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urbanLab Magazin 2019 - StadtLandQuartier

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MAGAZIN

FACHZEITSCHRIFT FÜR STADT- & REGIONALPLANUNG

AUSGABE 05 | SEPTEMBER 2019

STADT & LAND. Kein Platz mehr?

Barbara Ettinger-Brinckmann

STRUKTUREN & AKTEURE. Wege zum

bezahlbaren Bauen und Wohnen

Eva Stelzner

ZUKUNFTSVISION. Stadt Land Quartier

Erkenntnisse aus dem Wettbewerb

Prof. Oliver Hall, Marcel Cardinali

STADT LAND QUARTIER

ZWISCHEN REALITÄT UND ZUKUNFTSVISION

Mit Dokumentation des Studierendenwettbewerbs Stadt Land Quartier in Kooperation mit der

Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe und des 14. Bielefelder Kongress für Stadtentwicklung


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Die Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe

ist ein Zusammenschluss von

Wohnungsbaugenossenschaften, kommunalen,

kirchlichen und privaten Wohnungsunternehmen.

Insgesamt arbeiten

28 Unternehmen zusammen, um Ihnen

sicheren und modernen Wohnraum zu

fairen Preisen anbieten zu können.

Die Unternehmen der Wohnungswirtschaft

Ostwestfalen-Lippe sind dort zu

Hause, wo auch Sie zu Hause sind.

Mit Bauaufträgen in der Region von mehr

als 100 Millionen € im Jahr sichert die

Wohnungswirtschaft OWL Arbeitsplätze

in der Region. Gleichzeitig stellen die Unternehmen

sicher, zeitgemäßen und guten

Wohnraum anbieten zu können für

Menschen, die hier leben.


Stadt Land Quartier

Liebe Leserinnen und Leser,

der Kunstbegriff Stadt Land Quartier lässt vielschichtige Interpretationen zu. Einerseits steht dieser für

die Verbindung von Erholungs- und Naturräumen mit pulsierenden und vitalen öffentlichen Räumen,

sowie überschaubaren räumlichen Einheiten. Andererseits wird der Begriff verwendet, um auf veränderte

Beziehungen zwischen Siedlung, Landschaft, Gesellschaft und ihren Ressourcen aufmerksam zu

machen, wie zum Beispiel bei der IBA Thüringen StadtLand, die damit die kleinteilige Siedlungsstruktur

des Freistaats thematisiert. Die Regionale 2022 Das neue UrbanLand in Ostwestfalen-Lippe setzt in dem

Aktionsfeld Stadt Land Quartier den Fokus auf das polyzentrale Städtenetzwerk Ostwestfalen-Lippes,

wo sich Stadt und Land so regelmäßig abwechseln, dass von jedem Ort in der Region sowohl urbane

wie auch naturnahe Räume zu erreichen sind. Die große Zahl von kleinen Städten und Dörfern in OWL

bildet in ihren landschaftlichen Zusammenhängen das Gewebe einer baukulturell reichhaltigen und

differenzierten Kulturlandschaft für ein naturbezogenes und urbanes Leben gleichermaßen. In diesem

Zusammenhang entwickelt sich eine vernetzte Dezentralität, in der auch Dörfer als Stadt Land Quartiere

im regionalen Verbund wieder an Attraktivität gewinnen. Generell ist zu beobachten wie sich der Fokus

von Planenden und Politik vermehrt auf Dörfer, Klein- und Mittelstädte abseits der Großstädte richtet,

verbunden mit der Frage wie die Zukunft dieser Räume unter den großen gesellschaftlichen Veränderungen

unserer Zeit aussehen wird. Der traditionelle Stadt-Land Gegensatz scheint sich mehr und

mehr aufzulösen.

Aus unserer Sicht bietet der Begriff des Stadt Land Quartiers das Potential, die aktuellen städtebaulichen

Leitbilder, wie die Stadt der kurzen Wege, mit den Lebensmodellen und Wohnansprüchen von

Vielen und den wichtigen Fragen des Klima- und Naturschutzes zusammenzubringen. Der Maßstab des

Quartiers bietet dabei die Möglichkeit über Städte wie Dörfer gleichermaßen nachzudenken. Derzeit

erleben wir, wie die großen gesellschaftlichen Megatrends die Erreichbarkeit von Waren verändern. Parallel

transformiert die Digitalisierung insgesamt unsere Lebens- und Arbeitswelt, sodass immer mehr

Branchen mit wenig oder gar keinen Emissionen auskommen. Nach Zeiten der sortierten, funktionsgetrennten

Stadt sind urbane nutzungsgemischte Quartiere damit erstmals wieder greifbar.

Mit dieser Ausgabe des urbanLab Magazins möchten wir aufzeigen, welche vielschichtigen Antworten

und Konzepte die planenden Disziplinen zu diesen gesellschaftlichen Fragen und Veränderungen diskutieren.

Nicht zuletzt seit der jüngst veröffentlichten Düsseldorfer Erklärung Nichts ist erledigt! Reform

der städtebaulichen Gesetzgebung und der Gegendarstellung der SRL ist die Debatte, um die Realisierbarkeit

vertikaler nutzungsgemischter Quartiere und Städte hochaktuell. Lesen Sie dazu in dieser Ausgabe

unter anderem über Doppelte Innenentwicklung (ab S. 8), die Möglichkeiten der Bodenpolitik als

Instrument einer strategischen Transformation (ab S. 18), das Quartier der kurzen Wege (ab S. 26) und

den Beitrag der Wohnungswirtschaft zu einem regionalen Ausgleich (ab S. 38).

In diesem Sinne laden wir Sie herzlich ein, einige unterschiedliche Perspektiven auf das Stadt Land

Quartier kennenzulernen und sich ein eigenes Bild über das Thema, sowie die Realisierungschancen

mit unseren aktuellen Planungswerkzeugen zu machen. Wie schon in vorherigen urbanLab Magazinen,

ergänzen wir die fachlichen Beiträge mit Visionen und Ergebnissen der Studierenden zum Stadt

Land Quartier. Wir hoffen, Sie haben Freude an der Lektüre und möchten uns bei den Autoren herzlich

bedanken! Nicht zuletzt gilt unser besonderer Dank der Arbeitsgemeinschaft der Wohnungswirtschaft

OWL für die kontinuierliche fruchtbare Zusammenarbeit.

Prof. Oliver Hall Sprecher urbanLab

Marcel Cardinali Koordination urbanLab


INHALT

STADT & LAND

8 • Kein Platz mehr?

Doppelte Innenentwicklung und dezentrale

Konzentration als Leitbilder für nachhaltige

Stadtentwicklung und zukunftsfähige

Stadt-Land-Synergien

Barbara Ettinger-Brinckmann • Präsidentin der

Bundesarchitektenkammer

18 • Bodenpolitik als Instrument

strategischer Transformation

Eine Annäherung

Prof. Isabel Maria Finkenberger • FH Aachen

26 • Quartier der kurzen Wege

Die Stadt von vorgestern als Quartier

von übermorgen

Marcel Cardinali • urbanLab

38 • Regionalen Ausgleich stärken

Die Wohnungswirtschaft als Gestalter

von Heimat

Dr. Svenja Haferkamp • VdW Rheinland Westfalen

Allg. Preisentwicklung

Ende ‘18/Anfang ‘19: +4,8 % höchster Anstieg der Baupreise in zwölf Jahren

Rohbauarbeiten an Wohngebäuden + 5,6 %

Maurerarbeiten + 6,0% Betonarbeiten + 5,8 %, Erdarbeiten +7,0 %,

Dachdeckungs- und Dachabdichtungsarbeiten + 4,5 %

Ausbauarbeiten + 4,2 %

Nieder- und Mittelspannungsanlagen 5,6 %

Metallbauarbeiten 4,6 %

Heizanlagen- und zentralen Wassererwärmungsanlagen + 4,0 %

2,0%

Baupreise

Februar

1,7%

Mai

2014

1,6%

August

1,6%

November

1,5%

Februar

1,5%

Mai

2015

1,5%

August

1,5%

November

STRUKTUREN & AKTEURE

1,6%

Februar

2,1%

46 • Wege zum bezahlbaren Bauen

und Wohnen

Aktuelle Herausforderungen und

Lösungsansätze

Eva Stelzner • VdW Rheinland Westfalen

Mai

2016

2,2%

August

50 • Klimaneutralität im Gebäudebestand

bis 2050

Wie geht das?

Burkhard Schulze Darup • Schulze Darup & Partner

60 • Bürgerbeteiligungsprozesse und

digitale Medien

Von einer digitalen Bürgerbeteiligung durch

das myField- und das Essigfabrik- Projekt

Laura Bremenkamp • nextPlace

2,3%

November

2,8%

Februar

2,9%

Mai

2017

3,2%

August

3,6%

November

4,0%

Februar

4,1%

Mai

4,6%

August

S. 46

4,8%

November

4,8%

Baupreise

Februar

2018 2019

Allg. Preisentwicklung

66 • Zivilgesellschaftliches Engagement

für die Verkehrswende

Bürger entwickeln gemeinschaftlich

neue Lösungen für die Mobilität in Stadt

und Land

Benjamin Dally • nextPlace

S. 26

74 • Radfahrend durch die Nachbarschaft

Die Initiative Radeln ohne Alter – Ein Plädoyer

für die Einbeziehung aller im Stadtraum

Janine Tüchsen • TH Ostwestfalen-Lippe


ZUKUNFTSVISION

80 • Stadt Land Quartier

Erkenntnisse aus dem Wettbewerb

Prof. Oliver Hall, Marcel Cardinali • urbanLab

92 • Stadt Land Quartier

Wettbewerbsergebnisse

S. 114

IN EIGENER SACHE

114 • Kreativ Quartier Demold

Potentialstudie

Marcel Cardinali • urbanLab

120 • Gedenkstätte STALAG 326

Variantenuntersuchung

Prof. Oliver Hall, Julia Krick • urbanLab

124 • HUeBro

Haushebung in Ueberschwemmungsgebieten

am Beispiel des Elbedorfs Brockwitz

Carsten Schade • urbanLab

S. 92

128 • Heimatwerker.NRW

Prof. Oliver Hall • urbanLab


Quelle: microcities: Symbiosis - Henna Finland.


STADT

UND

LAND


Barbara Ettinger-Brinckmann

Kein Platz mehr?

Doppelte Innenentwicklung und dezentrale

Konzentration als Leitbilder für nachhaltige

Stadtentwicklung und zukunftsfähige

Stadt-Land-Synergien

Deutschland ist nicht fertig gebaut. Im Gegenteil: In vielen Städten

drehen sich die Baukräne und die ländlichen Regionen mit ihrer

eigenen Lebensqualität finden immer mehr Beachtung. Die Balance

zwischen Stadt und Land herzustellen, ist ein entscheidendes

gesellschaftliches Ziel. Dabei gilt es, für jede Planungs- und Bauaufgabe

die richtigen Prozesse und Rahmenbedingungen zu identifizieren

und umzusetzen, damit am Ende gute Gebäude, Städte

und Dörfer im Sinne von Baukultur und Nachhaltigkeit

entstehen können. Die Stadt- und Regionalplanung bietet

dafür die richtigen Leitbilder.

Quelle : BSBK 2018 / Design: Heimann + Schwantes

8 Stadt & Land


Die Frage „Kein Platz mehr?“ ist schnell

beantwortet, denn die Siedlungs- und

Verkehrsfläche nimmt in Deutschland

erst 14 % der Gesamtfläche ein. Also

bleiben mehr als 80 %, die noch bebaut

werden können. Aber wollen – und dürfen

– wir dies tun? Erkenntnisse aus der

jüngsten Zeit, etwa über das Artensterben

bei Insekten, lehren uns, dass es

Grenzen der Versiegelung von Flächen

und der baulichen Nutzung von Grund

und Boden geben muss. „Kein Platz

mehr!“ muss also mit einem Ausrufezeichen

versehen werden – als Aufforderung

an alle Bauherren, Architekten, Innenarchitekten,

Landschaftsarchitekten

und Stadtplaner.

Die Forderung nach flächensparendem

Bauen ist keineswegs neu. Seit Ende

der siebziger Jahre gibt es die Einsicht,

angesichts ausufernder Stadtränder

sorgfältiger mit allen Flächen umzugehen,

doch mit der Maßgabe, zugleich

gegen Monotonie vorzugehen und eine

individuelle, aufeinander abgestimmte

Gestaltung anzustreben.

FLÄCHE UND DICHTE ZUSAMMEN

BETRACHTEN

Das Ziel des flächensparenden Bauens

formuliert auch das Baugesetzbuch in

klarer Weise in § 1a Abs. 2: „Mit Grund

und Boden soll sparsam und schonend

umgegangen werden; dabei sind zur

Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme

von Flächen für bauliche

Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung

der Gemeinde insbesondere

durch Wiedernutzbarmachung von

Flächen, Nachverdichtung und andere

Maßnahmen zur Innenentwicklung zu

nutzen sowie Bodenversiegelungen auf

das notwendige Maß zu begrenzen.“

Doch der Blick auf die reale Entwicklung

und die Statistik ist ernüchternd: Bei

nahezu gleichbleibender Bevölkerung

und eher zurückgehender Industrie ist

Stadt & Land 9


von 1990 bis heute die versiegelte Fläche

von 40.000 km² auf mehr als 50.000

km² angewachsen, und sie wächst weiter,

wenn auch etwas gebremst. Zwar

wurde die Zahl mittlerweile fast halbiert,

denn Mitte der Neunzigerjahre wurden

noch ca. 120 ha täglich neu versiegelt,

so das Bundesumweltamt. Doch es sind

immer noch 62 ha täglich, bei einem politisch

gesetzten Ziel für 2020 von 30 ha

(vgl. BSBK 2018: 21).

Fachleute sind davon überzeugt, dass

diese Entwicklung besser gesteuert

werden muss. Die Europäische Kommission

wollte die Mitgliedsländer bereits

2011 in ihrem Fahrplan für ein

ressourceneffizientes Europa dazu verpflichten,

vom Flächenverbrauch zu einer

Flächenkreislaufwirtschaft überzugehen,

also nur dann neue Flächen für

Versiegelung (z.B. für Wohnungen, Gewerbe,

Industrie oder Verkehrsflächen),

in Anspruch zu nehmen, wenn dafür an

„Für die städtebauliche Aufgabe,

dem Flächenverbrauch entgegenzuwirken,

wird häufig der

Begriff „Verdichtung“ verwendet,

der sich aber in der öffentlichen Diskussion

als eher abschreckend erwiesen

hat. Hier müssen geeignete Kommunikationsstrategien

konzipiert und umgesetzt

werden, dass Gebäude durchaus

behutsam in ein vorhandenes Umfeld

eingefügt werden können. Der städtische

Raum muss intensiver und besser

ausgenutzt werden, doch nicht nur um

der rein rechnerischen Verdichtung

willen, sondern auch, um der sozialen

Entdichtung entgegenzuwirken.

Barbara Ettinger-Brinckmann

Präsidentin der Bundesarchitektenkammer

anderer Stelle im gleichen Maße entsiegelt

wird. „Es wird angestrebt, die Landnahme

so zu reduzieren, dass bis 2050

netto kein Land mehr verbraucht wird.“

(KOM 2011: 18)

Die Bundesstiftung Baukultur hat im

Baukulturbericht 2018/19 diese dramatische

Entwicklung des Flächenverbrauchs

bei fast gleichbleibender

Bevölkerung dokumentiert und darauf

hingewiesen, dass sich mit höherer

Ausnutzung der Grundstücke auch erhebliche

Kosten für die kommunale

Infrastruktur einsparen ließen. So betragen

die Herstellungskosten bei der

Inanspruchnahme von 100 m² Grundstücksfläche

pro Wohneinheit 3.600

€ im Vergleich zu nahezu 30.000 € bei

1.000 m² pro Wohneinheit (vgl. BSBK

2018:24). Dies sind nur die investiven

Kosten. Finanzielle Belastungen durch

den Unterhalt oder ökologische Kosten

sind darin nicht berücksichtigt.

LEBENDIGE STÄDTE BRAUCHEN

NUTZUNGSVIELFALT

Für die städtebauliche Aufgabe, dem

Flächenverbrauch entgegenzuwirken,

wird häufig der Begriff Verdichtung

verwendet, der sich aber in der öffentlichen

Diskussion als eher abschreckend

erwiesen hat. Hier müssen geeignete

Kommunikationsstrategien

konzipiert und umgesetzt werden,

dass Gebäude durchaus behutsam

in ein vorhandenes Umfeld eingefügt

werden können. Der städtische Raum

muss intensiver und besser ausgenutzt

werden, doch nicht nur um der

rein rechnerischen Verdichtung willen,

sondern auch, um der sozialen

Entdichtung entgegenzuwirken. Denn

der Flächenanspruch eines jeden Bewohners

steigt seit Jahren. Während

1960 noch etwa 20 m² Wohnfläche

pro Einwohner genügten, sind es heute

etwa 46 m². Diese sind allerdings

sehr ungleich verteilt.

10 Stadt & Land


Der dramatische Verlust an Wohnnutzung,

gerade in den Innenstädten, hat

seine Folgen für das städtische Geschäftsleben

und für die Nutzung der

städtischen Infrastruktur. Um eine lebendige

Innenstadt zu erhalten mit einer

Vielfalt von Geschäften müssten

etwa 20 % der Bevölkerung einer Stadt

im Bereich der Innenstadt leben. Tatsächlich

fallen die Innenstädte leer, die

Siedlungsränder dehnen sich aus: Menschenleere

Innenstädte außerhalb der

Geschäftszeiten und der Rückgang an

Vielfalt von Geschäften machen dies

deutlich erkennbar. Die Bundesstiftung

Baukultur beschreibt: „Über Jahrhunderte

gewachsene, umweltfreundlich

kompakte und baukulturell wertvolle

Siedlungsgefüge werden zerstört, identitätsstiftende

Heimaträume verbaut. [...]

Dann ist der Donut-Effekt eingetreten:

außen viel substanzlose Masse, innen

hohl“ (BSBK 2018:27) – so die Diagnose

aus dem jüngsten Baukulturbericht.

KEINE VERDICHTUNG OHNE

DURCHGRÜNUNG

Besser beschrieben ist das Konzept

der intensiveren Ausnutzung städtischer

Flächen mit dem Begriff des

Baugesetzbuchs Innenentwicklung und

nicht mit Verdichtung oder Nachverdichtung.

Denn Ziel dieses Leitbilds ist

nicht, lediglich mehr Baumasse pro Flächeneinheit

zu generieren, sondern die

Stadt, ob Großstadt, Mittelstadt oder

auch Kleinstadt, weiterzuentwickeln

und zu reparieren, die städtischen

Funktionen – und dazu gehören auch

Grünräume und Plätze – zu stärken,

die Infrastruktur zu konzentrieren, um

das Leben in der Stadt so angenehm

wie möglich zu gestalten. Die Doppelte

Innenentwicklung – diesen Begriff

hat die frühere Bauministerin Barbara

Hendricks geprägt – ist die geeignete

Planungsstrategie, um unsere Städte

unter folgenden zwei Gesichtspunkten

zu entwickeln:

„Über Jahrhunderte gewachsene,

umweltfreundlich kompakte und

baukulturell wertvolle Siedlungsgefüge

werden zerstört, identitätsstiftende

Heimaträume verbaut. [...] Dann

ist der Donut-Effekt eingetreten: außen

viel substanzlose Masse, innen hohl.

Bundesstiftung Baukultur (2018)

Besser Bauen in der Mitte. Ein Handbuch zur Innenentwicklung

Ein Ziel ist, den Bestand baukulturell

aufzuwerten und die nicht vermehrbare

Ressource Grund und Boden

als Standort für Wohnen, Geschäfte,

wohnverträgliche Arbeitsplätze sinnvoller

und intensiver zu nutzen. Eine

wesentliche Aufgabe für Planer liegt

darin, die Ziele des Weiterbauens in

der Stadt und die Ausnutzung ihrer

Flächenpotentiale der Bevölkerung,

insbesondere den Nachbarn von potenziellen

Bauvorhaben, besser zu

vermitteln, Vorbehalte und Ängste abzubauen

und den Mehrwert für alle

herauszuarbeiten. Not in my backyard

(Nimby) ist nicht zukunftsfähig. Durch

gut vorbereitete Beteiligungsprozesse,

durch schöne, behutsam in ihr Umfeld

eingefügte Bauten und sorgfältig

gestaltete Fassaden ist Build in my

backyard (Bimby) das Ziel. Das ist nur

gemeinsam mit Bauherren umsetzbar,

die sich bewusst sind, dass Eigentum

verpflichtet, dass jegliches Bauen nie

nur privat, sondern immer auch öffentlich

ist: wer ein Innen baut, baut

auch ein Außen. Bauherren müssen

ermutigt werden, die qualitätssichernden

Instrumente, die der Berufsstand

der Architekten anbietet, wie z.B. den

Planungswettbewerb, anzuwenden.

Nicht nur die beste Lösung für eine

Bauaufgabe lässt sich darüber finden,

sondern auch die Öffentlichkeit in geeigneter

Weise einbinden.

Stadt & Land 11


„Die Doppelte Innenentwicklung

folgt dem Leitbild der europäischen

Stadt, die von der Durchmischung

von Wohnen und

Arbeiten geprägt ist, von der sozialen

Vielfalt und der Vielfalt an Nutzungen,

der Konzentration von abwechslungsreicher,

aber gestalterisch harmonierender

Bebauung im Wechsel mit

kleinen Stadtteilparks, begrünten Vorgärten,

schönen Bäumen.

