Kulturfenster Nr. 02|2019 - April 2019
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Chorwesen<br />
Herberge suchen<br />
heute – Ein Rückblick<br />
Josef Pirchers letztes Projekt<br />
lele Handlung bildet den Rahmen zur bekannten<br />
Herbergssuche: Es ist das Erlebnis<br />
der syrischen Flüchtlinge Bassem und<br />
Alima, deren Schicksal sich auf der Flucht<br />
übers Meer entscheidet. Maria und Josef<br />
werden, so wie es die Bibel erzählt, im Heiligen<br />
Land von hartherzigen Menschen<br />
abgewiesen. Dieselbe Hartherzigkeit erleben<br />
die beiden Suchenden auch in Naturns,<br />
wohin sie zeitlich springen: Die Unmenschlichkeit<br />
zeigt sich zum Beispiel im<br />
Geiz des geschäftigen Hoteldirektors Ludwig,<br />
der zwar mit Dreiviertel-Verwöhnpension<br />
inklusive Nutzung des SPA-Bereichs<br />
lockt, aber nicht bereit ist, auf seinen Profit<br />
zu verzichten. Wenig Erbarmen mit den<br />
beiden Obdachlosen hat auch die Bäuerin<br />
Klara, die zwar die Not der schwangeren<br />
Maria sieht, letztlich aber den gängigen<br />
Vorurteilen Ausländern gegenüber nachgibt<br />
und die Hoftür verschließt. Diese Vorurteile<br />
Fremden gegenüber gipfelt in der Begegnung<br />
von Maria und Josef mit der Naturnser<br />
Bevölkerung, die völlig misstrauisch den<br />
Einzug von Schmarotzertum und Gesetzlosigkeit<br />
befürchtet. Einzig die spielenden<br />
Kinder begegnen den beiden Suchenden<br />
mit naiver Freundlichkeit und unvoreingenommener<br />
Offenheit und lassen Josef sogar<br />
das Einradfahren probieren.<br />
Die Handlung schwenkt wieder zurück<br />
ins geschichtliche Palästina, wo der Engel<br />
den Hirten erscheint und die Botschaft vom<br />
Nahen des Weltenretters verkündet. Maria<br />
bringt im Stall den Erlöser und Heiland<br />
zur Welt, dessen Ankommen nun auch die<br />
Naturnser Bürger mehr als nachdenklich<br />
macht: In ihren Herzen regt sich Mitleid,<br />
zeigen sich Scham ob der unterlassenen<br />
Hilfe und die Erkenntnis über die unbedingte<br />
Notwendigkeit des Miteinanders.<br />
Ein Stück zwischen<br />
Lachen und Weinen<br />
„Herberge suchen heute“ war das letzte Projekt von Chorleiter und SCV-Altobmann<br />
Josef Pircher und bewegte mit seiner Thematik und der überzeugenden Umsetzung<br />
das Publikum.<br />
Zu einem ganz besonderen Weihnachtsspiel<br />
im Bürger- und Schulhaus von Staben<br />
lud der Kirchenchor Tabland-Staben in Zusammenarbeit<br />
mit der Volksbühne Naturns<br />
während der besinnlichsten Zeit des Jahres.<br />
Auf dem Programm stand die Uraufführung<br />
des weihnachtlichen Singspiels „Herberge<br />
suchen heute“ aus der Feder des Naturnser<br />
Autors Hanns Fliri, untermalt von Musik und<br />
Liedtexten des Komponisten Ernst Thoma<br />
und musikalisch geleitet von Josef Pircher.<br />
Erzählt und gesungen wurde die klassische<br />
Geschichte von der Herbergssuche<br />
bis zur Geburt Jesu im Stall von Bethlehem,<br />
aber in einem völlig neuen, ja modernen<br />
Kontext: Maria und Josef erleben<br />
in ihrer Bedürftigkeit auch die hektische<br />
und schnelllebige Zeit unserer Gegenwart.<br />
So werden die beiden auf ihrer Suche<br />
nach einer Unterkunft mit den Themen<br />
Flucht, Fremdsein und Heimat des<br />
21. Jahrhunderts konfrontiert. Eine paral-<br />
„Herberge suchen heute“ ist ein Stück zwischen<br />
Lachen und Weinen, zwischen Bestätigung<br />
und Nachdenklichkeit. Der Bezug<br />
zur Realität fordert vom Zuschauer die intensive<br />
Auseinandersetzung mit dem, was<br />
wir täglich als Schlagzeilen in den Tageszeitungen<br />
vor Augen haben, aber nicht mehr<br />
so wirklich wahrnehmen wollen: Flucht.<br />
Fremdsein. Heimatlosigkeit. Unserer Wohlstandsgemeinschaft<br />
wird ein Spiegel vor<br />
Augen gehalten. Niemand kann sagen: Bei<br />
uns gibt es so etwas nicht! Der Kirchenchor<br />
Tabland-Staben und der Erzähler, welche<br />
das Singspiel ähnlich wie der Chor im griechischen<br />
Theater begleiten und kommentieren,<br />
löst Ergriffenheit bei den Zuschauern<br />
aus: Betroffenheit macht sich breit.<br />
Dem Regisseur Andy Geier ist es gelungen,<br />
das Damals und das Heute zu einem<br />
gemeinsamen Ganzen zusammenzuführen.<br />
Die großartige Leistung aller Mitwirkenden<br />
(Chor, Schauspieler, Instrumentalisten,<br />
Techniker) lässt am Ende die Herzen<br />
der zahlreich gekommenen Zuschauer wieder<br />
warm werden. Schließlich geht es ja<br />
um die Botschaft von Weihnachten. Und<br />
diese Botschaft lautet: "Jedes Mal, wenn<br />
ihr einander anseht mit den Augen des<br />
Herzens, mit einem Lächeln auf den Lippen,<br />
ist Weihnachten." Der Kirchenchor<br />
Tabland-Staben hat sich damit selbst das<br />
schönste Geschenk zu seinem 35-jährigen<br />
Bestehen gemacht. „Herberge suchen (ist)<br />
heute ... mitten unter uns.“<br />
Gudrun Pöll<br />
<strong>Nr</strong>. 02 | <strong>April</strong> <strong>2019</strong> 27