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GESELLSCHAFT

Text Smilla Schär

Foto zvg

Serien im digitalen Zeitalter

Eine kleine Serienproduktion des norwegischen Staatsfernsehens wird plötzlich weltweit

fieberhaft mitverfolgt. Wie ist das dem Produktionsteam gelungen?

Das digitale Zeitalter ist auch das

Zeitalter des Überangebots an medialer

Unterhaltung. Man muss sich

nicht mehr damit zufriedengeben,

was gerade im linearen Fernsehen

läuft oder damit, was die Bibliothek an

DVDs, geschweige denn Videokassetten,

anbietet. Im Internet ist alles nur

ein paar Knopfdrucke weg. Und die sogenannten

Digital Natives kannten das

auch nie anders. Wie holen Serien eine

solche Generation noch erfolgreich ab,

wenn die Konkurrenz so riesig ist?

Serie in Echtzeit

Der norwegische staatliche Fernsehsender

NRK hat mit der Serie «Skam»,

zu Deutsch Scham, die von 2015 bis

2017 lief, eine Antwort darauf gefunden:

Man macht es einfach so wie die

Digital Natives selbst und ist auf möglichst

allen sozialen Medien vertreten.

Das Team ist dort aber nicht einfach

mit Werbung präsent, sondern gleich

als die Charaktere selbst, die auch auf

den sozialen Medien miteinander interagieren.

Dies war das Konzept des Überraschungshits

«Skam», entwickelt von

einem kleinen Team rund um Julie Andem

und Mari Magnus. Die vier Staffeln

der Serie haben jeweils unterschiedliche

Hauptpersonen, durch deren

Augen man ihren Alltag als Teenager

oder Teenagerin mitverfolgt. Die Folgen

werden aufgeteilt in kurze Clips,

die über die Woche in Echtzeit auf die

Webseite (www.skam.p3.no) geladen

werden. Wenn man also sieht, wie die

Hauptperson um 07.30 Uhr in der Schule

ankommt, wird der Clip um 07.30 Uhr

veröffentlicht. Verbringt sie eine schlaflose

Nacht, beginnt ein Video auch mal

um 02.03 Uhr. Die Zuschauerinnen und

Zuschauer sehen Screenshots der Chats

der Hauptpersonen und diese und die

anderen Charaktere haben teilweise

Instagramprofile oder auch Youtubekanäle.

Wann der nächste Chat oder Clip

hochgeladen wird, ist nie im Voraus bekannt.

Und so checkt man die Webseite

der Serie ständig auf neue Inhalte.

Überraschender Erfolg

Der Plan ging auf. Obwohl die Serie ursprünglich

vor allem für Jugendliche gedacht

war, wurde sie in Norwegen bald von

einer viel breiteren Altersgruppe geschaut.

Dank Untertiteln, die norwegische Fans in

Freiwilligenarbeit erstellten und dann mit

den Clips über die sozialen Medien verbreiteten,

wurde die Serie bald auch über

die Landesgrenzen hinaus mitverfolgt. Die

Low-Budget-Produktion gewann so Fans

auf der ganzen Welt. Und natürlich interessierten

sich bald andere Produzenten und

Produzentinnen für das Konzept. Mittlerweile

gibt es Remakes in den USA, den

Niederlanden, Belgien, Frankreich, Italien,

Spanien und in Deutschland – Letzteres

produziert von Funk, ein auf Jugendliche

und junge Erwachsene ausgerichtetes

Online-Medienangebot von ARD und ZDF.

Auch NRK selber hat mittlerweile mit

«Lovleg» und «Blank» noch zwei weitere

Serien mit demselben Konzept produziert.

Keine kam jedoch an den Erfolg von

«Skam» heran.

Zwischen Fiktion und Realität

Die Serie geht mit der Zeit, man könnte

ihr aber auch den Vorwurf machen, gewisse

Tendenzen zu befeuern, die manche

als besorgniserregend ansehen. So bietet

sie ein Beispiel für die zunehmende Vermischung

von Fiktion und Realität. Wenn

Auf dieser Webseite veröffentlichte NRK Videos in Echtzeit.

man sich nämlich die Instagramprofile der

fiktiven Charaktere anschaut, kann man

sie tatsächlich auf den ersten Blick kaum

von denjenigen realer Personen unterscheiden.

Die Profile des Originals haben

mittlerweile tausende Followerinnen und

Follower, die die Bilder kommentieren. So

merkt man bei genauerem Hinschauen

schnell, dass es sich um Figuren einer Serie

handelt. Besonders zu Beginn aber, vor

dem riesigen Erfolg, fanden sich unter den

Bildern noch Kommentare von verwirrten

Jugendlichen, die sich fragten, ob es sich

wohl um echte Personen handle.

Davon kann man nun halten, was man

will, ihre Zielgruppe, die Jugendlichen, hat

NRK mit dem Konzept definitiv erreicht.

Ausserdem sollte man sein Urteil nicht

unabhängig von den vermittelten Inhalten

fällen. Das Produktionsteam führte

nämlich zahlreiche Interviews durch, um

herauszufinden, was die heutigen Teenagerinnen

und Teenager beschäftigt.

Entsprechend versuchten sie dann, mit

«Skam» eine Serie zu kreieren, die den

Jugendlichen etwas vom Druck nehmen

sollte, immer perfekt zu sein – indem man

Charaktere porträtierte, die Fehler machen

und daraus lernen. Und mit denen

sich die Zuschauerinnen und Zuschauer

identifizieren können, nicht zuletzt, weil

sie beide auch ein Stück weit in einer digitalen

Welt leben. ■

12.2019

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