Barbara Ettinger-Brinckmann

Präsidentin der Bundesarchitektenkammer

Das zweite Ziel der Doppelten Innenentwicklung

ist, parallel dazu das

urbane Grün zu erhalten und zu qualifizieren.

Verdichtung und Durchgrünung

müssen als Einheit konzipiert

sein. Dadurch kann der aktuelle Druck,

mehr zu bauen, in eine echte Chance

zur Stadtreparatur verwandelt werden.

Nur diese thematische Gleichzeitigkeit,

diese Doppelung, kann den städtischen

Lebensraum sichern und die städtische

Qualität und Attraktivität der Stadtquartiere

als Wohnstandort, aber auch als

Standort von Geschäften, Dienstleistungen,

Gastwirtschaften und Erholungsflächen

aufwerten. Dazu gehört auch

die Einbindung wohnverträglichen Gewerbes

und geeigneter Produktion, die

es zurück in die Stadt zu holen gilt.

Die Doppelte Innenentwicklung folgt

dem Leitbild der europäischen Stadt,

die von der Durchmischung von Wohnen

und Arbeiten geprägt ist, von der

sozialen Vielfalt und der Vielfalt an

Nutzungen, der Konzentration von abwechslungsreicher,

aber gestalterisch

harmonierender Bebauung im Wechsel

mit kleinen Stadtteilparks, begrünten

Vorgärten, schönen Bäumen. So ergibt

sich wie von selbst auch ein ökologischer

Gewinn: Die Auswirkungen des

Klimawandels wie extreme Hitze und

ungewöhnlich hohe Niederschlagsmengen

werden durch die Grünräume gemildert,

mehr Nachfrager ermöglichen

Geschäften und Gastronomie ein Überleben,

die Mischung der Funktionen vermeidet

motorisierten Verkehr und es

entsteht eine Stadt der kurzen Wege, die

sich zu Fuß oder per Rad zurücklegen

lässt. Vorbild sind die Gründerzeitviertel,

die den Krieg überlebt haben.

BAUPLANUNGSRECHT MUSS AUF

DEN PRÜFSTAND

In der Leipzig-Charta zur nachhaltigen Europäischen

Stadt haben sich die Bauminister

Europas bereits 2007 für dieses

städtebauliche Leitbild ausgesprochen.

Deutschland wird 2020 die europäische

Ratspräsidentschaft übernehmen und

im Rahmen dieser Aufgabe die Leipzig

Charta überarbeiten, denn seit 2007

haben sich natürlich die gesellschaftlichen

und technologischen Parameter

weiterentwickelt wie zum Beispiel die

Digitalisierung, die Elektromobilität oder

Demographie und Zuwanderung. Auch

in diesen Entwicklungen liegen enorme

Chancen. Mit der Davos Declaration

Baukultur 2018 – der deutsche Begriff

Baukultur hat damit Eingang in die internationale

Sprache gefunden – haben

die Kulturminister Europas beim Weltwirtschaftsforum

letztes Jahr in Davos

ergänzend verdeutlicht, dass die Verbesserung

der gebauten Umwelt inzwischen

ein europaweites politisches Anliegen ist.

12 Stadt & Land


Mit welchen Instrumenten aber kann

es gelingen, das Ziel der doppelten Innenentwicklung

zu fördern? Bietet das

Bauplanungsrecht einen geeigneten

Rahmen für kommunale Stadtentwicklungspolitik?

Im Bundesministerium

des Innern, für Bau und Heimat arbeitet

die Expertenkommission „Nachhaltige

Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“,

an geeigneten Anpassungen

des Planungsrechtes:

Die Erweiterung der kommunalen

Handlungsmöglichkeiten für bezahlbaren

Wohnungsneubau in §

34-Gebieten (Gebiete des unbeplanten

Innenbereichs, für die es

keinen Bebauungsplan gibt)

Die Verbesserung des bauplanungsrechtlichen

Instrumentariums zur

Stärkung der Innenentwicklung über

die Mobilisierung bebaubarer Innenentwicklungspotentiale

Die Stärkung gesetzlicher Vorkaufsrechte

von Gemeinden

Die Flexibilisierung der bisherigen

Obergrenzen für das zulässige

Maß der baulichen Nutzung des §

17 BauNVO, um höhere bauliche

Dichten zu erreichen

Ein weiterer Vorschlag von Planungsrechtexperten

ist, die Genehmigung von

Bauvorhaben in Gebieten von Alt-Bebauungsplänen

auch nach §34 BauGB

zu ermöglichen. In vielen Diskussionen

wird die Verkaufspolitik insbesondere

der ersten Jahre dieses Jahrtausends

beklagt und von den Kommunen eine

aktive und nachhaltige Grundstückspolitik

gefordert. Gemeinden, Bund und

Länder wie auch die ihnen gehörenden

Wohnungsunternehmen verkauften

zwischen 1999 und 2006 ca. 2 Millionen

Wohnungen. Die Erlöse wurden damals

überwiegend in die Haushaltssanierung

gesteckt (vgl. DASL 2019:9).

Nun stehen aber weder die Gelder noch

die Flächen für eine aktive Stadtentwicklungspolitik

zur Verfügung. Eindringlich

appelliert die Deutsche Akademie für

Städtebau und Landesplanung für eine

neue Bodenpolitik: „Unser Umgang mit

dem Boden ist entscheidend für die Zukunft

unserer Städte“ (DASL 2019:4). Einiges

hat der Bund bereits in Bewegung

gebracht, z.B. mit der sog. Verbilligungsrichtlinie,

nach der es der Bundesanstalt

für Immobilienaufgaben (BImA) gestattet

ist, für bezahlbaren Wohnungsbau geeignete

Grundstücke preiswert an Kommunen

zu verkaufen. Auch die Bundesarchitektenkammer

setzt sich seit längerem

für eine Anpassung des Städtebaurechts

an die heutigen Anforderungen ein.

Dieses Streben nach Änderung des

Städtebaurechts geht von einem Wandel

des städtebaulichen Leitbildes aus:

In den 60er Jahren – in genau dieser Zeit

entstand die jetzige Baunutzungsverordnung

– plante man die autogerechte, die

gegliederte Stadt mit getrennten Funktionen

und ihren aufgelockerten Siedlungs-

statt Stadtstrukturen. Grundlage

dieses Konzeptes war seinerzeit u.a. die

Charta von Athen, die Anfang der Dreißigerjahre

des vergangenen Jahrhunderts

als Konsequenz des unmenschlichen

Mietskasernenbaus zu Beginn der Industrialisierung

und der Belastung der

Wohnbevölkerung durch Lärm und

Dreck die räumliche Trennung der städtischen

Funktionen – Wohnen, Arbeiten,

Verkehr, Freizeit – forderte. Dies schlägt

sich bis heute in der Baunutzungsverordnung

(BauNVO) in bestimmten Gebietstypen

nieder, die die Stadt sortiert,

und denen eine Mischung der Funktionen

entgegensteht, aber auch in Immissionsschutzgesetzen,

die zur mittlerweile

sauberen und leisen Produktion nicht

mehr passen, und in Dichtefestsetzungen

für die Bebauung je Quadratmeter

Grundstücksfläche, die sich auf die Parzelle

beziehen, an Höchstgrenzen orientieren

und von einer weit höheren so-

Stadt & Land 13


„Die richtige Mischung mit der richtigen

baulichen und sozialen Dichte und

mit hoher gestalterischer Qualität

des Gebauten ist das Erfolgsgeheimnis einer

vitalen, sozialen und nachhaltigen Stadt:

Mischen is possible!

Barbara Ettinger-Brinckmann

Präsidentin der Bundesarchitektenkammer

zialen Dichte ausgehen. Die heute sehr

beliebten Gründerzeitviertel mit der

typischen Nutzungsmischung von Wohnen

und Gewerbe könnten unter diesen

gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht

mehr ohne weiteres gebaut werden.

Immerhin hat der Gesetzgeber mit einem

neuen Gebietstyp, dem „Urbanen

Gebiet“, versucht, Abhilfe zu schaffen, in

dem für dieses Gebiet sowohl höhere

Dichtewerte wie auch mehr Mischung

von Funktionen zugelassen werden

können. Allerdings mit Einschränkungen,

denn dieser neue Gebietstyp darf

im Rahmen von § 34 nicht angewendet

werden. Außerdem setzt auch die Technische

Anleitung zum Schutz gegen Lärm

(TA-Lärm) Grenzen.

Ein zeitgemäßes Städtebaurecht sollte

aber genau das Leitbild widerspiegeln,

das mit der Leipzig-Charta nicht erst

seit heute das politisch und gesellschaftlich

erklärte Ziel des Städtebaus

ist. Die Argumentation, man könne mit

geschickter Handhabung von Ausnahmen

und spezifischen Abwägungen ja

fast alles erreichen, was man erreichen

wolle, mag zwar die Realität in den Planungsämtern

richtig beschreiben, stellt

aber die Verwaltung und die Kommunalpolitik

vor Herausforderungen und

dem Gesetzgeber kein besonders gutes

Zeugnis aus. Vielmehr sollte das

Planungsrecht die angestrebten städtischen

Strukturen als Normalfall beschreiben

und nicht lediglich durch Ausnahmen

ermöglicht werden.

SYNERGIEN VON STADT UND

LAND FÖRDERN

Doch es sind auch Erfolge zu verzeichnen,

die mit unserem Planungsrecht, also auch

der Baunutzungsverordnung, erreicht

worden sind, nämlich die klare Trennung

von Innenbereich und Außenbereich und

dem konsequenten Schutz des Außenbereichs.

Jedem Reisenden durch andere,

auch europäische Länder wird auffallen,

dass Deutschland mit diesem Instrument

seine Landschaft bisher konsequent vor

Zersiedlung hat schützen können.

Mit Innenentwicklung lässt sich insbesondere

in den Metropolen letztendlich nicht

genügend Bauland, insbesondere für

preisgünstiges Bauen, gewinnen. Zwar

gibt es in Städten Baulücken, unternutzte

Grundstücke, größere und kleinere Brachen,

auch bieten Dächer, Parkhäuser,

aufgelassene Gewerbe- und Bürobauten

und Parkplätze große Potentiale, doch ist

es – auch aus rechtlichen Gründen – nicht

einfach, alle diese zu aktivieren und zu

nutzen, obwohl dies im Sinne von Stadtreparatur

wünschenswert wäre. Auch die

Potentiale im Umland müssen integriert

werden, denn sonst droht ökologischer

Unsinn: hier zu bauen, um dort vorhandenen

Bestand verfallen zu lassen.

Die Bundesarchitektenkammer verdeutlicht

im Positionspapier Wohnungsbau

für alle ihre Forderungen: „Während

vor allem die Metropolregionen

derzeit unter starkem Wachstumsdruck

stehen, herrscht andernorts Stillstand;

manche Regionsabschnitte und Teile

des ländlichen Raums sind sogar von

Schrumpfung betroffen. Baulandmobilisierung

wird bei aller Ausschöpfung von

rechtlichen Möglichkeiten nicht immer

nur in der begrenzten kommunalen Gebietskulisse

gelingen können. Der Blick

über den kommunalen Tellerrand in die

sogenannten Städte und Kommunen

der zweiten Reihe wird immer wesentlicher.

Regionalplanung ist das geeig-

14 Stadt & Land


nete Instrument, um auch unter den

aktuellen demografischen und sozialen

Bedingungen Voraussetzungen für

verträgliche Flächenausweisungen und

Umwidmungen zu schaffen. Regionalplanung

muss Anreize für kommunale

Stadtentwicklung schaffen. Um Zersiedelungen

und den Bedeutungsverlust

der Kernstädte durch die Stadt-Umland-Entwicklung

zu vermeiden, müssen

sich solche Entlastungsstrategien

für Wohnbauflächen auf ein leistungsfähiges

öffentliches Nahverkehrssystem

sowie eine gute Breitbandversorgung

stützen. Das regionale Denken und Zusammenarbeiten

wird zwar propagiert,

ist aber immer noch kein Regelfall. Die

dezentrale Konzentration oder die Region

der korrespondierenden Zentren

sollte zum Regelfall werden.

Dazu gehört auch eine intensivierte

sowie qualitativ und quantitativ verbesserte

Mobilitätspolitik und Mobilitätsplanung.

Dabei sollte sich die

Wohnungsentwicklung entlang des Öffentlichen

Nahverkehrs und der bestehenden

Breitbandtrassen konzentrieren.

Insoweit kann dieses Leitbild der

dezentralen Konzentration hilfreich sein,

um die Attraktivität schrumpfender Regionen

zu stärken, den dort vorhandenen

Leerstand an Wohnungen zu nutzen,

neue Arbeitsplätze zu schaffen und so

den Zuwanderungsdruck auf die Wachstumsregionen

zu reduzieren. Ein funktionsfähiger

öffentlicher Nahverkehr mit

kurzer Taktung und preisgünstigem, einfachen

Tarifsystem sowie ein guter Breitbandausbau

sind dafür erforderlich, um

die Infrastrukturdefizite in Bezug auf Arbeitsplätze,

Bildung, Gesundheitsvorsorge,

Handel und Kultur auszugleichen.

SCHAFFUNG VON WOHNRAUM

HAT PRIORITÄT

Das Konzept der Dezentralen Konzentration

richtet sich vor allem an

Wachstums- und Großstadtregionen

und bietet einen Entwicklungsrahmen

für die Stadt vor der Stadt, also

für die Ränder unserer Siedlungen.

Einzelne Zentren werden Kristallisationspunkte

der gesellschaftlichen und

wirtschaftlichen Entwicklung. Mit diesem

Leitbild sollen mehrere Suburbanisierungstrends

kanalisiert werden,

damit Infrastrukturprobleme besser

beherrschbar sind, die Zersiedelung

von Landschaft begrenzt wird und

vor allem die nach wie vor wachsende

Flächenversieglung eingeschränkt

werden kann. Schließlich entspricht in

Deutschland der Leerstand an Wohnungen

etwa dem des Wohnungsbedarfs.

Bei der Aktivierung der Städte

und Dörfer im Umland, der Ankerstädte,

so der Begriff der Bundesstiftung

Baukultur, gilt natürlich auch, möglichst

wenig neues Bauland an den

Rändern auszuweisen, sondern auch

dort die Innenentwicklungspotentiale

zu nutzen und die vorhandenen Ortskerne

zu stärken. Der vorhandene

Baubestand – schon allein wegen der

ihm innewohnenden ‚grauen Energie‘

– muss einbezogen werden. Und das

alles begleitet von der Forderung nach

gestalterischer Qualität.

Diese beiden planerischen Strategien

– 1. die Doppelte Innenentwicklung mit

Konzepten für Dichte, Mischung und

städtisches Grün sowie 2. die Dezentrale

Konzentration zur Aktivierung der

Potentiale im Umland bei sorgfältiger

Entwicklung von Bauland und gleichzeitigen

Maßnahmen gegen Zersiedelung

– hat die Bundesarchitektenkammer

gemeinsam mit den Architektenkammern

der Länder in zwei Positionspapieren

(vgl. BAK) konkretisiert.

Für die Zukunft der Städte, insbesondere

unter dem Aspekt der Bereitstellung

von ausreichendem Wohnraum,

müssen aus Sicht der Architekten

und Stadtplaner folgende Ziele umgesetzt

werden:

Stadt & Land 15


1

Wohnraum muss vorrangig dort

entstehen, wo schon gewohnt wird.

Dadurch werden bestehende Infrastrukturen

besser genutzt und weniger

Flächen müssen neu versiegelt werden.

2

Das Quartier als strukturelle und

gestalterische Einheit muss Bezugsebene

sein und mit geeigneten Planungsinstrumenten

gestärkt werden.

3

Für lebendige und wirtschaftlich

tragfähige Stadt-Land-Verbünde

müssen kommunale Grenzen und

Landesgrenzen überwunden werden.

4

Chancen der technischen Entwicklung

wie neue, leise Produktion,

selbstfahrende Autos müssen frühzeitig

erkannt und genutzt werden für die

Rückgewinnung von Parkplätzen und Straßenräumen

für Grün- und Lebensräume.

5

Förderprogramme müssen praxisnah

und niedrigschwellig für Kommunen

und Akteure entwickelt werden.

An das Fördern muss die Forderung

an gute Gestaltung geknüpft werden.

6

Bauflächen im Bestand müssen

gezielt identifiziert und aktiviert

werden, dabei müssen auch Wege

beschritten werden, die ggfls. noch

neu und rechtlich unsicher sind wie

die Aufstockung von Wohn- und Nichtwohngebäuden

wie Parkhäuser oder

Supermärkte, die (Teil-) Umnutzung

von Bürobauten oder die Bebauung von

problematischen Zwischenräumen oder

die Qualifizierung von Einfamilienhausgebieten.

Hierzu sollte ein bundesweites

‚Kataster der Potentiale‘ erarbeitet werden,

das zu einem neuen Umgang mit

Strukturen ermutigt und zu einer neuen

funktionalen Vielfalt führen kann.

Für die baulich-räumliche Organisation

unseres Zusammenlebens muss die

europäische Stadt das zentrale Leitbild

sein, die durch die Vielfalt ihrer Bewohner,

die Vielfalt ihrer Nutzungen und die

sorgfältige Gestaltung ihrer Architekturen,

Straßen, Grünräume und Plätze

charakterisiert ist. Die richtige Mischung

mit der richtigen baulichen und sozialen

Dichte und mit hoher gestalterischer

Qualität des Gebauten ist das Erfolgsgeheimnis

einer vitalen, sozialen und

nachhaltigen Stadt: Mischen is possible!

Literatur & Abbildung

Bundesstiftung Baukultur (BSBK) (2018): Besser Bauen in der

Mitte. Ein Handbuch zur Innenentwicklung, Potsdam 2018

KOM (2011): Mitteilung der Kommission an das Europäische

Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und

Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Fahrplan

für ein ressourcenschonendes Europa, Brüssel, den 20.9.2011

KOM(2011) 571 endgültig

DASL (2019): Der Boden der europäischen Stadt. Debatten

Papier des Ausschusses Bodenpolitik der Deutschen Akademie

für Städtebau und Landesplanung e.V., Februar 2019

BAK (2019): Baulandkommission.Vorschläge der Bundesarchitektenkammer

(BAK), 2019. <https://www.bak.de/berufspolitik/

bezahlbarer-wohnungsbau-fuer-alle-2/vorschlaege-der-bak-fuer-die-baulandkommission-10042019.pdf>

(letzter Zugriff:

24.07.2019)

BAK (2019): Bezahlbarer Wohnungsbau für alle. Positionspapier

der Bundesarchitektenkammer, 2019. <https://www.

bak.de/w/files/bak/04/preise/dnk-2018/180523_positionspapier-bezahlbarer-wohnungsbau-fuer-alle.pdf>

(letzter Zugriff:

24.07.2019)

Fotos: Till Budde, Berlin

Barbara Ettinger-

Brinckmann

Präsidentin der

Bundesarchitek-

tenkammer

Seit 1980 als freiberufliche Architektin tätig.

Gesellschafterin der ANP Architektur- und

Planungsgesellschaft in Kassel. Von 2004 bis

2013 Präsidentin der Architekten- und Stadtplanerkammer

Hessen. Seit 2013 Präsidentin der

Bundesarchitektenkammer. Weiterhin stellvertretende

Vorsitzende des Stiftungsrats der

Bundesstiftung Baukultur, Vizepräsidentin des

Bundesverbands der Freien Berufe, Mitglied des

DIN-Präsidiums, des Präsidiums der DGNB, der

Wissenschaftlichen Kommission der Deutschen

Stiftung Denkmalschutz und des wissenschaftlichen

Beirats des Instituts für Stadtbaukunst.

16 Stadt & Land


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Stadt & Land 17


Isabel Maria Finkenberger

Bodenpolitik als Instrument

der strategischen

Transformation

Eine Annäherung

MetroGartenStadt

Quelle : BBSR Bonn 2017

Zwischenstadt, Zukunftslabor

DEUTSCHLAND 2019 – PROLOG

Jeden Tag werden rund 58 ha Land

als Siedlungs- und Verkehrsflächen

neu ausgewiesen. Dies entspricht einer

Flächenneuinanspruchnahme von

circa 82 Fußballfeldern (BMU 2019).

Die durchschnittliche Wohnfläche pro

Kopf entspricht derzeit 46,5 qm (Statistisches

Bundesamt 2019) – Tendenz

steigend. Die Innenstädte werden bis

zur Unkenntlichkeit globalisiert und unter

Rahmenbedingungen der angeblich

sozialen Marktwirtschaft massiv nachverdichtet.

Boden und Wohnraum sind

Spekulationsobjekte und im wirtschaftlich

boomenden Deutschland wächst

die Kinderarmut. An den Rändern unserer

Städte und Kommunen entstehen

zumeist schlecht angebundene

Neubaugebiete, die nach wie vor das

Einfamilienhaus als zentrale Typologie

zelebrieren. Wunderbar nach derzeitigen

energetischen Maßstäben in Son-

18 Stadt & Land


dermüll-Plastik verpackt und auf Parzellen,

die aufgrund der Bodenpreise oft

so klein und wenig nutzbar sind, dass

sie dann auch gleich mit pflegeleichten,

dafür aber ökologisch hochproblematischen

Steingärten gestaltet werden.

