Die Kunst des Fermentierens (Leseprobe)
KOPP Verlag (Sandor Ellix Katz)
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Sandor Ellix Katz
Die Kunst des Fermentierens
1. Auflage September 2015
2. Auflage Juli 2017
Copyright © 2012 by Sandor Ellix Katz
Illustrationen: Elara Tanguy
Illustrationen Zierbordüre Bakterien: Caroline Paquita
Illustration Einmachglas: Pim/shutterstock
Fotografien/Abbildungen (wenn nicht anders angegeben): Sandor Ellix Katz
Copyright © 2015, 2017 für die deutschsprachige Ausgabe bei
Kopp Verlag, Bertha-Benz-Straße 10, D-72108 Rottenburg
Titel der amerikanischen Originalausgabe: The Art of Fermentation:
An In-Depth Exploration of Essential Concepts and Processes from Around the World
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung, Satz und Layout: Christine Ibele
Übersetzung: Linde Wiesner
Lektorat: opus verum, München
ISBN: 978-3-86445-237-6
HAFTUNGSAUSSCHLUSS: Die Informationen in diesem Buch beruhen auf Experimenten,
Erfahrungen und Forschungsarbeiten über viele Jahre hinweg. Im ganzen Buch tauchen Sicherheitsmaßnahmen
und Gefahrenwarnungen auf, die unbedingt beachtet werden sollten. Der Autor ist
jedoch nicht in Ernährungswissenschaft, Lebensmittelsicherheit, Gesundheitsvorsorge oder einem
ähnlichen Metier ausgebildet, weshalb weder er noch der Verlag für die Folgen der richtigen oder
falschen Anwendung der vorgestellten Informationen und Ideen die Verantwortung übernehmen.
Gerne senden wir Ihnen unser Verlagsverzeichnis
Kopp Verlag
Bertha-Benz-Straße 10
72108 Rottenburg
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www.kopp-verlag.de
Sandor Ellix Katz
Die Kunst des
Fermentierens
Eine tiefgreifende Erforschung grundlegender
Konzepte und Prozesse aus aller Welt
Für meinen Vater, Joe Katz,
der am liebsten über das Gemüse aus seinem Garten erzählt
und darüber, was er und meine Stiefmutter Pattie daraus machen –
der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ihm und all den
vielen anderen Lehrern, Mentoren und älteren Menschen, die
mich mein ganzes Leben lang geführt und inspiriert haben,
widme ich dieses Buch.
Inhalt
Vorwort von Michael Pollan
Danksagungen
Einführung
Kapitel 1. Fermentierung als
co-evolutionäre Kraft
Bakterien: unsere Vorfahren und
co-evolutionären Partner
Fermentation und Kultur
Fermentierung und Co-Evolution
Fermentierung als natürliches
Phänomen
Der Krieg gegen Bakterien
Kultivierung eines biophilen
Bewusstseins
Kapitel 2. Praktischer Nutzen der
13
17
19
29
29
34
39
41
42
44
Fermentierung
47
Vorteile der Fermentierung beim Haltbarmachen
und ihre Grenzen 48
Gesundheitlicher Nutzen fermentierter
Lebensmittel
52
Fermentierung als Strategie der
Energieeffizienz
64
Die außergewöhnlichen Aromen der
Fermentierung
65
Kapitel 3. Grundlegende Konzepte
und Zubehör
71
Substrate und Mikrobengemeinschaften 71
Wilde Gärung versus Kulturen 72
Selektive Anreicherungsbedingungen 74
Evolution und Sukzession von
Gemeinschaften
76
Sauberkeit und Sterilisation
77
Kreuzkontamination
78
Wasser
Salz
Dunkelheit und Sonnenlicht
Gefäße für die Fermentierung
Konservenglasmethode
Tongefäßmethode
Deckel für Tongefäße
Verschiedene Tongefäßformen
Metallgefäße
Kunststoffgefäße
Holzgefäße
Canoa
Kürbisse und andere Früchte als
Fermentierungsgefäße
Körbe
Fermentierung in Gruben
Pickles-Pressen
Gemüseschneider
Stampfwerkzeuge
Gefäße für die Alkoholbereitung und
Gäraufsätze
Heber und Umfüllen
Flaschen und Abfüllung
Hydrometer
Thermometer
Apfel- und Weinpressen
Getreidemühlen
Dampfgarer
Inkubatoren
Kühlkammern
Temperaturregler
Klebeband und Marker
Kapitel 4. Zucker zu Alkohol
vergären: Met, Wein und Cidre
Hefen
79
80
82
83
84
86
88
89
89
90
91
92
93
93
94
96
96
97
97
99
100
102
102
102
103
103
104
105
106
106
109
111
Einfacher Met
113
Durch Pflanzen angereicherter Met:
t’ej und balché
115
Frucht- und Blütenmet
117
Einfach und jung oder trocken und
gereift
119
Mit ewigen Starterkulturen arbeiten 121
Kräuterelixiermete
121
Wein aus Weintrauben
124
Cidre und Perry – Apfelwein und
Birnenwein
126
Weine auf Zuckerbasis
129
Alkoholische Getränke aus sonstigen
konzentrierten Süßungsmitteln 130
Marinierte Obstsalate
131
Fermentierte Produkte aus Pflanzensaft 132
Alkoholische Getränke karbonisieren 134
Mehrfachquellen haben Tradition 136
Probleme und Lösungen
136
Kapitel 5. Fermentierung von
Gemüse (und Früchten)
141
Milchsäurebakterien
142
Vitamin C in fermentiertem Gemüse 143
Grundlagen des Kraut-chi
144
Zerkleinern
145
Salz: Einsalzen oder in Salzlake einlegen 145
Gemüse zerstoßen oder auspressen
(oder in Salzlake einlegen) 147
Einschichten
148
Wie lange dauert das Fermentieren? 149
Schimmel- und Hefebeläge
151
Welche Gemüsesorten können fermentiert
werden?
153
Würzen
158
Sauerkraut
159
Kimchi
161
Fermentiertes Gemüse in China 164
Fermentiertes Gemüse in Indien 166
Scharfe Saucen, Relishes, Salsas, Chutneys
und andere Würzsaucen fermentieren 168
Gundruk und sinki im Himalaya 169
Überlegungen zum salzfreien Fermentieren
von Gemüse
169
In Salzlake einlegen
171
Salzgurken
174
Pilze in Lake einlegen
177
Oliven in Salzlake einlegen
179
Dillbohnen
180
Milchsäuregärung von Obst
181
Kawal
185
Starterkulturen zum Fermentieren von
Gemüse
186
Flüssiges fermentiertes Gemüse: Rote-Beteund
Lattich-kwas, Kohlsaft mit Milchsäurebakterien,
kaanji und Şalgam suyu 189
Tsukemono: Eingemachtes auf japanische
Art
191
Kochen mit fermentiertem Gemüse 197
Laphet (fermentierte Teeblätter) 197
Probleme und Lösungen
198
Kapitel 6. Saure Erfrischungs-
getränke fermentieren
Karbonisierung
Ingwerbier mit ginger bug
Kwas
Tepache und aluá
Mauby/mabí
Wasserkefir (bzw. tibicos)
Molke als Starterkultur
Roots beer
Pru
Sweet potato fly
Fantasievolle Limonadenaromen
Smreka
Noni
Kombucha: Allheilmittel oder
Gesundheitsgefahr?
