Das Ländchen in der Ostsee Hiddensee war immer ein Ort der Künstler und während DDR-Zeiten der Andersdenkenden. Bis heute hat sich die kleine Insel westlich von Rügen den unwiderstehlichen Charme des Einfachen bewahrt. REPORTAGE JULIANE LUTZ Der Leuchtturm auf dem Dornbusch ist das Wahrzeichen von Hiddensee 50 touring | <strong>Mai</strong> <strong>2019</strong>
FREIZEIT ISTOCK Der heftige Wind weht einem auf dem Deichweg von Vitte nach Kloster fast vom Velo. Auch wenn man dem Charme von Hiddensee sofort erliegt, erarbeiten müssen sich Besucher diese Insel. Seit Langem autofrei, geht hier alles mit dem Rad. Und starken Wind gibt es immer. Die etwa 18,6 Kilometer lange und an den schmalsten Stellen nur 250 Meter breite Ostseeinsel westlich von Rügen gilt als fast schon mythischer Ort. Bereits 1296 wurde dort eine Abtei gegründet, doch bekannt wurde Hiddensee durch eine Sturmflut im Jahr 1872. Als die Aussenwelt von der Not der Hiddenseer erfuhr, deren Vieh ertrunken war, wurde Geld für die Inselbewohner gesammelt. Und die ersten Gäste kamen. Schön unspektakulär Doch schick wurde das «söte Länneken», das süsse Ländchen, wie die Einheimischen ihre Insel nannten, nie. Strom gibt es in den vier Ortsteilen der Gemeinde Seebad Insel Hiddensee erst seit 1927. Die Wege sind teils unbefestigt, noble Hotels gibt es nicht, auch keine Strandpromenade und die meisten Gäste logieren in Ferienwohnungen. Dafür gibt es viel Heideland, Dünen, lange Strände und schön gelegene Leuchttürme, das Gellenfeuer im Süden und das Wahrzeichen Hiddensees, der Leuchtturm auf dem Dornbusch. Vermutlich ist es die naturbelassene Einfachheit, welche die Leute bis heute anzieht. Hier kann man entstressen, die Insel von oben bis unten erradeln, ohne Hast ein Fischbrötchen vom Fischkutter Willi geniessen und nackt oder im Badekleid schwimmen gehen – am selben Strand. Auf Hiddensee ging’s immer ungezwungen zu. Sommerort der Künstler Zum Ruf von Hiddensee trugen auch Künstler und Schriftsteller bei, die seit GUT ZU WISSEN Anreise: Flug bis Hamburg, Zug bis Stralsund, Fähre nach Hiddensee Wohnen: Appartement-Haus Dornbusch (gutes Restaurant) oder in Ferienwohnungen, hiddenseeservice.de Velos mieten: bei Pehl in Kloster Tun: Hauptmann-Haus und Heimatmuseum besuchen. Mit Marion Magas eine Themenwanderung machen. Fischbrötchen vom Fischkutter Willi schmecken besonders gut 1900 kamen: Ringelnatz, Feuchtwanger, Fallada, um ein paar Grössen zu nennen – und Gerhart Hauptmann. 1930 kaufte er das Haus Seedorn in Kloster und verbrachte bis 1943 die Sommer hier. Auch sein Grab ist auf der Insel. Das Haus, seit 1956 Museum, lohnt den Besuch. Die Innenräume sind fast unverändert wie zu Zeiten des Autors und es finden viele Lesungen statt. Bestens Bescheid über all die Künstler und auch über die legendären Hiddenseer Malweiber weiss Marion Magas. Bei einer Themenwanderung zeigt sie schöne Ecken «ihrer» Insel, die man alleine nicht finden würde. Zu DDR-Zeiten war Hiddensee eine Insel der Werk tätigen, nicht der Bonzen. Hier Ferien zu machen, war der Traum aller. Und sie war ein Ort für Leute, die anderes suchten oder auf den Ausreiseantrag warteten. Er komme seit 1970 jeden Sommer hierher, sagt ein aus dem Osten Berlins stammender Künstler in einer Beiz. Auf Hiddensee habe er sich immer freier gefühlt als anderswo, fast schon wie im Ausland. Auch heute stellt sich dieses Gefühl von Freiheit noch ein, wenn man fast allein mit Blick aufs Meer zum Gellenfeuer radelt und der Wind durch die Haare fährt. ◆ Ein besonders entzückendes Beispiel Hiddenseer Architektur Gastronom und Landwirt Mathias Schilling auf seiner Insel Öhe Der Inselkönig Mathias Schilling stammt zwar nicht von Hiddensee, aber auf der Insel kommt niemand an ihm vorbei. Der gelernte Hotelkaufmann und studierte Landwirt hat in den letzten Jahren die Restaurantszene auf Hiddensee gehörig aufgemischt. Mit Schillings Hafenamt in Kloster und dem Fischrestaurant Hafenkater in Vitte ist er mit seinen Betrieben da präsent, wo Schiffe und Besucher ankommen. Dazu betreibt der 37-Jährige in Vitte Tante Hedwig, ein Mix aus Café und Hofladen, wo er auch Fleischprodukte seiner erfolgreichen Biofleischmarke Insel Öhe verkauft. Auf dieser Mini-Insel, die sich seit 750 Jahren im Besitz seiner Familie befindet und nur durch einen Wasserstreifen von Schaprode auf Rügen getrennt ist, lebt er mit Frau und zwei Kindern. Auf Öhe begann er 2006 mit der Rinderzucht und in Schaprode startete er 2011 sein Gastro- Imperium mit Schillings Gasthof, heute die Adresse für gutes Essen auf Rügen. In Schaprode, wo die Fischer vom nahen Hiddensee ihren Fang abladen, kam er auf die Idee, mit ihnen zusammen eine Marke zu gründen: Hiddenseer Kutterfisch. Der wird längst im KaDeWe und anderswo verkauft. Bald eröffnet er das Rote Haus in Vitte als Ort für kulinarische Pop-up- Events. Von diesem Inselkönig wird noch viel zu hören sein. <strong>Mai</strong> <strong>2019</strong> | touring 51