Spectrum_6_2019
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GESELLSCHAFT
Text Smilla Schär
Foto zvg
Serien im digitalen Zeitalter
Eine kleine Serienproduktion des norwegischen Staatsfernsehens wird plötzlich weltweit
fieberhaft mitverfolgt. Wie ist das dem Produktionsteam gelungen?
Das digitale Zeitalter ist auch das
Zeitalter des Überangebots an medialer
Unterhaltung. Man muss sich
nicht mehr damit zufriedengeben,
was gerade im linearen Fernsehen
läuft oder damit, was die Bibliothek an
DVDs, geschweige denn Videokassetten,
anbietet. Im Internet ist alles nur
ein paar Knopfdrucke weg. Und die sogenannten
Digital Natives kannten das
auch nie anders. Wie holen Serien eine
solche Generation noch erfolgreich ab,
wenn die Konkurrenz so riesig ist?
Serie in Echtzeit
Der norwegische staatliche Fernsehsender
NRK hat mit der Serie «Skam»,
zu Deutsch Scham, die von 2015 bis
2017 lief, eine Antwort darauf gefunden:
Man macht es einfach so wie die
Digital Natives selbst und ist auf möglichst
allen sozialen Medien vertreten.
Das Team ist dort aber nicht einfach
mit Werbung präsent, sondern gleich
als die Charaktere selbst, die auch auf
den sozialen Medien miteinander interagieren.
Dies war das Konzept des Überraschungshits
«Skam», entwickelt von
einem kleinen Team rund um Julie Andem
und Mari Magnus. Die vier Staffeln
der Serie haben jeweils unterschiedliche
Hauptpersonen, durch deren
Augen man ihren Alltag als Teenager
oder Teenagerin mitverfolgt. Die Folgen
werden aufgeteilt in kurze Clips,
die über die Woche in Echtzeit auf die
Webseite (www.skam.p3.no) geladen
werden. Wenn man also sieht, wie die
Hauptperson um 07.30 Uhr in der Schule
ankommt, wird der Clip um 07.30 Uhr
veröffentlicht. Verbringt sie eine schlaflose
Nacht, beginnt ein Video auch mal
um 02.03 Uhr. Die Zuschauerinnen und
Zuschauer sehen Screenshots der Chats
der Hauptpersonen und diese und die
anderen Charaktere haben teilweise
Instagramprofile oder auch Youtubekanäle.
Wann der nächste Chat oder Clip
hochgeladen wird, ist nie im Voraus bekannt.
Und so checkt man die Webseite
der Serie ständig auf neue Inhalte.
Überraschender Erfolg
Der Plan ging auf. Obwohl die Serie ursprünglich
vor allem für Jugendliche gedacht
war, wurde sie in Norwegen bald von
einer viel breiteren Altersgruppe geschaut.
Dank Untertiteln, die norwegische Fans in
Freiwilligenarbeit erstellten und dann mit
den Clips über die sozialen Medien verbreiteten,
wurde die Serie bald auch über
die Landesgrenzen hinaus mitverfolgt. Die
Low-Budget-Produktion gewann so Fans
auf der ganzen Welt. Und natürlich interessierten
sich bald andere Produzenten und
Produzentinnen für das Konzept. Mittlerweile
gibt es Remakes in den USA, den
Niederlanden, Belgien, Frankreich, Italien,
Spanien und in Deutschland – Letzteres
produziert von Funk, ein auf Jugendliche
und junge Erwachsene ausgerichtetes
Online-Medienangebot von ARD und ZDF.
Auch NRK selber hat mittlerweile mit
«Lovleg» und «Blank» noch zwei weitere
Serien mit demselben Konzept produziert.
Keine kam jedoch an den Erfolg von
«Skam» heran.
Zwischen Fiktion und Realität
Die Serie geht mit der Zeit, man könnte
ihr aber auch den Vorwurf machen, gewisse
Tendenzen zu befeuern, die manche
als besorgniserregend ansehen. So bietet
sie ein Beispiel für die zunehmende Vermischung
von Fiktion und Realität. Wenn
Auf dieser Webseite veröffentlichte NRK Videos in Echtzeit.
man sich nämlich die Instagramprofile der
fiktiven Charaktere anschaut, kann man
sie tatsächlich auf den ersten Blick kaum
von denjenigen realer Personen unterscheiden.
Die Profile des Originals haben
mittlerweile tausende Followerinnen und
Follower, die die Bilder kommentieren. So
merkt man bei genauerem Hinschauen
schnell, dass es sich um Figuren einer Serie
handelt. Besonders zu Beginn aber, vor
dem riesigen Erfolg, fanden sich unter den
Bildern noch Kommentare von verwirrten
Jugendlichen, die sich fragten, ob es sich
wohl um echte Personen handle.
Davon kann man nun halten, was man
will, ihre Zielgruppe, die Jugendlichen, hat
NRK mit dem Konzept definitiv erreicht.
Ausserdem sollte man sein Urteil nicht
unabhängig von den vermittelten Inhalten
fällen. Das Produktionsteam führte
nämlich zahlreiche Interviews durch, um
herauszufinden, was die heutigen Teenagerinnen
und Teenager beschäftigt.
Entsprechend versuchten sie dann, mit
«Skam» eine Serie zu kreieren, die den
Jugendlichen etwas vom Druck nehmen
sollte, immer perfekt zu sein – indem man
Charaktere porträtierte, die Fehler machen
und daraus lernen. Und mit denen
sich die Zuschauerinnen und Zuschauer
identifizieren können, nicht zuletzt, weil
sie beide auch ein Stück weit in einer digitalen
Welt leben. ■
12.2019
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