02.04.2019 Aufrufe

Kulturfenster Nr. 02|2019 - April 2019

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Chorwesen<br />

Herberge suchen<br />

heute – Ein Rückblick<br />

Josef Pirchers letztes Projekt<br />

lele Handlung bildet den Rahmen zur bekannten<br />

Herbergssuche: Es ist das Erlebnis<br />

der syrischen Flüchtlinge Bassem und<br />

Alima, deren Schicksal sich auf der Flucht<br />

übers Meer entscheidet. Maria und Josef<br />

werden, so wie es die Bibel erzählt, im Heiligen<br />

Land von hartherzigen Menschen<br />

abgewiesen. Dieselbe Hartherzigkeit erleben<br />

die beiden Suchenden auch in Naturns,<br />

wohin sie zeitlich springen: Die Unmenschlichkeit<br />

zeigt sich zum Beispiel im<br />

Geiz des geschäftigen Hoteldirektors Ludwig,<br />

der zwar mit Dreiviertel-Verwöhnpension<br />

inklusive Nutzung des SPA-Bereichs<br />

lockt, aber nicht bereit ist, auf seinen Profit<br />

zu verzichten. Wenig Erbarmen mit den<br />

beiden Obdachlosen hat auch die Bäuerin<br />

Klara, die zwar die Not der schwangeren<br />

Maria sieht, letztlich aber den gängigen<br />

Vorurteilen Ausländern gegenüber nachgibt<br />

und die Hoftür verschließt. Diese Vorurteile<br />

Fremden gegenüber gipfelt in der Begegnung<br />

von Maria und Josef mit der Naturnser<br />

Bevölkerung, die völlig misstrauisch den<br />

Einzug von Schmarotzertum und Gesetzlosigkeit<br />

befürchtet. Einzig die spielenden<br />

Kinder begegnen den beiden Suchenden<br />

mit naiver Freundlichkeit und unvoreingenommener<br />

Offenheit und lassen Josef sogar<br />

das Einradfahren probieren.<br />

Die Handlung schwenkt wieder zurück<br />

ins geschichtliche Palästina, wo der Engel<br />

den Hirten erscheint und die Botschaft vom<br />

Nahen des Weltenretters verkündet. Maria<br />

bringt im Stall den Erlöser und Heiland<br />

zur Welt, dessen Ankommen nun auch die<br />

Naturnser Bürger mehr als nachdenklich<br />

macht: In ihren Herzen regt sich Mitleid,<br />

zeigen sich Scham ob der unterlassenen<br />

Hilfe und die Erkenntnis über die unbedingte<br />

Notwendigkeit des Miteinanders.<br />

Ein Stück zwischen<br />

Lachen und Weinen<br />

„Herberge suchen heute“ war das letzte Projekt von Chorleiter und SCV-Altobmann<br />

Josef Pircher und bewegte mit seiner Thematik und der überzeugenden Umsetzung<br />

das Publikum.<br />

Zu einem ganz besonderen Weihnachtsspiel<br />

im Bürger- und Schulhaus von Staben<br />

lud der Kirchenchor Tabland-Staben in Zusammenarbeit<br />

mit der Volksbühne Naturns<br />

während der besinnlichsten Zeit des Jahres.<br />

Auf dem Programm stand die Uraufführung<br />

des weihnachtlichen Singspiels „Herberge<br />

suchen heute“ aus der Feder des Naturnser<br />

Autors Hanns Fliri, untermalt von Musik und<br />

Liedtexten des Komponisten Ernst Thoma<br />

und musikalisch geleitet von Josef Pircher.<br />

Erzählt und gesungen wurde die klassische<br />

Geschichte von der Herbergssuche<br />

bis zur Geburt Jesu im Stall von Bethlehem,<br />

aber in einem völlig neuen, ja modernen<br />

Kontext: Maria und Josef erleben<br />

in ihrer Bedürftigkeit auch die hektische<br />

und schnelllebige Zeit unserer Gegenwart.<br />

So werden die beiden auf ihrer Suche<br />

nach einer Unterkunft mit den Themen<br />

Flucht, Fremdsein und Heimat des<br />

21. Jahrhunderts konfrontiert. Eine paral-<br />

„Herberge suchen heute“ ist ein Stück zwischen<br />

Lachen und Weinen, zwischen Bestätigung<br />

und Nachdenklichkeit. Der Bezug<br />

zur Realität fordert vom Zuschauer die intensive<br />

Auseinandersetzung mit dem, was<br />

wir täglich als Schlagzeilen in den Tageszeitungen<br />

vor Augen haben, aber nicht mehr<br />

so wirklich wahrnehmen wollen: Flucht.<br />

Fremdsein. Heimatlosigkeit. Unserer Wohlstandsgemeinschaft<br />

wird ein Spiegel vor<br />

Augen gehalten. Niemand kann sagen: Bei<br />

uns gibt es so etwas nicht! Der Kirchenchor<br />

Tabland-Staben und der Erzähler, welche<br />

das Singspiel ähnlich wie der Chor im griechischen<br />

Theater begleiten und kommentieren,<br />

löst Ergriffenheit bei den Zuschauern<br />

aus: Betroffenheit macht sich breit.<br />

Dem Regisseur Andy Geier ist es gelungen,<br />

das Damals und das Heute zu einem<br />

gemeinsamen Ganzen zusammenzuführen.<br />

Die großartige Leistung aller Mitwirkenden<br />

(Chor, Schauspieler, Instrumentalisten,<br />

Techniker) lässt am Ende die Herzen<br />

der zahlreich gekommenen Zuschauer wieder<br />

warm werden. Schließlich geht es ja<br />

um die Botschaft von Weihnachten. Und<br />

diese Botschaft lautet: "Jedes Mal, wenn<br />

ihr einander anseht mit den Augen des<br />

Herzens, mit einem Lächeln auf den Lippen,<br />

ist Weihnachten." Der Kirchenchor<br />

Tabland-Staben hat sich damit selbst das<br />

schönste Geschenk zu seinem 35-jährigen<br />

Bestehen gemacht. „Herberge suchen (ist)<br />

heute ... mitten unter uns.“<br />

Gudrun Pöll<br />

<strong>Nr</strong>. 02 | <strong>April</strong> <strong>2019</strong> 27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!