08.07.2019 Aufrufe

RegioBusiness 07.2019

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Juli 2019 I Jahrgang 18 I Nr. 204<br />

Politik & Wirtschaft 03<br />

Brutaler Ausschlag<br />

Arbeitsmarkt: Der Mangel an Fachkräften könnte die Wirtschaft in der Region noch schwer belasten. Allein in den nächsten elf Jahren droht ein<br />

Verlust an Wertschöpfung in Milliardenhöhe. Ausbildung und Qualifizierung werden ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. VON HERIBERT LOHR<br />

Die aktualisierte Prognose<br />

des IHK-Fachkräftemonitors<br />

2019 fällt wahrlich<br />

derbe aus: Allein in diesem Jahr<br />

entgehen der heimischen Wirtschaft<br />

rund 1,7 Milliarden Euro.<br />

Das entspricht in etwa 4,3 Prozent<br />

der Bruttowertschöpfung in der<br />

Region, die in Folge fehlender<br />

Fachkräfte nicht realisiert werden<br />

können. Der Monitor der Kammer<br />

liefert eine solide, perspektivische<br />

Betrachtung, wie sich das Angebot<br />

und die Nachfrage nach<br />

Fachkräften in der Region Heilbronn-Franken<br />

in der nächsten<br />

Dekade entwickeln wird.<br />

Solide Basis für<br />

perspektivische Betrachtung<br />

Die Vorschau berücksichtigt dabei<br />

auch einzelne Berufe und unterschiedliche<br />

Qualifikationsniveaus.<br />

Das Ergebnis der Hochrechnungen<br />

lässt bei Experten<br />

keine Zweifel aufkommen. „Der<br />

Fachkräftemangel bremst die regionale<br />

Wirtschaft massiv. Von<br />

heute bis ins Jahr 2030 entgehen<br />

der Wirtschaft in der Region bis<br />

zu 20,4 Milliarden Euro an Wertschöpfung“,<br />

sagt etwa Dr. Helmut<br />

Kessler, stellvertretender Hauptgeschäftsführer<br />

der IHK Heilbronn-<br />

Franken.<br />

Allein in diesem Jahr fehlen im<br />

IHK-Bezirk satte 25 000 Fachleute<br />

und der Ausblick ist wenig erbaulich.<br />

Im Jahr 2030 wird der Mangel<br />

an qualifiziertem Personal auf<br />

45 000 angewachsen sein, was einen<br />

Wertschöpfungsverlust von<br />

3,4 Milliarden Euro bedeuten<br />

würde. Jährlich wohlgemerkt,<br />

brächte sich die Region so um<br />

etwa 6,2 Prozent des Bruttosozialproduktes<br />

(BWS). Schon heute<br />

entgehen den heimischen Firmen<br />

enorme Zuwächse, weil bereits<br />

heute viele Betriebe in der Region<br />

Aufträge verschieben oder gleich<br />

gänzlich ablehnen müssen, weil ihnen<br />

geeignete, qualifizierte Bewerber<br />

auf freie oder neu geschaffene<br />

Stellen fehlen. Werden die einzelnen<br />

Jahre aufaddiert, kommt<br />

dann ein immenser Wertschöpfungsverlust<br />

zusammen.<br />

„Der Mangel an geeigneten Fachkräften<br />

ist derzeit wohl das größte<br />

Problem der regionalen Wirtschaft“,<br />

bilanziert Helmut Kessler.<br />

„Entsprechend zusätzlicher Erhebungen<br />

mit der vierteljährlichen<br />

Konjunkturumfrage sprechen<br />

schon heute sechs von zehn Unternehmen<br />

im IHK-Bezirk von einem<br />

Fachkräftemangel als Geschäftsrisiko.“<br />

Die veränderten demografischen<br />

Gegebenheiten sorgen dafür,<br />

dass schon heute fast alle<br />

Branchen sich mit dieser Thematik<br />

beschäftigen müssen. Besonders<br />

harte Personalengpässe gibt<br />

es vor allem bei Elektrotechnikern,<br />

bei beratenden und wirtschaftsnahen<br />

Dienstleistern, in<br />

der Chemie- und Pharmaindustrie,<br />

bei Informations- und Kommunikationsdienstleistern<br />

sowie<br />

Betrieben aus den Bereichen Verkehr,<br />

Transport und Lagerei. Der<br />

negative Trend betrifft zunehmend<br />

fast alle Wirtschaftszweige. Ab<br />

2030 werden gerade Branchen<br />

wie der Fahrzeugbau, beratende<br />

und unternehmensnahe Dienstleistungen,<br />

Gesundheits- und Sozialwesen,<br />