Zum Gärtnern hat man in diesen monofunktionalen

Strukturen aufgrund

der weiten Wege zu Nahversorgung und

Arbeit ja eh keine Zeit mehr. Für eine

Plastikrutsche pro Garten ist dann aber

trotzdem noch Platz. Da rutscht und

schaukelt dann jeder ganz sicher für

sich alleine. Die RASt 06, die Richtlinien

für die Anlage von Stadtstraßen, zelebrieren

die Weite unter dem Deckmantel

der Verkehrssicherheit. Die Stellplatzbreiten

müssen aufgrund der Landlust

vieler Stadtbewohner*innen, symptomatisch

repräsentiert durch Land Rover

und Jeep, um bis zu 30 cm verbreitert

werden. Und weil die vielen Autos den

Schulweg unsicher machen, muss man

die Kinder selbstverständlich auch mit

diesen Gefährten zur Schule oder zum

Kindergarten bringen. Der öffentliche

Nahverkehr ist teilweise so schlecht und

teuer, die Bequemlichkeit im Gegensatz

oft so hoch, dass dem motorisierten Individualverkehr

ungeniert gefrönt wird.

Eingekauft wird bei Discountern mit

zahlreich verfügbaren Parkplätzen, konsumiert

werden Fleisch- und Milchprodukte

zu Minimalpreisen und in großen

Mengen, welche die Produktionskosten

kaum und nur unter den horrendesten

Bedingungen decken können, dafür

aber für 206,6 Millionen Tonnen CO 2

pro Jahr (agrarheute 2018) verantwortlich

sind. Zugegeben – die Flugbilanz

der Bundesbürger ist 12,5 Mal so hoch

(Ebd.) – aber Kleinvieh macht auch Mist.

Und nur, weil es noch schlimmer geht ist

ja etwas Schlechtes nicht gleich gut. Und

ja: Es gibt auch die Anderen – jene, die

alternativen Raum-, Wohn-, Mobilitätsund

Konsumpraxen leben. Aber das sind

zu wenige und diese Praxen sind noch

nicht gesellschaftsfähig genug, um politisch

nach dem aktuellen Kenntnisstand

aus Wissenschaft und Praxis Einzug in

die Realität zu finden. Das Thema Klimawandel

ist dank Greta Thunberg und ihren

Mitstreiter*innen, aber auch durch

die immer häufiger auftretenden Hitzewellen

mit knapp 40 Grad im Schatten

endlich oder zumindest vorübergehend

in der gesellschaftlichen Mitte angekommen

– 47 Jahre nach Erscheinen der

vom Club of Rome beauftragten Studie

Die Grenzen des Wachstums (Meadows

1972). Jetzt heißt es auch entsprechend

Handeln und die Große Transformation

(wbgu 2011, Paech 2018) anzugehen.

Welche Rolle aber können dabei die Planer*innen

spielen?

„Es ist genug. Täglich verstoßen wir, verstoßen

Gesellschaft und Politik gegen

den Erhalt unserer Lebensgrundlagen.

Mit der westlichen Lebenseinstellung,

alles jederzeit machen und haben zu

können, ist es vorbei. Unser Leben muss

sich an einem neuen, ökologisch vertretbaren

Maß ausrichten. Wir dürfen nicht

länger warten, bis sich das von Lobbyisten

beeinflusste Zögern und Abwarten

ändert. Wir müssen politisch denken

und handeln, müssen uns einmischen,

Eigeninitiative entwickeln und zivilen Ungehorsam

proben. Wir müssen zeigen,

dass der tägliche Umweltwahnsinn, wie

beispielsweise der ungebremste Flächenfraß,

der Vorrang von Neubauten

oder der Fetisch Mobilität, nicht alternativlos

ist. Ansonsten brauchen wir über

eine Zukunft nicht mehr nachzudenken.

Wir sind dran.“ So formuliert der Bund

Deutscher Architekten 2019 seine auf

dem 15. BDA-Tag in Halle verabschiedeten

Positionen für eine Klimagerechte Architektur

in Stadt und Land. Die hier zitierten

Ausführungen des I. Postulats „Politisch

denken und sich einmischen“ werden

durch neun weitere ergänzt: Erzählungen

für ein neues Zukunftsbild, Achtung

des Bestands, Intelligenz des Einfachen,

Bauen als materielle Ressource, Vollständige

Entkarbonisierung, Neue Mobilitätsformen,

Polyzentralität stärken, Kul-

Stadt & Land 19


„Runtergebrochen behauptet das:

„Stadt Land Quartiere“ sind Nachbarschaften,

welche mit dem ganzen

zeitgenössischen Repertoire

der Stadtplanung und nach dem disziplinär

derzeitig allgegenwärtig debattierten Leitbild

der Europäischen Stadt (BBSR 2010)

mit einer entsprechend reduzierten Dichte

in ländlichen Regionen, in Klein- und Mittelstädten,

entworfen werden können.

Isabel Maria Finkenberger Prof. Dipl.-Ing.

sondern mit der intelligenten Nutzung

der in den Dörfern und Kleinstädten

vorhandenen Potentiale im Bestand und

mit der Entwicklung neuer Freiraumtypologien,

die typische Freiraumstrukturen

des ländlichen Raums integrieren

und trotzdem öffentliche Räume sind.“

Im Folgenden ein weiterer Versuch mit

dem Fokus auf das Dazwischen – Zwischen

Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt

und Land (Sieverts 1997).

DAS STADT LAND QUARTIER ALS

INSEL DER GLÜCKSELIGEN

Dilemma zwischen

Wunsch und Wirklichkeit

tur des Experimentierens und Politische

Versuchsräume. (vgl. Ebd.) Und auch

unter den Wissenschaftler*innen und

Planenden auf dem ARL-Jahreskongress

2019 Postwachstum und Transformation.

Planen – Steuern – Wirtschaften in Kassel

wurde die Repolitisierung der planenden

Disziplinen eingefordert.

Der folgende Text erörtert das Dilemma

zwischen Wunsch und Wirklichkeit und

zeigt beispielhaft auf, wie eine mögliche

Transformationsstrategie aussehen

könnte, die alternative Lebens- und

Handlungspraxen ermöglicht. Der Begriff

Stadt Land Quartier ist in diesem

Zusammenhang nicht unproblematisch,

bietet aber gleichwohl einen guten Anlass

zur Auseinandersetzung. Er behauptet

– kritisch formuliert – ein alternatives

Stück Siedlungsgefüge, das man entwerfen

könne und welches das Dilemma

des Status Quo überwindet. Eine etwas

andere Interpretation haben Kathrin

Volk und Martin Hoelscher in ihrem Text

Dorf-Konversionen (Volk/Hoelscher 2018)

gewagt und die hierfür relevanten Themen

und Maßnahmen formuliert. „Für

das Wohnen wird es wichtig sein, auch in

ländlichen Räumen zeitgemäße Formen

des Zusammenlebens zu ermöglichen.

Das ist weniger mit der Realisierung von

der Urbanität städtischer Räume adaptierenden

Neubauvorhaben verbunden,

„Das Stadt Land Quartier vereint das Beste

aus Stadt und Land.“ Damit beginnt

fast jede Präsentation entwurflicher

Auseinandersetzungen. Eine menschliche

Dichte mit Eigentum und Gartennutzung

zur Selbstverwirklichung, den

direkten Zugang zur offenen Landschaft,

die (vielfach heraufbeschworene) Gemeinschaft

in überschaubarer Größe,

Sicherheit, Ruhe und Entschleunigung

– und gleichzeitig Zugang zu sämtlichen

Versorgungsinfrastrukturen, Bildungsund

kulturellen Institutionen sowie die

Nähe zu einer Großstadt mit dem hierfür

selbstverständlich notwendigen Autobahnanschluss.

Die als negativ bewerteten

Eigenschaften der Stadt – Anonymität,

die unerwünschte Begegnung mit

dem Unerwarteten und dem Fremden

sowie die gesundheitsgefährdenden

Nebenwirkungen und alltäglichen Grabenkämpfe

aufgrund von Verkehr, Lärm,

Luftqualität, Hitzeentwicklung, baulicher,

kultureller und menschlicher Dichte und

Mischung und jene des Landlebens – infrastrukturelle

und ökonomische Abgekoppeltheit,

Versorgungsengpässe, eine

fehlende kritische Masse bei fast Allem,

der Ausschluss aus der (vielfach heraufbeschworenen)

Gemeinschaft und die

Unmöglichkeit, sich dieser zu entziehen,

sind passé in einem Stadt Land Quartier.

Runtergebrochen behauptet das: Stadt

Land Quartiere sind Nachbarschaften,

welche mit dem ganzen zeitgenössi-

20 Stadt & Land


schen Repertoire der Stadtplanung und

nach dem disziplinär derzeitig allgegenwärtig

debattierten Leitbild der Europäischen

Stadt (BBSR Bonn 2010) und mit

einer entsprechend reduzierten Dichte

in ländlichen Regionen, in Klein- und Mittelstädten,

entworfen werden können.

Was aber bedeutet Entwurf in diesem

Zusammenhang? Und was sind die Mittel

und Wege der Planenden?

Diese Insel der Glückseligen hat einen

prominenten Vorläufer – die Gartenstadt

des britischen Stenotypisten

Ebenezer Howard, die er in seinem

Buch 1898 unter dem Titel Tomorrow.

A Peaceful Path to Real Reform entwarf

und 1902 mit dem Titel Garden Cities of

To-morrow neu auflegte. Im Gegensatz

zu den meisten realisierten gleichnamigen

Siedlungen, war seine Gartenstadt

ein städtebauliches, auf ökonomischen

Prinzipien basierendes Konzept, welches

als autarke Idealstadt ausformuliert

werden sollte und die Vorteile des Gegensatzpaares

Stadt und Land zu einem

Dritten Pol Stadt-Land vereinen sollte. In

ihrer Größe begrenzt und von einem die

Stadt versorgenden Land(wirt)schaftsgürtel

umgeben, waren neben ländlich

geprägten und auf Selbstversorgung

basierenden Wohnsiedlungen unter anderem

auch Fabriken und Produktionsstätten

sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen

vorgesehen. Unter heutigen

Gesichtspunkten erscheint insbesondere

die Idee radikal, die Gartenstadt als

genossenschaftliches Modell zu entwickeln.

Dadurch, und durch die Vergabe

der Parzellen in Erbpacht, sollten zukünftige

Spekulationen vermieden und

Mieten geringgehalten werden. Kapitalerträge

sollten entsprechend in die Gemeinschaftseinrichtungen

reinvestiert

werden. Der Spekulationsgewinn bei

der Umwandlung von billigem Agrarland

in wertvolles Bauland wiederum sollte

der Allgemeinheit der neuen Stadt zugutekommen

und einen großen Teil der

Neubaukosten tragen.

Die Tragik des Konzeptes der Gartenstadt

formuliert sich im Grundsatz:

Angetreten, den Gegensatz zwischen

Stadt und Land zu überwinden, wurde

Howards integriert konzipierte Gartenstadt

zum Symbol der Nutzungstrennung

und damit zur Vorreiterin der

Klassischen Moderne. Während jedoch

die beiden Versuche der Manifestation

seiner Idee, Letchworth und Welwyn

Garden City, unter anderem daran

scheiterten, dass sie durch das sich

rasant ausbreitende Eisenbahnetz von

der Metropole London als Vorstädte

einverleibt wurden, sind erst durch den

steigenden motorisierten Individualverkehr

jene monofunktionalen Siedlungsflächen

entstanden, für die Thomas

Sieverts 1997 den Begriff Zwischenstadt

prägte. Mobilität als Schlüssel von

Chance und Scheitern. Auch heute eine

zentrale Zukunftsaufgabe.

ÜBERSCHAUBARKEIT SCHLÄGT

DIE FREIE STADTLUFT

„Eine Umfrage der Bundesstiftung Baukultur

zeigt deutlich, dass sich knapp

80 % der Befragten kleinere räumliche

Einheiten als Wohnort und Lebensmittelpunkt

wünschen. Insgesamt bevorzugen

sogar 45 % das Leben in einer

ländlichen Gemeinde. Nur etwa ein

Fünftel sucht das Leben in der Großstadt

– und das sind in der Mehrzahl

„Nachverdichtung und Innenentwicklung,

vertikale Mischung,

Hybridisierung, Programmierung,

die Addition neuer Typologien

und Programme und Klimaanpassung

sind mehrheitlich urbane Formeln, die in

den Mittelrand, Mittel- und Kleinstadtkontexten

noch in der Pubertät feststecken

und auf den erlösenden Kuss warten.

Isabel Maria Finkenberger Prof. Dipl.-Ing.

Von der Gartenstadt

zum Stadt Land Quartier?

Stadt & Land 21


junge Leute zwischen 18-29 Jahren. (vgl.

BSBK 2017) Bei der genannten Umfrage

waren finanzielle und sonstige Rahmenbedingungen

bewusst ausgeklammert.

Die Gründe, warum es trotzdem

immer mehr Menschen in die Städte

treibt, ist also nicht in ihren tatsächlichen

Wohnortvorstellungen begründet,

sondern geht vielmehr mit dem Studien-

und Arbeitsplatzangebot sowie mit

der urbanen Infrastruktur und ihren

vielfältigen Nutzungsangeboten einher.“

Dies formulieren die Auslober*innen

des studentischen Ideenwettbewerbes

Stadt Land Quartier. (Wohnungswirtschaft

OWL/urbanLab – TH OWL 2018) In der

Digitalisierung und den damit einhergehenden

Veränderungen bezüglich der

Arbeitsweise und des Konsumverhaltens

steckt ein großes Potential, welches

„Es braucht neue Bewertungsparameter

mit dem Ziel einer synergetischen

Transformation von Landschaft,

landwirtschaftlicher und

Energieproduktion und von Siedlungsflächen

sowie einer alternativen ökonomischen

und ökologischen Handlungspraxis

hin zu einer Postwachstumsökonomie.

Isabel Maria Finkenberger Prof. Dipl.-Ing.

zukünftig eine freiere Wohnortwahl ermöglicht

– zumindest für diejenigen,

die ein eingeschränktes Angebot an

Mobilitäts-, Bildungs-, Gesundheits-,

Einzelhandels- und kulturellen Infrastrukturen

zugunsten des sogenannten

Landlebens in Kauf nehmen wollen und

können. Eingeschränkt in ihrer Dichte

und zumeist schlecht angebunden sind

auch jene monofunktionalen Gebiete im

Speckgürtel der großen Zentren, die als

suburbane Strukturen oder Zwischenstadt

entstanden sind – zu einer Zeit,

wo Boden noch unendlich erschien und

das Leitbild der autogerechten Stadt als

Heilsversprechen die Politik bestimmte.

Blendet man „finanzielle und sonstige

Rahmenbedingungen“ jedoch nicht

aus, wird eine ganz andere Geschichte

erzählt. Menschen, die liebend gerne

aufgrund der kürzeren Wege und besseren

Infrastrukturen in der Stadt leben

oder in ihrem bekannten sozialen Umfeld

verbleiben wollen, finden ebendort

keinen bezahlbaren Wohnraum mehr.

Nicht nur die Wohnungen sind nach

jahrzehntelangen Fehlentscheidungen

und dem Überlassen wohnpolitischer

Fragestellungen an den freien Markt,

knapp – auch die Bodenkonkurrenzen

steigen massiv an und treiben die Wohnungspreise

und -mieten in die Höhe. Als

Konsequenz hat sich eine „fast unsichtbare

städtische Region zwischen den

traditionellen Kernen, die weder durch

dramatische Prozesse der De-Industrialisierung,

Effekte des demographischen

Wandels noch als Wachstumsmetropole

wahrgenommen wird“, herausgebildet.

Christoph Grafe bezeichnet diese

„Stadt zwischen Düsseldorf, Essen und

Wuppertal“ als „Habitat Mittelrand“, die

„in der Außenwahrnehmung [eine] verstädterte

Region ohne Eigenschaften“

ist, in der derzeit jedoch „große Veränderungen

durch hohes Wachstum mit

einer hohen Bevölkerungsdichte zu einer

komplexen Stadtregion mit alten

dörflichen und kleinstädtischen Kernen

und eigenen Zentralitäten“ anstehen.

(2015) Viele dieser Veränderungen entstehen

in Eigenregie und fragmentarisch.

Gleichwohl sind gerade hier große

Potentiale vorhanden, mit einer neuen,

urban geprägten Klientel und deren

Lebensstilen den Bestand gemeinsam

mit den Vor-Ort-Wohnenden und -Agierenden

zu transformieren und programmatisch

anzureichern. Und durch

den weiter wachsenden Druck von den

Innenstädten an die Ränder, müssen

auch die Planungen mit dem anzuwendenden

Instrumentarium erwachsen

werden. Auch hier gilt es, integriert zu

denken, strategisch zu entwickeln und

zukunftsweisend zu planen.

22 Stadt & Land


Zurück auf null zur Insel der Glückseligen:

Spannender als die Frage nach der Planbarkeit

von Stadt Land Quartieren erscheint

die Entwicklung von Transformationsstrategien

für unsere bestehenden Siedlungs-,

Landwirtschafts- und Freiraumstrukturen.

Der ein oder andere Masterplan von

Quartieren oder Nachbarschaften, beides

unscharfe Begriffe für ein „geschlossenes

merkmalsgleiches oder -ähnliches Gebiet,

dessen Größe und geometrische Form

nicht festgelegt sind" (Lexikon der Geographie

2001), ist sicherlich ein Teil dieser

Strategien. Mehr aber als um die räumliche

Organisation bestimmter Funktionen,

die bloße Nachnutzung von Bestandsstrukturen

oder die Vereinfachung der

komplexen Lebensumfelder auf Stadt und

Land, geht es hier um wesentlich grundsätzlichere

Themen: Wie können unsere

heutigen, überwiegend monofunktional

gegliederten Siedlungsstrukturen abseits

der Innenstädte resilient und integriert

weiterentwickelt werden? Und wie können

unsere Freiraumstrukturen so weitergedacht

und vor weiterer Versiegelung

weitestgehend gesichert werden, dass sie

auch zukünftig genau die Qualität bieten,

die sich breite Teile der Bevölkerung wünschen

– den direkten Zugang zur Landschaft,

Ausgleich, Erholung und Weite?

Nachverdichtung und Innenentwicklung,

vertikale Mischung, Hybridisierung, Programmierung,

die Addition neuer Typologien

und Programme und Klimaanpassung

sind mehrheitlich urbane Formeln,

die in den Mittelrand, Mittel- und Kleinstadtkontexten

noch in der Pubertät

feststecken und auf den erlösenden Kuss

warten. Aber auch die Transformation der

Landschaft und der Landwirtschaft unter

veränderten Rahmenbedingungen hinsichtlich

Klima, Wasser, Ernährung, Ökologie,

Energie- und Mobilitätsinfrastrukturen

nach dem Prinzip der Defragmentierung

und durch die Etablierung neuer Synergien

und systemischer Zusammenhänge

zu einem Metabolismus Mittelrand wird

zukünftig unumgänglich sein.

Sprich: Es braucht neue Raumbilder

abseits der polarisierenden Definition

von Stadt-Land, Zentrum-Peripherie,

suburban-urban. Es braucht neue Bewertungsparameter

mit dem Ziel einer

synergetischen Transformation von Landschaft,

Landwirtschaft, Energieproduktion

und von Siedlungsflächen sowie einer

alternativen ökonomischen und ökologischen

Handlungspraxis hin zu einer

Postwachstumsökonomie. Es braucht ein

neues Raumgerüst mit differenzierten

Raumzusammenhängen, in dem sich die

differenzierten Binnenräume auf unterschiedlichen

Maßstabsebenen zueinander

verhalten, jeweils jedoch ihre eigenen

Begabungen weiterentwickeln. Es braucht

neue Zentralitäten und Orte der kritischen

Masse, die (hybride) Programm- und Nutzungsbausteine

symbiotisch verknüpfen.

Und es braucht neue Koalitionen und

eine vertrauensvolle Zusammenarbeit

der drei Sektoren öffentlich, privat und zivilgesellschaftlich

auf Augenhöhe.

Nicht verwunderlich, dass gerade in den

letzten Jahren das Thema einer sozialen

und verantwortungsvollen Boden- und

Liegenschaftspolitik in der Stadt- und Regionalentwicklung

wieder verstärkt in den

Fokus tritt. „Das öffentliche Eigentum an

Grund und Boden ist ein großer Schatz –

mit diesem muss sorgsam umgegangen

werden. Der Boden ist ein entscheidender

Schlüssel für eine das Gemeinwohl

sichernde Zukunftsgestaltung.“ „Neben

nachhaltiger kommunaler Liegenschaftspolitik

müssen auch die planungsrechtlichen

Steuerungsmöglichkeiten der

Kommune gestärkt werden.“ Und: „Die institutionellen

Rahmenbedingungen prägen

in hohem Maße die Marktergebnisse.

