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Die Kunst des Fermentierens (Leseprobe)

KOPP Verlag (Sandor Ellix Katz)

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| 24 Die Kunst des Fermentierens

zufällige Begegnung auf einen von Schwulen betriebenen Hof im Wald führte.

Ich bin der beste Beweis dafür, dass der Umzug aufs Land ein lohender Schritt

sein kann. Aber das Leben auf dem Land ist sicherlich nicht besser oder nachhaltiger

als das Stadtleben. Tatsächlich bedeutet es für die meisten von uns Dörflern

(mich eingeschlossen), dass sie viel mit dem Auto unterwegs sind. In der Stadt,

in der ich aufwuchs, haben die meisten Leute kein Auto und nutzen die öffentlichen

Verkehrsmittel.

Die meisten Menschen leben in Städten, und in den Städten und Vororten wird

unglaublich kreative und transformative Arbeit geleistet. Urbane Landwirtschaft

und Instandsetzung sind auf dem Vormarsch, insbesondere in Städten mit vielen

leer stehenden Häusern. Die Wiederbelebung von Betrieben für handwerkliche

Fermentierung zentriert sich in den Städten, hauptsächlich, weil dort die größten

Absatzmärkte existieren, egal, wo produziert wird.

Die verstorbene großartige Städteplanerin Jane Jacobs vertrat die interessante

These, die Landwirtschaft müsse man in den Städten statt draußen auf dem Land

entwickeln. In ihrem Buch The Economy of Cities widersprach Jacobs der vorherrschenden

Meinung, dass »Städte auf einer ländlichen wirtschaftlichen Basis

gründeten«, die sie »Dogma des landwirtschaftlichen Vorrangs« 1 nannte. Stattdessen,

so Jacobs, förderte die Kreativität der Städte die Innovationen, die die

Landwirtschaft hervorbrachten (und ständig neu erfinden). »Neues Getreide und

neue Tiere breiten sich zunächst von Stadt zu Stadt aus. […] Die Züchtung von

Pflanzen und Tieren ist bislang ausschließlich urbane Aufgabe.« 2 Hinter ihren

Plänen stand die grundlegende Idee, dass eine handeltreibende Ansiedlung, die

als Kontaktstelle für Menschen aus verschiedensten Gegenden dient, eine dynamische

Umgebung für beiläufige Saatkreuzungen und selektive Züchtungen darstelle

und bessere Voraussetzungen für Spezialisierungen sowie die Entwicklung

und Verbreitung von Technologien böte.

Wenn Jacobs’ Theorie stimmt, müssten auch Fermentierungsmethoden urbane

Wurzeln haben. Landbewohner sind zwar häufig Wächter des Erbes wie Saatgut,

Kulturen und Know-how, doch es sind vor allem Stadtbewohner, die Neuerungen

auf den ländlichen Bauernhöfen bewirken, indem sie neue Bedürfnisse

schaffen – sie begründen Bauernmärkte und bilden den Großteil der allgemeinen

Unterstützung für das, was gemeinhin als »Community Supported Agriculture«

(CSA; »Solidarische Landwirtschaft«) bezeichnet wird. Städter können ebenso

gut wie Landbewohner Gärten und Gärmittel anbauen. Sie können auch in den

tiefen Strom der Kreativität eintauchen, den es in Städten gibt, und in die dort

unvermeidliche Kreuzbestäubung, um den Wandel herbeizuführen. Dieser Wandel

kann ebenso uraltes Wissen einbinden, das auszusterben droht, wie er Innovationen

vorantreiben kann. Auf jeden Fall ist kulturelles Revival nicht exklusiv

oder auch nur hauptsächlich eine ländliche Angelegenheit.

Die meisten Abhandlungen des 20. Jahrhunderts über Fermentierung warben

dafür, die Produktion weg von kleinen bäuerlichen Betrieben in die Fabriken zu

verlagern, und traditionelle Starterkulturen, die von Generation zu Generation

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