Großhandel, Öffentliche<br />

Dienstleistungen sowie der Maschinenbau<br />

besonders unter den<br />

Fachkräfteengpässen leiden.<br />

Es gibt trotzdem nicht viel Hoffnung,<br />

dass die konjunkturelle Entwicklung<br />

an diesen Gegebenheiten<br />

viel ändert. Selbst eine kräftige,<br />

weltumspannende Krise<br />

würde diesen Trend wohl nur für<br />

ein kurze Zeit abschwächen. Auch<br />

künftige Produktivitätsschübe werden<br />

den absehbaren Verlauf nicht<br />

stoppen, denn einer nachlassenden<br />

Nachfrage steht wesentlich<br />

stärkerer Rückgang des Fachkräfteangebots<br />

gegenüber.<br />

Der Grund: Der eigentliche Auslöser<br />

für die Gegebenheiten ist nämlich<br />

weniger ökonomischer sondern<br />

viel mehr struktureller Natur.<br />

Es ist der anhaltende demografische<br />

Wandel, der die grassierende<br />

Knappheit an Fachkräften<br />

so verstärkt. Es ist eine einfache<br />

Gleichung: Während immer mehr<br />

Babyboomer in Rente gehen, rücken<br />

immer weniger Fachkräfte<br />

aus Berufsausbildung oder Hochschule<br />

nach. In der Folge<br />

schrumpft das Angebot. So dürfte<br />

die Zahl der Fachkräfte bis zum<br />

Jahr 2030 um rund ein Fünftel<br />

schrumpfen. Stehen heute rund<br />

363 000 Personen als Fachkraft<br />

am Markt, werden es bis 2030<br />

nur noch 297 000 qualifizierte<br />

Menschen sein, die dann dem Arbeitsmarkt<br />

zur Verfügung stehen.<br />

Vor allem Meister und Techniker<br />

werden künftig fehlen. Schätzung<br />

zufolge werden zusätzlich allein in<br />

diesem Bereich rund 40 000 Menschen<br />

zusätzlich benötigt. Die fehlenden<br />

Fachleute in vielen Handwerksberufen<br />

sind hier noch gar<br />

nicht eingerechnet.<br />

Dazu kommt eine Entwicklung,<br />

die auch das Innovationstempo zusätzlich<br />

dämpfen könnte: die Belegschaften<br />

vergreisen. Nicht nur<br />

die Zahl der Mitarbeiter in den Unternehmen<br />

dürfte schrumpfen,<br />

die Verbliebenen werden auch immer<br />

älter: Das Durchschnittsalter<br />

der Beschäftigten wird allein in<br />

den nächsten zehn Jahren von derzeit<br />

44, 3 auf dann 47,4 Jahre steigen.<br />

Vor allem die unter 30-Jährigen<br />

werden anhaltend zur Mangelware.<br />

Die Mitarbeiter fachlich fit<br />

zu halten und zu machen, ist deshalb<br />

das Gebot der Stunde. Die<br />

Kammern versuchen, ihre Mitgliedsfirmen<br />

dabei nach Kräften<br />

zu unterstützen. Zentrale Säulen<br />

sind dabei duale Ausbildung und<br />

berufliche Weiterbildung. Beiden<br />

setzt die rückläufige Bevölkerungsentwicklung<br />

allerdings Grenzen.<br />

Die bessere Vereinbarkeit<br />

von Beruf und Familie dürfte da<br />

mehr Potenzial eröffnen, gerade<br />

auch bei der Beschäftigung von<br />

gut qualifizierten Frauen. Die Wirtschaftsorganisationen<br />

setzen sich<br />

zudem unisono für ein modernes<br />

Zuwanderungsgesetz ein, um die<br />

Anwerbung von Qualifizierten im<br />

Ausland zu erleichtern.<br />

Der IHK-Fachkräftemonitor ist ein<br />

Prognoseinstrument, das das Wirtschaftsforschungsinstitut<br />

WifOR<br />

GmbH für die IHKs in Baden-Württemberg<br />

entwickelt hat und jährlich<br />

aktualisiert. Mit der Webanwendung<br />

lässt sich die Fachkräfteentwicklung<br />

in repräsentativen<br />

Wirtschaftszweigen und Regionen<br />

anschaulich visualisieren und vergleichen.<br />

Der aktuelle Fachkräftemonitor<br />

2019 ist als interaktive<br />

Webanwendung kostenlos und<br />

ohne Anmeldung im Internet verfügbar.<br />

www.heilbronn.ihk.de<br />

Sein eigener Herr sein<br />

NEWSLINE<br />

Gründungen: Trotz der guten Lage am Arbeitsmarkt machen sich mehr Menschen selbstständig.<br />

