Meinviertel Juli 2019
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Kulturtipps<br />
das Machtzentrum der DDR und das Schaufenster<br />
des Sozialismus war, auf der anderen Seite aber auch<br />
Freiräume und Nischen jenseits der vorgegebenen politischen<br />
Norm bot. Begleitet wird die Ausstellung<br />
von einem umfangreichen Rahmenprogramm, das in<br />
die Bezirke getragen wird und im Digitalen sogar<br />
zum Mitmachen einlädt.<br />
www.stadtmuseum.de<br />
Bauarbeiter bei Montagearbeiten an der Leuchtschrift auf dem „Haus<br />
der Statistik“, 1969 © Bundesarchiv, Foto: Eva Brüggmann<br />
Kleine Verlage am Großen Wannsee<br />
Zum fünfzehnten Mal sind kleine Verlage aus dem<br />
deutschsprachigen Raum zu Gast im Literarischen<br />
Colloquium am Wannsee. Knapp fünfzig unabhängige<br />
Unternehmen stellen am 22. Juni ab 14 Uhr ihre Bücher<br />
sowie ihre Autorinnen und Autoren in entspannter Atmosphäre<br />
vor und laden zum Stöbern in ihrem aktuellen<br />
Verlagsprogramm ein. Für kulinarische Genüsse ist auch<br />
gesorgt. Und zum krönenden Abschluss der kleinen Büchermesse<br />
dirigiert Malte Schiller die Clarinets of Glory<br />
in den Sonnenuntergang.<br />
www.lcb.de<br />
Sonnenuntergang am Wannsee vom Literarischen Colloquium aus<br />
gesehen © LCB<br />
Berlinbuch-Tipp: Hinter der Plattenbaufassade<br />
In der letzten Dekade vor dem Mauerfall entstand in<br />
Marzahn die größte, von elfgeschossigen Plattenbauten<br />
dominierte Großbausiedlung der DDR. Nach der Wende<br />
verlor das hoffnungsvolle Wohnbauprojekt schnell<br />
an Attraktivität, heute wohnen hier – so das landläufige<br />
Vorurteil – die Langzeitarbeitslosen, die sozial Verwahrlosten,<br />
die Armen. Und viele Nazis. Die Verhaltensforscherin<br />
Christiane Tramitz legt mit „Die Schwestern<br />
von Marzahn“ den Finger in diese offene Wunde, erzählt<br />
vom Leben ganz unten, indem sie hinter die Plattenbaufassaden<br />
blickt, um anhand von Einzelschicksalen<br />
Empathie zu wecken, mit dem hehren Ziel, die Mittelschicht<br />
wachzurütteln und gesellschaftliche Gräben zu<br />
schließen. In zwei exemplarischen Handlungssträngen<br />
entwirft sie die Geschichte des Wendeverlierers Fabian,<br />
dessen Ehe mit Marie nach dem Tod des gemeinsamen<br />
Sohnes zerbricht. Während Marie Trost und Hoffnung<br />
bei zwei katholischen Schwestern findet, die Anfang<br />
der 90er-Jahre aus dem Westen kommend in Marzahn<br />
eine Anlaufstelle für Haltlose und Zweifelnde eröffnet<br />
haben, schöpft Fabian wieder Hoffnung durch die<br />
ungewöhnliche Freundschaft zu einem vernachlässigten<br />
Schwesternpaar, das schon monatelang ohne elterliche<br />
Betreuung im selben Haus einige Stockwerke unter ihm<br />
wohnt. Für ihre Recherchen zu diesem Buch hat sich<br />
die Autorin für einige Monate in einem der zahlreichen<br />
Hochhäuser eingemietet, Einsamkeit und Anonymität<br />
auf sich wirken lassen,<br />
Gespräche mit ihren<br />
Nachbarn geführt und<br />
aus all den Eindrücken<br />
und Schicksalen<br />
ihre berührend-bedrückende,<br />
aber nicht<br />
ganz zuversichtslose<br />
Reportage destilliert,<br />
die eher Roman als<br />
Dokumentation ist.<br />
„Die Schwestern von Marzahn“<br />
erschien im Frühjahr <strong>2019</strong><br />
im Ludwig Verlag © Marc<br />
Lippuner<br />
mein/4<br />
9