Hierzu zählt in besonderer Weise auch

die Besteuerung von Immobilien. Sie beeinflusst

das wirtschaftliche Handeln der

Akteure nicht unerheblich.“ Diese drei

Aussagen wurden 2017 unter den Kernforderungen

„Verantwortlicher Umgang

mit öffentlichem Boden – aktive Liegenschaftspolitik

ermöglichen“, „Handlungs-

Es braucht neue Raumbilder

und Raumgerüste

Stadt & Land 23


Das Team um yellowz, urbanista, ARGUS,

lad+ mit der BU Wuppertal und der FHNW

Basel hat mit seinem Beitrag zur Zwischenstadt

im Rahmen des vom BBSR

initiierten Zukunftslabors Gartenstadt 21

– ein neues Leitbild für die Stadtentwicklung

in verdichteten Ballungsräumen – Vision

oder Utopie? einige strategische Ansätze

aus planerischer Sicht formuliert. Das

Zukunftslabor mit insgesamt drei Teams

hat den Versuch unternommen, die Gartenstadtidee

des 19. Jahrhunderts ins 21.

Jahrhundert zu übertragen. Entstanden

sind in einem ersten Schritt 10 Thesen

zur Gartenstadt 21, welche unter anderem

Stadtumbau, Stadtergänzung und

Stadterweiterung als sich einander ergänzende

Bausteine verstehen, insbesondere

aber die Anreicherung und Weiterentwicklung

vorhandener Quartiere mit

sozialen, funktionalen, ökologischen oder

ökonomischen Qualitäten einfordern.

Tätigkeitsbereich des Metro-

GartenstadtFonds (MGF)

Quelle : BBSR Bonn 2017, Team Zwischenstadt, Zukunftslabor

fähigkeit der Kommunen stärken – planungsrechtliche

Instrumente schärfen“

und „Steuerung der Bodenentwicklung

zurückgewinnen – Bodenentwicklung

besser (be)steuern“ in der Bodenpolitischen

Agenda 2020-2030 des Deutsches

Institut für Urbanistik und des vhw - Bundesverband

für Wohnen und Stadtentwicklung

e. V. formuliert. Wie aber können

Bestandsentwicklung, zukunftsfähige

Transformation und Bodenpolitik in Einklang

gebracht, wie diese Kernforderungen

realisiert werden? Wer entscheidet,

wer agiert und wer finanziert?

DIE GARTENSTADT 21 – EIN NEUES

LEITBILD FÜR DIE TRANSFORMA-

TION DER ZWISCHENSTADT?

Die bestehende, funktionsgetrennte Gemengelage

der Zwischenstadt wird für

das Team zur Ressource, die es durch

bodenreformerische Ansätze und radikale

Transformationsideen zu einer MetroGartenstadt

zu qualifizieren gilt. Diese

wird zum Katalysator und Ermöglicher für

eine Vielzahl von neuen Arbeits-, Wohnund

Kooperationsformen, die über einen

eigenen Fonds initiiert, begleitet und abgesichert

werden und der zudem eine

aktive Stadtentwicklung ermöglicht.

Merkmale der MetroGartenstadt sind

die Finanzierung und Existenzsicherung

über ein Fonds- und Rentenmodell, die

Integration kooperativer Wohn- und Arbeitsformen

und Sharingkonzepte, die

katalysatorische Wirkung für vielfältige

Angebote, Programme, Initiativen und

Lebensstile, die räumliche Kohäsion und

Vernetzung durch qualitätvolle Freiräume

und das 3-Säulen Modell beruhend auf

Hardware, Software und Orgware.

Die Hardware beinhaltet ausgewählte

Transformationsareale und Objekte in

strategischer Lage oder mit spezifischen

Transformationspotentialen zur Qualifizierung

der Zwischenstadt, welche durch

ein übergeordnetes Freiraumkonzept

und durch den räumlich-strukturellen

Umbau der Teile gemäß ihren spezifischen

Eigenschaften und Potentialen

ebendiese qualifizieren. Als Software

werden lebensweltliche Aspekte wie Sharing

Infrastructure, zentrale Produktion,

Co-Working, Co-Housing, Tauschen und

Teilen sowie Wohnen und Arbeiten an

einem Ort integriert. Und die Orgware

managt und überwacht den MetroGartenstadt

Immobilienfonds und Flächenpool,

koordiniert die Arealentwicklung, kauft

Flächen und Immobilien und reinves-

24 Stadt & Land


tiert Erträge, die als Mehrwert durch die

Planung und Bereitstellung von Erschließungsinfrastrukturen

generiert werden.

Der bundesweit agierende Rentenfonds

ist das zentrale Instrument der MetroGartenstadt.

Sein Aktionsraum sind eigens

hierfür ausgewiesene Sondergebiete, in

denen Grundstücke aufgekauft und für

eine Entwicklung vorbereitet werden. Die

Vergabe erfolgt entweder in Erbpacht

oder über den Verkauf unter bestimmten

Rahmenbedingungen, den Zielen des

Fonds entsprechend. Die Teilnahme am

Fonds ist freiwillig. Besondere Anreize

werden über besonderes Baurecht, die

privilegierte Teilhabe am bspw. Gemeinschaftseinrichtungen

oder durch eine besondere

Form der Mitbestimmung, oder

einen geringeren Grundsteuerhebesatz

geschaffen. (vgl. BBSR Bonn 2017)

Quelle : BBSR Bonn 2017, Team Zwischenstadt, Zukunftslabor

Isabel Maria Finkenberger

Prof. Dipl.-Ing.

FH Aachen

STUDIO if+

Funktionsweisen der

Sonderzonen

Das hier zitierte Konzept der Transformation

von Bestandsstrukturen zeigt eindrücklich,

dass es nicht notwendigerweise neue

Begrifflichkeiten braucht, um lebenswerte

Quartiere an der Schnittstelle zwischen

Siedlungs- und Freiflächen zu entwickeln.

Vielmehr geht es um die Frage, wie wir mit

unserem heutigen Wissen alternative Praxen

und die hierfür notwendigen innovativen

Instrumente effektiv einsetzen und

zukunftsfähig in der gesellschaftlichen Mitte

verankern. Die gute Mär des alles Haben

ohne Abstriche machen sind Fake-News. Je

mehr Boden versiegelt wird, desto weniger

ruhiger und offener Freiraum bleibt übrig.

Je weiter wir expandieren, desto mehr Infrastrukturen

werden gebraucht. Das sind

Tatsachen. Und Lösungen für mögliche

Alternativen liegen bereits auf der Hand.

Planende können dabei als eine Akteursgruppe

einen wichtigen Beitrag leisten.

Gleichwohl heißt es aber auch Handeln

und seine eigenen Ansprüche kritisch hinterfragen:

„Ist es nicht ökonomische Logik

in Reinform, jenen Ballast abzuwerfen, der

Zeit, Geld, Raum und ökologische Ressourcen

beansprucht, aber nur minimalen

Nutzen stiftet?“ (Paech 2018)

Isabel Maria Finkenberger hat Architektur mit dem Schwerpunkt Städtebau und

Stadtplanung in Berlin, London und Stuttgart studiert und in Planungsbüros in

London, Sydney und Stuttgart gearbeitet. Seit 2009 bearbeitet sie als freie Stadtplanerin

mit ihrem Kölner Büro STUDIO if+ Projekte an der Schnittstelle zwischen

Planung und Forschung. Als Vertretungsprofessorin lehrte sie von 2018 bis

2019 am Lehrgebiet Städtebau, Stadt- und Regionalentwicklung der Hochschule

Ostwestfalen-Lippe. Seit 2019 ist sie Professorin für Grundlagen der Stadtplanung,

urbane Transformation und innovative Prozessgestaltung an der FH Aachen.

Literatur & Abbildungen

Agrarheute (2018): Faktencheck. So klimaschädlich ist Fleisch wirklich, https://www.agrarheute.com/tier/

faktencheck-so-klimaschaedlichfleisch-wirklich-542531

(letzter Zugriff: 26.07.2019)

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Stadt & Land 25


Marcel Cardinali

Quartier der kurzen Wege

Die Stadt von vorgestern

als Quartier von übermorgen

Ein Blick auf Deutschland von oben und in unsere Planungswerkzeuge,

wie die BauNVO, zeigt auch Jahrzehnte nach dem Leitbild

der Stadt der kurzen Wege abseits von Innenstädten und so mancher

Großstadt noch das Bild einer sortierten Stadt. Die Gegenbewegung

zur autogerechten Stadt setzte in den 1980er Jahren ein

und verfolgt im Kern ein diametral entgegengesetztes Ziel – die

fußläufige Stadt. Doch auch über 30 Jahre später zeigt sich abseits

der Innenstädte in den umliegenden Stadtteilen und Dörfern

noch ein ernüchterndes monofunktionales Bild. Dabei sind

es genau diese räumlichen Einheiten, die in etwa dem fußläufigen

Bewegungsradius seiner Bewohner entsprechen. Hier – von

der eigenen Wohnung aus erreichbar – braucht es Angebote für

die Ziele des Alltags. Inzwischen belegen zahlreiche Studien die

Möglichkeiten und Vorteile kompakter nutzungsgemischter Quartiere

in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht. Diese

Größeneinheit hat ein prominentes Vorbild: Die mittelalterliche

europäische Stadt. Mit diesem Perspektivwechsel wird die Stadt

von vorgestern zur Vorlage für das Quartier von übermorgen.

26 Stadt & Land


HINTERGRUND

Die letzten beiden Jahrhunderte haben unsere

Städte – und damit unseren menschlichen

Lebensraum – so sehr verändert, wie

keine Zeit zuvor. Die Industrialisierung des

vorletzten Jahrhunderts und die Leitbilder

der funktionsgetrennten und autogerechten

Stadt, führten zur sortierten Stadt, in

der jede Nutzung den Anspruch auf eine

eigene Fläche geltend machen konnte. In

der Folge ist eine weitläufige Stadtlandschaft

entstanden, in der ein Großteil der

Gesellschaft auf ein Auto angewiesen ist,

um die Ziele im Tagesablauf in angemessener

Zeit zu erreichen.

Das Leitbild der funktionsgetrennten Stadt

hatte allerdings gute Gründe. Die neuen

Errungenschaften der Industrialisierung

kamen zum Preis von zahlreichen Emissionen

der neuen Fabriken, Maschinen und

Motoren, die die Luft- und Wasserqualität

stark beeinträchtigten. Dies bewog

schließlich die Stadtplaner 1933 zu der berühmten

Charta von Athen – zur sortierten

Stadt – zur Trennung von Wohnen und

Arbeiten im Besonderen, auf der auch

heute noch unsere Planungswerkzeuge

beruhen. In der Tat bescheinigen heute

zahlreiche Studien, dass die Verbesserung

der allgemeinen Gesundheit im Wesentlichen

auf die Veränderung der städtischen

Strukturen der letzten 150 Jahre zurückzuführen

ist und nur in geringem Maße

auf den medizinischen Fortschritt (Frumkin

2005; Richter & Hurrelmann 2018).

Beispiele hierfür sind neben emissionsärmeren

Wohnräumen, die ausgebaute

Infrastruktur, Transportsysteme, und -umfelder

sowie saubereres Trinkwasser.

Symbiosis - Henna Finland. (Europan 2010 / microcities)

Die sortierte Stadt war nur deshalb möglich,

weil sich mit der Industrialisierung

auch die Reichweite der Menschen radikal

veränderte. Neue Verkehrsmittel wie Eisenbahn,

Auto und Flugzeug haben in nur

wenigen Jahren den Radius der täglichen

Abläufe der Menschen enorm erweitert

– die Geburtsstunde von Suburbia und

Stadt & Land 27


Schlafdörfern. Die Bedürfnisse nach Einfamilienhäusern

im Grünen, bei gleichzeitiger

guter Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes,

sind bis heute ungebrochen. Diesem

Bedarf wird in vielen Städten und vor allem

in Gemeinden seit Jahrzehnten in bewährter

Art und Weise mit der Ausweisung

ganzer monofunktionaler Einfamilienhausteppiche

gedeckt. Erst vor kurzem warnte

das Institut der deutschen Wirtschaft Köln

davor, dass in vielen ländlichen Regionen

wieder deutlich über dem Bedarf ausgewiesen

wird (Henger & Voigtländer 2019).

Insbesondere die daraus resultierende

fortwährende Trennung zwischen Wohnen

und Arbeiten stärkt so nach wie vor

die auto-abhängigen und anti-urbanen

Bedingungen und verhindert im Umkehrschluss

die Stadt der kurzen Wege.

ÖKOLOGISCHES

Den Preis für diese Art zu leben hat in den

letzten Jahren der Planet Erde bezahlt. Mit

immer größeren Pendlerdistanzen im eigenen

PKW ist die Welt immer größeren

CO2 Belastungen ausgesetzt. Während

die Automobilhersteller an emissionsarmen

Fahrzeugen arbeiten und die öffentliche

Hand versucht den öffentlichen

Nahverkehr zu verbessern, wird deutlich,

dass die beste Strategie zur Vermeidung

von Verkehrsemissionen nach wie vor die

Vermeidung von Verkehr ist. Die Abhängigkeit

vom eigenen PKW zu verringern

kann dann gelingen, wenn die fußläufige

Erreichbarkeit von möglichst vielen Zielen

des alltäglichen Ablaufs gesichert ist. Dieser

Radius wurde 2015 vom BBSR in der

Studie Indikatoren zur Nahversorgung mit

1.000 m angegeben (Burgdorf et al. 2015).

Diese Größeneinheit bezeichnen wir in der

Regel als Quartier und richtet die Perspektive

von der Stadt der kurzen Wege auf das

Quartier der kurzen Wege. Während die

Studie des BBSR schon ein vergleichsweise

ernüchterndes Bild für die Angebote der

Nahversorgung in den Kategorien Kleinstadt

und Landgemeinden zieht, zeigt sich,

dass insbesondere die Entfernung zum Arbeitsplatz

durch die sortierte Stadt enorm

zugenommen hat. Die durchschnittliche

Pendlerdistanz 2017 betrug knapp 17 km

und nimmt seit Jahren stetig zu (Pütz 2015).

Zur Vermeidung von Verkehr müssen die

Arbeitsplätze und andere Ziele des Alltags

zurück ins Quartier.

Bezeichnenderweise wurde im Jahr 2007

– dem Jahr der Leipzig Charta – erstmals

der Punkt überschritten, wo offiziell mehr

Menschen in Städten als auf dem Land

leben. Die Erkenntnis, dass das weltweite,

rasante Wachstum und die Flächeninanspruchnahme

der Städte zu existentiellen

Problemen (Klimaerwärmung, Ressourcenverknappung,

Umweltbelastung)

führt, wurde immer deutlicher. So war es

nur folgerichtig, dass die Vereinten Nationen

2016 die Agenda 2030 auf den Weg

brachten: 17 Sustainable Development Goals

(SDG – Nachhaltigkeitsziele der UN).

Dem Transformationsprozess in Richtung

nachhaltiger Städte und Gemeinden (UN

SDG 11) kommt hier eine besondere Bedeutung

zu und zeigt innere Abhängigkeiten

von und zu anderen Nachhaltigkeitszielen

wie Gesundheit und Wohlergehen

(SDG 3) oder Klimaverträglichkeit und

Klimaresilienz (SDG 13). Aktuell wird naturbasierten

Lösungen und der Renaturierung

von Städten eine Schlüsselrolle bei

der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele

der UN zugeschrieben. Sie gelten als wichtiges

Instrument zur Erreichung der Klimaziele,

des Klimaschutzes, zum Schutz des

Ökosystems sowie der Gesundheit und

dem Wohlbefinden, insbesondere in urbanen

Settings. Allzu lange hatten Grünräume

in der Vergangenheit in den Aushandlungsprozessen

um Stadt das Nachsehen

gegenüber den Flächenansprüchen des

monofunktionalen Wohnungsbaus oder

neuen Gewerbestandorten. Während

die Natur Stück für Stück aus der Stadt

gedrängt wird, zeigen zahlreiche Studien,

dass vielfältige positive Wirkungen auf

Gesundheit und Wohlbefinden auftreten

können, sobald die Bewohner qualitätvolle

und erreichbare Grünräume in ihrer

28 Stadt & Land


Nähe vorfinden. Die in Studien gemessenen

Effekte, reichen von einem besseren

Verlauf von Schwangerschaft und

Geburt (Raymond et al. 2017, Nichani et

al. 2017) über die Gehirnentwicklung von

Kindern (Pretty et al. 2005) bis hin zur Reduktion

von Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen

(EU-Kommission 2015,

Richardson et al. 2013). Darüber hinaus

fördern Grünflächen die körperliche Aktivität

(Cohen-Shacham et al. 2016) und

haben zahlreiche positive Auswirkungen

auf die psychische Gesundheit (EU-Kommission

2015, Ulrich 1984, Kaplan 1985).

Es gilt demnach, nicht nur aus ökologischer

Sicht und der Perspektive des Klimaschutzes,

einen Teil der beanspruchten

Fläche der Städte zurückzugeben,

indem Nutzungen geschichtet werden.

Gerade auch für uns selbst ist es wichtig,

das ursprüngliche menschliche Habitat,

die Natur, ernst zu nehmen, es in unseren

neuen anthropogenen Lebensraum

Stadt zu integrieren und fußläufig in den

Quartieren erreichbar zu machen.

SOZIALES

Neuere Forschungen legen zudem nahe,

dass wir mit den großen Pendeldistanzen

nicht nur dem Planeten schaden, sondern

auch uns selbst. Eine Studie der Gallup

Organisation fand 2008 einen direkten

Zusammenhang zwischen Wohlbefinden

und der Menge an verfügbarer Freizeit. Je

mehr Zeit die Studienteilnehmer hatten,

um mit Familien und Freunden Zeit zu

verbringen, umso glücklicher und wohler

fühlten sie sich (Harter & Raksha 2008).

Das ist wenig erstaunlich, führt aber zu

dem Schluss, dass das tägliche Pendeln –

im schlimmsten Fall allein im Auto – unser

Wohlbefinden verringert, weil es die Menge

an Freizeit und die Möglichkeit sozialer

Kontakte verhindert. Genauso verhält es

sich mit anderen Aktivitäten. Je mehr Zeit

wir im Auto verbringen, um unsere notwendigen

alltäglichen Zielpunkte im (sub-)

urbanen Geflecht, wie Kindergarten, Schule,

Supermarkt, Apotheke, Musikunterricht

„Je mehr Zeit wir im Auto verbringen,

um unsere notwendigen

alltäglichen Zielpunkte im (sub-)

urbanen Geflecht, wie Kindergarten,

Schule, Supermarkt, Apotheke,

Musikunterricht und insbesondere den

Arbeitsplatz zu erreichen, desto weniger

wahrscheinlich ist es, dass Zeit bleibt,

sich sozial zu vernetzen, sportlich zu

betätigen, ehrenamtlich zu engagieren

oder eben Zeit mit Familien und Freunden

zu verbringen (Montgomery 2013).

Marcel Cardinali

urbanLab

und insbesondere den Arbeitsplatz zu erreichen,

desto weniger wahrscheinlich ist

es, dass Zeit bleibt sich sozial zu vernetzen,

sportlich zu betätigen, ehrenamtlich zu engagieren

oder eben Zeit mit Familien und

Freunden zu verbringen (Montgomery

2013). In der Folge leidet unser soziales

Wohlbefinden. Der Stresslevel steigt ebenso,

wie das Risiko psychisch zu erkranken

(TK 2018). Die Auswirkungen der Entfernung

zum Arbeitsplatz sind ein oft unterschätztes

Phänomen in der Stadtplanung

bei der Bereitstellung und Ausweisung von

monofunktionalem Wohnraum. Aber auch

bei der privaten Wahl des Wohnstandorts,

bei denen wir nur allzu oft lange Wege im

Alltag in Kauf nehmen, um selbst eine bezahlbare

vermeintliche Oase im Grünen zu

besitzen. Gerade für junge Familien eine

nicht zu unterschätzende Entscheidung,

die bestimmt, in welchem Umfeld die eigenen

Kinder aufwachsen.

Weniger mobil und ohne Führerschein gibt

das Kinder- und Jugendalter einen guten

Einblick über die Effekte fußläufiger Bewegungsradien

und den Zusammenhang

zum Sozialraum. So ist unser Sozialraum

als Kind noch weitgehend deckungsgleich

mit dem Quartier. Je älter wir werden, umso

mehr Kontakte und Räume kommen au-

Stadt & Land 29


ßerhalb der eigenen Nachbarschaft dazu.

Angefangen von der weiterführenden

Schule bis zum Studium, der Ausbildung

und dem Arbeitsplatz. Wir betrachten dies

inzwischen als ganz normalen Vorgang,

der zum Erwachsenwerden dazugehört.

Dabei ist es nicht allein das Erwachsenwerden,

sondern insbesondere der wachsende

Zugang zu Verkehrsmitteln, die uns

erlauben größere Distanzen zu überwinden.

Unser Sozialraum, unser Bewegungsraum,

unser Handlungsraum werden

stetig größer. Entsprechend weniger Zeit

verbringen wir in dem eigentlichen Wohnumfeld.