Kombucha herstellen
Kombuchabonbons: nata
Jun
Essig
Shrub
Probleme und Lösungen
203
204
207
208
210
212
213
219
220
221
222
223
224
226
227
227
235
236
237
239
239
Kapitel 7. Milch fermentieren
243
Rohmilch: Mikrobiologie und Politik 245
Milch einfach sauer werden lassen 247
Joghurt
249
Kefir
256
Viili
260
Sonstige Milchkulturen
262
Pflanzliche Ursprünge von Milchkulturen
264
Crème fraîche, Butter und Buttermilch 265
Molke
266
Käse
268
Käse aus der Fabrik und vom Hof 271
Vegane Milch, Joghurt und Käse 273
Probleme und Lösungen
274
Kapitel 8. Fermentierung von
Getreide und Knollengemüse 279
Wiederkehrende Muster
280
Getreide einweichen
287
Keimen
288
Rejuvelac
289
Porridges
290
Haferflocken fermentieren
291
Grits/Polenta
292
Atole agrio
293
Hirseporridge
294
Sorghumhirse-Porridge
295
Reis-congee
296
Brotporridge
296
Kartoffel-Porridge
297
Poi
297
Maniok
299
Südamerikanisches Maniokbrot 301
Kartoffeln fermentieren
302
Sauerteig ansetzen und weiterzüchten 303
Fladenbrote/Pfannkuchen
308
Sauerteigbrot
310
Saure Roggen-Porridge-Suppe (Żur) 312
Sierra-Reis
313
Hoppers/appam
314
Kishk und keckek el fouqara
317
Getreide zusammen mit anderen Lebensmitteln
fermentieren
318
Übrig gebliebenes Getreide (und Knollengemüse)
fermentieren
318
Probleme und Lösungen
319
Kapitel 9. Fermentierung von Bier
und anderen alkoholischen Getränken auf
Getreidebasis
323
Mit wilden Hefen gebrautes Bier 324
Tesgüino
327
Sorghumbier
330
Merissa (sudanesisches Bier aus gerösteter
Sorghumhirse)
334
Asiatische Reisgetränke
371
Reisbier
372
Süßkartoffel-makgeolli
375
Hirse-tongba
376
Sake
378
Gerste mälzen
380
Einfaches trübes Gerstenbier 382
Maniok- und Kartoffelbier
383
Mehr als Hopfen: Bier mit Kräuter- und
anderen pflanzlichen Aromazusätzen 386
Destillation
389
Kapitel 10. Schimmelpilzkulturen
züchten
393
Inkubatoren für Schimmelpilze 395
Backofenmethoden
396
Tempeh herstellen
399
Kochen mit Tempeh
406
Tempehsporen vermehren
406
KÕji herstellen
412
Amazake
416
Pflanzen als Quellen für Schimmelpilzkulturen
418
Probleme und Lösungen
422
Kapitel 11. Fermentierung von
Bohnen, Samen und Nüssen 427
Käse, Pasteten und Milch aus kultivierten
Samen und/oder Nüssen
428
Eicheln
429
Kokosfett
430
Kakao, Kaffee und Vanille
430
Spontane Fermentation von Bohnen 432
Idli/dosa/dhokla/khaman
433
Acarajé (afrobrasilianische frittierte Bällchen
aus fermentierten Augenbohnen) 434
Sojabohnen
436
Miso
438
Anwendungen von Miso
443
Sojasauce
445
Fermentierte schwarze Bohnen: hamanatto
und douchi
447
Natto
450
Dawadawa und ähnliche westafrikanische
Würzmittel aus fermentierten Samen 452
Tofu fermentieren
455
Probleme und Lösungen
457
Kapitel 12. Fermentierung von
Fleisch, Fisch und Eiern
459
Trocknen, Einsalzen, Räuchern und
Pökeln
461
Grundsätzliches zum Trockenpökeln 463
In Salzlauge eingelegt: Corned Beef und
Zunge
466
Trockengepökelte Wurst
468
Fischsauce
475
Eingelegter Fisch
477
Fermentierung von Fisch mit Getreide 479
Burong isda und balao-balao von den
Philippinen
480
Japanisches narezushi
482
Fermentierung von Fisch und Fleisch in
Molke, Sauerkraut und kimchi 484
Fermentierung von Eiern
486
Dorschlebertran
487
Fisch und Fleisch eingraben
488
High Meat
492
Fleisch- und Fischethik
492
Kapitel 13. Überlegungen zu
gewerblichen Unternehmen 495
Einheitlichkeit der Produkte
496
Erste Schritte
499
Mengenumrechnung
502
Gesetze, Vorschriften und Lizenzierung 505
Verschiedene Geschäftsmodelle: Hofbetriebe,
Diversifikation und Spezialisierung 511
Kapitel 14. Fermentierung im
Non-Food-Bereich
Landwirtschaft
Bioremediation
Abfallwirtschaft
Lagerung von menschlichen Körpern
Faser- und Baukunst
Energiegewinnung
Medizinische Anwendungen der
Fermentation
Fermentation für Hautpflege und
Aromatherapie
Fermentierungskunst
Epilog. Manifest des kulturellen
Revivals
517
517
527
530
533
534
540
543
545
547
548
Glossar
551
Hinweis zu den Literaturempfehlungen 554
Literaturverzeichnis
556
Bezugsquellen
561
Endnoten
572
Register
603
9 |
Stimmen zum Buch
»Die Kunst des Fermentierens ist mehr als nur ein Kochbuch. … Klar, es sagt Ihnen,
wie Fermentierung geht, aber was viel wichtiger ist: Darüber hinaus sagt es
Ihnen auch, was das bedeutet und warum eine so alltägliche und praktische Tätigkeit,
wie sein eigenes Sauerkraut herzustellen, ein Weg ist, sich mit der Welt
auseinanderzusetzen. Oder eher mit mehreren verschiedenen Welten, die ineinandergreifen:
mit der unsichtbaren Welt der Pilze und Bakterien, der Gemeinschaft,
in der man lebt, und dem industriellen Lebensmittelsystem, das die Gesundheit
unserer Körper und den Boden schwächt. Dies scheint für einen Topf
voll Sauerkraut ein hoher Anspruch zu sein, aber genau das ist Sandor Katz’ besondere
Leistung mit diesem Buch: den Leser davon zu überzeugen, dass dies der
Realität entspricht. Die eigenen Lebensmittel zu fermentieren ist so etwas wie ein
eloquenter Protest der Sinne gegen die Homogenisierung von Aromen und Ernährungspraktiken,
die sich wie ein riesiger, undifferenzierter Rasen über den
Globus wälzt. Zudem ist es eine Unabhängigkeitserklärung gegenüber einer
Wirtschaft, die uns gern als passive Konsumenten ihrer Produkte sähe statt als
Erschaffer einzigartiger Dinge, die uns und die Orte, an denen wir leben, zeigen.«
– Michael Pollan, Ausschnitt aus dem Vorwort zu diesem Buch
»Die Kunst des Fermentierens ist ein ungewöhnliches Buch und ein imposantes
Werk der Leidenschaft und Forschung. Es legt das Fundament für die Fermentierung
aller Arten von Lebensmitteln, und wer auch immer es liest, schafft danach
jedes Rezept für fermentierte Lebensmittel (und überwindet alle Nervosität vor
dem Thema Fermentierung). Ich bin derart beeindruckt – und bereit loszulegen!
Danke, Sandor Katz!«
– Deborah Madison, Verfasserin von Vegetarian Cooking for Everyone und
Local Flavors
»Sandor Katz erweist sich mit seinem neuen Buch, einem umfassenden und doch
gut lesbaren Leitfaden über Weisheiten und Techniken zum Thema Fermentierung
aus aller Welt, als König der Fermentierung. Ein Muss für die Bücherregale
aller, die sich für Lebensmittel und Ernährung interessieren.«
– Sally Fallon Morell, Präsidentin der Weston A. Price Foundation
| 10
Die Kunst des Fermentierens
»Sandor Katz hat schon mehr Menschen davon überzeugt, wie vielfältig und
köstlich fermentierte Lebensmittel sind, als jede andere Person in den letzten 100
Jahren. Hat man einmal durch die wachen Augen solch eines Genies einen Blick
auf die Welt geworfen, gibt es keinen Weg zurück in die geschmacklose Welt, in
der man vorher zu Hause war. Die Kunst des Fermentierens ist ein Wunder –
reich an Wissen und so praktisch in seiner Herangehensweise. Dieses Buch wird
für die nächsten 1000 Jahre ein Klassiker bleiben.«
– Gary Paul Nabhan, Autor von Renewing America’s Food Traditions
und Desert Terroir
»Die Kunst des Fermentierens ist ein bemerkenswertes Zeugnis von Sandor Katz’
erstaunlicher Passion für alles, was Fermentierung betrifft. Historisches, Wissenschaftliches
und einfaches Know-how sind in dieser ausgedehnten Reise durch
die frappierende Vielfalt von Speisen und Getränken, die sich auf Fermentierung
gründen, miteinander verwoben.«
– Dr. Charlie Bamforth, Professor am Institut für Ernährungswissenschaft
und -technologie an der University of California sowie Verfasser von
Food, Fermentation and Microorganisms
»Dies ist ganz einfach das beste Buch über Fermentierung auf dem Markt. Es ist
umfassend, fundiert und überraschend tiefgreifend. Sandor Katz ist der Guru einer
großen, ständig wachsenden Gemeinde aus Fermentierungsenthusiasten,
und dieses Buch führt Sie in die aufregende Welt der gutartigen Bakterien um
uns herum ein. Sie beliefern uns nicht nur mit eingelegtem Gemüse, Käse, Brot
und Alkohol – nein, unsere gesamte Existenz hängt von Bakterien ab, und sie
verdienen unsere Verehrung und unseren Respekt.«
– Ken Albala, Ernährungshistoriker und Co-Autor von The Lost Arts of
Hearth and Home: The Luddite’s Guide to Domestic Self-Sufficiency
»Das Ziel von Die Kunst des Fermentierens – einer leidenschaftlichen Darstellung
der wilden, gezähmten und unerklärlichen Mikroorganismen – ist unser persönliches
und grundlegendes Wohlbefinden. Basierend auf Theorien, Wissenschaft
und praktischen Beobachtungen wirft Sandor Katz Tausende von Punkten auf
die Seiten, um sie mit unseren eigenen Erfahrungen und Belangen zu verbinden.