Das eigene Unternehmen hat<br />

seine Reize. In der Region<br />

Heilbronn-Franken wurden vergangenes<br />

Jahr 6913 Gewerbe angemeldet.<br />

Das sind 4,8 Prozent<br />

mehr Anmeldungen als noch im<br />

Jahr davor. Die Region hebt sich<br />

mit diesen Zahlen vom seit nunmehr<br />

sechs Jahre anhaltenden<br />

Landestrend ab. In Baden-Württemberg<br />

sind die Gründungen weiter<br />

rückläufig.<br />

Betrachtet man die Zahlen allerdings<br />

längerfristiger, sieht es tendenziell<br />

etwas anders aus. So gab<br />

es etwa im Jahr 2008 noch mehr<br />

als 8250 Gewerbeanmeldungen.<br />

„Aufgrund der guten wirtschaftlichen<br />

Lage, der niedrigen Arbeitslosenquote<br />

sowie des allgemeinen<br />

Fachkräftemangels stellt die abhängige<br />

Beschäftigung oftmals<br />

eine interessantere Option dar.<br />

„Zudem gründen weniger Gründer<br />

aus der Not heraus“, erklärt<br />

Christina Nahr-Ettl von der IHK<br />

Heilbronn-Franken: „Eine rückläufige<br />

Gründungsdynamik in<br />

Boomphasen ist nichts Ungewöhnliches.“<br />

Auch deshalb, weil ein<br />

gängiges Arbeitsverhältnis gleichsam<br />

Sicherheit und gute Entwicklungschancen<br />

bietet.“<br />

Die Referentin Existenzgründung<br />

bei der Kammer weist dafür auf einen<br />

besonderen Aspekt hin: „Wer<br />

sich unter diesen Voraussetzungen<br />

selbstständig macht, ist in der<br />

Regel gut vorbereitet. Die Chancen<br />

künftig erfolgreich am Markt<br />

zu agieren, stehen unter diesen<br />

Voraussetzungen gut.“<br />

Betrachtet man die tatsächlichen<br />

Neugründungen, also die Gewerbeanmeldungen<br />

bereinigt um den<br />

Zuzug und die Übernahmen, wird<br />

es noch deutlicher. Dann sind die<br />

Gründungen in der Region um<br />

satte 6,6 Prozent auf 5407 gestiegen,<br />

während landesweit ein Rückgang<br />

von 0,3 Prozent verzeichnet<br />

wurde.<br />

Von den Neugründungen fallen<br />

1215 – also jede fünfte – unter<br />

die Kategorie Betriebsgründungen.<br />

Das sind die Unternehmen,<br />

die perspektivisch voraussichtlich<br />

größere wirtschaftliche Bedeutung<br />

erlangen. Der Anstieg liegt<br />

hier sogar bei 10,7 Prozent.<br />

Innerhalb der einzelnen Teilregionen<br />

verzeichnet der Landkreis<br />

Heilbronn die meisten Neugründungen.<br />

Diese stiegen um 6,8 Prozent<br />

auf 2092. Der Landkreis<br />

Schwäbisch Hall machte mit einem<br />

Plus von 9 Prozent auf 1052<br />

Gründungen in der Region den<br />

deutlichsten Satz nach oben. Aber<br />

auch die Stadt Heilbronn verzeichnete<br />

einen Anstieg um 6,8 Prozent<br />

auf 970 Neugründungen. Lediglich<br />

im Hohenlohekreis lag die Anzahl<br />