Eine Studie aus Kopenhagen

wies unlängst nach, dass wir nur rund 25

Orte regelmäßig aufsuchen. Die Wissenschaftler

untersuchten dazu die Mobilitätsdaten

von 40.000 Menschen und zeigten:

Sobald ein neuer Ort hinzukommt,

wird ein anderer nicht mehr berücksichtigt

(Alessandretti et al 2018). Während wir als

Kinder also noch jeden Stein kannten und

wahrscheinlich mit vielen dieser Orte und

Personen ein besonderes Gefühl von Heimat

verbinden, fehlt uns dieser Halt in der

Regel im Erwachsenenalter, insbesondere

nach dem einen oder anderen Umzug. Wir

wissen weniger über die Nachbarschaft,

den öffentlichen Raum und die Menschen

in unserer direkten Umgebung. Wie sollte

dies auch möglich sein, wenn wir nach einem

langen Arbeitstag und einem langen

Rückweg, das Auto in der Garage parken

„Die Quartiersgröße ist die Betrachtungseinheit,

die es uns

erlaubt, kurze Wege zu Einrichtungen

des täglichen Bedarfs,

Mobilitätsknotenpunkten und Bildungseinrichtungen

herzustellen und damit

gleichzeitig einen stark frequentierten

öffentlichen Quartierskern zu erzeugen.

Marcel Cardinali

urbanLab

und direkt ins Haus gehen ohne Kontakt

mit dem nachbarschaftlichen Umfeld oder

eigenem sozialen Netzwerk. Als Folge dieser

Entwicklungen sinkt die Identifikation

mit unserem Wohnumfeld und der soziale

Zusammenhalt (Montgomery 2013). Die

Schlafdörfer von heute sind so oft anonymer

als die anonyme Großstadt. Dichte

urbane Quartiere – mit vielen fußläufig

erreichbaren Zielen des Alltags – fördern

also nicht nur unser Wohlbefinden durch

die gesparte Zeit und körperliche Aktivität,

sondern tragen auch dazu bei, dass wir

den Ort in dem wir leben und seine Menschen

deutlich besser kennen lernen und

uns mit beidem verbunden fühlen.

ÖKONOMISCHES

Lange Zeit haben wir nach dem System der

zentralen Orte – das auf der ökonomischen

Betrachtung von Entfernung, Kosten und

Erlös beruht – Grundzentren ausgewiesen,

die die Daseinsvorsorge im ganzen Land sicherstellen

sollten. Es stellt sich jedoch die

Frage, ob dieses Modell in Zeiten, in denen

die Entfernung der Waren kaum noch eine

Rolle spielt und man immer mehr Waren

von überall auf der Welt direkt nach Hause

bestellen kann, noch aktuell ist. Vielfach

erleben wir, dass durch den Onlinehandel

die wirtschaftliche Tragfähigkeit von Einrichtungen

der Daseinsvorsorge im ländlichen

Raum und teilweise auch in städtischen

Quartieren nicht mehr gegeben ist.

Waren des kurzfristigen Bedarfs, wie z.B.

Lebensmittel, aber auch Medikamente

und Einrichtungen wie Cafés und Restaurants

sind immer seltener in diesen Orten

zu finden, da die Ortszentren kaum noch

frequentiert sind oder innerhalb der Einfamilienhausteppiche

erst gar nicht existieren.

Paradoxerweise können die Digitalisierung

und eine noch engere Auslegung des

Systems der zentralen Orte dabei helfen,

die wirtschaftliche Tragfähigkeit für Waren

des kurzfristigen Bedarfs zu sichern. Das

Clustern verschiedener Einzelhändler ist

ein gängiges Instrument des Einzelhandels

in Innenstädten sowie zunehmend gan-

30 Stadt & Land


zer Wirtschaftszweige (Schuh et al. 2011:

491). In der Dorf-, Stadt- und Quartierentwicklung

wird dieses Clusterprinzip bisher

jedoch selten konsequent angewandt. Es

gilt, möglichst viele der Einrichtungen des

(erweiterten) täglichen Bedarfs am zentralen

Quartiersplatz zu bündeln – hierzu

gehören auch öffentliche Einrichtungen

wie Schulen – und damit nicht zuletzt einen

attraktiven und stark frequentierten öffentlichen

Raum zu schaffen. Zeitgemäße Angebote

wie WLAN, Coworking Spaces und

z.B. Concierge Services für die Annahme

von Paketen z.B. im Café, können diesen

Effekt verstärken und für eine gegenseitige

Unterstützung mit Kundenfrequenzen sorgen.

Ein Platz der kurzen Wege sozusagen.

Darüber hinaus verändert sich die Arbeit

selbst und bietet das Potential aus reinen

Schlaforten wieder lebendige Quartiere zu

generieren. Jüngsten Studien zufolge erlauben

mittlerweile über 40 % der abhängig

beschäftigten Berufsbilder theoretisch

ein Arbeiten von zuhause bzw. von überall.

Tatsächlich arbeiten bisher aber nur rund

11 % von zu Hause. Unter den Selbstständigen

sind es dagegen heute schon 50 %

(DIW Berlin 2018). In naher Zukunft kann

für einen großen Teil der Bevölkerung

die Distanz zur Arbeit digital überwunden

werden und bietet das Potential Stadt und

Land radikal zu verändern. So überrascht

es nicht, dass sich die Anzahl der Coworking

Spaces weltweit in nur drei Jahren

verdoppelt haben – und das nicht nur in

der Stadt, sondern auch auf dem Land.

Dazu planen über 70% der Betreiber ihre

Coworking Spaces aufgrund der hohen

Nachfrage zu erweitern (Deskmag 2018).

Die zunehmende Digitalisierung geht darüber

hinaus einher mit neuen Produktionsformen

und -arten, die weniger Lärm, Gerüche

und Abfall produzieren. Insgesamt

werden immer mehr Betriebe und ganze

Branchen digital, emissionsarm oder sogar

emissionsfrei. Diese Entwicklungen

schreien förmlich danach, die Arbeitsplätze

wieder näher an die Wohnorte und an

all die anderen Stadtbausteine zu rücken.

Nicht zuletzt auch, um wieder mehr Passantenfrequenz

für die oben genannten

Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu

generieren. Im Ergebnis entsteht ein lebendiges,

urbanes, nutzungsgemischtes

Quartier – mit kurzen Wegen und einem

stark frequentierten öffentlichen Raum.

DIE STADT VON VORGESTERN IST

DAS QUARTIER VON ÜBERMORGEN

Das Leitbild der Stadt der kurzen Wege und

die aktuelle Leipzig Charta, fußen bereits

auf dem historischen Bild und dem Erfolg

der europäischen Stadt und richten

damit Blick auf die Zeit vor dem Auto.

Allzu leicht denkt man dabei aber an die

wenigen Großstädte jener Zeit, wie Paris

oder Berlin, die schon vor der Industrialisierung

große Machtzentren waren

und übersieht, dass diese aus einzelnen

Quartieren bestanden, die eine weitgehend

autarke Daseinsvorsorge und vitale

Nutzungsmischung besaßen. Noch klarer

wird das fußläufige Bild mittelalterlicher

Städte, durch Beispiele wie Bielefeld, die

vor der Industrialisierung weniger als

6.000

Einwohner besaß. In maximal 10

Minuten Fußweg gelangt man so von einem

Ende der Stadt zum anderen.

Im Ergebnis entstehen lebendige,

urbane und kompakte

Einheiten, die es erlauben

einen Großteil der täglichen

Aktivitäten zu Fuß zu erledigen – und für

alles andere steht ein fußläufig erreichbarer

Mobilitätsknotenpunkt zur Verfügung.

Marcel Cardinali

urbanLab

Jeder wichtige Punkt in der Stadt ließ sich

schnell erreichen. Die Erdgeschosse dienten

zur Produktion und auch zum Warenverkauf.

In den hinteren Bereichen und in

den oberen Geschossen wurde gewohnt.

Stadt & Land 31


Zentrale Plätze und Handelsstraßen führten

dazu, dass sich die Menschen oft zu

Fuß begegneten. Es gab kein Auto – man

brauchte allerdings auch keins. Es war eine

Stadt gebaut für die menschliche Reichweite

– nicht für die von hochtechnisierten

Verkehrsmitteln.

Heute würden wir diese Größeneinheit

in der Regel mit einem Quartier übersetzen

und eben nicht mehr als Stadt

bezeichnen. Dieser Perspektivwechsel

von einer Stadt der kurzen Wege zu einem

Quartier der kurzen Wege erlaubt es vielleicht

die fehlenden Stadtschichten in der

Innenentwicklung unserer Städte – aber

insbesondere auch die notwendige Konversionen

unserer Schlafdörfer auf dem

Land – anders anzugehen. Die Quartiersgröße

ist die Betrachtungseinheit in der

kurze Wege zu Einrichtungen des täglichen

Bedarfs, Mobilitätsknotenpunkten

und Kultur- und Bildungseinrichtungen

hergestellt werden müssen, die damit

gleichzeitig einen stark frequentierten öffentlichen

Quartierskern erzeugen. Von

diesem Quartierskern aus betrachtet, ergeben

sich so auch wie selbstverständlich

neue Grenzen für die Quartiersentwicklung

durch die fußläufige Erreichbarkeit.

Hier entsteht der Raum für dringend benötigte

und wertvolle Freiraumsysteme.

Hier können monofunktionale Flächen

zurückgebaut und in verschiedenste Freiund

Naturräume für Sport, Freizeit und

Erholung transformiert werden. Darüber

hinaus entwickelt sich durch den Verbund

ganz von allein eine grüne Infrastruktur,

die das Rückgrat für eine nachhaltige und

effiziente Mobilität (Fuß, Rad, ÖPNV) sein

kann. Das Freiraumverbundsystem wird

so zum Rahmen für ablesbare Quartiere

und erinnert uns an die Grenzen der

fußläufigen Erreichbarkeit. Im Ergebnis

entstehen lebendige, urbane und kompakte

Einheiten, die es erlauben einen

Großteil der täglichen Aktivitäten zu Fuß

zu erledigen – und für alles andere steht

ein fußläufig erreichbarer Mobilitätsknotenpunkt

zur Verfügung.

PLANERISCHE & GESTALTERISCHE

HERAUSFORDERUNGEN

Das Quartier der kurzen Wege kann dazu

beitragen die Notwendigkeit für den motorisierten

Individualverkehr deutlich zu reduzieren,

steht aber vor der Herausforderung,

dass die europäische Stadt heute als

weitgehend gebaut gilt. Erschwerend hinzu

kommt, dass dies abseits der Innenstädte

nach dem diametral entgegengesetzten

Leitbild geschah und es ungleich schwerer

macht dieses Rad zurückzudrehen. Ein

Hoffnungsschimmer ist, dass die Neubauentwicklung

in den letzten Jahren wieder

stark zugenommen hat und Möglichkeiten

eröffnet, im Bestand gezielt neue Nutzungen

zu ergänzen und so die monofunktionalen

Strukturen Stück für Stück zu reparieren.

Aber wie kann so etwas aussehen?

Wie können aus den sortierten getrennten

Bausteinen der Stadt nutzungsgemischte,

urbane, pulsierende Quartiere werden,

die den Bedürfnissen der Wohnungssuchenden

gerecht werden? Wie können

die Anforderungen an den Bestand, an

gesetzliche Rahmenbedingungen, an laute

und leise Orte, an unterschiedlichsten Freiraumnutzungen

und Freiraumverbünden

sowie an schnelles und langsames Fortbewegen,

an Rückzugsräume und lebendige

öffentliche sowie private Rückzugsräume

in Einklang gebracht werden? Stadtplaner*innen

und Architekt*innen stehen

hier zusammen mit den Bürger*innen vor

32 Stadt & Land


einer gestalterisch hochkomplexen Aufgabe,

die noch weit größere Anstrengungen

in der Umsetzung bedarf. Es gibt jedoch

bereits einige wenige Planungskonzepte,

die versuchen sich dieser Thematik zu

nähern und Anregung sein können für die

weitere Diskussion rund um das Quartier

der kurzen Wege. Der erste Platz im studentischen

Ideenwettbewerb Essen Süd-

West-Stadt zeigt in einer Vision von 2050,

wie monofunktionaler Gewerbebestand

zu Quartieren mit kurzen Wegen transformiert

werden kann. Der zweite Platz

im internationalen Wettbewerb Europan

10 zeigt die Prinzipien in einer resilienten

Neubauentwicklung für 20.000 Menschen

im Umland von Helsinki.

ESSEN SÜD-WEST-STADT:

VISION 2050

Das Entwurfskonzept für Essen zeigt die

Potentiale der Innenentwicklung europäischer

Städte durch die stetig wachsende

Zahl an wohnungsverträglichen Gewerbeeinheiten.

Im Entwicklungskonzept bilden

die eingeschossigen Hallenstrukturen den

Sockel für eine vielschichtige und diverse

vertikale Stadt, sodass das Konzept mit

nur 17% neugebauter Bruttogeschossfläche

eine vollständige Transformation des

ca. 40 ha großen Areals erreicht. Damit

geht das Konzept mutige und nach heutigem

Recht noch recht unsichere Wege,

wie der Bestand neu belebt werden kann.

Das Planungsgebiet nahe der Essener Altstadt

ist dabei eines von vielen, seit der

Charta von Athen entwickelten, reinen Arbeitsstandorten,

aufgrund der für andere

Nutzungen ungeeigneten Emissionen. Die

Folge ist ein mittlerweile umschlossener

Fremdkörper in der Stadt, der neben den

zahlreichen vorhandenen Barrieren als

Zusätzliche fungiert.

Die neue kompakte Quartiersform mit vertikaler

Nutzungsmischung erlaubt es andere

Flächen wieder zu entsiegeln und für

die Freiraumvernetzung zu nutzen. Neue

Stadtlandschaften können entstehen und

liefern für das Plangebiet das Potential

lang benötigter Verbindungen in Essen

zwischen Norden und Süden, aber auch

zwischen Ost und West. Dabei dient die

existierende Stadtschicht als Ressource

für eine Verbindung aus neuen und alten

Formen der Freiraumnutzung. Die dichte

kompakte europäische Stadt findet so

wieder zu ihren Wurzeln zurück, gibt dabei

der Natur nicht mehr benötigte Flächen

zurück und schafft so gleichzeitig ein Netz

aus fußläufig erreichbaren grünen Landschaftsachsen,

die ihrerseits als Mobilitätsinfrastruktur

fungieren. Das entstehende

Freiraumnetz sorgt für eine qualitätvolle

fußläufige Erreichbarkeit aller Zielorte in

der Umgebung und leistet damit auch ein

erhebliches Stück Stadtreparatur für umliegende

Quartiere. Gleichzeitig dient es

als Rahmen für die bauliche Entwicklung.

Einbindung - microCITIES - Die Stadt

von vorgestern ist das Quartier von

übermorgen. (1. Platz studentischer

Ideenwettbewerb Essen-Süd-

West 2016 / Cardinali, Steinmetz,

Langhoff)

Stadt & Land 33


Die polyzentralen kompakten Quartiere

bilden eine jeweils eigenständige Identität

und ergänzen den nötigen fußläufigen

Begegnungs- und Aktionsraum für dieses

Stück Stadt. Es ergeben sich neue funktionierende

Dynamiken, durch die ordnende

Wirkung von schnellen und langsamen

Fortbewegen, von lauten und leisen Orten

sowie öffentlichen und privaten Nutzungen.

Bestehende Gebäudestrukturen

und funktionierende Nutzungen werden

gezielt mit fehlenden Stadtschichten ergänzt,

sodass das Plangebiet eine nie

gekannte Urbanität und Durchmischung

von Arbeiten, Wohnen, Versorgung und

Betreuung erreicht. Der städtebauliche

Typus Halle dient dabei als Basis und wird

durch eine Aufstockung mit unterschiedlichen

Wohn- und Bürotypologien ergänzt.

Nicht zuletzt ergibt die neue Vernetzung

der Freiflächen eine klare Lesbarkeit der

neuen Quartiere. Die mittelalterliche

Stadt von vorgestern wird so zur Vorlage

für das Quartier von übermorgen.

HENNA, FINNLAND: SYMBIOSIS

(EUROPAN 2010)

Das Planungskonzept Symbiosis zeigt exemplarisch

wie das Prinzip des Quartiers

der kurzen Wege als Neubau im Umland

von Wachstumskernen eingesetzt werden

kann. In den Hügeln von Henna, ca. eine

Stunde Autofahrt von Helsinki entfernt,

galt es im Rahmen des europäischen

Wettbewerbs Europan 2010 ein Konzept

für die Neuentwicklung einer ganzen Stadt

Wohnen

Büroflächen

Produzierendes & Verarbeitendes Gewerbe

Infrastruktur täglicher Bedarf

Bildung

Nutzung - microCITIES - Die Stadt von

vorgestern ist das Quartier von übermorgen.

(1. Platz studentischer Ideenwettbewerb

Essen-Süd-West 2016 / Cardinali, Steinmetz,

Langhoff)

34 Stadt & Land


für 20.000 Einwohner*innenen zu konzipieren.

Der hier vorgestellte Entwurf entwickelt

dazu polyzentrale Quartiere, die

als lokale Knotenpunkte mit sozialer und

funktionaler Mischung und räumlicher

Vielfalt fungieren. Die Landschaft fließt dabei

ununterbrochen durch die Stadt. Jeder

Knotenpunkt in dem Konzept kann bis

zu 2.000 Personen aufnehmen, was eine

autarke Quartierseinheit ermöglicht, die

den täglichen Bedarf der Bewohner*innen

weitgehend decken kann. Die Grundform

und die Art eines einzelnen Knotens

wird durch die Berücksichtigung mehrerer

Parameter bestimmt: Der Radius jedes

Knotens beträgt etwa 250 m. Dies führt

zu einer maximalen Entfernung von 5

Gehminuten oder 500 m innerhalb eines

Quartiers. Ein Auto wird dadurch für viele

tägliche Routinen überflüssig (Kindergarten,

Einzelhandel, Kindergärten, Treffpunkte,

kleine Sportanlagen, lokale Banken,

Unterhaltung, ÖPNV Haltestellen).

In dem vorliegenden Konzept sind die

beiden Systeme Stadt und Landschaft in

einer ständigen Wechselbeziehung zueinander

und werden so, wie selbstverständlich,

zu Stadt Land Quartieren. Die

umliegende Landschaft ist dabei eine natürliche

Ressource für Nahrung, Baumaterialen

und Energie und führt zu einer

lokalen Wertschöpfungskette nach dem

Vorbild der mittelalterlichen Stadt. Zusätzlich

dient sie zur Erholung, Sport und

Freizeitaktivitäten und als Infrastruktur für

Fuß-, Rad- und Wanderwege sowie Elektrobusse.

Diese multicodierte Nutzung

ist die Grundlage, die es den Menschen

ermöglicht, gleichzeitig in einem dichten

und intensiven städtischen Kontext zu leben

und in engem Kontakt mit der Natur

zu stehen. Sie zeigt ein vielfältiges städtisches

Gewebe, das im Gegensatz zur

typischen Einfamilienhaussiedlung eine

Vielzahl an Lebensstilen ermöglicht.

Konzept - Symbiosis - Henna Finland.

(Europan 2010 / microcities)

Stadt & Land 35


Verknüpfung von Stadt und Land -

Symbiosis - Henna Finland. (Europan

2010 / microcities)

Die starke Beziehung zwischen gebauten

Einheiten und dem durchgehenden

kollektiven Raum prägt jeden Stadtteil

als Stadteinheit, mit Intensität und urbanem

Leben, garantiert eine städtische

Identität und eine Komplexität der Räume

und bietet gleichzeitig Treffpunkte in

jedem Stadtteil. Dieser kollektive Raum

entwickelt sich zu mehreren Szenarien, in

denen Sequenzen von Wegen und Plätzen

zu unterschiedlichen Nutzungen der

Stadt führen. Die Stadt selbst bietet ständig

wechselnde Abfolgen von Räumen,

die unterschiedliche übergeordnete Nutzungen

wie Kino, Krankenhaus, Theater,

Schule oder Museum auf die einzelnen

Quartiere verteilt. Symbiosis wird damit

insbesondere zur Blaupause für das Potential

zum Zusammenschluss kleinerer

räumlichen Einheiten zu einem polyzentralen

Netzwerk, das gemeinsam die Annehmlichkeiten

einer Großstadt erreicht

bei parallel naturnahem Lebensumfeld.

CONCLUSIO

In der aktuellen Debatte um die Doppelte

Innenentwicklung, die Stadt der kurzen

Wege oder auch das UN Nachhaltigkeitsziel

der nachhaltigen Städte zeigen zahlreiche

Studien, dass die Rückbesinnung auf den

menschlichen Maßstab, seiner Reichweite

und täglichen Abläufe zielführend sein

kann, um unsere Lebensräume weiter zu

verbessern. Der darin enthaltende Perspektivwechsel

von der Stadt der kurzen

Wege zu einem Quartier der kurzen Wege

mit dem Rückbezug zur mittelalterlichen

europäischen Stadt, kann dabei ein Zukunftskonzept

für morgen und übermorgen

sein, das für den Umbau des

monofunktionalen Bestands

der Städte,

der Konversion der Schlafdörfer

oder

dem resilienten Neubau im Umland

von Wachstumskernen

gleichermaßen zielgerichtete Leitlinien bietet.