Ob wir uns nun im Krieg oder im Frieden mit den winzigen Kreaturen befinden,
die wir Mikroorganismen nennen – wir kommen nicht umhin zuzugeben, dass
sie die Bausteine all dessen sind, was wir als Organismen wahrnehmen. Seine
Passion für Fermentierung ist ansteckend. Leicht findet man sich beim Blättern
in diesem durch und durch fesselnden Buch auf seiner eigenen Reise.«
– Charlie Papazian, Verfasser von The Complete Joy of Homebrewing
Kritikerlob 11 |
»Sandor Katz fängt in seinem neuen Buch, das vor wissenschaftlichen, historischen
und praktischen Informationen über die erste Biotechnik und die erste
Energiequelle der Menschheit schier überschäumt, das Wesen der Fermentierung
ein. Katz legt den geheimnisvollen, sinnlichen Reiz von natürlich fermentierten
Produkten dar – von Früchten, Honig und Milch über alle Arten von
stärkehaltigem Getreide, Knollen- und Strunkgemüse bis hin zu Fisch und
Fleisch – und füllt sie sowohl für Profis als auch für Hobbyköche mit Leben.«
– Patrick E. McGovern, Wissenschaftlicher Direktor am Biomolecular
Archaeology Laboratory des University of Pennsylvania Museum sowie Verfasser
von Ancient Wine und Uncorking the Past
13 |
Vorwort
Die Kunst des Fermentierens ist ein inspirierendes Buch; das meine ich wörtlich.
Es hat mich dazu inspiriert, Dinge zu tun, die ich vorher nie getan hatte und wohl
niemals tun würde, wenn ich es nicht gelesen hätte. Tatsächlich ist Katz’ Buch der
Hauptgrund dafür, dass meine Küchentresen und mein Keller voller Weckgläser,
Tontöpfe, Flaschen und Ballonflaschen sind, die in überirdischen Farben leuchten.
Seit ich dem Zauber von Katz’ Fermentierungsmissionierung erlegen bin,
habe ich große Töpfe Sauerkraut und kimchi, Einmachgläser mit eingelegten
Gurken, Karotten, Beten, Zucchini, Zwiebeln, Paprika und Lauch, Gläser mit
Joghurt und Kefir sowie fünf Ballon flaschen Bier und Met angesetzt. Alle – daran
werde ich regelmäßig erinnert – sind am Leben. Spät in der Nacht, wenn es im
Haus ganz still ist, höre ich meine Gärgüter vergnügt gurgeln. Ich mag das
Geräusch sehr, denn es bedeutet, dass meine Mikroben glücklich sind.
Ich lese die ganze Zeit Kochbücher und wende doch nie ein Rezept daraus an.
Warum ist das bei Die Kunst des Fermentierens anders? Zum einen schreibt Sandor
Katz über die transformative Kraft der Fermentierung mit solch ansteckender
Begeisterung, dass man die Dinge ausprobieren möchte, nur um zu schauen,
was passiert. Ähnliches fühlte ich damals, als mein Lehrer in der Grundschule
sagte, dass etwas Wunderbares geschehen würde, wenn wir Essig mit Backpulver
mischten. Diese mikrobiellen Transformationen sind tatsächlich etwas Wunderbares
– und sehr oft auch die Ergebnisse daraus: verblüffende neue Aromen und
interessante neue Konsistenzen, aus ganz gewöhnlichen Zutaten geschaffen, aber
nicht von uns, sondern von Bakterien und Pilzen.
Ein weiterer Grund, warum Katz uns dazu veranlasst, Rezepte auszuprobieren,
um Dinge zu gewinnen, von denen man gar nicht wusste, dass es sie gibt
(kwas? shrub?!), ist die Tatsache, dass er einen nie einschüchtert. Im Gegenteil:
Als Kochbuch – und es ist doch, wie ich noch darlegen werde, so viel mehr als
ein Kochbuch – ist Die Kunst des Fermentierens ermutigend. Obwohl sein
Buch von vielerlei mikrobiellen Mysterien handelt, ist Katz von Natur aus ein
Entmystifizierer: Es ist nicht so kompliziert, versichert er, jeder kann Sauerkraut
machen – hier ist alles, was man dazu braucht. Und wenn etwas schiefläuft?
Wenn das Kraut einen gefährlich wirkenden Bart aus Schimmelpilzen
bekommt? Keine Panik, einfach den Bart abrasieren und das Kraut darunter
genießen.
Hinter dieser Haltung steckt jedoch mehr als Sandor Katz’ Gelassenheit in der
Küche; hier ist auch Politik am Werk. Die Kunst des Fermentierens ist viel mehr
als ein Kochbuch. Besser gesagt: Es ist so sehr ein Kochbuch, wie Zen in der
Kunst des Bogenschießens ein Lehrbuch für Pfeil und Bogen ist. Natürlich sagt es,
| 14 Die Kunst des Fermentierens
wie es gemacht wird, aber viel wichtiger ist, dass es einem sagt, was es zu bedeuten
hat und warum etwas so Alltägliches und Praktisches, wie sein eigenes
Sauerkraut herzustellen, nicht weniger ist als eine Art, sich mit der Welt zu verbinden.
Oder besser gesagt, mit verschiedenen, ineinander verschachtelten Welten:
mit der unsichtbaren Welt der Pilze und Bakterien, der Gemeinschaft, in der
man lebt, und dem industriellen Nahrungsmittelsystem, das die Gesundheit
unseres Körpers und unseres Bodens schwächt.
Das Ganze wirkt vielleicht wie eine einzige große Forderung nach einem
Fass Sauerkraut, doch Sandor Katz’ eigentliche Leistung in diesem Buch ist es,
die Leser von der Wahrheit dahinter zu überzeugen. Sein eigenes Essen zu fermentieren
ist eine Art beredter Protest der Sinne gegen die Homogenisierung
von Geschmacks- und Essenserlebnissen, die sich heute wie ein großer, einheitlicher
Rasen über den Globus ausbreitet. Es ist auch eine Unabhängigkeitserklärung
gegenüber einer Ökonomie, die uns gern als passive Konsumenten
ihrer Waren sähe statt als Erschaffer unverwechselbarer eigener Produkte und
der Orte, an denen wir leben. Weil Ihr Sauerkraut oder Selbstgebrautes nicht
mit dem meinen oder dem von irgendjemand anderem vergleichbar ist.
Die Koreaner, die eine Ahnung von Fermentierung haben, unterscheiden zwischen
»Zungen geschmack« und »Handgeschmack«. Zungengeschmack entsteht,
wenn Moleküle mit Geschmacksknospen in Kontakt treten – die Art einfacher
Aromen, die jeder Lebensmitteltechniker oder -fabrikant produzieren kann.
Handgeschmack ist das weit komplexere Erlebnis eines Lebensmittels, das die
unvergleichliche Note – die Sorgfalt, zuweilen sogar Liebe – der Person trägt, die
es hergestellt hat. Das Sauerkraut, das Sie selbst produzieren, hat Handgeschmack.
Und Sie werden genug davon übrig haben, um es weiterzugeben; glauben Sie
mir. Einer der schönsten Aspekte der eigenen Fermentierung ist es, die Produkte
mit anderen zu teilen, ganz unabhängig von der Cash-Ökonomie. Ich tausche
inzwischen Bier und Met mit anderen Heimbrauern und habe teil an einem beständigen
Tauschhandel: Weckgläser voller Sauerkraut verlassen mein Haus, dafür
bekomme ich Gläser voller kimchi oder eingelegtes Gemüse. Befasst man sich
mit der Welt fermentierter Lebensmittel, tritt man in die Gemeinschaft der »Fermentos«
ein, eines überaus interessanten, exzentrischen und großzügigen Menschenschlags.
