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Hans-Ulrich Köhlke Das Gutachterverfahren in der ...

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4.2 Explorative Vorstudie<br />

Aufgrund <strong>der</strong> deskriptiven Orientierung dieser Studie<br />

war schon relativ bald an den E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>es Fragebogens<br />

als Untersuchungs<strong>in</strong>strument gedacht. Um<br />

zu repräsentativen Aussagen zu gelangen, kamen<br />

an<strong>der</strong>e Erhebungsverfahren, wie etwa halbstandardisierte<br />

Interviews, schon aus Gründen des damit<br />

verbundenen Zeitaufwands nicht <strong>in</strong> Betracht. Außerdem<br />

ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Erhebung mittels Fragebogen<br />

hier das geeigneteste Verfahren zu se<strong>in</strong>, dem komplexen<br />

und auch "heiklen" Untersuchungsgegenstand<br />

gerecht zu werden. Diese Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong><br />

Erhebungssituation galt es schon im Stadium <strong>der</strong><br />

Konzeptualisierung dieser Untersuchung zu berücksichtigen.<br />

„Brisanz“ des Untersuchungsthemas<br />

Die geplante Untersuchung berührt sehr „brisante“<br />

Aspekte <strong>der</strong> Rout<strong>in</strong>epraxis von Vertragspsychotherapeuten.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Gutachterverfahren</strong> wirkt nicht „neutral“<br />

auf das konkrete Praxisgeschehen, es wirkt<br />

entwe<strong>der</strong> konstruktiv o<strong>der</strong> obstruktiv. Zum e<strong>in</strong>en ist<br />

mit dem <strong>Gutachterverfahren</strong> e<strong>in</strong>e Fallause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

und Arbeitsbelastung verbunden, zum an<strong>der</strong>en<br />

ist es mit e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>formellen Def<strong>in</strong>itions- und<br />

formalen Sanktionsmacht ausgestattet, die Aversionen<br />

auslösen können. Insofern stellt das vorangehende<br />

<strong>Gutachterverfahren</strong> e<strong>in</strong>e eigene relevante<br />

Praxisrahmenbed<strong>in</strong>gung dar, auf die sich die psychotherapeutische<br />

Praxis e<strong>in</strong>stellt. So kann es im negativen<br />

Fall zur Ausbildung e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>zidentellen Reaktions-<br />

und Kompensationsmusters kommen (Vermeidungs-,<br />

Umgehungs-, eventuell sogar straftatbestandliches<br />

Verhalten), das problematisch ist und<br />

das mit Entziehung <strong>der</strong> KV-Zulassung, Haftungsproblemen<br />

wegen lege-artis-Verstöße und sonstigen<br />

bedrohlichen Konsequenzen assoziiert werden könnte.<br />

So wird etwa <strong>in</strong> diesbezüglichen Publikationen<br />

angedeutet, Praktiker würden <strong>in</strong> concreto an<strong>der</strong>e<br />

Verfahren anwenden als sie im Antrag ausweisen.<br />

Cullmann (1997) schreibt dazu, es würde nach se<strong>in</strong>er<br />

Feststellung (als ehemaliger „Delegationsarzt“)<br />

<strong>in</strong> vielen Langzeitanträgen aller Therapierichtungen<br />

e<strong>in</strong> Etikettenschw<strong>in</strong>del praktiziert und Anträge zwar<br />

richtl<strong>in</strong>iengetreu gestellt und begründet, <strong>in</strong> <strong>der</strong> konkreten<br />

Therapie dann aber an<strong>der</strong>e, auch nicht zugelassene<br />

Verfahren zur Anwendung kommen.<br />

Verschiedene, zum Teil nur „h<strong>in</strong>ter vorgehaltener<br />

Hand“ berichtete Kompensationsmuster, wie Amortisation<br />

des Antragsaufwands durch Ausschöpfen<br />

des Sitzungskont<strong>in</strong>gents o<strong>der</strong> Reduzierung des psy-<br />

