36 ZOOM Utopien für <strong>Augsburg</strong> Interview mit tim-Museumsleiter Dr. Karl Borromäus Murr W „Andersheit als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu erfahren, ist der Königsweg.“
ZOOM 37 Wie wird <strong>Augsburg</strong> im Jahr 2040 aussehen? Wie werden die <strong>Augsburg</strong>er wohnen, fahren, arbeiten, zusammenleben? Diesen Fragen widmet sich noch bis Oktober das Textilmuseum (tim) mit der Ausstellung <strong>Augsburg</strong> 2040 Utopien einer vielfältigen Stadt. Dadurch inspiriert haben wir tim- Direktor Dr. Karl Borromäus Murr über die Zukunft <strong>Augsburg</strong>s gesprochen. Von Marcus Ertle Wie wird die Innenstadt/Fußgängerzone aussehen? Mit Blick auf die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Handel. Ich glaube, wir werden Läden und Geschäfte sehen, die viel flexibler als heute auf Anforderungen reagieren, wie auf den jeweiligen Bedarf, die Tageszeit oder Saison. Zudem werden gemeinsame Nutzungen immer stärker in den Vordergrund treten. Dann teilen sich ein Café, eine Bar, ein „Coworking Space“, eine „Job Zone“, eine Postannahmestelle, ein Friseurladen und so weiter gemeinsam ihre Flächen. Aber wir werden auch ganz neuartige Verkaufsstellen erleben, die ein Einkaufen ohne Verkäufer*innen erlauben. Bleibt da noch Platz für den klassischen Einzelhandel? Ja, aber nur für bestimmte Branchen, in denen professionelle Beratung im Bereich höherwertiger Konsumgüter einen unschlagbaren Wettbewerbsvorteil darstellt. Wie mobil wird <strong>Augsburg</strong> sein? Werden noch Autos fahren oder vielleicht schon fliegen? Fahren fast alle Rad, oder lassen sie sich durch automatisierte Gefährte chauffieren? Auch wenn es noch schwer vorstellbar ist – in der Zukunft wird das eigene Auto eine immer geringere Rolle spielen. Stattdessen nehmen Sharing- Modelle und autonome Fahrsysteme an Bedeutung zu. Vielschichtige Verkehrsdienstleitungen, die wir Menschen mit einer Mobilitäts-Flatrate nutzen, ermöglichen dann öffentliche Mobilität. Wenn Sie mal nach Kopenhagen schauen, da sieht man, dass Radfahrer*innen, wenn sie innerstädtisch immer Vorfahrt erhalten, auch am schnellsten vorankommen. Ob Flugtaxis innerhalb der Stadt ein Thema bilden werden, erscheint mir eher fraglich. Wahrscheinlicher sind da schon Flugtaxis als Verkehrsmittel zwischen <strong>Augsburg</strong> und dem Münchener Flughafen. Welche Stadtteile werden aufleben? Mit Blick auf derzeitige „Problemviertel“ wie Oberhausen. Die meiste Entwicklung wird sich dort ergeben, wo es noch große Freiflächen in der Stadt gibt. Wie jetzt auf dem Gelände der ehemaligen US-Kasernen bereits neue Stadtbezirke entstehen. Da ist ein innovativer und nachhaltiger Städtebau vor allen an den Stadträndern zu erwarten, an denen sich der Speckgürtel verstärkt. Eine herausragende Bedeutung wird das Großprojekt „Haunstetten Südwest“ einnehmen. Da können wir uns hoffentlich auf einen nachhaltigen Städtebau mit hoher Lebensqualität freuen, bei dem sich die Verkehrserschließung völlig den Grünflächen und öffentlichen Plätzen unterordnen wird. Auch die Themen Arbeiten und Wohnen im Viertel werden sich völlig neu miteinander verschränken. Wie wird man wohnen? Können sich nur noch wohlhabende die Stadt leisten? Da die jetzige Wohnungsknappheit ja vor allem auf den steigenden Platzbedarf der einzelnen Menschen zurückgeht, stellt sich für die Zukunft die Frage, ob wir uns alternative Wohnformen vorstellen können. Hier ließe sich auch an Sharing-Modelle denken, an Cohousing-Siedlungen, in denen sich mehrere Familien Gemeinschaftsräume, vielleicht sogar Küchen, miteinander teilen. Gelungene Architektur der Zukunft wird sich auch an mehr Flexibilisierung innerhalb von Häusern und Wohnungen messen lassen müssen. Genossenschaftliche Wohnprojekte werden hoffentlich dem privaten Wohnungsmarkt reizvolle Immobilien entziehen und zu fairen Preisen zur Verfügung stellen. Welche Rolle wird Lokalpolitik für die Bürger spielen? Lokalpolitik, die nah am Menschen ist, wird auch in der Zukunft eine zentrale Rolle für die Bürger*innen spielen. Wir werden erleben, dass Elemente einer direkten Demokratie auf dem Prüfstand stehen, die die Zivilgesellschaft weiter stärkt. Der gesellschaftlich-politische Aktionsrahmen für bürgerschaftliches Engagement ist bei Weitem noch nicht ausgereizt. Gleichwohl wird unsere Demokratie noch mit repräsentativen Momenten arbeiten. Es wird also auch in der Zukunft noch verantwortungsbewusste Stadträt*innen geben. Damit verbunden: Wird <strong>Augsburg</strong> ein Vorbild für gelungenes Multikulti? Den inzwischen oft missbrauchten Begriff „Multikulti“ würde ich ganz gerne durch „gelebte Vielfalt“ ersetzen. In <strong>Augsburg</strong> verfügt beinahe jede zweite Person über eine Zuwanderungsgeschichte. Wenn es der Stadt gelingt, ihre interkulturelle Öffnung konsequent voranzutreiben, kann sie ein Vorbild sein für viele andere deutsche Städte. Andersheit als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu erfahren, ist der Königsweg. Wie grün und lebenswert wird die Stadt mit Blick auf den Klimawandel sein? Die „Fridays for Future“ weisen schon heute buchstäblich in die Zukunft. In <strong>Augsburg</strong> werden Straßen wegfallen und Bürgergärten entstehen. Der Klimawandel fordert unabdingbar ein geweitetes, integratives Verständnis von Umwelt, die unsere einzige Lebensgrundlage darstellt. Zerstören wir sie, zerstören wir uns selbst. Investitionen in umweltfreundliche Technologien bereiten hoffentlich den Weg zu mehr Lebensqualität inmitten einer intakten Natur – eine Aufgabe für uns alle. Wie wird sich die Digitalisierung/Globalisierung auf das Arbeitsleben der <strong>Augsburg</strong>er auswirken? Armenhaus oder Innovationsschmiede? Auch wenn wir auf Megatrends wie Globalisierung, Digitalisierung oder Individualisierung reagieren müssen, wird das Lokale als unser eigentlicher Austragsort des Lebens an Bedeutung zunehmen. Denn keiner lebt ja im Globalen, alle leben irgendwo im Lokalen, das von globalen Dimensionen durchzogen ist. Gerade die digitalen Arbeitsmöglichkeiten erlauben uns, künftig auch von ländlichen Regionen aus zu arbeiten, was doch in früheren Zeit nur im urbanen Umfeld möglich war. Kommunalpolitik und eine offene Gesellschaft zeichnen verantwortlich für ein innovatives Klima, das auch in Zukunft die Stadt <strong>Augsburg</strong> ökonomisch erfolgreich und für die Bürger*innen lebenswert macht. Der Innovationspark dient schon heute dazu, zukunftsträchtige Berufsfelder zu erschließen.