Aber Die Kunst des Fermentierens dient auch einer ganz anderen Gemeinschaft
als Pass oder Visum: der unsichtbaren Gemeinschaft der Pilze und
Bakterien, die überall um uns herum und in uns drinnen sind. Wenn hinter
diesem Buch eine bestimmte Absicht steht (und natürlich ist das der Fall), dann
die, unsere Verbindung mit dem, was die Biologin Lynn Margulis den »Mikrokosmos«
nannte, neu zu bewerten. Seit Louis Pasteur vor über einem Jahrhundert
entdeckte, dass Mikroben eine wichtige Rolle bei Krankheiten spielen,
befinden sich die meisten von uns in einem von Angst begründeten Krieg
gegen Bakterien. Wir verabreichen unseren Kindern Antibiotika, halten sie von
Mikroben so weit wie möglich fern und halten ihre Welt so gut es geht hygie-
nisch rein. Wir leben im Zeitalter der Desinfektionsmittel. Und das, obwohl
Biologen inzwischen zu dem Schluss kommen, dass der Krieg gegen Bakterien
nicht nur sinnlos ist – die Bakterien, die uns in der Entwicklung überholen
können, werden immer gewinnen –, sondern sogar kontraproduktiv.
Die verschwenderische Einnahme von Antibiotika hat resistente Bakterien
hervorgebracht, die so tödlich sind wie alle, die wir bereits unschädlich machen
konnten. Diese Medikamente sowie eine Ernährung, die sowohl zu wenig Bakterien
als auch zu wenig Nahrung für Bakterien (Ballaststoffe) liefert, stören die
mikrobielle Ökologie in unserem Darm auf eine Art, die wir gerade erst zu verstehen
beginnen und die viele unserer gesundheitlichen Probleme erklären kann.
Kinder, die vor Bakterien geschützt werden, haben ein höheres Allergie- und
Asthmarisiko. Wir erkennen, dass einer der Schlüssel unseres Wohlergehens das
Wohlergehen der Mikroflora ist, mit der wir unseren Körper teilen und mit der
wir zusammen entstanden sind. Und wie es aussieht, mag sie Sauerkraut wirklich,
wirklich gern.
Im Krieg gegen Bakterien ist Sandor Katz entschiedener Pazifist. Aber er sitzt
den Krieg nicht etwa nur aus oder hält Volksreden dagegen. Er tut etwas, um ihn
zu beenden. Als Post-Pasteurianer will Katz, dass wir die Bedingungen unseres
Verhältnisses zum Mikrokosmos neu verhandeln, und Die Kunst des Fermentierens
ist ein beredtes und praktisches Manifest, das uns genau zeigt, wie das hinzukriegen
ist: mit einem Topf Sauerkraut zur rechten Zeit. Ich vertraue darauf,
dass dieses Buch wie eine besonders lebhafte mikrobielle Kultur Tausende neuer
»Fermentos« hervorbringen wird, und das keinen Augenblick zu früh. Willkommen
im Club!
Michael Pollan
Vorwort 15 |
17 |
Danksagungen
Obwohl ich der alleinige Autor dieses Buches bin und ich jedwede Irrtümer, Fehldeutungen
und Versäumnisse allein zu verantworten habe, war doch der Prozess
des Schreibens gemeinschaftlich. Mein Unterricht in Fermentierung bestand zwar
aus Experimenten und fand ohne eine zentrale Lehrerfigur statt, er war aber
höchst interaktiv, vorangetrieben und geleitet von unzähligen Gesprächen, ob
persönlich oder übers Internet. Die Dinge, die mich dazu brachten, dieses Buch
zu schreiben, lernte ich einerseits durch die Personen, die mir ihre Familienrezepte
anvertrauten, oder durch die Perspektiven eines Mikrobiologen, oder durch
Leute, die mir interessante Artikel schickten, und andererseits von all den Menschen,
die Fragen stellten, mit denen sie mich zwangen, zu reflektieren und weitere
Experimente durchzuführen, um die Fermentierung noch besser zu verstehen
und besser erklären zu können. Ich habe keinen eigentlichen Lehrer, aber tatsächlich
sind Sie, die Tausende, die dieses Buch lesen, meine Lehrer. Danke!
Viele Personen, von denen manche im Buch zitiert werden, viele andere jedoch
nicht, haben mir ihr angesammeltes Know-how über Fermentierung mitgeteilt.
Ich entschuldige mich schon im Voraus, falls ich jemanden in dieser Aufzählung
vergesse. Ich danke folgenden Personen, die mir Informationen, Ideen, Artikel,
Bücher, Bilder und Geschichten zur Verfügung gestellt haben: Ken Albala, Dominic
Anfiteatro, Nathan und Padgett Arnold, Erik Augustijns, David Bailey, Eva
Bakkeslett, Sam Bett, Áron Boros, Jay Bost, Joost Brand, Brooke Budner, Justin
Bullard, Jose Caraballo, Astrid Richard Cook, Crazy Crow, Ed Curran, Pamela
Day, Razzle F. Dazzle, Michelle Dick, Lawrence Diggs, Vinson Doyle, Fuchsia
Dunlap, Betsey Dexter Dyer, Orese Fahey, Ove Fosså, Brooke Gillon, Favero
Greenforest, Alexandra Grigorieva, Brett Guadagnino, Eric Haas, Christy Hall,
Annie Hauck-Lawson, Lisa Heldke, Sybil Heldke, Kim Hendrickson, Vic
Hernandez, Julian Hockings, Bill Keener, Linda Kim, Joel Kimmons, Qilo
Kinetichore, David LeBauer, Jessica Lee, Jessieca Leo, Maggie Levinger, Liz Lipski,
Raphael Lyon, Lynn Margulis, E. Shig Matsukawa, Sarick Matzen, Patrick
McGovern, April McGreger, Trae Moore, Jennifer Moragoda, Sally Fallon Morell,
Merril Mushroom, Alan Muskat, Keith Nicholson, Lady Free Now, Sushe Nori,
Rick Otten, Caroline Paquita, Jessica Porter, Elizabeth Povinelli, Lou Preston,
Thea Prince, Nathan und Emily Pujol, Milo Pyne, Lynn Razaitis, Luke Regalbuto,
Anthony Richter, Jimmy Rose, Bill Shurtleff, Josh Smotherman, Sterling, Betty
Stechmeyer, Aylin Öney Tan, Mary Morgaine Thames, Turtle T. Turtlington,
Alwyn de Wally, Pamela Warren, Rebekah Wilce, Marc Williams und Valencia
Wombone. Ich danke dem Oxford Symposium on Food and Cookery für die Ein-
| 18 Die Kunst des Fermentierens
ladung, auf seiner Konferenz 2010 zum Thema »Pökeln, Fermentieren und Räuchern«
ein Referat zu halten, und ich danke den anderen Referenten und Teilnehmern
für die vielen Blickwinkel und die Inspirationen, die ich dort erfuhr.
Ich hatte großartige Helfer, die mich bei Experimenten, bei der Recherche und
bei der Einordnung von Informationen unterstützten. Ein spezieller Dank gilt
Caeleb Grey, Spiky, MaxZine Weinstein und Malory Foster. Für unschätzbare
langjährige Hilfe bei meiner Forschungsarbeit danke ich Char Booth und Laura
Harrington, die mich schon mein ganzes Leben lang begleitet. Für eine Zuflucht
während des Schreibens an diesem Buch danke ich Layard Thompson, Rya Kleinpeter
und Benjy Russell. Für das Lesen meines Manuskripts, als es entstand, und
für ihr Feedback danke ich Spiky, Silverfang, MaxZine Weinstein, Betty Stechmeyer,
Merril Mushroom und Helga Thompson. Michael Pollan danke ich für
das Vorwort zu diesem Buch. Ich danke all den guten Leuten bei Chelsea Green
Publishing, mit einem besonderen Dank an meine wunderbare Lektorin Makenna
Goodman. Ich danke meiner Agentin Valerie Borchardt.