Der Fokus auf die fußläufige Erreichbarkeit

und das klare Ortszentrum setzt

wichtige Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung

und Umgestaltung von Quartieren

sowie für die Setzung der umliegenden

Freiraumverbünde. Die Besinnung auf die

Quartiersgröße und den menschlichen

Maßstab erlaubt die Betrachtung von dörf-

36 Stadt & Land


lichen Einheiten (ein Quartier) bis zu Großstädten

(zahlreiche Quartiere). Das Bild der

mittelalterlichen Stadt unterstützt bei der

Konzeptionierung und der Analyse des

Bestands nach fehlenden Stadtschichten

und räumlichen Grenzen. Das Quartier der

kurzen Wege kann als eine Synthese der

Bedürfnisse nach Urbanität mit dem Kontakt

zu einer lebendigen, arbeitsnahen Umgebung

und Freizeitmöglichkeiten und einer

entschleunigten und unabhängigeren,

naturverbundenen Lebensweise gesehen

werden – und damit auch als Stadt Land

Quartier. Die Stadt von vorgestern wird so

zum Quartier von übermorgen.

„Mit der Digitalisierung besteht

die Gefahr, dass wir nach der autogerechten

Stadt mit der Smart

City ein weiteres Mal einem

technikgetriebenen Leitbild folgen und

das menschliche Lebensumfeld aus den

Augen verlieren. Es gilt gemeinsam an

einem menschlichen Leitbild festzuhalten,

das die menschlichen Bedürfnisse

und Möglichkeiten in den Fokus rückt.

Marcel Cardinali

urbanLab

Mit der Digitalisierung besteht die Gefahr,

dass wir nach der autogerechten Stadt

mit der Smart City ein weiteres Mal einem

technikgetriebenen Leitbild folgen und das

menschliche Lebensumfeld aus den Augen

verlieren. Es gilt gemeinsam an einem

menschlichen Leitbild festzuhalten, das

die menschlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten

in den Fokus rückt. Jan Gehl hat

es in seinem Buch Städte für Menschen treffend

formuliert: „Wir werden auch morgen

noch gleich groß sein, gleich schnell und

weit laufen können und genauso weit gucken

können“ (2015). Kein Leitbild könnte

nachhaltiger sein.

Marcel Cardinali

M. Sc. Städtebau

urbanLab

koordiniert als Wissenschaftlicher Mitarbeiter die

Forschungs- und Projektarbeit im urbanLab der

Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe.

Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen von

gebautem Raum auf die menschliche Umwelt,

untersucht die Wechselwirkungen zwischen den

einzelnen Handlungsfeldern in der Stadtplanung

und plädiert für eine soziale Architektur, die ihre

Verantwortung für den menschlich geformten

Lebensraum ernst nimmt.

Literatur & Abbildungen

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quantity in human mobility. Nature Human Behaviour, 2(7), 485–491

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Stadt & Land 37


Dr. Svenja Haferkamp

Regionalen Ausgleich

stärken

Die Wohnungswirtschaft

als Gestalter von Heimat

In den Großstädten Deutschlands ist das Angebot an bezahlbaren

Wohnungen knapp und wird in der öffentlichen Diskussion

intensiv und kontrovers diskutiert. Immer häufiger rücken daher

Instrumente in den politischen Fokus, die in ihrer Wirkung umstritten

sind. Der am 18. Juni 2019 beschlossene Mietendeckel in Berlin

steht beispielhaft dafür. Anstatt mehr bezahlbaren Wohnraum zu

schaffen, engt dieser vor allem die Handlungsfähigkeit jener Akteure

am Markt ein, die schon heute bezahlbare Wohnungen anbieten

und sich gleichzeitig für klima- und demographiegerechte Maßnahmen

bei der Bestandsentwicklung einsetzen. Dringend gesucht

werden daher Lösungen, die wirksam sind und darüber hinaus die

Möglichkeit bieten, auch die Themen einer qualitativen Wohnraumversorgung

mitzudenken. In diesem Kontext fällt der Blick auch

auf jene Regionen, in denen das Wohnen noch immer bezahlbar

ist. Offen ist hier die Frage, wie es gelingen kann, dass das Wohnen

jenseits der Metropolen zu einer tatsächlichen Alternative wird und

die Großstädte dadurch Entlastung erfahren. Die Schaffung gleichwertiger

Lebensverhältnisse wird damit zur zentralen Aufgabe der

Stadt- und Regionalentwicklung und erfordert den Schulterschluss

einer Vielzahl von Akteuren.

38 Stadt & Land


Erste Ergebnisse aus dem Projekt im Überblick

Wer Stadt und Land neu denken will,

muss anfangen neu zu denken

Die Wohnungswirtschaft in Deutschland

ergreift hier die Initiative und widmet

sich mit dem Projekt Regionalen

Ausgleich stärken: Die Wohnungswirtschaft

als Gestalter von Heimat diesem

Thema. Mit ihren Partnern hat sie daher

einen Dialogprozess ins Leben gerufen,

um gemeinsam an umsetzungsorientieren

Lösungen zu arbeiten. Dies

geschieht im engen Austausch mit der

Bundeskommission Gleichwertige Lebensverhältnisse,

die unter Vorsitz des

Bundesministers des Innern, für Bau

und Heimat, Horst Seehofer ins Leben

gerufen wurde und im Juli 2019 erste

Ergebnisse veröffentlichte (BMI 2019).

Im Folgenden werden Zwischenergebnisse

aus dem Projekt, das bis Ende

2019 läuft, vorgestellt.

Das Projekt wurde vom GdW Bundesverband

deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen

e. V. (GdW) gemeinsam

mit den jeweiligen Regionalverbänden,

dem Verband Thüringer Wohnungs- und

Immobilienwirtschaft e.V. (vtw), dem Verband

der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft

Rheinland Westfalen e.V. und

dem Verband der Wohnungswirtschaft

Sachsen-Anhalt e.V. gestartet. In insgesamt

sechs verschiedenen Fallstudien

werden in diesem Zusammenhang in

regionalen Dialogprozessen die Fragen

nach den Möglichkeiten des regionalen

Ausgleichs und den Chancen und

Hemmnissen gestellt. In Thüringen

geschieht dies anhand der Fallstudie

Jena/Saale-Holzland-Kreis, wo für den –

auch für Thüringer Verhältnisse – angespannten

Wohnungsmarkt in Jena die

Möglichkeiten des regionalen Wachstums

und der regionalen Kooperation

eruiert werden.

In Nordrhein-Westfalen werden gleich

vier Fallstudien bearbeitet. Während in

Duisburg-Wedau und im Kölner Umland

ebenfalls die Fragen nach den

regionalen Ausgleichspotentialen für

die angespannten Wohnungsmärkte in

Düsseldorf und Köln gestellt werden,

rücken in Südwestfalen und Ostwestfalen-Lippe

andere Facetten des Themas

in den Fokus.

Stadt & Land 39


INTEGRIERTE ANSÄTZE

REGIONALER ENTWICKLUNG

SIND GEFRAGT

Die Möglichkeiten zur Sicherung einer

medizinischen Infrastruktur, die auch

das Leben im hohen Alter in eher peripheren

Räumen gewährleisten soll,

werden im engen Dialog der Wohnungsunternehmen

und der medizinischen

Institutionen in Südwestfalen

diskutiert. Dabei richtet sich der Blick

unweigerlich auch auf das Thema der

Mobilität in der Region Südwestfalen.

Welche Chancen und Handlungsoptionen

Wohnungsunternehmen bei der

Bearbeitung dieser Querschnittsthemen

in einem integrierten Ansatz der

Regionalentwicklung haben, wird hier

diskutiert. In Ostwestfalen-Lippe stehen

mit Lemgo und Espelkamp gleich zwei

Beispiele im Fokus, die sich zum einen

mit den Entlastungsmöglichkeiten für

die Wohnungsmärkte in Bielefeld und

Paderborn, gleichzeitig aber auch mit

den Möglichkeiten zur Fachkräftegewinnung

in der insgesamt ökonomischstrukturstarken

Region beschäftigen.

Die Zwischenergebnisse des Projekts wurden am 08.Mai 2019

mit Abgeordneten des Bundestages in Berlin diskutiert.

Foto: DKB

GDW-BEFRAGUNG GIBT EINBLICK

ÜBER LEBENSQUALITÄT IN REGIO-

NEN JENSEITS DER METROPOLEN

Den Fallstudien wurde durch den GdW

eine quantitative Befragung vorangestellt,

um erste vertiefte Kenntnisse

über den Status Quo des derzeitigen

wohnungswirtschaftlichen Engagements

von Wohnungsunternehmen für

die regionale Entwicklung jenseits der

Metropolen zu gewinnen. Die Befragung

der 1.900 Wohnungsunternehmen außerhalb

der Metropolen hat ergeben,

dass 63 Prozent dieser Unternehmen in

einer Region mit schrumpfender oder

stagnierender Bevölkerungszahl liegen

– Wachstum ist demnach für die Wohnungswirtschaft

außerhalb der Großstädte

nicht das dominierende Thema.

Diese Unternehmen agieren viel mehr

in einem Umfeld mit besonderen Herausforderungen:

während also auf der

einen Seite die Schwarmstädte an Bevölkerung

gewinnen, verlieren auf der

anderen Seite Regionen an Einwohnern

– wenngleich die wohnungspolitische

Diskussion sich nahezu ausschließlich

auf die Wachstumszentren fokussiert.

Die Einschätzung der Unternehmen zur

Lebensqualität jenseits der Metropolen

zeigt, dass künftig mehr Anstrengungen

für die Regionen notwendig sind. Vor allem

die großen Zukunftsthemen der Digitalisierung

sowie das Thema der Mobilität

sind wichtige Querschnittsthemen,

die auch aus wohnungswirtschaftlicher

Perspektive für die regionale Entwicklung

entscheidend sein werden. Ferner

sind 81 Prozent der Unternehmen der

Ansicht, das preisgünstige Mietniveau

in der Region sei ein wichtiger Standortvorteil.

Immerhin 46 Prozent sehen

eine Chance darin, die Ballungszentren

zu entlasten. In Konsequenz ist die Stärkung

des regionalen Ausgleichs, auch

zur Versorgung breiter Schichten der

Bevölkerung mit bezahlbaren Wohnraum

eine wichtige Zukunftsaufgabe.

40 Stadt & Land


WOHNUNGSWIRTSCHAFTLICHE

BELANGE IN REGIONALE ENT-

WICKLUNG EINBEZIEHEN

Erste Ergebnisse aus den Dialogprozessen

in den Fallstudien zeigen aber,

dass Stadt und Land künftig verstärkt

zusammenarbeiten müssen, beispielsweise

in Planungsverbünden oder

regionalen Entwicklungsgesellschaften,

um die Entlastungspotentiale des

Umlandes zu heben. In Jena und dem

Saale-Holzland-Kreis wird daher, ausgehend

von den Impulsen aus dem

Projekt heraus, derzeit geprüft, welche

Organisationsform für eine solche regionale

Kooperation geeignet ist und

welcher Grad der Formalisierung zur

Initiierung eines solchen regionalen

Verbundes sich anbietet.

Foto: DKB

Gleichzeitig zeigt der Diskurs in anderen

Regionen, so in Köln und dem Kölner

Umland, dass es verstärkt darum gehen

wird, wohnungswirtschaftliche Belange

in die Diskussion zur Regionalentwicklung

einzubeziehen und zu berücksichtigen.

Wohnungswirtschaft ist in dem

Zusammenhang ein zentraler Partner in

der Region, auch wenn es darum geht,

Flächennutzungen und -bedarfe auszuweisen

und integrierte Planungsansätze

zu realisieren.

QUARTIERE FÜR DIE ZUKUNFT

BAUEN: NICHT NUR EINE FRAGE

DER QUANTITÄT, SONDERN DER

QUALITÄT

Dies wird auch anhand der Fallstudie

Duisburg-Wedau deutlich. In Duisburg-Wedau

entstehen derzeit 3.000

neue Wohneinheiten in unmittelbarer

Nähe zur Stadt Düsseldorf. Dies ist auch

für die Stadt Duisburg ein erhebliches

Entwicklungspotential, allerdings gilt

es, die verkehrliche Anbindung nach

Düsseldorf zu ermöglichen, um hier als

leistungsfähiger Entlastungsstandort

fungieren zu können. Der anhaltende

Strukturwandel stellt die Stadt Duisburg

noch immer vor Herausforderungen.

Mit der Entwicklung neuer, innovativer

und zukunftsfähiger Stadtquartiere besteht

daher in Duisburg die Möglichkeit,

neue Qualitäten in der Stadtentwicklung

zu schaffen.

SCHRUMPFUNG UND

STRUKTURSCHWÄCHE

SIND WEITERHIN THEMA

Wenngleich der Fokus derzeit auf den

Wachstumsmärkten und Schwarmstädten

liegt, beschäftigt sich das Projekt auch

mit jenen Regionen, die derzeit und perspektivisch

schrumpfen werden und zudem

von Strukturschwäche geprägt sind.

Beispielhaft steht dafür als Bundesland

Sachsen-Anhalt. Mehr als 89.000 Wohnungen

wurden seit 2000 in Sachsen-Anhalt

zurück gebaut, 32.000 Wohnungen

stehen derzeit leer. Es ist daher nötig,

gerade unter diesen strukturellen Vorzeichen

auch über den Wohnungsrückbau

und die Sicherung gleichwertiger

Lebensverhältnisse nachzudenken. Die

Städtebauförderung ist hier ein wichtiges

und unabkömmliches Instrumentarium.

Stadt & Land 41


„Ebenso wichtig ist es, in diesem

Zusammenhang nicht die Dichotomie

zwischen Stadt und Land

herauszustellen, sondern viel

mehr an gemeinsamen Lösungen zu

arbeiten, die Stadt und Land gemeinsam

denken und somit dazu beitragen, für

den regionalen Ausgleich (neue) Lösungswege

zu erarbeiten.

Dr. Svenja Haferkamp

VdW Rheinland Westfalen

Im Projekt werden daher Impulse erarbeitet,

die die bestehenden Instrumente

und Förderprogramme weiterqualifizieren

sollen, die auch für die Wohnungswirtschaft

von zentraler Bedeutung sind.

WIRTSCHAFTLICHE ATTRAKTIVITÄT

UND LEBENSWERTIGKEIT IN

EINKLANG BRINGEN

Wie eingangs angedeutet, stehen im

Projekt der Fallstudie Südwestfalen, an

der die Arbeitsgemeinschaft Die Wohnungswirtschaft

in Südwestfalen im Wesentlichen

beteiligt ist, die Herausforderungen

einer eher ländlich geprägten

Region im Fokus des Erkenntnisinteresses.

Dass in Südwestfalen 153 Weltmarktführer

beheimatet sind, steht

selten im öffentlichen Fokus. Dies wirft

daher die Frage auf, wie es gelingen

kann, die wirtschaftliche Attraktivität der

Region und die Attraktivität als Wohnstandort

künftig stärker in Einklang zu

bringen. Gerade mit Blick auf schrumpfende

Einwohnerzahlen, ist dies eine

wichtige Aufgabe – auch für die Wohnungswirtschaft

– und erfordert die Auseinandersetzung

mit integrierten und

ganzheitlichen Lösungen der regionalen

Entwicklung. Im Projektzusammenhang

wird daher geprüft, welche Möglichkeiten

es gibt, die Themen Wohnen, Gesundheit

und Mobilität künftig intensiver

zusammen zu denken und hierfür die

nötigen Allianzen zu schmieden.

START-UPS FÖRDERN UND RAH-

MENBEDINGUNGEN FÜR JUNGE

GRÜNDERSZENE SCHAFFEN

Auch für die Anwerbung von qualifizierten

Fachkräften ist dies von großer

Bedeutung, wie anhand des Beispiels

der Aufbaugemeinschaft Espelkamp für

die Region Ostwestfalen-Lippe deutlich

wird. Das kirchliche Wohnungsunternehmen

beschäftigt sich aktuell intensiv

mit der Frage, wie es gelingen kann,

junge Fachkräfte sowie Start-Up-Firmen

– insbesondere aus der IT-Branche – für

die Region zu gewinnen. In Espelkamp

sucht man daher den Dialog mit den örtlich

ansässigen Unternehmen, um hier

gemeinsam Lösungen und neue, innovative

Wohn- und Arbeitsformen zu entwickeln.

Ebenso wird in Lemgo mit der

Wohnbau Lemgo eG die Frage nach den

Handlungsfeldern einer möglichen regionalen

Wohnungspolitik gestellt. Damit

sind aus der Arbeitsgemeinschaft Die

Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe

gleich zwei Unternehmen an dem bundesweiten

Kooperationsprojekt beteiligt.

WILLE, KOOPERATION

UND MUT SIND GEFRAGT

Die Zwischenergebnisse aller Teilprojekte

zeigen bislang, dass zur Stärkung

des regionalen Ausgleichs nicht nur der

Schulterschluss einer Vielzahl von Akteuren

gefordert ist. Es wird viel mehr

deutlich, dass dafür auch der politische

Wille und Rückhalt gefragt sind, um –

auch unter Beteiligung der Wohnungswirtschaft

– neue Kooperationen einzugehen

und Allianzen zu schmieden.

Eine besondere Herausforderung stellt

in dem Zusammenhang insbesondere

die Gleichzeitigkeit ungleicher Entwicklungen

in der Bundesrepublik eine große

Herausforderung dar, die ein umfassendes

und flexibles Maßnahmenpaket

erfordert, das diesen unterschiedlichen

Rahmenbedingungen gleichermaßen

Rechnung trägt.

42 Stadt & Land


weitere Themen:

Breitbandausbau, und dann – Digitalisierung im ländlichen Raum

Wiedergutmachungsprojekt für die Global City – Frankfurts Neue Altstadt

Lernen am Denkmal – Orte nachhaltiger kultureller Bildung in Hann. Münden

Paragraf 13b BauGB – Flächenpolitische Ziele und Anwendung am Beispiel

Perspektiven für die Stadterneuerung

Zukunftsaufgabe der SRL – Nachbetrachtungen zur Jahrestagung 2018

weitere Themen:

SRL-Stellungnahme zur Düsseldorfer Erklärung

Smart ist nicht gleich digital – Die digitale Entwicklung geht rasant weiter

Apropos Escher – Wege des technologischen Wandels im Revier

Evaluation zur Anwendung des § 13b BauGB im Freistaat Bayern

Die städtebaurechtlichen Gebote – Hinweise für eine vermehrte Anwendung

Bauleitplanerische Vorsorge vor Starkregenereignissen

GLEICHZEITIGKEIT UNGLEICHER

ENTWICKLUNGEN ERFORDERT

FLEXIBLES MASSNAHMENPAKET

Ebenso wichtig ist es in diesem Zusammenhang

nicht die Dichotomie zwischen

Stadt und Land herauszustellen,

sondern viel mehr an gemeinsamen

Lösungen zu arbeiten, die Stadt und

Land gemeinsam denken und somit

dazu beitragen für den regionalen Ausgleich

(neue) Lösungswege zu erarbeiten.

Die Wohnungswirtschaft hat mit

dem Projekt Regionalen Ausgleich stärken:

Die Wohnungswirtschaft als Gestalter

von Heimat den gemeinsamen Diskurs

eröffnet und will mit dem Kooperationsprojekt

die Chancen, aber auch die

Hemmnisse des regionalen Ausgleichs

näher beleuchten, um konkrete Maßnahmen

zu erarbeiten.

Dr. Svenja

Haferkamp

VdW Rheinland

Westfalen

ist Referentin für Städtebau, Stadt- und Quartiersplanung

und Genossenschaftswesen beim Verband

der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft

Rheinland Westfalen e.V. Ferner ist sie im Verein

StadtBauKultur Nordrhein-Westfalen e.V. im

Vorstand ehrenamtlich tätig und Lehrbeauftragte

am Geographischen Institut der Ruhr-Universität

Bochum. Hier promovierte sie zum Thema

„Bündnisse für Wohnen im Quartier“ und war

zwischen 2013 und 2017 als wissenschaftliche

Mitarbeiterin im Fachbereich Urban and Metropolitan

Studies tätig.

informieren

netzwerken

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Themen

◗ aktiv einbringen & Kontakte knüpfen

bei den regionalen Fachtagungen, Planertreffs, Workshops,

Salongesprächen, Exkursionen etc. der SRL-Regionalgruppen

◗ auf dem Laufenden bleiben

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Fachzeitschrift

◗ Fachfragen erörtern

über die Mitarbeit in unseren Arbeitskreisen und Fachgruppen

(z.B. Energie und Klima, Ländlicher Raum, Verkehr, Städtebau)

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durch die Mitgliedschaft der SRL in internationalen Netzwerken

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Unterstützung bei fast allen Fragen gibt es in unserer

Geschäftsstelle: bei der Suche nach speziellen Gesprächspartnern

zu Fachthemen, berufsständischen Fragen etc.

◗ Mitgliedsbeitrag

192 € im Jahr; ermäßigt 144 €; Studierende,

Geringverdienende, Erwerbslose 60 €

PLANERIN HEFT 1_19 FEBRUAR 2019

Gestaltung der Stadtregion

Herausforderungen Mobilität, Logistik, Flächenverbrauch

PLANERIN HEFT 3_19 JUNI 2019

Literatur & Abbildungen

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, BMI

(Hg.) (2019): Unser Plan für Deutschland – Gleichwertige

Lebensverhältnisse überall. Berlin

GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen

e.V. (Hg.) (2018): Wohnen jenseits der

Metropolen. Berlin

Foto: Svenja Grzesiok

Vereinigung für Stadt-, Regionalund

Landesplanung SRL e.V.