der Neugründungen auf Vorjahresniveau<br />

(598 Neugründungen).<br />

Das Gründergeschehen weist aber<br />

doch regionale Besonderheiten<br />

auf. Im Stadtkreis Heilbronn ist<br />

die Intensität mit 20 Gewerbeanmeldungen<br />

pro 10 000 Bewohnern<br />

am größten und deutlich<br />

über dem Landesdurchschnitt.<br />

Der Landkreis Heilbronn hat den<br />

größten Saldo zwischen angemeldeten<br />

und abgemeldeten Gewerben<br />

im Bereich des produzierenden<br />

Gewerbes. Im Hohenlohekreis<br />

ist der Anteil der Gründungen<br />

mit 37,7 Prozent am höchsten.<br />

Hingegen weist der Landkreis<br />

Schwäbisch-Hall den höchsten Anstieg<br />

von plus 32,6 Prozent an Betriebsgründungen<br />

mit wirtschaftlicher<br />

Substanz aus. ibe<br />

INFO Detaillierte Informationen<br />

zum Gründungsgeschehen in der<br />

Region gibt es im IHK-Gründungsklimameter.<br />

www.heilbronn.ihk.de<br />

Bundesehrenpreis geht an<br />

die Hohenloher Molkerei<br />

SCHWÄBISCH HALL. Das Bundesministerium für Ernährung<br />

und Landwirtschaft (BMEL) hat dem Unternehmen<br />

den Bundesehrenpreis verliehen. Diese Preise werden<br />

jährlich an neun Unternehmen der deutschen Molkereibranche<br />

vergeben, die im Vorjahr die besten Ergebnisse<br />

bei den umfangreichen Experten-Tests der DLG-<br />

Qualitätsprüfungen erzielt haben. Im Zentrum der produktspezifischen<br />

Prüfmethodik steht die sensorische<br />

Analyse der Lebensmittel, die um eine Überprüfung der<br />

Deklaration und Verpackung sowie um Labortests ergänzt<br />

wird. Für Molkerei-Vorstand Martin Boschet ist<br />

die Ehrung ein weiterer Beleg dafür, dass sich unermüdliche<br />

Qualitätsarbeit zum Wohle der Konsumenten langfristig<br />

auszahlt. Nur wer erstklassige Qualität produziert,<br />

könne nachhaltig Erfolg haben.<br />

pm<br />

Fachlicher Austausch<br />

beim PV-Netzwerktreffen<br />

KÜNZELSAU Das „SolarCluster“ Baden Württemberg<br />

lädt am Donnerstag, 18. Juli, ab 15 Uhr zum dritten PV-<br />

Netzwerktreffen in der Region Heilbronn-Franken ins<br />

Landratsamt Hohenlohekreis in Künzelsau. Im Mittelpunkt<br />

der Veranstaltung stehen Fotovoltaik-Anlagen<br />

auf kommunalen und öffentlichen Liegenschaften.<br />

Heinz Kastenholz (WFG Schwäbisch Hall) referiert über<br />

das Pachtmodell für Kommunen, Unternehmen und andere<br />

Dacheigentümer. Georg Dukiewicz (EnerGeno Heilbronn-Franken<br />

eG) berichtet von den Erfahrungen mit<br />

neuen Projekten auf kommunalen Gebäuden etwa in<br />

Heilbronn. Weitere Informationen unter www.photovoltaik-bw.de.<br />

ibe

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!