Dank gilt auch den Lieferanten der Lebensmittel, die ich so gern esse, mit denen
ich so gerne experimentiere und über die ich so gerne schreibe: den Pflanzen
und den Tieren und den Menschen, die sie pflegen. Im Speziellen danke ich Simmer
und Krista für Milch; Branch, Sylvan, Daniel, Junebug und Dashboard für
Eier; Neal Appelbaum und Bill Keener (Sequatchie Cove Farm) für Fleisch; Hush
und Boxer für Honig; Hector Black und Brinna für Blaubeeren; vielen Menschen
danke ich für Gemüse, im Besonderen: Daz’l, Spiky und den anderen Gartenelfen
bei Short Mountain; MaxZine und der ständig wechselnden IDA-Garten-Crew;
Billy Kaufman, Stoney, John Whittemore, Jimmy Rose und den Woofers auf der
Little Short Mountain Farm; Mike Bondy und Rob Parker; Daniel; Jeff Poppen
(dem Barfußbauer auf der Long Hungry Creek Farm) und vielen anderen großzügigen
Freunden. Ich danke Angie Ott und Daz’l, die so viele von uns mit vielfältigen
und gesunden Starterkulturen versorgen; und Merril and Daz’l dafür,
dass sie immer ihr Saatgut mit uns teilen. Teil dieses Netzwerks des Lebensmittelanbaus
und -austauschs zu sein ist sehr inspirierend und bereichernd.
Am meisten danke ich meinen wunderbaren Freunden und Angehörigen, die
meine Leidenschaft für Fermentierung tolerieren und mich darin sogar bestärken.
Ich bedanke mich bei meiner Herkunftsfamilie; ich bin sehr froh, eine Familie
zu haben, die ich so sehr mag und in der ich immer Unterstützung erfahre.
Während des Schreibens an diesem Buch traf ich die schwierige Entscheidung,
aus der Gemeinschaft, in der ich 17 Jahre lang gelebt hatte, weg und in mein eigenes
Haus die Straße runter zu ziehen. Ich habe mich nun an einen neuen Alltag
gewöhnt, und alles ist gut. Ich danke jedem, der im Short Mountain Sanctuary
und bei IDA lebt, und unserer weitläufigen »Faeborhood«-Gemeinde für eure
Liebe und Hingabe – und dafür, dass ihr all die experimentellen Fermentierungsprodukte
probiert, mit denen ich daherkomme. Manche von diesen Leuten und
von unseren regelmäßigen Besuchern sind meine engsten Freunde und Vertrauten.
Ihr wisst, von wem ich spreche, und ihr wisst, wie sehr ich euch liebe.
19 |
Einführung
Als New Yorker Kid, das Essiggurken – diese leckeren, knackigen, nach Knoblauch
duftenden, sauren eingelegten Gurken – liebte, konnte ich kaum ahnen,
dass genau diese Pickles mich auf eine ungewöhnliche Reise der Forschung und
Entdeckungen führen würden. Tatsächlich waren fermentierte Lebensmittel –
nicht nur Essiggurken, sondern auch Brot, Käse, Joghurt, Sauerrahm, Salami,
Essig, Sojasauce, Schokolade und Kaffee sowie Bier und Wein – fester Bestandteil
des Speiseplans meiner Familie (wie wohl vieler, wenn nicht der meisten Leute),
obwohl wir niemals als solche von ihnen gesprochen haben. Doch nachdem
mich mein Lebensweg durch verschiedenste Ernährungspläne und -experimente
geführt hatte, lernte ich, dass die Bakterien in lebenden fermentierten Lebensmitteln
die Verdauung fördern, und begann, ihre stärkenden Kräfte bewusst
wahrzunehmen. Und als ich dann einen eigenen Garten hatte und einen Überschuss
an Kohl und Radieschen erntete, kam ich auf Sauerkraut. Unsere Liebesbeziehung
dauert bis heute an.
Als ich 1999 am Sequatchie Valley Institute meinen ersten Kurs in Sauerkrautherstellung
gab, merkte ich, dass in unserer Kultur eine große Angst
herrscht, Lebensmittel außerhalb des Kühlschranks zu lagern. Heutzutage werden
die meisten Menschen dazu erzogen, Bakterien als gefährliche Feinde und
Kältetechnik als Notwendigkeit im Haushalt zu sehen. Die Vorstellung, Lebensmittel
außerhalb des Kühlschranks zu lagern, um Bakterien wachsen zu lassen,
verursacht Angst vor Gefahren, Krankheiten und sogar Tod. »Wie kann ich wissen,
ob da die richtigen Bakterien heranwachsen?« ist eine gängige Frage. Die
Menschen nehmen meist an, dass, um mikrobielle Transformation sicher zu
machen, umfangreiches Know-how und absolute Kontrolle nötig seien und sie
deshalb in die Hände von Experten gehöre.
Die meisten Gärverfahren für Speisen und Getränke sind uralte Rituale, die
Menschen schon immer anwenden, die wir jedoch größtenteils in die industrielle
Produktion verlagert haben. Aus unseren Haushalten und Gemeinschaften ist
die Fermentierung dadurch nahezu verschwunden. Techniken, die im Lauf von
Jahrtausenden von verschiedensten menschlichen Kulturen – durch die Beobachtung
natürlicher Phänomene und durch die Manipulation der Bedingungen,
durch Versuch und Irrtum – entwickelt wurden, sind heute obskur und drohen
verloren zu gehen.
Ich habe fast 20 Jahre damit verbracht, das Reich der Fermentierung zu erforschen.
Ich habe keine Vorbildung in Mikrobiologie oder Ernährungswissenschaft;
ich bin nur ein das Essen liebender »Back-to-the-Land-Allrounder«, der
| 20 Die Kunst des Fermentierens
– angestachelt von einem unersättlichen Appetit, dem praktischen Wunsch, dass
Essen nicht verdirbt, und dem sturen Wunsch, gesund zu bleiben – seine Leidenschaft
für ein natürliches Leben und die Fermentierung entdeckt hat. Ich habe
viele Experimente gemacht, mit vielen, vielen Leuten über das Thema gesprochen
und vieles darüber gelesen. Je mehr ich experimentiert und gelernt habe,
umso mehr kam ich zu der Erkenntnis, wie weit ich davon entfernt war, ein Experte
auf dem Gebiet zu sein. Wenn jemand in einem Haushalt aufwächst, in
dem solche traditionellen Gärprodukte zum Alltag gehören, ist er damit viel
vertrauter. Andere werden zu kommerziellen Produzenten und entwickeln technisches
Know-how, um gleichmäßige, profitable Produkte zu schaffen; unzählige
solcher Menschen wissen viel mehr als ich über Bierbrauen, Käseherstellung,
Brotbacken, Salamipökeln oder Sakebrennen. Mikro biologen oder andere Wissenschaftler,
die sich mit sehr speziellen Aspekten der Genetik, des Stoffwechsels,
der Kinetik, der Dynamik innerhalb von Gemeinschaften oder mit anderen Mechanismen
der Fermentierung beschäftigen, verstehen sie in all ihren Facetten,
die ich kaum nachvollziehen kann.
Zudem kommt mein Know-how in nichts einem enzyklopädischen Wissen
über Fermentierung nahe. Die Methoden, wie die Menschen auf den unterschiedlichen
Kontinenten all ihre Lebensmittel fermentieren, sind zu vielfältig, als dass
eine einzelne Person sie alle kennen und verstehen könnte. Doch ich hatte das
Privileg, viele wunderbare Geschichten zu erfahren und viele selbst gemachte und
handwerklich fermentierte Speisen zu probieren. Viele Leser meiner Bücher, Besucher
meiner Website und Teilnehmer meiner Kurse haben mir von den Fermentierungsmethoden
ihrer Großeltern erzählt; Einwanderer haben mir aufgeregt
von fermentierten Lebensmitteln in ihren Heimatländern berichtet, die häufig im
Zug der Auswanderung verloren gingen; Leute haben von Gärprodukten erzählt,
auf die sie auf Reisen gestoßen sind; andere haben ihre eigentümlichen Familienrezepte
ausgeplaudert; und andere Experimentierer, wie ich selbst einer bin, haben
mir von ihren Abenteuern erzählt. Ich stieß auch auf Tausende von Fragen nach
Problemlösungen, die mich dazu brachten, zu recherchieren und über viele weitere
Aspekte der unweigerlichen Variationen nachzudenken, die bei der Fermentierung
im Privathaushalt auftreten.
Dieses Buch ist ein Kompendium des von mir zusammengetragenen Wissens
über Fermentierung, aber auch andere Stimmen kommen darin zu Wort. Ich habe
mich zwar um größtmögliche Gründlichkeit bemüht, doch das Buch ist weit
von einer Enzyklopädie entfernt. Mein Ziel ist es, Grundmuster darzustellen und
Konzepte zu vermitteln, um Sie mit dem nötigen Rüstzeug auszustatten, damit
Sie selbst weiterforschen und die Fermentierung in Ihr Leben aufnehmen können.
