Hans-Ulrich Köhlke Das Gutachterverfahren in der ...
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1 EINLEITUNG<br />
Der Psychotherapie als Leistung <strong>der</strong> gesetzlichen<br />
Krankenversicherung wird e<strong>in</strong> Antragsverfahren und<br />
e<strong>in</strong>e sachverständige Vorprüfung, das sog. <strong>Gutachterverfahren</strong>,<br />
vorangestellt. <strong>Das</strong> <strong>Gutachterverfahren</strong><br />
soll den Schutz e<strong>in</strong>es ausreichend hohen Standards<br />
<strong>der</strong> psychotherapeutischen Versorgung und e<strong>in</strong>es<br />
effizienten Mittele<strong>in</strong>satzes <strong>der</strong> Krankenkassen gewährleisten.<br />
Ob das <strong>Gutachterverfahren</strong> diese Aufgabe wirklich<br />
leistet und <strong>in</strong> jetziger Form überhaupt leisten kann,<br />
diese Fragen führten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit immer<br />
wie<strong>der</strong> zu Erörterungen grundsätzlicher Art. Die<br />
damit verbundenen, zum Teil heftigen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen<br />
s<strong>in</strong>d erklärlich, denn mit <strong>der</strong> Durchführung<br />
des <strong>Gutachterverfahren</strong>s ist e<strong>in</strong> ganz erheblicher<br />
Arbeits- und Kostenaufwand für die meisten<br />
Beteiligten verbunden und dieser Aufwand, auch<br />
öffentlicher Mittel, muß selbstverständlich als "notwendig,<br />
zweckmäßig und effizient“ begründet se<strong>in</strong>.<br />
Von verantwortlicher Seite wird dem <strong>Gutachterverfahren</strong><br />
per se die Funktion e<strong>in</strong>er "Qualitätssicherung"<br />
zugeschrieben, weshalb sowohl die Krankenkassen<br />
(Fischer, 1995; Lubecki, 1990; Schmidt-<br />
Bodenste<strong>in</strong>, 1998a) als auch die Kassenärztliche<br />
Bundesvere<strong>in</strong>igung (Dahm, 1996) daran festhalten<br />
wollen. Auch die Gutachter selber postulieren den<br />
Nutzen dieses Prüfverfahrens (vgl. Dahm, 1996;<br />
Faber & Haarstrick, 1996; L<strong>in</strong>den & Dankesreiter,<br />
1996). Demgegenüber beurteilt die nie<strong>der</strong>gelassene<br />
psychotherapeutische Praxis den S<strong>in</strong>n und Zweck<br />
des <strong>Gutachterverfahren</strong>s zumeist kritisch (vgl. die<br />
Diskussion zwischen Gutachtern und Begutachteten<br />
<strong>in</strong> Vogel & Merod, 1998 und Lieb & Lutz, 1992)<br />
und zuweilen vehement ablehnend (vgl. Flöttmann,<br />
1991 und die z.T. zornigen Reaktionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitschrift<br />
neuro date aktuell von 1991-1996).<br />
Überwiegend haben die Aussagen zum <strong>Gutachterverfahren</strong><br />
den Charakter re<strong>in</strong>er Mutmaßungen auf<br />
subjektivem Me<strong>in</strong>ungsniveau, sowohl auf Seiten<br />
se<strong>in</strong>er Befürworter als auch se<strong>in</strong>er Kritiker. Die<br />
e<strong>in</strong>zig verfügbare "Empirie" stellt die jährliche<br />
"Gutachterstatistik" <strong>der</strong> Kassenärztlichen Bundesvere<strong>in</strong>igung<br />
(KBV) dar, die getrennt nach Therapierichtungen<br />
deskriptive Daten über die Zahl <strong>der</strong> Gutachter,<br />
die Zahl <strong>der</strong> rückgemeldeten begutachteten<br />
Antragsfälle sowie die Ablehnungs- und Nachbesserungsquote<br />
ausweist. Empirische Untersuchungen<br />
und Analysen, die über Wirkung und Wirksamkeit<br />
(Ergebnisqualität) des <strong>Gutachterverfahren</strong>s e<strong>in</strong>en<br />
Aufschluß geben könnten, fehlen.<br />
10<br />
In <strong>der</strong> Kritik kommt diese ungesicherte, spekulative<br />
