GESCHICHTEN 100 world of mtb Nº5.<strong>19</strong>
LESOTHO LINKS Anspruchsvolle Trails, mal flowig, mal technisch und mit Schlüsselstellen gespickt: Lesotho ist ein Enduro-Paradies. OBEN Der Maletsuyane mäandert gemütlich neben uns her, bevor er in einiger Entfernung in einen gewaltigen Canyon stürzt. Der frische Wind trägt immer wieder die duftenden Noten der zahlreichen Kräuter und Gewächse heran, die uns schon beim beschwerlichen Aufstieg begleiteten. Mein Blick schweift über das schier endlose Grün der weiten Hügel- und Berglandschaft, die sich vor uns ausbreitet. Kein Baum weit und breit, nur Gräser, Stauden und Sträucher, hin und wieder von ein paar Felsen durchsetzt, soweit das Auge reicht. Irgendwie könnten wir hier auch in den schottischen Highlands sein oder, wie Andreas meint, auf den Färöer. Wir befinden uns aber nicht im hohen Norden, sondern auf der anderen Seite des Globus’, tief im Süden Afrikas, im Königreich Lesotho. Und wenn auch die Landschaft an den europäischen Norden erinnert, so ist hier dennoch vieles anders. Anders, aber auch wiederum untypisch für Afrika – Lesotho hat seinen ganz eigenen Charakter. Mountainbike-Pioniere Im Moment ist das aber alles zweitrangig, denn die übliche Mischung aus Vorfreude und Anspannung vor der Abfahrt macht sich breit. Nach der ersten Erkundungstour am Vortag auf den Hometrails von Roma, die recht verblockt und schwierig waren, hoffen wir, es nun etwas mehr laufen lassen zu können. „Alles easy“, meint Rene, unser Guide aus Südafrika, mit seinem typisch gelassenen Ton und bedeutet Andreas und mir vorauszufahren. Gesagt, getan. Wir starten in großer Erwartung auf das, was vor uns liegt, denn beschrieben hat Rene den Trail nicht wirklich. Mit Schwung geht es den Kamm hinunter, bis ich bei einem kurzen, steilen Gegenanstieg absteigen und ein paar Meter zu Fuß auf dem kleinen Buckel laufen muss. Ich versuche, den weiteren Verlauf des Wegs einzuschätzen. Der Trail verläuft entlang der Kuppe, dann bricht er plötzlich ab. Soll das ein Drop sein? Ein Landing kann ich allerdings nicht sehen. Ich muss lachen. „Da geht’s runter?“, rufe ich. „Ich kann da aber keine richtige Linie erkennen!“ Rene bejaht, nach wie vor entspannt. Auf meine Aufforderung hin, er solle mir die Linie doch vorfahren, rollt er auf der Stelle los, bleibt viel weiter rechts, als ich es in Gedanken getan hätte, und fährt die felsige Steilstelle dynamisch hinunter. Ach so, da war sie, die fahrbare Linie! Ich überlege noch einmal kurz und fahre ihm dann hinterher. Jetzt ist uns klar: Es wird auch in den nächsten Tagen richtig zur Sache gehen. Und: Der tiefenentspannte Rene wird uns vermutlich nicht vor Schlüsselstellen warnen. Aber vielleicht ist dies bei einem Trail mit dem bezeichnenden Namen „God help me“ auch nicht wirklich überraschend … Keiner kennt die Trails hier so gut wie Rene. Schließlich war er es, der zwei Jahre zuvor das Kingdom Enduro, ein Enduro-World-Series-Qualifier-Rennen, in Lesotho ins Leben gerufen hat. Damals ist Rene plötzlich in Roma bei Chris vom lokalen Bike-Shop aufgetaucht. Chris war zu dieser Zeit noch voll auf Cross-Country gepolt, gründete er doch seinerzeit das abenteuerliche XC-Rennen Lesotho Sky. Doch als ihn Rene in die Welt des Enduro-Bikens einweihte, war er gleich Feuer und Flamme und bald auch begeistert von der Idee, ein Enduro-Rennen zu veranstalten. Gemeinsam mit den anderen Jungs vom Shop machten sie sich daran, die Trails auszukundschaften und neue zu bauen. Beim Trail-Building konnte Rene all seine Bike-Erfahrung und Fantasie einbringen und formte den Charakter der Strecken. Das Resultat: anspruchsvolle Trails mit fordernden Schlüsselstellen, bei denen aber auch der Flow nicht zu kurz kommt. Für eingefleischte Enduro-Biker ist Lesotho also ein Paradies! Und das passt genau zu dem, was Andreas und ich hier für unseren neuesten Bike-Trip suchen: echte Enduro-Erlebnisse in einem außergewöhnlichen Land. Königreich im Himmel Lesotho, dieses kleine Land, vollständig umzingelt von Südafrika, dessen gesamtes Staatsgebiet als einziges der Welt über 1.000 Meter liegt, world of mtb Nº5.<strong>19</strong> 101