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Bücherstube Horn Magazin Sommer2019

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Foto: İnci Cabir<br />

Ihr Bestreben und ihr Verlangen ist es, die Welt besser,<br />

toleranter und humaner zu machen. Kämen derlei<br />

Anliegen aus dem Mund etlicher anderer Dichterinnen<br />

und Dichter, müsste man sie glatt als weltfremd und<br />

naiv bezeichnen. Aber Shafak lässt nicht nur Worte,<br />

sondern auch Taten sprechen. Und die konfrontiert ihre<br />

Leserschaft mit dem Schicksal von Unterdrückten und<br />

Rand existenzen, für die Begriffe wie Toleranz bestenfalls<br />

in den Bereich des Hohns gehören. In der türkischen<br />

Heimat brachte ihr das keineswegs nur Sympathie<br />

ein. Für einen konservativen Teil der Bevölkerung<br />

wurde Shafak zur Hassfigur. Ein Los, mit dem sie leben<br />

muss, zumal sie sich auch in türkischen Schriftstellerkreisen<br />

reichlich viele Feinde schuf. Denn ein Gutteil<br />

der Literaturszene ihres Landes sei ebenso patriarchalisch,<br />

sexistisch und homophob geprägt wie das Denken<br />

der Mächtigen.<br />

Elif Shafak ist eine geistige und kulturelle Kosmopolitin,<br />

im Osten gleichermaßen daheim wie im Westen, geboren<br />

in Straßburg, mit Wohnsitzen in Istanbul und in London.<br />

Eine Pendlerin zwischen Welten, die sich in ihrem neuen<br />

Roman „Unerhörte Stimmen“ in den Bereich zwischen<br />

das Diesseits und Jenseits begibt. Wissenschaftliche Studien<br />

belegen, dass das menschliche Gehirn nach dem<br />

letzten Atemzug noch weitere zehn Minuten und 38 Sekunden<br />

aktiv bleibt. Diese Erfahrung macht auch Leila,<br />

eine Prostituierte, die ermordet wird. Minute für Minute<br />

folgen Phasen der Rückblendungen, Erinnerungen<br />

an Freunde und Feinde, an Gerüche und Farben; all das<br />

mündet in die letzte, wichtigste Frage: Wie konnte es zu<br />

ihrem Tod kommen?<br />

Dem endgültigen Verstummen geht die Lebensgeschichte<br />

einer couragierten Frau voraus, die in einem düsteren,<br />

begrenzten Randreich ihre eigenen Wege geht. Geschickt<br />

findet Elif Shafak die Balance zwischen tragischer und<br />

berührender Erzählweise, wobei es auch an durchaus<br />

unterhaltsamen und ironischen Tönen nicht mangelt.<br />

Eine unerhört wichtige Geschichte, geschrieben von<br />

einer heraus ragenden Schriftstellerin, die ganz genau<br />

weiß, auf welcher Seite des Lebens sie stehen will und<br />

dafür jedes Risiko in Kauf nimmt.<br />

3 Fragen an …<br />

Elif Shafak<br />

Wie lange haben Sie an Ihrem neuen Roman<br />

gearbeitet?<br />

Ungefähr eineinhalb Jahre. Diese Geschichte<br />

„brodelte“ in gewisser Weise in meinem Kopf.<br />

Und ich habe sehr viele Nachforschungen und<br />

Recherchen betrieben, das liegt vielleicht auch an<br />

meinem akademischen Hintergrund, ich habe ja<br />

Polit-Wissenschaft studiert. Und für dieses Buch<br />

brauchte ich auch weitaus mehr Disziplin bei<br />

den Vorarbeiten. Eigentlich bin ich ja auch beim<br />

Schreiben sehr spontan.<br />

Aber es ging offenkundig nicht nur um<br />

den wissenschaftlichen Background?<br />

Nein. Ich sprach auch mit vielen sogenannten<br />

„Outcasts“, also „Ausgestoßenen“ – Prostituierten,<br />

Immigranten, lädierten Menschen in den letzten<br />

Winkeln von Istanbul.<br />

Das menschliche Gehirn soll nach dem letzten<br />

Atemzug noch zehn Minuten und 28 Sekunden<br />

aktiv sein. Dies ist ein zentrales Thema Ihres<br />

Romans. Woran würden Sie in diesem noch verbleibenden<br />

Zeitraum am liebsten denken?<br />

Eine sehr persönliche Frage. Aber ich würde mich<br />

wohl sehr gern an all die Momente der Freude, der<br />

Glückseligkeit, der Dankbarkeit und Liebe erinnern.<br />

Und an meine Familie und meine schönen Freundschaften.<br />

Der Name Shafak ist übrigens ein Pseudonym, denn<br />

eigentlich heißt die unbeugsame Dichterin Elif Bilgin;<br />

Safak (so die türkische Schreibweise) ist der Vorname<br />

ihrer Mutter. Und er bedeutet „Morgenröte“. Wie passend<br />

in einer Zeit der grassierenden geistigen Abenddämmerung,<br />

die eines Tages doch wieder dem Licht<br />

weichen könnte.<br />

Elif Shafak<br />

Unerhörte Stimmen<br />

Übers. v. Michaela Grabinger<br />

Kein & Aber, 432 Seiten<br />

Euro 24,70<br />

ISBN 978-3-0369-5790-6<br />

E-Book 978-3-0369-9400-0<br />

Buchmedia <strong>Magazin</strong> 38<br />

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