Geschäftsstelle

Yorckstr. 82 – 10965 Berlin

Fon 030 / 27 87 468-0

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Nordrhein-Westfalen:

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Geländes und

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GENOSSENSCHAFTEN

STRUKTUREN

UND

AKTEURE


Eva Stelzner

Wege zum bezahlbaren

Bauen und Wohnen

Aktuelle Herausforderungen

und Lösungsansätze

Wohnen ist eines der zentralen Themen unserer Zeit. Vor allem

Städte und Ballungsräume stehen unter hohem Nachfragedruck.

Zwar hat die Bautätigkeit in den letzten Jahren wieder zugenommen,

doch es fehlt vor allem an bezahlbarem Wohnraum.

Deutschlandweit werden in den Jahren 2019 und 2020 schätzungsweise

341.700 neue Wohnungen benötigt, um den hohen

Bedarf zu decken (Henger, Voigtländer 2019). Bei teilweiser Berücksichtigung

des aufgestauten Nachholbedarfs unter Variation

der Zuwanderung liegt die Bedarfsprognose sogar noch höher.

Auf Bundesebene und in Nordrhein-Westfalen

gibt es verschiedene

Instrumente, um die Schaffung der

dringend benötigten Wohnungen voran

zu treiben. Die Zusammenhänge

sind komplex und die Lösungsansätze

vielfältig. Wichtig ist das aufeinander

abgestimmte Handeln von Bundesregierung,

Länder, Kommunen und aller

am Wohnungsbau beteiligten Akteure

in den jeweiligen Handlungsfeldern.

MOBILISIERUNG VON BAULAND

Wohnungsneubau erfordert vor allem

verfügbares Wohnbauland. Damit ist

die Baulandmobilisierung zum prioritären

Thema geworden, um Grundstückspreise

zu dämpfen und damit die

Grundlage für bezahlbaren Wohnungsbau

zu tragbaren Kosten zu schaffen.

Bauland darf nicht ein Engpass für

Wohnen sein. Sämtliche Flächen sind

in Betracht zu ziehen: sowohl Freiflächen

für neue Quartiere und Vorhaben,

aber auch vorhandene Potentiale

zur Nachverdichtung.

Nordrhein-Westfalen macht sich mit

einer Vielzahl von Initiativen, Programmen

und Instrumenten für die Reaktivierung

von Brachflächen und die

Entwicklung neuer Flächen stark. Auf

Bundesebene hat die Expertenkommission

Nachhaltige Baulandmobilisierung

und Bodenpolitik unter Vorsitz von

Marco Wanderwitz, Parlamentarischer

Staatssekretär beim Bundesministerium

des Innern, für Bau und Heimat,

die Arbeit aufgenommen. Aufgabe der

Expertenkommission war es, Vorschlägen

zur Änderung des Bauplanungsrechts

auszuarbeiten und konkrete

Handlungsoptionen für eine bessere

und schnellere Aktivierung von Grundstücken

für den Wohnungsbau zu erarbeiten.

Nun gilt es, die erarbeiteten

Vorschläge zügig umzusetzen.

46 Strukturen & Akteure


BAUGENEHMIGUNGSVERFAHREN

BESCHLEUNIGEN

Auch wenn Bauland vorhanden oder

gefunden ist, dauert die Umsetzung

geplanter Objekte häufig noch sehr lange.

Die Erlaubnis, Grundstücke zu bebauen,

zu verändern oder anderweitig

zu nutzen, dauert viele Monate. Immer

seltener werden Vorhaben nach § 34

BauGB (Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb

der im Zusammenhang bebauten

Ortsteile) genehmigt. Vielfach findet

zunächst ein Bauleitplanverfahren statt,

um die städtebauliche Entwicklung einer

Gemeinde zu lenken. Bauleitplanverfahren

sind umfangreich, komplex

und nehmen viel Zeit in Anspruch. Ist

die bauplanungsrechtliche Voraussetzung

zur Bebaubarkeit geschaffen,

muss noch ein Baugenehmigungsverfahren

durchgeführt werden, das weitere

Monate in Anspruch nimmt.

SENKUNG VON BAUKOSTEN

Die Baukosten sind in den vergangenen

Jahren massiv gestiegen. Das Ministerium

für Heimat, Kommunales,

Bau und Gleichstellung des Landes

Nordrhein-Westfalen gründete unter

Vorsitz von Ministerin Ina Scharrenbach

eine Baukostensenkungskommission,

in der Gesetze und Verordnungen

auf ihre baukostensteigernden

Effekte überprüft und gegebenenfalls

angepasst werden. Der VdW Rheinland

Westfalen ist Mitglied der Kommission.

Die Novellierung der im Wesentlichen

am 1. Januar 2019 in Kraft getretenen

Bauordnung Nordrhein-Westfalen ist

ein erster Schritt, die Baukosten zumindest

nicht weiter ansteigen zu lassen.

Weitere Schritte sollen folgen.

Ziel muss es sein, diese Verfahren soweit

wie möglich zu vereinfachen und

damit auch zu beschleunigen. Jeder der

im Bauleitplanverfahren und Baugenehmigungsverfahren

zu prüfenden Punkte

wie beispielsweise Umweltverträglichkeit,

Sozialverträglichkeit, Verkehr, Lärm

und Nachhaltigkeit hat grundsätzlich

seine Berechtigung. Häufig müssen

hierfür jedoch umfangreiche und kostenintensive

Gutachten in Auftrag gegeben

werden, die die Prozesse zusätzlich

verzögern und die Kosten erhöhen. Daher

ist eine bedarfsgerechtere Festsetzung

der zu prüfenden Punkte sowie

Augenmaß bei der Anforderung von

Gutachten wünschenswert.

„Auch wenn Bauland vorhanden

oder gefunden ist, dauert die Umsetzung

geplanter Objekte häufig

noch sehr lange. Die Erlaubnis,

Grundstücke zu bebauen, zu verändern

oder anderweitig zu nutzen dauert viele

Monate. Immer seltener werden Vorhaben

nach § 34 BauGB (Zulässigkeit von

Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang

bebauten Ortsteile) genehmigt.

Eva Stelzner

VdW Rheinland Westfalen

Strukturen & Akteure 47


Ende ‘18/Anfang ‘19: +4,8 % höchster Anstieg der Baupreise in zwölf Jahren

Rohbauarbeiten an Wohngebäuden + 5,6 %

Maurerarbeiten + 6,0% Betonarbeiten + 5,8 %, Erdarbeiten +7,0 %,

Dachdeckungs- und Dachabdichtungsarbeiten + 4,5 %

Ausbauarbeiten + 4,2 %

Nieder- und Mittelspannungsanlagen 5,6 %

Metallbauarbeiten 4,6 %

Heizanlagen- und zentralen Wassererwärmungsanlagen + 4,0 %

3,2%

2,9%

2,8%

3,6%

4,0% 4,1%

4,8% 4,8%

4,6%

Baupreise

Baukostenentwicklung

Bauen ist so teuer wie lange

nicht mehr: Kapazitätsengpässe

schlagen sich in Baupreisen

nieder.

2,2%

2,3%

2,0%

2,1%

1,7% 1,6% 1,6% 1,5% 1,5% 1,5% 1,5% 1,6%

Februar

Mai

August

November

Februar

Mai

August

November

Baupreise

Februar

Allg. Preisentwicklung

Allg. Preisentwicklung

Mai

August

November

Februar

Mai

August

November

Februar

Mai

August

November

Februar

2014

2015

2016

2017

2018 2019

Quelle : GdW 2019 (angepasst)

VERLÄSSLICHE WOHNUNGS-

BAUFÖRDERPOLITIK

Eine gute und verlässliche Wohnungsbauförderpolitik

bietet Kommunen

und Investoren eine verlässliche Finanzierungsperspektive

und führt

damit zu mehr Wohnungsneubau.

Haushalte, die sich am Markt nicht aus

eigener Kraft angemessen mit Wohnraum

versorgen können, bedürfen

der Unterstützung. Die Landesregierung

Nordrhein-Westfalens verfolgt

mit dem mehrjährigen Wohnraumförderungsprogramm

das Ziel, mehr

geförderten und somit bezahlbaren

Wohnraum in allen Marktsegmenten

zu schaffen. Das Wohnraumförderprogramm

von Nordrhein-Westfalen

ist mit Abstand das größte und erfolgreichste

in der ganzen Bundesrepublik.

In 2019 stellt Nordrhein-Westfalen

rund 1,3 Milliarden Euro für die

kontinuierliche Förderung von öffentlich

gefördertem Wohnen mit klarem

Schwerpunkt auf dem preisgebundenen

Mietwohnungsbau, einer energetischen,

generationengerechten, mietpreisgebundenen

Modernisierung

von Wohnungsbeständen zur Verfügung

(MHKBG 2019). Das fördert die

Schaffung bezahlbaren Wohnraums.

MIETRECHTSREGULARIEN

Immer wieder werden verschiedene

Mietrechtsregularien diskutiert, die

dafür sorgen sollen, dass Wohnen

bezahlbar bleibt. Jedoch eignen sich

diese Einzelmaßnahmen nur teilweise

weitere Mietpreissteigerungen einzudämmen.

Jedenfalls sorgen sie dafür,

dass Investitionen in den Wohnungsbau

von manchen immer kritischer

überdacht werden.

Das Gesetz zur Ergänzung der Regelungen

über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn

und zur Anpassung der Regelegungen

über die Modernisierung der Mietsache

(Mietrechtsanpassungsgesetz – MietAnpG)

ist trotz vielfacher Kritik zum 1. Januar

2019 in Kraft getreten. Unter anderem

können Vermieter weniger Modernisierungskosten

auf Mieter umlegen

und Mieter können Verstöße gegen die

Mietpreisbremse einfacher rügen. Die

neuen Regelungen greifen erheblich in

die Umlagemöglichkeiten der Vermieter

ein und verschlechtern die Rahmenbedingungen

für energetische Modernisierung,

den altersgerechten Umbau

und die Digitalisierung im Wohnbereich.

Weitere Verschärfungen waren im Mai

48 Strukturen & Akteure


Wohnungen

500 000

450 000

400 000

350 000

300 000

250 000

200 000

150 000

100 000

50 000

0

Bautätigkeit

Baugenehmigungen

Baufertigstellungen

Darunter Mietwohnungen

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

Genehmigungen

Fertigstellungen

2011

2012

2013

2014

2015

2016

346.810

285.914

69.435

2017

2018

2019

Bedarfsprognose

Neubaubedarf p.a. (2015-2025)

bei teilw. Berücksichtigung

aufgestauten Nachholbedarfs

und Variation der Zuwanderung

386.000 (2018) - 300.000 - 200.000

Pers. pro Jahr

360.000

326.000

286.000

140.000

Darunter: Bedarf an preisgrünstigen

Mietwohnungen

2020

2021

2022

2023

2024

2025

Quelle : GdW 2019 (angepasst)

Derzeitige Bautätigkeit

und zukünftiger Wohnungsbedarf

2025

Fertigstellungen und Baugenehmigungen

seit 2002

sowie Bedarfsprognose

des Neubaubedarfs p.a.

(2015-2025) bei teilweiser

Berücksichtigung aufgestauten

Nachholbedarfs und Variationen

der Zuwanderung

386.000 (2018) – 300.000 –

200.000 Personen pro Jahr.

2019 angekündigt, konnten jedoch erfolgreich

verhindert werden.

Auch gibt es Reformüberlegungen, die

Umlagefähigkeit der Grundsteuer als

Betriebskosten abzuschaffen. Wer jedoch

die Umlagefähigkeit der Grundsteuer

abschaffen möchte, bremst nicht

die Mieten, sondern die Investitionen in

den Wohnungsbau. Weniger Modernisierungen

und Neubau wären die Folge,

womit die Wohnungsqualität sinkt und

der Mangel an Wohnungen zu weiter

steigenden Mieten führt.

FAZIT

Für mehr bezahlbaren Wohnraum

braucht es wirksame Rahmenbedingungen

und strukturell tragfähige Maßnahmen.

Die vorstehend aufgezeigten

Lösungsansätze können die zügige

Errichtung bezahlbaren Wohnraums

fördern. Diese Lösungsansätze sollten

weiter verfolgt und ausdifferenziert werden.

Statt weitere Debatten um immer

weitläufigere rechtliche Regulierungen

zu führen, müssen proaktiv wirklich wirksame

Maßnahmen für mehr bezahlbaren

Wohnraum praktisch und zeitnah

umgesetzt werden. Dazu gehören insbesondere

Regelungen für schnelleres, ein-

facheres und kostengünstigeres Bauen

und der Erhalt einer starken Wohnraumförderung.

Die Probleme angespannter

Wohnungsmärkte lassen sich nicht über

das Mietrecht lösen.

Literatur & Abbildungen

Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen

(GdW) (2019): Wohnungswirtschaftliche Daten und

Trends 2019/2020. Berlin 2019.

Dr. Henger, Ralph / Prof. Dr. Voigtländer, Michael (2019):

IW-Report 28/2019: Ist der Wohnungsbau auf dem richtigen Weg?

Aktuelle Ergebnisse des IW-Wohnungsbaubedarfsmodells, Köln,

22. Juli 2019, S. 22.

Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung

des Landes Nordrhein-Westfalen - MHKBG (2019): Wohnraumförderung

in Nordrhein-Westfalen - Förderbudgets und Ansätze

im Jahr 2019, https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/mhkbg_28.03.2019_anlage_1.pdf

(letzter Zugriff: 31. 07.2019).

Foto: VdW/Roland Baege

Eva Stelzner

Rechtsanwältin

VdW Rheinland

Westfalen

Eva Stelzner berät als Referentin für Rechtsangelegenheiten

beim Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft

Rheinland Westfalen e. V. (VdW Rheinland Westfalen)

Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften des

Verbandes in Fragestellungen des allgemeinen Zivilrechts,

Mietrechts, Genossenschaftsrechts und öffentlichen

Rechts, insbesondere im öffentlichen Baurecht.

Strukturen & Akteure 49


Burkhard Schulze Darup

Klimaneutralität im

Gebäudebestand bis 2050

Wie geht das?

Seit mindestens drei Jahrzehnten wissen wir, wie es geht. Hocheffiziente

Gebäudestandards wie das Passivhaus haben seitdem

mannigfach den Praxistest bestanden und wurden zum Exportschlager.

Deutschland war über zwei Jahrzehnte führend in der

Gebäudeeffizienz. Die damit verbundene Bauweise und Technologie

vermögen die Balance zwischen Effizienz und Umstieg auf

erneuerbare Energiequellen zu wahren, um die politisch gewollte

und ökologisch notwendige Klimaneutralität bis 2050 im Gebäudebereich

zu erreichen. Wenn wir das Übereinkommen der Weltklimakonferenz

in Paris ernst nehmen, wird das nearly zero energy

building (nZEB) gemäß EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie (EPBD) in

etwa den Passivhaus-Standard aufweisen müssen.

Im Gegensatz zu anderen Sektoren verfügen

wir im Gebäudebereich über ausgereifte

Techniken und Komponenten,

um die definierten Klimaziele zu erreichen

– doch welcher weiterer Entwicklungen

bedarf es, um den nZEB-Standard

im Neubau und in adäquater Form

bei Sanierungsvorhaben in der Breite zu

etablieren? Bei den Effizienzkomponenten

geht es darum, einfacher und nachhaltiger

zu werden. Das entlastet die

Planung und kommt der Wirtschaftlichkeit

spürbar entgegen. Die Gebäudeund

Versorgungstechnik dagegen wird

grundsätzlich neu ausgerichtet werden

müssen, um den Anforderungen der

Energiewende gerecht zu werden.

EFFIZIENZKOMPONENTEN FÜR DIE

GEBÄUDEHÜLLE

Für die Bauteile der Gebäudehülle wurden

in den letzten Jahren viele konstruktiv

und gestalterisch hochwertige Lösungen

mit hoher Energieeffizienz entwickelt, die

zudem das Baubudget längst nicht mehr

über Gebühr zusätzlich belasten. Was

die Dämmung der Außenwände angeht,

liegen die Mehrkosten gegenüber dem

EnEV-Standard bei rund 12 bis 30 € m²/

Wohnfläche (WF), um dem Passivhausniveau

zu entsprechen. Bei der Dachdämmung

hängen die Mehrkosten von

der Geschossigkeit ab, weshalb hier die

Mehrinvestitionen zwischen 5 und 15 €/

50 Strukturen & Akteure


m² Wohnfläche liegen können. Das Gleiche

gilt für die Kellerdecken- oder Bodenplattendämmung

mit 6 bis 18 €/m² WF.

(Ecofys, Schulze Darup 2014)

Passivhaus-Fenster kosteten vor 20

Jahren nahezu das Dreifache von Standardfenstern

– allerdings sind diese

Kosten in den letzten Jahren erheblich

gesunken. Wenn bei der Planung zudem

die Gestaltungsspielräume hinsichtlich

des Fensterflächenanteils und der Wirtschaftlichkeit

der Fensterformate und

Konstruktionen genutzt werden, liegen

die Mehrinvestitionen nur noch bei 5

bis 15 €/m² WF. Die Qualitätssicherung

für Wärmebrücken und Luftdichtheit

erfordert bei erfahrenen Planern kaum

Mehraufwendungen, jedoch können die

Zusatzkosten für unerfahrene Passivhausplaner

am Anfang der Lernkurve durchaus

bei 30 €/m² WF liegen.

Jedes neue und sanierte Bauteil sollte

eine Nutzungsdauer von möglichst 60

Jahren aufweisen. Nur dann lässt sich

behaupten, dass es sich um eine nachhaltige

und zukunftsfähige Konstruktion

handelt. Diese Sichtweise impliziert,

dass die damit verbundenen Effizienzstandards

ebenso zukunftsfähig sind.

Wenn wir also neu bauen oder sanieren,

gilt es, jedes Bauteil energetisch so

gut wie möglich auszuführen. Sonst ist

es eine vertane Chance. Mittelmäßige

Standards bilden ein Dilemma: sie benötigen

vor Ablauf der Nutzungsdauer

eine energetische Ertüchtigung, die auf

keinen Fall unter wirtschaftlich sinnvollen

Rahmenbedingungen möglich ist.

HEIZTECHNIK –

EINFACH & ERNEUERBAR

Die vor uns stehende Energiewende

stellt völlig neue Anforderungen an die

Versorgung von Gebäuden und ganzer

Stadtteile. Der Übergang von fossilen

Energieträgern zu regenerativer, vorrangig

elektrischer Versorgung bedingt die

„Die vor uns stehende Energiewende

stellt völlig neue Anforderungen

an die Versorgung von

Gebäuden und ganzer Stadtteile.

Burkhard Schulze-Darup

Schulze Darup Partner

Zusammenführung erneuerbare Wärme

mit regenerativer Stromgewinnung.

Vereinfacht ausgedrückt: Strombasierte

Techniken in Verbindung mit einer hohen

Arbeitszahl, z. B. durch Wärmepumpen,

reihen sich ganz vorne in der Prioritätenliste

ein. Für den Paradigmenwechsel

bei der Heiztechnik sprechen jedoch noch

ganz andere Gründe: Wenn selbst an kalten

und trüben Wintertagen rechnerisch

15 bis 20 Teelichter ausreichen, um in

einem hocheffizienten Einfamilienhaus

kuschelig warm zu wohnen, steht außer

Zweifel, dass die Heiztechnik verschlankt

werden kann und mit deutlich niedrigerer

Leistung als bisher auskommt.

Außerdem gleicht sich die wohnungsinterne

Energiedichte für Heizen, Warmwasser

und Haushaltsgeräte zunehmend an und

ermöglicht völlig neue synergetische Versorgungssysteme,

die investitions- und

betriebskostenmäßig gegenüber der bisherigen

Gebäudetechnik ein bedeutendes

Einsparpotential bergen. Und so ganz

nebenbei lassen sich auf diese Weise die

bisherigen hohen Verluste bei der Warmwasserbereitung

deutlich senken. Bei der

Heizung sind mit vereinfachten Systemlösungen

15 bis über 40 €/m² WF einzusparen.

Das gilt insbesondere für Wärmepumpenkonzepte,

bei denen neben dem

Aggregat sowohl primärseitig als auch

auf der Heizseite jeweils deutlich kleinere

Lösungen als für den EnEV-Standard

umgesetzt werden können. Es gilt einen

Wettbewerb in der Heizungsbranche zu

initiieren, damit auf diesem wichtigen Feld

zeitnah einfache und innovative Konzepte

auf den Markt kommen.

Strukturen & Akteure 51


1.400 €

1.200 €

Vergleich der monatlichen

Belastung unterschiedlicher

Energiestandards. Der Passivhaus-Standard

und die

Plus-Standards liegen am

günstigsten.

1.000 €

800 €

600 €

400 €

200 €

-0 €

105 €

114 € 114 €

105 €

Hypothek

KfW - Darlehen

Heizung / WW

Strom

Wartungskosten

PV-Anlage

1.028 € 1.048 € 1.040 € 920 €

904 € 942 € 944 €

-200 €

WSVO 90

EnEV 2002 EnEV 2014 KfW EH 40 Passivhaus KfW EH 40 Plus Passiv Plus

Quelle: Ecofys, Schulze Darup 2014 (angepasst)

KOMFORTLÜFTUNG MIT WÄRME-

RÜCKGEWINNUNG – AUF DEM

WEG ZUR WIRTSCHAFTLICHKEIT

Lüftungstechnik reduziert mit optimierter

Wärmerückgewinnung den Heizwärmebedarf

um 20 bis 30 kWh/(m²a). Sie

wird als Komfortlüftung bezeichnet, weil

sie verbesserte Raumlufthygiene in Verbindung

mit hoher Behaglichkeit bringt.