Meine Mission ist es, Fertigkeiten, Hilfsmittel und Informationen bezüglich
dieser bedeutsamen Kunst weiterzugeben – in der Hoffnung, dass diese lange
bestehenden co-evolutionären Verbindungen, die in kulturellen Praktiken
eingebettet sind, nicht verloren gehen, sondern verbreitet, »fremdbestäubt« und
angewandt werden.
Ein Wort, das in meiner Forschung und meinen Überlegungen zur Fermentierung
immer wieder in den Vordergrund rückt, ist Kultur. Fermentierung hat auf
verschiedene Art und Weise mit Kultur zu tun, je nach den vielen Ebenen, die
dieses bedeutungsschwere Wort impliziert, von der wörtlichen und spezifischen
Bedeutung im Kontext der Mikrobiologie bis zu seinen breitgefächerten Assoziationen.
Die Substanzen, die wir der Milch hinzufügen, um daraus Joghurt zu
machen, oder mit denen wir jedweden Gärprozess starten, nennen wir Kulturen.
Gleichzeitig stellt Kultur die Gesamtheit dessen dar, was Menschen von Generation
zu Generation weitergeben wollen, darunter Sprache, Musik, Kunst, Literatur,
wissenschaftliche Erkenntnisse und Glaubenssysteme sowie landwirtschaftliche
und kulinarische Techniken (in beiden spielt übrigens Fermentierung eine
zentrale Rolle).
Tatsächlich kommt das Wort Kultur vom lateinischen cultura, einer Ableitung
von colere, »den Acker bestellen«. Die Kultivierung des Bodens und seiner Bewohner
– Pflanzen, Tiere, Pilze und Bakterien – ist ein essenzieller Bestandteil
unserer Kultur. Die Herstellung von Lebensmitteln und unsere Beteiligung an
der Kultivierung ist eine Methode des kulturellen Revivals, mit dem wir die Abhängigkeit
in unserer Rolle als Konsumenten (Nutzer), die uns einengt und klein
hält, aktiv durchbrechen und unsere Würde und Macht zurückgewinnen, indem
wir selbst Produzenten und Schöpfer werden.
Dies gilt nicht nur für Fermentierung (auch wenn sie als biologische Kraft für
unser Essen unabdingbar ist), sondern für unser Essen im Allgemeinen. Jedes
Lebewesen auf dieser Erde interagiert über seine Nahrung direkt mit seiner
Umwelt. In unserer fortschrittlichen technologischen Gesellschaft jedoch haben
die Menschen diese Verbindung zu einem großen Teil verloren – mit schwerwiegenden
Folgen. Zwar haben reiche Leute heute viel mehr Essen zur Auswahl, als
es sich die Menschen früher nur hätten erträumen können, und die Arbeitskraft
einer Person kann inzwischen mehr Lebensmittel hervorbringen als jemals zuvor,
doch die groß angelegten kommerziellen Methoden und Systeme, auf denen diese
Phänomene basieren, zerstören unsere Erde und unsere Gesundheit und nehmen
uns unsere Würde. Bezüglich ihres Essens ist die große Mehrheit aller Menschen
fürs Überleben komplett von einer fragilen globalen Infrastruktur aus Monokulturen,
synthetischen Chemikalien, Biotechnologie und Transport abhängig.
Eine harmonischere Lebensweise und größere Stabilität erfordern unsere aktive
Beteiligung, das heißt, wir müssen herausfinden, wie wir uns den anderen
Lebensformen um uns herum und in unseren Lebensmitteln – Pflanzen und Tieren
sowie Bakterien und Pilzen – und den Ressourcen wie Wasser, Treibstoff,
Materialien, Werkzeugen und Transportmitteln, von denen wir abhängig sind,
bewusster werden und die Verbindung mit ihnen stärken. Das bedeutet, die Verantwortung
für unsere Scheiße (sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen
Sinn) zu übernehmen. Wir können zu Schöpfern einer besseren Welt werden,
von besseren und nachhaltigeren Lebensmitteln, von größerer Achtsamkeit den
Ressourcen gegenüber und einer Gemeinschaft, die auf dem Teilen beruht. Damit
Einführung 21 |
| 22 Die Kunst des Fermentierens
eine Kultur stark und belastbar ist, muss sie eine kreative Gemeinschaft sein, in
der Fertigkeiten, Informationen und Werte ineinandergreifen und vermittelt
werden. Kultur kann nicht als Konsumentenparadies oder Zuschauersport gedeihen.
Der Alltag bietet ständig Möglichkeiten, sich einzusetzen. Ergreifen Sie sie!
So wie mikrobielle Kulturen nur in der Gemeinschaft existieren, so tun dies
auch unsere menschlichen Kulturen. Essen ist hier der größte gemeinsamkeitstiftende
Faktor. Es lädt Menschen ein, sich zu setzen und eine Weile zu bleiben, und
Familien, gemeinsam zu feiern. Es heißt neue Nachbarn, erschöpfte Reisende
und geliebte alte Freunde willkommen. Und es braucht ein ganzes Dorf, um Essen
zuzubereiten. Viele Hände machen die Arbeit leichter, und die Speisenproduktion
fördert häufig Spezialisierung und Austausch. Und noch mehr als
Speisen im Allgemeinen spielen fermentierte Lebensmittel – insbesondere Getränke
– eine signifikante Rolle in der Gemeinschaft. Nicht nur, dass rund um
Fermentationsprodukte (wie Brot und Wein) viele Festmahle, Rituale und Feierlichkeiten
organisiert werden, fermentierte Speisen gehören auch zu den ältesten
und wichtigsten Lebensmitteln, die den Rohprodukten der Landwirtschaft – einer
zentralen Stütze jeder Gemeinschaft – sowohl Wertigkeit als auch Haltbarkeit
verleihen. Der Brauer und der Bäcker spielen für jede auf Feldwirtschaft beruhende
Ökonomie eine bedeutsame Rolle; und Wein verwandelt verderbliche
Trauben in ein haltbares, begehrtes Gut, das Gleiche gilt für Käse aus Milch.
Uns auf unser Essen zu besinnen heißt, sich auf die Gemeinschaft zu besinnen,
den wirtschaftlichen Zusammenhang von Spezialisierung und Arbeitsteilung zu
nutzen, aber in einem menschlichen Maß, und das Bewusstsein für Ressourcen
und lokalen Tausch zu schärfen. Der Transport von Gütern über den ganzen Erdball
verschlingt eine Unmenge an Ressourcen und richtet an unserer Umwelt
große Schäden an. Exotische Leckereien können zwar verlockend sein, es ist aber
unangebracht und schädlich, unser Leben hauptsächlich um sie herum zu
organisieren; die meisten globalisierten Lebensmittel werden in gigantischen
Monokulturen angebaut, auf Kosten von Wäldern und Subsistenzwirtschaften.
Und wenn wir völlig von einer globalen Handelsinfrastruktur abhängig sind, machen
wir uns selbst immer anfälliger für Störungen, egal welcher Herkunft: von
Naturkatastrophen (Hochwasser, Erdbeben, Tsunamis) und dem Raubbau von
Rohstoffen (Ölfördermaximum) bis zu politischer Gewalt (Krieg, Terrorismus,
organisierte Kriminalität).
Fermentierung kann zu einem Kernpunkt der ökonomischen Genesung werden.
Die Relokalisierung von Lebensmitteln bedeutet eine Erneuerung nicht nur
der Landwirtschaft, sondern auch der Prozesse, mit denen die landwirtschaftlichen
Produkte zu den Dingen verarbeitet werden, die die Menschen tagtäglich
essen und trinken, etwa zu fermentierten Lebensmitteln wie Brot, Käse und Bier.
Wenn wir uns an der lokalen Speisenproduktion beteiligen – in der Landwirtschaft
und darüber hinaus –, schaffen wir genau genommen wichtige Ressourcen,
die dazu beitragen können, unsere grundlegenden alltäglichen Bedürfnisse
zu stillen. Indem wir dieses Revival von lokalen Lebensmitteln unterstützen,
stecken wir unser Geld in unsere Gemeinschaften, in denen es dann ständig zirkuliert
und Menschen bei produktiven Aufgaben unterstützt und dazu anspornt,
wichtige Fertigkeiten zu entwickeln und uns mit frischeren, gesünderen Lebensmitteln
zu versorgen, die mit weniger Brennstoffverbrauch und Umweltverschmutzung
einhergehen. Wenn unsere Gemeinschaften sich selbst versorgen
und dadurch Macht und Würde zurückgewinnen, sinkt auch unsere kollektive
Abhängigkeit von der fragilen Infrastruktur des globalen Handels. Kulturelles
Revival bedeutet ökonomisches Revival.