Legitimationsgrundlage immer wie<strong>der</strong> zum Ausdruck.<br />
Während die Gutachter im Rahmen von offiziellen<br />
jährlichen "Gutachtertreffen" auf E<strong>in</strong>ladung <strong>der</strong><br />
Kassenärztlichen Bundesvere<strong>in</strong>igung ihre Feststellungen<br />
und Erkenntnisse austauschen, so daß <strong>der</strong>en<br />
Ergebnis E<strong>in</strong>fluß auf Bestimmungen und Bed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>der</strong> alltäglichen Praxis hat, gibt es e<strong>in</strong> vergleichbares<br />
Forum und E<strong>in</strong>flußmöglichkeit <strong>der</strong> Psychotherapiepraktiker<br />
nicht. So existiert bis heute nicht<br />
e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>formelle Plattform, auf <strong>der</strong> Erkenntnisse<br />
<strong>der</strong> Psychotherapiepraxis zum <strong>Gutachterverfahren</strong><br />
gesammelt, ausgewertet und verlautbart werden<br />
könnten. Die "Beurteilung <strong>der</strong> Betroffenen"<br />
(Psychotherapiepraktiker), sonst e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> wichtigsten<br />
Kriterien zur Prüfung <strong>der</strong> "Ergebnisqualität"<br />
(vgl. Kordy, 1992), ist bisher nicht von offiziellem<br />
Interesse. Die wenigen <strong>in</strong>formellen Diskussionsrunden,<br />
zu denen Praktiker e<strong>in</strong>geladen wurden, lassen<br />
e<strong>in</strong>e z. T. massive Unzufriedenheit <strong>der</strong> Praxis mit<br />
dem <strong>der</strong>zeitigen <strong>Gutachterverfahren</strong> erkennen. Aber<br />
ihre E<strong>in</strong>wände s<strong>in</strong>d als E<strong>in</strong>zelaussagen empirisch<br />
nicht fundiert und werden als bloße Behauptungen<br />
mit Gegenbehauptungen "neutralisiert".<br />
E<strong>in</strong> illustratives Beispiel dazu liefert e<strong>in</strong>e neuere<br />
Diskussion zum <strong>Gutachterverfahren</strong>, die von Vogel<br />
& Merod (1998) mo<strong>der</strong>iert und veröffentlicht wurde.<br />
Hier sagt e<strong>in</strong>e nie<strong>der</strong>gelassene (psychologische)<br />
Psychotherapeut<strong>in</strong> (mittlerweile selbst Gutachter<strong>in</strong>):<br />
"Die Antragstellung ist ausgesprochen aufwendig.<br />
Obwohl ich im Abfassen von Anträgen sehr<br />
rout<strong>in</strong>iert b<strong>in</strong>, zudem als Lehrtherapeut<strong>in</strong> Ausbildungsteilnehmer<br />
anleite, Anträge zu erstellen,<br />
benötige ich selbst nach wie vor drei bis vier<br />
Stunden für e<strong>in</strong>e Antragstellung"<br />
(Koppenhöfer, 1998, S. 492).<br />
Unmittelbar im Anschluß daran vertritt e<strong>in</strong> (ärztlicher)<br />
Gutachter zum gleichen Thema "Antrags- und<br />
Berichtsaufwand" die Ansicht:<br />
"Hierfür genügen <strong>in</strong> aller Regel drei bis vier<br />
Seiten. Dies ersche<strong>in</strong>t nicht unzumutbar und ist<br />
auch nicht wesentlich mehr als beispielsweise<br />
bei Arztbriefen üblich ist. Wenn e<strong>in</strong> solcher Bericht<br />
zudem dann auch noch auf dem H<strong>in</strong>tergrund<br />
e<strong>in</strong>er mehrstündigen Befassung mit dem<br />
Patienten diktiert wird, dann muß er eigentlich<br />
ohne viel Vorbereitung <strong>in</strong> maximal e<strong>in</strong>er halben<br />
Stunde abzufassen se<strong>in</strong>. Berichte dieser Art<br />
schreiben Stationsärzte bei all ihrer sonstigen<br />
Arbeit täglich. Es sollte ke<strong>in</strong>e Überfor<strong>der</strong>ung für<br />
e<strong>in</strong>en Psychotherapeuten se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en solchen<br />
Bericht pro Woche zu schreiben"<br />
(L<strong>in</strong>den, 1998, S. 495).