20<br />

chotherapeutischen Angebots auf ausschließlich<br />

(gutachterfreie) Kurzzeittherapie s<strong>in</strong>d Folgen und<br />

Auswüchse des <strong>Gutachterverfahren</strong>s, die stattzuf<strong>in</strong>den<br />

sche<strong>in</strong>en, aber kaum belegbar s<strong>in</strong>d. Selbstverständlich<br />

wären solche negativen Folgen aus <strong>der</strong><br />

Untersuchungsperspektive „Verhältnismäßigkeit“<br />

sehr bedeutsam, denn e<strong>in</strong>e etwaige gewünschte<br />

„Wirkung“ des <strong>Gutachterverfahren</strong>s muß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

vernüftigen, kalkulierbaren Verhältnis zu unerwünschten<br />

„Nebenwirkungen“ stehen.<br />

Empirisch lassen sich solche bedeutsamen beruflichen<br />

Verhaltensstile nur äußerst schwer erfassen,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e wenn sie mit e<strong>in</strong>em negativen Stigma,<br />

eventuell sogar Sanktionsdrohung verbunden s<strong>in</strong>d.<br />

Wenn hier überhaupt „Forschung von außen“ möglich<br />

se<strong>in</strong> soll, dann nur durch e<strong>in</strong>e weite „Schutzdistanz“,<br />

die m<strong>in</strong>imalste Berührung zwischen Untersucher<br />

und Untersuchtem und maximale Nicht-<br />

Identifizierbarkeit gewährleistet.<br />

Dies ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie nur durch E<strong>in</strong>satz von Fragebögen<br />

mit Anonymitätsschutz gegeben (ähnlich<br />

e<strong>in</strong>er Briefwahl), weshalb auch aus diesem Grund<br />

an<strong>der</strong>e Untersuchungsverfahren ausscheiden.<br />

(Zur Frage wie dieser Anonymitätsschutz umgesetzt<br />

wurde, wird später noch e<strong>in</strong>gegangen.)<br />

Pilotstudie<br />

Die erste explorative "Fragebogen-Version wurde<br />

Ende 1997 an e<strong>in</strong> Dutzend (dem Verfasser bekannte)<br />

Psychotherapie-Praktiker versandt, die über h<strong>in</strong>längliche<br />

Erfahrungen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e mit dem Erstellen<br />

von Langzeit-Anträgen verfügen und von denen e<strong>in</strong>e<br />

ausreichend <strong>in</strong>tensive Beschäftigung mit e<strong>in</strong>em<br />

ersten Fragebogenentwurf erwartet werden durfte.<br />

Neben e<strong>in</strong>zelnen Anregungen und Korrekturen wurde<br />

aus diesem Pilotkreis verschiedentlich vorgeschlagen,<br />

mehr Möglichkeiten zum Ausdruck von<br />

„persönlichen Me<strong>in</strong>ungen zum <strong>Gutachterverfahren</strong>“<br />

zu <strong>in</strong>stallieren. Bei vielen Vertragspsychotherapeuten<br />

hätte sich e<strong>in</strong> sehr differenziertes und dezidiertes<br />

Me<strong>in</strong>ungsbild entwickelt, das wert sei, erfaßt und<br />

erforscht zu werden.<br />

Diese Anregung führte zu <strong>der</strong> Überlegung, den Vertragspsychotherapeuten<br />

sowohl e<strong>in</strong>en Fragebogen<br />

mit geschlossenen als auch e<strong>in</strong>e Frageliste mit offenen<br />

Fragen vorzugeben. Von letztem Vorhaben ist<br />

dann aber doch Abstand genommen worden. E<strong>in</strong>mal<br />

aus auswertungstechnischen und zeitlichen Gründen,<br />

denn das Erfassen von vielfältigsten Antworten auf<br />

offene Fragen benötigt bei e<strong>in</strong>er repräsentativen<br />

Stichprobe Auswertungsressourcen, die nicht zur

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