Überall treffe ich auf Menschen, die sich dafür entscheiden, Teil dieses kulturellen
Revivals zu werden. Das beste Beispiel hierfür ist vielleicht die wachsende
Anzahl junger Leute, die sich für die Landwirtschaft entscheiden. In der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts war in den USA die Tradition der regionalen Selbstversorgung
mit Lebensmitteln nahezu ausgestorben. Heute befindet sich diese
Tradition wieder im Aufschwung. Produktive lokale Lebensmittelsysteme sind
aus vielen Gründen besser als globalisierte Lebensmittel: Sie sorgen für frischere
und nahrhaftere Lebensmittel, für lokale Jobs und Rentabilität, für geringere Abhängigkeit
von Kraftstoff und Infrastruktur sowie für bessere Ernährungssicherung.
Wir müssen uns über unser Essen mehr mit dem Land verbinden, und wir
müssen Leute haben, die bereit sind, die körperlich anstrengende Arbeit in der
Landwirtschaft zu leisten. Schätzen und belohnen Sie diese Arbeit. Und lassen
Sie sich selbst darauf ein.
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass diese Kultur des Revivals etwas
Brandneues ist. Immer gab es auch Menschen, die sich neuen Technologien verweigerten,
etwa Bauern, die nie chemische Mittel einsetzten oder die nie aufgehört
haben, das Vermächtnis ihres ererbten Saatguts hochzuschätzen, oder noch
immer Pferde statt Traktoren einsetzen, oder Familien, die niemals aufgehört
haben, Lebensmittel zu fermentieren. Immer gab es Suchende, die sich mit den
althergebrachten Methoden in Einklang bringen wollten oder es ablehnten, die
»Annehmlichkeiten« der modernen Kultur zu akzeptieren. So wie sich Kultur
ständig auf unvorhersehbare Art neu erfindet, ist sie doch etwas Dauerhaftes. Für
alles gibt es Wurzeln.
Kulturelles Revival bedeutet nicht, dass für irgendein ländliches Ideal die
Städte und Vororte verlassen werden sollten. Wir müssen nur harmonischere Lebensformen
dort schaffen, wo es Menschen und Infrastrukturen gibt – eben
hauptsächlich in den Städten und Vororten. »Nachhaltigkeit« und »Stabilität«
können keine Ideale sein, für deren Realisierung man irgendwo anders hinziehen
muss. Sie sind Werte, die wir – nach unseren Möglichkeiten und unseren Wohnorten
– in unser Leben einbauen können und müssen.
Vor fast 20 Jahren zog ich von meiner Heimat Manhattan in eine abgelegene
ländliche Gemeinde in Tennessee, und ich bin sehr froh, dass ich das getan habe.
Manchmal ist eine dramatische Wende genau das, was man braucht. Ich war
30 Jahre alt, war kurz zuvor HIV-positiv getestet worden und suchte nach einer
großen Veränderung, die ich mir noch gar nicht vorstellen konnte, als mich eine
Einführung 23 |
| 24 Die Kunst des Fermentierens
zufällige Begegnung auf einen von Schwulen betriebenen Hof im Wald führte.
Ich bin der beste Beweis dafür, dass der Umzug aufs Land ein lohender Schritt
sein kann. Aber das Leben auf dem Land ist sicherlich nicht besser oder nachhaltiger
als das Stadtleben. Tatsächlich bedeutet es für die meisten von uns Dörflern
(mich eingeschlossen), dass sie viel mit dem Auto unterwegs sind. In der Stadt,
in der ich aufwuchs, haben die meisten Leute kein Auto und nutzen die öffentlichen
Verkehrsmittel.
Die meisten Menschen leben in Städten, und in den Städten und Vororten wird
unglaublich kreative und transformative Arbeit geleistet. Urbane Landwirtschaft
und Instandsetzung sind auf dem Vormarsch, insbesondere in Städten mit vielen
leer stehenden Häusern. Die Wiederbelebung von Betrieben für handwerkliche
Fermentierung zentriert sich in den Städten, hauptsächlich, weil dort die größten
Absatzmärkte existieren, egal, wo produziert wird.
Die verstorbene großartige Städteplanerin Jane Jacobs vertrat die interessante
These, die Landwirtschaft müsse man in den Städten statt draußen auf dem Land
entwickeln. In ihrem Buch The Economy of Cities widersprach Jacobs der vorherrschenden
Meinung, dass »Städte auf einer ländlichen wirtschaftlichen Basis
gründeten«, die sie »Dogma des landwirtschaftlichen Vorrangs« 1 nannte. Stattdessen,
so Jacobs, förderte die Kreativität der Städte die Innovationen, die die
Landwirtschaft hervorbrachten (und ständig neu erfinden). »Neues Getreide und
neue Tiere breiten sich zunächst von Stadt zu Stadt aus. […] Die Züchtung von
Pflanzen und Tieren ist bislang ausschließlich urbane Aufgabe.« 2 Hinter ihren
Plänen stand die grundlegende Idee, dass eine handeltreibende Ansiedlung, die
als Kontaktstelle für Menschen aus verschiedensten Gegenden dient, eine dynamische
Umgebung für beiläufige Saatkreuzungen und selektive Züchtungen darstelle
und bessere Voraussetzungen für Spezialisierungen sowie die Entwicklung
und Verbreitung von Technologien böte.
Wenn Jacobs’ Theorie stimmt, müssten auch Fermentierungsmethoden urbane
Wurzeln haben. Landbewohner sind zwar häufig Wächter des Erbes wie Saatgut,
Kulturen und Know-how, doch es sind vor allem Stadtbewohner, die Neuerungen
auf den ländlichen Bauernhöfen bewirken, indem sie neue Bedürfnisse
schaffen – sie begründen Bauernmärkte und bilden den Großteil der allgemeinen
Unterstützung für das, was gemeinhin als »Community Supported Agriculture«
(CSA; »Solidarische Landwirtschaft«) bezeichnet wird. Städter können ebenso
gut wie Landbewohner Gärten und Gärmittel anbauen. Sie können auch in den
tiefen Strom der Kreativität eintauchen, den es in Städten gibt, und in die dort
unvermeidliche Kreuzbestäubung, um den Wandel herbeizuführen. Dieser Wandel
kann ebenso uraltes Wissen einbinden, das auszusterben droht, wie er Innovationen
vorantreiben kann. Auf jeden Fall ist kulturelles Revival nicht exklusiv
oder auch nur hauptsächlich eine ländliche Angelegenheit.
Die meisten Abhandlungen des 20. Jahrhunderts über Fermentierung warben
dafür, die Produktion weg von kleinen bäuerlichen Betrieben in die Fabriken zu
verlagern, und traditionelle Starterkulturen, die von Generation zu Generation
weitergegeben worden waren, wurden durch im Labor verbesserte Stämme ersetzt
– im Namen von mehr Hygiene, Sicherheit, Nährwert und Effizienz. »Wenn
man versuchte, bei Bantu-Völkern westliche Getränke wie Bier, Coca-Cola und
andere Softdrinks einzuführen, wurden diese abgelehnt«, berichteten Clifford W.
Hesseltine und Hwa L. Wang vom US-Institut Agriculture Fermentation Laboratory
1977, »weshalb das Bierbrau-Verfahren der Bantu in ihren Dörfern untersucht
wurde. Als man den Herstellungsprozess verstanden hatte und die Hefe
und die Bakterien isoliert worden waren, entwickelte man ein industrielles Fermentierungsverfahren
mit modernen Mälz- und Gärgerätschaften. Das Bantu-
Bier, das in diesen modernen Fermentierungsfabriken entstand, wurde gern akzeptiert.
… Das Produkt, das unter hygienischen Bedingungen hergestellt wird,
ist von gleichbleibender Qualität und wird preisgünstig verkauft.« 3 Ein billiges,
uniformes Produkt, unter hygienischen Bedingungen als Massenware hergestellt,
gilt dem traditionellen, in den Dörfern produzierten als eindeutig überlegen, ungeachtet
der kulturellen und ökonomischen Bedeutung des Brauens für den
Dorfzusammenhalt. Inzwischen schreibt Paul Barker aus Südafrika: »Neben vielen
anderen Verfahrens weisen stirbt in unseren afrikanischen Kulturen auch die
traditionelle Fermentierung aus und muss dokumentiert werden, ehe sie an KFC,
Coca-Cola, Levi’s und Konsorten verloren geht.«
Ich möchte mit diesem Buch dazu ermutigen, sich in den Haushalten und Gemeinden
wieder mit Fermentierung als Methode der Lebensmittelveredelung zu
beschäftigen und dadurch ein weites Netzwerk aufzubauen. Lassen Sie uns nicht
nur Weintrauben, Gerste und Sojabohnen fermentieren, sondern auch Eicheln,
Rüben, Sorghumhirse oder von was immer wir zu viel haben. Die Gärprodukte
aus großen globalen Monokulturen sind wirklich wunderbar, aber im Zuge des
Lokalismus sollten wir lernen, das Beste aus den Lebensmitteln zu machen, die
selbst einen Überschuss produzieren, wie Eicheln, oder die sich so gut angepasst
haben, dass sie mit minimaler Pflege praktisch von selbst wachsen, wie Steckrüben
oder Radieschen in den Gärten Tennessees.
