immobilia 2019/11 - SVIT
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BAU & HAUS<br />
FREE-COOLING<br />
GRATIS KÜHLEN<br />
KANN INS GELD<br />
GEHEN<br />
Wann lohnen sich die Investitionen für<br />
Free-Cooling in Gebäuden, wann ist es<br />
zum Fenster hinausgeworfenes Geld?<br />
Eine aktuelle Studie der ZHAW gibt<br />
Antworten, ein Merkblatt des BFE fasst<br />
die Erkenntnisse zusammen.<br />
TEXT—MARTIN STETTLER*<br />
FRAGE NACH DER<br />
WIRTSCHAFTLICHKEIT<br />
Free-Cooling verspricht nichts weniger, als dass<br />
die Kühlung gratis ist, wenig bis keine Energie braucht<br />
und die Umwelt schont. Aus diesem Grund fordern<br />
engagierte Planer, Bauherrschaften und nicht zuletzt<br />
auch die Behörden solche Free-Cooling-Lösungen in<br />
der Klimakälte respektive Gebäudeklimatisierung<br />
oft ein. Doch seit geraumer Zeit vermuten Fachpersonen<br />
aus der Gebäudetechnik, dass das Kühlen eines<br />
Gebäudes mit Free-Cooling energetisch und wirtschaftlich<br />
nicht immer die optimale Lösung sei. Im<br />
schlimmsten Fall verursache Free-Cooling Zusatzkosten<br />
und verschlechtere gleichzeitig die Gesamtenergiebilanz<br />
eines Gebäudes.<br />
Das Bundesamt für Energie BFE wollte es genauer<br />
wissen und beauftragte das Institut für Energiesysteme<br />
und Fluid-Engineering der Zürcher Hochschule<br />
für Angewandte Wissenschaften ZHAW zu untersuchen,<br />
unter welchen Voraussetzungen sich Free-Cooling<br />
in der Praxis bewährt. Damit soll nicht zuletzt<br />
auch die Entscheidungskompetenz der Immobilienbranche<br />
gestärkt werden.<br />
Free-Cooling:<br />
Gute Lösungen<br />
brauchen Köpfchen.<br />
BILD: 123RF.COM<br />
JE HÖHER<br />
DIE KALTWAS-<br />
SER-TEMPERA-<br />
TUR, DESTO<br />
GRÖSSER DAS<br />
FREE-COOLING<br />
POTENTIAL.<br />
FREE-COOLING ZUSAMMEN<br />
MIT DER KLIMAKÄLTEANLAGE<br />
Der Fokus der Untersuchungen lag auf indirekten<br />
Free-Cooling-Lösungen mit Aussenluft. Dabei wird<br />
das Gebäude über das sogenannte Kaltwassersystem<br />
der Klimakälteanlage gekühlt. Das Kaltwasser nimmt<br />
in den Verbrauchern (Kühlpanele, -decke, -register)<br />
die Wärme auf und führt sie ab. Dafür braucht es mindestens<br />
zwei Wärmeübertrager, einen im Raum (Kühlpanele)<br />
und einen nach Aussen beim Rückkühler. Das<br />
schränkt die nutzbaren Aussentemperaturen jedoch<br />
deutlich ein. Um beispielsweise an den Kühlpanelen im<br />
Raum eine Temperatur von 20° C zu erreichen, ist eine<br />
Aussentemperatur von 14° C nötig. Gerade im Sommer<br />
ist das keine Selbstverständlichkeit.<br />
Nicht Gegenstand der Studie war das direkte Free-<br />
Cooling, bei dem die kühle Nachtluft direkt über die<br />
Fenster oder über Lüftungsanlagen ins Gebäude geblasen<br />
wird. Das wäre zwar eine sehr gute, einfache und<br />
effiziente Lösung, die aber für Büroumgebungen oft zu<br />
wenig wirksam ist. Denn im Sommer sind die kühlen<br />
Nachtstunden zu kurz und die Tropennächte, in denen<br />
die Temperatur nicht unter 20° C fällt, nehmen tendenziell<br />
zu.<br />
ZENTRALE EINFLUSSGRÖSSEN<br />
IM AUGE BEHALTEN<br />
Die ZHAW-Studie hat fünf Einflussgrössen auf das<br />
Free-Cooling-Potenzial untersucht. Drei technische<br />
Faktoren (hydraulische Einbindung, Kaltwassertemperatur<br />
und Art des Rückkühlers) haben einen enormen<br />
Einfluss auf das Potenzial und die Wirtschaftlichkeit<br />
und können durch Planer und Bauherr entscheidend<br />
beeinflusst werden. Zwei weitere Faktoren haben sich<br />
zwar als nicht weniger wichtig herausgestellt – doch<br />
die geografische Lage (z. B. Zürich oder Davos) und die<br />
Nutzungsart des Gebäudes (z. B. Rechenzentrum oder<br />
Büro) sind in einem Projekt gegeben.<br />
Dabei liegt es auf der Hand, dass Free-Cooling in Rechenzentren<br />
mit ganzjährigem Kühlbedarf das grössere<br />
Potenzial aufweist als in Bürogebäuden. Und je kühler<br />
das Klima am Standort ist (z. B. in den Alpen), desto<br />
grösser ist der Beitrag des Free-Coolings zum gesamten<br />
Kühlbedarf. Keine nennenswerten Unterschiede<br />
hinsichtlich des Potenzials gibt es hingegen zwischen<br />
Bürogebäuden und Nutzungen wie Warenhäuser,<br />
Fachmärkte oder Behandlungsräume.<br />
MÖGLICHST HOHE<br />
KALTWASSERTEMPERATUREN<br />
Die ZHAW-Studie zeigt, dass vor allem die Vorlauftemperatur<br />
des Kältekreises (die sogenannte Kaltwasser-Temperatur)<br />
entscheidend ist, ob sich ein indirektes<br />
Free-Cooling rechnet oder nicht. Bei den<br />
untersuchten Bürogebäuden wird Free-Cooling ab<br />
einer Kaltwasser-Vorlauftemperatur von 18° C wirtschaftlich<br />
interessant und sollte in Betracht gezogen<br />
werden. Dafür eignen sich Wärmeaufnahmesysteme<br />
wie thermoaktive Bauteilsysteme TABS oder Kühldecken<br />
besonders gut, die mit hohen Vorlauftemperaturen<br />
arbeiten.<br />
Werden für die Kühlung eines Bürogebäudes Kaltwasser-Temperaturen<br />
unter 14° C benötigt, sinkt der<br />
Beitrag des Free-Coolings am gesamten Kühlenergiebedarf<br />
auf wenige Prozente. Die Investition in das<br />
Free-Cooling zahlt sich in diesem Fall kaum aus.<br />
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IMMOBILIA / November <strong>2019</strong>