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DIE ANDERE

Text Natalie Meleri

Illustration Noëmi Amrein

Schönheit ist wie ein Chamäleon

Von füllig über schlank zu kurvig: Ein Blick in die Welt der weiblichen Schönheitsideale zeigt,

dass diese so unbeständig sind wie das Wetter im April. Wie sollen wir den Überblick behalten?

Was bedeutet Schönheit? Eine

nichtrepräsentative Umfrage via

meinen Instagram-Account zeigt unser

kompliziertes Verhältnis zur Schönheit

auf. «Das typisch männliche oder

weibliche Schönheitsideal ist immer

noch stark in den Köpfen der Leute vertreten»,

antwortet eine Person. «Es ist

wichtiger, sich wohl zu fühlen, als einem

Ideal zu entsprechen», lautet eine andere

Antwort. «Die Gesellschaft gibt uns

vor, was schön ist», schreibt eine dritte

Person. Der Grieche Thukydides soll

gesagt haben: Schönheit liegt im Auge

des Betrachters. Schaut man sich Werbungen

heute an, sieht das ganz anders

aus. Oft wird ein Schönheitsbild suggeriert,

das erstrebenswert ist und wie Minions

passen wir uns an. Wer sich den

Idealvorstellungen entziehen will, muss

gegen einen Strom aus Beautyprodukten

schwimmen und versuchen, dabei

nicht unterzugehen und den Überblick

zu verlieren. Neu sind Schönheitsideale

jedoch keineswegs. Bereits vor dem Zeitalter

von Selfies und Selbstoptimierung

waren sie allgegenwärtig. Spulen wir zurück.

Rundungen der Renaissance

In der Renaissance bevorzugt man

Frauen mit weiblichen Rundungen.

Die ideale Frau soll einen anständigen

Busen und ein breites, gebärfreudiges

Becken haben. Zu jener Zeit ist die Reproduktion

zentral. Dafür sind Frauen

schliesslich da. Auch rosige Wangen

und ein leichtes Doppelkinn haben

nicht geschadet, da sie auf Wohlstand

hindeuten. Und Gott bewahre, wenn

der Teint der Frau nicht blass genug ist.

Schliesslich möchte ein wohlhabender

Mann nicht andeuten, dass seine Frau

der frischen Luft und prallen Sonne

ausgesetzt ist und womöglich noch arbeiten

muss. Nein, nein: Eine Frau hat

dekorativ im Salon zu sitzen und dabei

nett auszusehen. Viel mehr Bewegung

als gelegentliche Spaziergänge im akkurat

gepflegten Park liegt auch nicht

drin. So kann frau ihre Figur kaum beeinflussen.

Mit Korsett zur Sanduhr-Figur

Im Frühbarock stehen füllige Frauen

immer noch hoch im Kurs. Erst später

steigt die Vorliebe für enge Korsetts. Eine

sanduhrförmige Figur zu haben, gilt als

erstrebenswert. Genügend Luft zu bekommen,

war für die Damen Nebensache.

Dass das Aussehen stimmt, war die

Hauptsache. Dass Korsette zu Organverlagerungen

und einem deformierten

Brustkasten führen können, haben Ärztinnen

und Ärzte erst viel später herausgefunden.

So manche Dame wird sich

das aber bereits gedacht haben, wenn

sie mal wieder zu Bewusstsein gefächert

werden musste.

Die Garçonne der 1920er Jahre

Die ersten Anzeichen der Emanzipation

machen sich in den 1920er Jahren

bemerkbar. Weibliche Schönheit wird

androgyner, die Garçonne ist geboren.

Kleider und Haare der Frauen werden

kürzer und die Figur flacher. Sonnenschutz,

um die noble Blässe zu bewahren,

ist jedoch noch immer der Frau

treuster Begleiter. Erst in den 1950er

Jahren, als Urlaub in der Sonne in Mode

kommt, steigt der gebräunte Teint zu Beliebtheit

auf. Kleider aus, Bikini an: Haut

zu zeigen, ist von da an in.

90-60-90

In den 1980er Jahren feiert die Sanduhr

in der Ära der Topmodels ihr Comeback

mit der berühmten Formel 90-60-90.

Brustumfang-Taillenumfang-Hüftumfang.

Die wenigsten Frauen sind jedoch

so gebaut. Aber die Lösung ist simpel: So

wenig wie möglich essen. Was bei diesem

Ideal ebenfalls untergeht: Die Formel

rechnet sich auf eine Körpergrösse

von 1,80 Metern. Nicht gerade eine verbreitete

Grösse unter Frauen.

Doppel-D im Fitness

Heute ist vieles üppiger. Gesünder geworden

ist unsere Beziehung zur Schönheit

aber nicht. Grosse Brüste, ein riesiger

Hintern, aber eine schmale Taille

sind angesagt. Viel Sport sollte man

auch noch treiben. Wie frau sich aber

mit Doppel-D im Fitness abstrampeln

soll, bleibt schleierhaft. Das Ideal ist

unrealistisch und manche Frauen legen

sich mehrmals unters Messer, um es zu

erreichen. Andere helfen mit Bildbearbeitungsprogrammen

nach. Schliesslich

sind Schönheitsoperationen teuer und

wie lange das Ideal noch gilt, scheint

unklar.

Du bist schön!

Schönheitsideale verändern sich, aber

natürlich werden sie nie der Vielfalt an

Frauen gerecht. Die neuste Bewegung

heisst «Body Positivity» und steht dafür,

dass jede Person ihren Körper lieben

sollte, wie er ist. Falls sich dieser Trend

durchsetzen sollte, liegt Schönheit wirklich

im Auge des Betrachters – und der

Betrachterin. ■

12.2019

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