Dieses Buch ist nach Arten von Fermentierungsprodukten und ihren Herstellungsweisen
angeordnet. Die ersten drei Kapitel bieten einen weiten Überblick,
stellen Fermentierung in den Kontext von Evolution, praktischem Nutzen und
grundlegenden praktischen Konzepten. Der Großteil der anderen Kapitel ist
nach Substraten – Rohstoffe für die Fermentierung – und danach angeordnet, ob
die Produkte vorwiegend alkoholhaltig sind oder nicht. Die letzten Kapitel thematisieren
die Erwägungen von Leuten, die aus ihrer Obsession für Fermentierung
ein kommerzielles Unternehmen machen wollen, sowie Non-Food-Anwendungen
der Fermentierung, und schließlich folgt ein Manifest für das kulturelle
Revival.
Im praktischen Teil des Buches habe ich auf das gängige Rezeptformat verzichtet
(außer in ein paar Extrakästen mit Rezepten anderer Leute). Statt spezieller
Rezepte möchte ich Konzepte vorstellen, die auf vielerlei Lebensmittel angewendet
werden können. Ich gebe generelle Mengenverhältnisse an bzw. Bandbreiten
Einführung 25 |
| 26 Die Kunst des Fermentierens
von Mengenverhältnissen sowie Verfahrensparameter und manchmal sogar
Würzvorschläge. Ich versuche zu erklären, was bei jedwedem Gärprodukt zu tun
ist – und warum. Fermentierung ist dynamischer und vielseitiger als Kochen,
weil wir dabei mit anderen Lebewesen zusammenarbeiten. Das Wie und Warum
dieser zuweilen komplexen Zusammenhänge ist wichtiger als die speziellen Mengen
und Mischungen von Zutaten, die je nach Rezepten und Traditionen variieren.
Ich möchte Ihnen helfen, das Wie und Warum der Fermentierung zu verstehen.
Denn mit diesem Wissen finden Sie Rezepte allüberall, und Sie können mit
Ihren eigenen kreativen Experimenten beginnen.
Hefe
Laktobazillen
Elefanten fressen
herabgefallene Stinkfrüchte
Joghurt
Beeren
Roggenpflanze
Erntearbeiter
29 |
Kapitel 1
Fermentierung als
co-evolutionäre Kraft
Die meisten Informationen in diesem Buch betreffen Verfahrensweisen, um
leckere, nahrhafte Speisen und Getränke für den menschlichen Verzehr zu fermentieren.
In diesem Kontext ist Fermentierung die Verwandlung von Lebensmitteln
mithilfe verschiedener Bakterien, Pilze und der von ihnen produzierten
Enzyme. Menschen nutzen diese transformativen Kräfte, um Alkohol herzustellen
sowie Lebensmittel haltbar, bekömmlicher, weniger giftig und/oder schmackhafter
zu machen. Nach manchen Schätzungen wird bis zu einem Drittel aller von
Menschen verzehrten Lebensmittel fermentiert 1 , und die Produktion fermentierter
Lebensmittel stellt eine der weltweit größten Industriezweige dar. 2 Fermentierung
spielt für die kulturelle Evolution des Menschen eine entscheidende Rolle,
wie wir erkennen werden. Es ist jedoch wichtig zu begreifen, dass Fermentierung
ein natürliches Phänomen ist, das viel umfassender ist als menschliche Zubereitungsverfahren;
sogar Zellen in unserem Körper sind zu Gärprozessen fähig.
Anders gesagt: Menschen haben die Fermentierung nicht erfunden oder geschaffen;
es wäre sogar richtiger zu sagen, dass Fermentierung uns geschaffen hat.
Bakterien: unsere Vorfahren und
co-evolutionären Partner
Biologen verwenden den Begriff Fermentierung für den anaeroben
Stoffwechsel, die sauerstofffreie Energiegewinnung aus Nährstoffen.
Fermentierende Bakterien haben sich wohl relativ früh aus der ursprünglichen
präbiotischen Suppe gebildet, noch ehe die Atmosphäre
eine ausreichende Sauerstoffsättigung hatte, um aerobe Lebens formen hervorzubringen.
»In den ersten zwei Milliarden Jahren des Lebens auf der Erde transformierten
Bakterien – die einzigen Bewohner – ständig die Oberfläche und die
Atmosphäre des Planeten und schufen im Kleinen alle lebenswichtigen chemischen
Systeme«, schrieb die Biologin Lynn Margulis. 3 Die Forschungsarbeit von
| 30 Kapitel 1
Margulis und anderen hat viele Biologen davon überzeugt, dass symbiotische
Verbindungen zwischen fermentierenden Bakterien und anderen frühen einzelligen
Lebensformen konkrete, dauerhafte Formen als die ersten eukaryotischen
Zellen annahmen, die Pflanzen, Tiere und Pilze umfassen. 4 Wie Margulis und
Dorion Sagan in ihrem Buch Microcosmos darlegen, hat die Symbiose wohl als
Raubtier-Beute-Beziehung begonnen:
»Schließlich entwickelten einige der Beutetiere eine Toleranz für ihre aeroben
Jäger, die dann im nahrungsreichen Inneren ihres Wirts am Leben blieben.
Zwei Arten von Organismen nutzten die Stoffwechselprodukte des jeweils anderen.
Als sie sich innerhalb der besetzten Zellen vermehrten, ohne Schaden
anzurichten, gaben die Jäger ihre unabhängige Form auf und richteten sich
dort für immer ein.« 5
Eine durch solch eine Symbiose entwickelte Evolution wird Symbiogenese genannt.
Die Mikrobiologen Sorin Sonea und Léo G. Mathieu führen dieses Konzept
näher aus: »Symbiogenese mit Tausenden verschiedener bakterieller Gene
bereichert maßgeblich das eingeschränkte Potenzial eukaryotischer Organismen,
sie forcieren und unterstützen ihre Anpassung viel mehr, als dies die willkürliche
Mutation allein bewerkstelligen könnte.« 6
Bakterielle Fermentierungsprozesse sind Teil der Zusammenhänge allen Lebens.
Fermentation spielt im Nährstoffkreislauf, mit dem sich alle Lebenwesen – wir eingeschlossen
– co-evolutionär entwickeln, eine umfassende und entscheidende Rolle.
Durch Symbiose und Co-Evolution verschmolzen Bakterien zu neuen Formen
und brachten alles andere Leben hervor. »In den letzten [Millionen] Jahren fungieren
Mitglieder des Bakterien-Superreichs als bedeutende selektive Kraft für die Gestaltung
der eukaryotischen Evolution«, konstatieren die Molekularbiologen Jian
Xu und Jeffrey I. Gordon. »Co-evolutionäre symbiotische Beziehungen zwischen
Bakterien und mehrzelligen Organismen sind ein prominentes Element des Lebens
auf der Erde.« 7 Die Bedeutung der Bakterien und unserer bakteriellen Wechselwirkungen
kann nicht hoch genug eingestuft werden. Ohne unsere bakteriellen
Partner könnten wir nicht existieren oder funktionieren.
Wie alle komplexen mehrzelligen Lebensformen ist
auch der menschliche Körper Wirt für ausgeklügelte autochthone
Biota. Einige Genetiker sind der Meinung, wir
seien »ein Komposit vieler Spezies« mit einer genetischen
Landschaft, die neben dem humanen Genom auch jene
unserer bakteriellen Symbionten umfasst. 8 In unserem
Körper gibt es weit mehr Bakterien als Zellen mit unserer
einzigartigen DNA, das Verhältnis beträgt zehn zu eins. 9
Die Mehrheit dieser Bakterien – unglaubliche 100 Billionen
(10 14 ) – befinden sich in unserem Darm. 10 Bakterien
spalten Nährstoffe auf, die wir ansonsten nicht verdauen
Beeren