Die Kunst des Fermentierens (Leseprobe)
KOPP Verlag (Sandor Ellix Katz)
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Ein Wort, das in meiner Forschung und meinen Überlegungen zur Fermentierung
immer wieder in den Vordergrund rückt, ist Kultur. Fermentierung hat auf
verschiedene Art und Weise mit Kultur zu tun, je nach den vielen Ebenen, die
dieses bedeutungsschwere Wort impliziert, von der wörtlichen und spezifischen
Bedeutung im Kontext der Mikrobiologie bis zu seinen breitgefächerten Assoziationen.
Die Substanzen, die wir der Milch hinzufügen, um daraus Joghurt zu
machen, oder mit denen wir jedweden Gärprozess starten, nennen wir Kulturen.
Gleichzeitig stellt Kultur die Gesamtheit dessen dar, was Menschen von Generation
zu Generation weitergeben wollen, darunter Sprache, Musik, Kunst, Literatur,
wissenschaftliche Erkenntnisse und Glaubenssysteme sowie landwirtschaftliche
und kulinarische Techniken (in beiden spielt übrigens Fermentierung eine
zentrale Rolle).
Tatsächlich kommt das Wort Kultur vom lateinischen cultura, einer Ableitung
von colere, »den Acker bestellen«. Die Kultivierung des Bodens und seiner Bewohner
– Pflanzen, Tiere, Pilze und Bakterien – ist ein essenzieller Bestandteil
unserer Kultur. Die Herstellung von Lebensmitteln und unsere Beteiligung an
der Kultivierung ist eine Methode des kulturellen Revivals, mit dem wir die Abhängigkeit
in unserer Rolle als Konsumenten (Nutzer), die uns einengt und klein
hält, aktiv durchbrechen und unsere Würde und Macht zurückgewinnen, indem
wir selbst Produzenten und Schöpfer werden.
Dies gilt nicht nur für Fermentierung (auch wenn sie als biologische Kraft für
unser Essen unabdingbar ist), sondern für unser Essen im Allgemeinen. Jedes
Lebewesen auf dieser Erde interagiert über seine Nahrung direkt mit seiner
Umwelt. In unserer fortschrittlichen technologischen Gesellschaft jedoch haben
die Menschen diese Verbindung zu einem großen Teil verloren – mit schwerwiegenden
Folgen. Zwar haben reiche Leute heute viel mehr Essen zur Auswahl, als
es sich die Menschen früher nur hätten erträumen können, und die Arbeitskraft
einer Person kann inzwischen mehr Lebensmittel hervorbringen als jemals zuvor,
doch die groß angelegten kommerziellen Methoden und Systeme, auf denen diese
Phänomene basieren, zerstören unsere Erde und unsere Gesundheit und nehmen
uns unsere Würde. Bezüglich ihres Essens ist die große Mehrheit aller Menschen
fürs Überleben komplett von einer fragilen globalen Infrastruktur aus Monokulturen,
synthetischen Chemikalien, Biotechnologie und Transport abhängig.
Eine harmonischere Lebensweise und größere Stabilität erfordern unsere aktive
Beteiligung, das heißt, wir müssen herausfinden, wie wir uns den anderen
Lebensformen um uns herum und in unseren Lebensmitteln – Pflanzen und Tieren
sowie Bakterien und Pilzen – und den Ressourcen wie Wasser, Treibstoff,
Materialien, Werkzeugen und Transportmitteln, von denen wir abhängig sind,
bewusster werden und die Verbindung mit ihnen stärken. Das bedeutet, die Verantwortung
für unsere Scheiße (sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen
Sinn) zu übernehmen. Wir können zu Schöpfern einer besseren Welt werden,
von besseren und nachhaltigeren Lebensmitteln, von größerer Achtsamkeit den
Ressourcen gegenüber und einer Gemeinschaft, die auf dem Teilen beruht. Damit
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