Zeit müsse vorbei sein, „wo jeder<br />
seinen Lift und seine Betten baut und<br />
sagt ,Der Verkehr geht mich nix an‘“,<br />
attackierte er auch die Touristiker.<br />
Man brauche keine neuen Formen<br />
der Bürgerbeteiligung wie jüngst in<br />
Reutte und Imst, „wo nur Unsinn<br />
rauskommt“, sondern „Professionalität,<br />
Mut zu Begrenzungen, zum Eingriff<br />
in falsche Freiheiten und zum<br />
eigenen Umdenken.“ Denn: „Wir haben<br />
ein Recht auf Gesundheit.“ Dass<br />
das noch keinen Vorrang vor dem<br />
freien Warenverkehr habe – darüber<br />
ärgert sich nach eigenem Bekunden<br />
auch der Klubobmann der Grünen im<br />
Tiroler Landtag, Gebi Mair: „Ich verstehe<br />
auch nicht, warum wir immer<br />
noch kein funktionierendes Dosiersystem<br />
haben. Wir brauchen endlich<br />
eine gesellschaftspolitische Mehrheit<br />
über die Parteigrenzen hinweg.“<br />
AUCH VERSTÄNDNIS FÜR<br />
PLÄNE. Obsteigs Bürgermeister Hermann<br />
Föger wollte die Tunnelpläne<br />
indes nicht völlig verwerfen: „Ich bitte<br />
um Verständnis dafür, dass wir auf<br />
dem Mieminger Plateau auch entlastet<br />
werden wollen.“ Die Gegner der Projekte<br />
können offenkundig auch nicht<br />
auf Nassereiths Bürgermeister Herbert<br />
Kröll zählen: Der verwies darauf, dass<br />
sein Ort trotz des Transits („bei dem<br />
in erster Linie die Pkw das Problem<br />
sind, die Lkw werden jetzt schon rigoros<br />
kontrolliert“) mit die beste Luftqualität<br />
von ganz Tirol habe. Wenn<br />
man die Radler und Traktoren von<br />
der B179 bekomme, sei auch schon<br />
viel gewonnen. Haiming habe gut<br />
reden: „Ihr seid wirtschaftsstark und<br />
zu euch fahren auch viele Lkw.“ Der<br />
oft angeprangerte Tourismus sorge für<br />
eine niedrige Arbeitslosigkeit in den<br />
Tälern: „Und die Touristen bringen<br />
Geld und Wohlstand zu uns.“ Zudem<br />
gebe es für alle Projekte Behördenverfahren:<br />
Wenn die Probleme so<br />
immens seien, wie geschildert, dann<br />
glaube er nicht, dass die Tunnel gebaut<br />
würden.<br />
SALAMITAKTIK?. Bichlbach-Altbürgermeister<br />
Albert Linser forderte<br />
derweil erneut, die Zulaufstrecken<br />
zu den touristischen Top-Gebieten<br />
besser zu schützen: „Hier muss man<br />
an die Verursacher ran. Denn ungebremstes<br />
Wachstum führt zum Tod.“<br />
Was jetzt gerade passiere, komme ihm<br />
freilich eher wie eine „Salamitaktik<br />
für eine neue Transitroute von Nord<br />
nach Süd“ vor. Reuttes Bürgermeister<br />
Luis Oberer hatte derweil „noch<br />
nie erlebt, dass nach dem Bau eines<br />
Tunnels auch nur ein Auto weniger<br />
gefahren wäre.“ Im Gegenteil: „Es gab<br />
noch mehr Verkehr und noch mehr<br />
Stau.“ Das sei doch Blödsinn pur:<br />
„Der Verkehr muss der B179 angepasst<br />
werden – und nicht umgekehrt.“ Ihn<br />
störe zudem, dass man nicht mit den<br />
Nachbarn in Deutschland rede und<br />
eine gemeinsame Lösung suche: Die<br />
letzte Abfahrt vor Füssen sei 17 Kilometer<br />
entfernt – bei zwei Spuren mache<br />
das 34 Kilometer Stauraum, mit<br />
denen man das Außerfern entlasten<br />
könne. Der Tschirgant-Tunnel mache<br />
für ihn am allerwenigsten Sinn. Der<br />
solle ja über Maut finanziert werden:<br />
„Das rechnet sich aber nur, wenn<br />
möglichst viele fahren.“ Falle zudem<br />
das 7,5-Tonnen-Limit am Fernpass, so<br />
rechne er künftig mit 6000 statt 1500<br />
Lkw auf dieser Route.<br />
RUNDSCHAU Seite 36 27./28. Februar 2019