Bisherigen Kosten von 50 bis über 100

€/m²WF stehen heute weitaus günstigere

und damit auch wirtschaftliche Lösungen

ab rund 35 €/m² WF gegenüber.

Das gilt insbesondere, wenn man davon

jene 15 bis 25 €/m² WF abzieht, die es

für eine Abluftanlage zum Erreichen der

DIN 1946-6 ohnehin braucht. Trotzdem

müssen Komfortlüftungssysteme in den

nächsten Jahren noch einfacher und kostengünstiger

werden, um die Akzeptanz

kurzfristig zu fördern. Die Hersteller der

Lüftungssysteme müssen zudem darauf

achten, die Wartungskosten möglichst

niedrig zu halten (Schulze Darup 2018).

KOSTEN & WIRTSCHAFTLICHKEIT

Bauen ist eine gesellschaftliche Aufgabe

mit immer neuen rechtlichen, sozialen

und politischen Rahmenbedingungen.

Zukunftsfähige Gebäude lassen sich nur

dann umsetzen, wenn Funktionalität und

Gestaltung, Nachhaltigkeitsanforderungen

und Baustandards interdisziplinär

und optimal aufeinander abgestimmt

werden. Es gilt diese Anforderungen

regelmäßig zu hinterfragen und einen

offensiven Umgang mit ökonomischen

Anforderungen zu pflegen. Untersuchungen

zeigen die hohe Anzahl von kostentreibenden

Faktoren (BMUB 2015 & Walberg,

Gniechwitz, Halstenberg 2015).

Es ist verwunderlich, dass die geringen

Mehrinvestitionen für energetische Maßnahmen

häufig breit diskutiert werden,

da diese im Vergleich zu beispielhaften

sonstigen Planungsaspekten geringer

ausfallen. Dabei ist dies der einzige Posten,

der zu einer Refinanzierung durch die

Energieeinsparung beiträgt. Das gilt insbesondere

im Zusammenhang mit der Förderung

durch das KfW-Programm Energieeffizient

Bauen, die Effizienzstandards für

Bauherren aus wirtschaftlicher Sicht sehr

attraktiv macht. Zusätzlich können regionale

und kommunale Förderungen ergänzend

das Budget entlasten.

Es lässt sich sehr gut beobachten, wie

seit Jahren eine Parallelverschiebung der

Förderstandards und des EnEV-Anforderungsniveaus

stattgefunden hat: Durch

52 Strukturen & Akteure


die Förderung werden neue Techniken in

den Markt eingeführt und es findet eine

Kostendegression statt, wenn innovative

Komponenten in die Mainstreamfertigung

gehen. Eine Analyse der Kostenentwicklung

für Effizienzkomponenten kommt zu

dem Ergebnis, dass hocheffiziente Bauteile

zunächst deutlich erhöhte Kosten aufweisen.

Sobald sie zum üblichen Standard

werden, passen sich die Preise sehr deutlich

den bisherigen Standardkonstruktionen

an (Ecofys, Schulze Darup 2014).

Insgesamt ist das Bauen preisbereinigt

seit 1990 nicht teurer geworden, obwohl

in dieser Zeit eine deutliche Energieeffizienzsteigerung

der Bauweisen zu verzeichnen

war (Ecofys, Schulze Darup 2014).

Selbstverständlich weisen die Standards

KfW Effizienzhaus 55 / 40 / 40 Plus sowie

Passivhaus Mehrinvestitionen gegenüber

dem EnEV-Standard auf. Bei der Betrachtung

der monatlichen Belastung werden

bei kostenbewusster Planung jedoch ab

dem ersten Monat für die hocheffizienten

Gebäude niedrigere Belastungen erzielt

als für den EnEV-Standard.

Zahlreiche erfahrene Planer weisen

gleichermaßen darauf hin, dass bei einem

Planungsprozess mit dem Ziel hoher

Energieeffizienz oftmals auch ein

kostenoptimiertes Entwurfskonzept

einhergeht. So verringert beispielsweise

ein günstiges A/V-Verhältnis auch

die Baukosten, da so komplexe oder

geometrisch komplizierte Hüllflächen

vermieden werden können. Insofern

verwundert es nicht, dass bei der Analyse

des Einflusses der energetischen Standards

auf die Baukosten im öffentlich geförderten

Wohnungsbau in Hamburg für

KfW EH 40 und Passivhaus-Standard

im Mittel keine Kostenerhöhungen im

Vergleich zu Standardgebäuden nachgewiesen

werden konnten (F+B 2016),

sondern Gebäude im Passivhaus-Standard

im Mittel günstiger lagen als

EnEV-Gebäude. Zum gleichen Ergebnis

kommt eine Studie zum Kostenvergleich

unterschiedlicher Baustandards Wohngebäude

des Amtes für Umweltschutz,

Gewerbeaufsicht und Energie der Stadt

Heidelberg (Bermich 2014), in der 154

Objekte der BKI Datenbank 2009 bis

2013 ausgewertet wurden. Im Ergebnis

liegen die mittleren Baukosten (Kostengruppen

300/400 inkl. MWSt.) bei 2.361

€ pro m² Wohnfläche für Passivhäuser

gegenüber 2.554 €/m² für Gebäude im

EnEV-Standard. In gleicher Quelle wird

nachgewiesen, dass die mittleren Kosten

für die Passivhäuser der Bahnstadt

Heidelberg bei 1.875 €/m² liegen. Die

Spreizung zwischen dem günstigsten

und teuersten Gebäude beträgt allerdings

auch dort 1.096 €/m².

Aus diesen Zahlen lässt sich vor allem

der Schluss ziehen, dass Bauherren

gut beraten sind, wenn sie erfahrene

Passivhaus-Planer beauftragen. Ganz

offensichtlich gibt es einen Zusammenhang

zwischen Effizienzdenken beim

Energiesparen und kosteneffizienter

Gebäudeplanung. Zukunftsfähige Baulösungen

punkten hinsichtlich Komfort

„Bauen ist eine gesellschaftliche

Aufgabe mit immer neuen rechtlichen,

sozialen und politischen

Rahmenbedingungen. Zukunftsfähige

Gebäude lassen sich nur dann

umsetzen, wenn Funktionalität und

Gestaltung, Nachhaltigkeitsanforderungen

und Baustandards interdisziplinär

und optimal aufeinander abgestimmt

werden. Es gilt diese Anforderungen

regelmäßig zu hinterfragen und einen

offensiven Umgang mit ökonomischen

Anforderungen zu pflegen.

Burkhard Schulze-Darup

Schulze Darup Partner

Strukturen & Akteure 53


und Lebenszyklusbetrachtung gleichermaßen,

weshalb sie eine werthaltige

Investition darstellen. Langfristig betrachtet

profitieren Bauherren davon,

da ein übliches, den aktuellen Anforderungen

entsprechendes Gebäude in gut

20 Jahren energetisch zu ertüchtigen

sein wird, während ein hocheffizienter

Energiestandard auch langfristig mit

den Zielen der Energiewende kompatibel

ist. Erschlagend unparteiisch weisen

Kostendaten des Statistischen Bundesamtes

zu den von Bauherren und Architekten

veranschlagten Baukosten nach

DIN 276 zum Zeitpunkt des Bauantrags

nach, dass die Kostenentwicklung nicht

durch die zahlreichen Stufen der Wärmeschutz-

und Energieeinsparverordnung

geprägt wurde, sondern durch andere

Faktoren (DESTATIS 2015).

NATIONALE EFFIZIENZSTAN-

DARDS & ORDNUNGSRECHT

VERSUS FÖRDERUNG?

Es stellt sich daher die Frage: Welche

Rahmenbedingungen braucht es, um

in den nächsten Jahren hocheffiziente

Standards zielgerichtet im Markt zu etablieren?

Erzielen wir die erforderlichen

Klimaschutzstandards durch verschärftes

Ordnungsrecht, durch deutlich erhöhte

Förderung oder den Mix von beidem?

Oder provokativ ausgedrückt: Wie

lange müssen für sukzessive wirtschaftlich

erreichbare Effizienzstandards Steuergelder

oder Klimaschutzfonds bemüht

werden? Brauchen wir Dauerförderung

oder werden die notwendigen Effizienzstandards

schnell erwachsen?

Wir können optimistisch sein: vor der

EnEV-Anpassung 2016 galt die Prognose,

dass in der Breite kaum mehr als der KfW

EH 70 Standard erreichbar sei. Der Markt

belehrte uns eines Besseren: Während

im Jahr 2015 nur 26.000 Wohneinheiten

im Standard KfW EH 55 gebaut wurden,

waren es 2016 bereits 93.000 geförderte

Wohnungen. Tendenz stark steigend.

Obendrein erhöhten sich nach Angaben

der KfW die Standards KfW EH 40 und KfW

EH 40 Plus von 8.200 auf 19.200 Einheiten.

Angesichts der sich verbessernden Effizienz-Komponenten

ist absehbar, dass

ein passivhaus-äquivalenter Standard im

Jahr 2021 marktgängig sein wird. Eine

mögliche Option könnte die verbindliche

Festsetzung solch eines Standards

in Verbindung mit einer Förderung sein,

die in den Folgejahren geplant degressiv

verläuft. Ergänzend kann dabei aus der

erfolgreichen KfW Effizienzhaus 55 Förderung

gelernt werden. Vielleicht lautet

die entscheidende Frage, wie das Förderverfahren

und insbesondere die Berechnungsmodalitäten

vereinfacht werden

können. Ein wichtiger Aspekt ist dabei ein

möglichst einfach gefasstes und dadurch

schnell akzeptiertes und etabliertes Gebäudeenergiegesetzes

(GEG), getreu dem

Motto: „GEG auf drei Seiten!“ Vielleicht

bietet sich an dieser Stelle die Chance für

einen ambitionierten Politikansatz, den

Gap zwischen Anspruch und Wirklichkeit

in der Klimapolitik zu schließen.

Angesichts des Auseinanderdriftens

des hochpreisigen Immobiliensektors

und der erforderlichen Wohnungen im

unteren Kostensegment muss zudem

dringend hinterfragt werden, ob der

Wohnungssektor nicht zusätzlich zur

energetischen KfW-Förderung eine komplementäre

Unterstützung sozialer Aspekte

erhalten muss, bei der auch regionale

Marktunterschiede und berechtigte

Anliegen der Wohnungswirtschaft in die

Förderstruktur einbezogen werden.

GRAUE ENERGIE

& NACHHALTIGKEIT

Mit sinkendem Energiebedarf für das

Betreiben von Gebäuden rückt der Energiebedarf

für die Errichtung und den

späteren Abriss sowie die Entsorgung

vermehrt in den Blickwinkel. Es gilt die

gesamte Produktlinie der Materialien

zu betrachten und die daraus resultie-

54 Strukturen & Akteure


1995

WSchVO

2002

EnEV 2002

2009

EnEv 2009 KfW 70 KfW 55 KfW 40

2016

EnEV 2016 KfW 55 KfW 40 KfW 40plus

2018

EnEV 2018 KfW 40plus KfW 30plus KfW 30premium

2021

EnEV 2021 KfW 30plus KfW 30premium

Außenwand U-Wert 0,30 0,28 0,24 0,22 0,20 ≤ 0,16 ≤ 0,15 ≤ 0,15

Dach U-Wert 0,28 0,26 0,24 0,20 0,14 ≤ 0,12 ≤ 0,12 ≤ 0,12

KG-Decke U-Wert 0,40 0,35 0,30 0,28 0,25 ≤ 0,20 ≤ 0,16 ≤ 0,15

Fenster U-Wert 1,80 1,60 1,30 ≤ 0,9-1,1 ≤ 0,9 ≤ 0,8 ≤ 0,75 ≤ 0,7

Wärmebr. DU WB 0,05 0,05 0,05 0,035 0,02 0,02 0,02

Luftdichtheit n 50 ≤ 3,0 h -1 ≤ 1,5 h -1 ≤ 1,5 h -1 ≤ 1,0 h -1 ≤ 0,8 h -1 ≤ 0,6 h -1 ≤ 0,6 h -1

Lüftung k. A. k. A. Abluftanlagen Zu-/Abluftanlagen mit Wärmerückgewinnung

Heizung/WW % ern. k. A. k. A. ca. 20 % ca. 20 % ≥ 30 % ≥ 40 % ≥ 60 % ≥ 90 %

Strom % ern. k. A. k. A. k. A. k. A. ≥ 20 % ≥ 30 % ≥ 60 % ≥ 80 %

Heizwärmeb. kWh/m²a ca. 110 ca. 90 ca. 70 ca. 50 ca. 30 ca. 15 ≤ 15 ≤ 15

Quelle: Schulze Darup 2018 (angepasst)

Energiestandards

und Förderung

Im oberen Teil wird die Parallelverschiebung

dargestellt,

mit der die EnEV- Standards

über die Jahre erfolgreich

durch die KfW- Förderstandards

vorbereitet wurden. Im

unteren hellgrau hinterlegten

Bereich werden beispielhaft

Gebäudekennwerte zum

Erreichen der Standards

aufgelistet. Grau und dunkelgrau

markiert sind jeweils die

Techniken, die für eine kostengünstige

Fortschreibung

entscheidend waren.

renden Belastungen des ökologischen

Rucksacks zu minimieren. Es ist Aufgabe

der Planer, gesamtheitliche Nachhaltigkeitsbetrachtungen

bei der Auswahl der

Konstruktionen und Materialien anzustellen.

Dazu bedarf es praxisgerechter

Werkzeuge. Ein sehr sinnvoller Ansatz

besteht in der Lebenszyklusanalyse nach

eLCA des BBSR (BBSR). Es wird zukünftig

möglich sein, die Lebenszyklusanalyse

im Zuge der energetischen Berechnung

als zusätzlichen Kennwert nahezu ohne

Mehraufwand zu generieren. Während

bei Bestandsgebäuden die Betriebsaufwendungen

die deutlich dominante Größe

darstellen, erreicht bei einem hocheffizienten

Passivhaus der Aufwand für

die Graue Energie einen Anteil von 20 bis

über 30 %, wenn sie auf die Nutzungszeit

der Bauteile abgeschrieben wird.

Wir sollten nicht davon ausgehen, dass

Gebäude „ihre“ eingebaute Energie im

Laufe ihres Bestehens durch erneuerbare

Energien wieder einfahren müssen.

Ebenso wenig kann unser Baugeschehen

künftig allein auf der Basis nachwachsender

Materialien erfolgen. Also ist es Aufgabe

der Bauindustrie, sukzessive Produkte

mit möglichst geringer Belastung der Umwelt

zu entwickeln und für deren Herstellung

bis spätestens 2050 ausschließlich

regenerative Energien zu nutzen.

WÄRMEWENDE & ERNEUERBARE

PRIMÄRENERGIE (PER)

Die bisherige fossile Energieversorgung

basiert auf Brennstoffen. Entsprechend

einfach lässt sich der Weg von der Energiequelle

zum Ort der Nutzung mit einer

Kennzahl darstellen. Für die wesentlichen

Brennstoffe Öl und Gas beträgt

der Primärenergiefaktor 1,1. Dagegen

wird Strom über den Umweg des Kraftwerks

bereitgestellt, was einen erhöhten

Primärenergiekennwert zur Folge hat,

der in den letzten Jahren aufgrund besserer

Kraftwerkseffizienz und der erneuerbaren

Anteile von 3,0 auf 1,8 gesunken

ist. Der Primärenergiekennwert fossiler

Energieträger wird sich dynamisch weiter

verändern und ist nicht besonders

gut geeignet, zukünftige Entwicklungen

zu beschreiben oder gar zu lenken.

Die künftige erneuerbare Versorgung basiert

auf der Primärseite zu überwiegenden

Teilen auf Strom, der als Primärstrom

vor allem aus Windkraftanlagen und Photovoltaik

stammt. Direkt genutzter Windund

Sonnenstrom weist einen erneuerbaren

Primärenergiefaktor (PER-Faktor) von

1,0 auf und ist zunehmend sehr kostengünstig

verfügbar. Gas muss dagegen aufwendig

mittels Elektrolyse erzeugt werden,

was sich in einem erhöhten PER-Wert von

Strukturen & Akteure 55


z. B. 1,75 niederschlägt (Passivhaus Institut

Darmstadt 2017). Bei Rückverstromung

betragen die Gestehungskosten pro kWh

derzeit etwa 0,25 bis 0,30 €/kWh im Vergleich

zu 0,03 bis 0,12 €/kWh für fossile

und andere erneuerbare Energieträger.

Daraus ergeben sich grundlegend neue

Konstellationen für die Gebäude- und

Versorgungstechnik. Es stehen bei der

Infrastruktur grundlegende Entscheidungen

an, die auf Jahrzehnte hinaus Gültigkeit

haben werden. Wir benötigen zeitnah

die Kriterien für die Wärmewende

mit Regularien der 2030/40er Jahre. Es ist

offensichtlich, dass im Wärmebereich die

effizienteste verfügbare Gebäudetechnik

aktuell vor allem mit der Wärmepumpentechnik

gegeben ist. Kann direkt erzeugter

erneuerbarer Strom – im Idealfall als

Eigenstromnutzung aus dem eigenen Gebäude

oder Quartier – mittels Arbeitszahlen

von 3 bis 4 in Wärme umgewandelt

werden, ist eine sehr hohe erneuerbare

Versorgungseffizienz zu sehr günstigen

Kosten gegeben, die pro Kilowattstunde

Wärmeenergie bei 0,03 bis 0,05 Euro liegt.

Spannend ist aber vor allem die Frage,

wie die Versorgung zu Zeiten ohne Sonne

und Wind funktioniert, also zu Zeiten der

Dunkelflaute im Winter. Kann eine Technik

wie Power to Gas (PtG) die hohen Erwartungen

erfüllen? Es ist noch nicht absehbar,

wie sich diese Technik mittelfristig

mikro- und makroökonomisch darstellt

und ob die Gasnutzung dezentral über

die vorhandenen Netze oder vorrangig

zentral durch GuD-Module erfolgt. Sicher

ist jedoch, dass ein hoher PtG-Anteil zu

deutlichen Kostensteigerungen bei der

Energieversorgung führen würde.

Vor diesem Hintergrund bleibt die Frage,

welcher Gebäudestandard mit den zukünftigen

Systemen am besten kompatibel

ist. Die Antwort ist extrem einfach:

je effizienter die Gebäude, desto kostengünstiger

fallen regionale und nationale

Versorgungsstrukturen aus. Das ist ein

ziemlich gewichtiges Argument für den

3.000.000.000

MWh/a

2.500.000.000

2.000.000.000

1.500.000.000

1.000.000.000

500.000.000

0

2014

2015

2016

2017

2018

2019

2020

2021

2022

2023

2024

2025

2026

2027

2028

Passivhaus-Standard. Ein wesentliches

Qualitätskriterium für Gebäude wird die

minimierte Lastspitze zu Zeiten der Dunkelflaute

sein, eine Art Netzfreundlichkeitsindikator,

um den zweiten redundanten

Kraftwerkspark zu minimieren,

der als teure Reserve für die wenigen

hundert Stunden im Winter bereitstehen

muss, in denen weder Sonne noch Wind

zur Verfügung stehen.

Wenn es also um die Gestaltung von erneuerbaren

Versorgungsstrategien geht,

ist es anachronistisch auf Analysen zur

Entwicklung der fossilen Primärenergie

oder CO2-Reduktion zu setzen. Vielmehr

muss zukünftig vorrangig in der Kategorie

der erneuerbaren Primärenergie gedacht

werden. Nur dann können gestaltende

Aussagen zu den Ressourcen der

Zukunft gemacht und unnötige Verluste

innerhalb des regenerativen Versorgungssystems

minimiert werden.

KLIMANEUTRALITÄT IM GEBÄU-

DEBESTAND – DER WEG UND DIE

VERANTWORTUNG

Wir sind beteiligt, fossile Energieträger

überflüssig zu machen. Wenn wir die Kli-

56 Strukturen & Akteure


Industrie

Verkehr

Strom GHD

WW - Prozessw.GHD

Heizen GHD

Strom Wohngebäude

Warmwasser Wohngebäude

Heizen Wohngebäude

Wertschöpfung

150 - 200 Mrd €/a

Entwicklung in Richtung Klimaneutralität

in Deutschland 2050

Mit Effizienzmaßnahmen müssen 50 bis 60 %

Einsparung erzielt werden. Nur dann kann der

Restbedarf erneuerbar gedeckt werden. Dabei ist

zu berücksichtigen, dass für Lastmanagement und

Speicherverluste 20 bis 40 % zusätzliche erneuerbare

Energien generiert werden müssen.

2029

2030

2031

2032

2033

2034

2035

2036

2037

2038

2039

2040

2041

2042

2043

2044

2045

2046

2047

2048

2049

2050

Quelle: Schulze Darup 2018 (angepasst)

maschutzziele ernst nehmen, wird ein großer

Teil der bereits explorierten fossilen

Brennstoffe nicht mehr genutzt werden

können. Haben Erdöl-Verteilungskriege

demnächst umgekehrte Vorzeichen? Was

geschieht mit den Regionen, in denen

über Jahrzehnte eine Abhängigkeit von ihren

Ölexporten entstanden ist? Die Niedrigpreisphase

hat in mehreren Ländern

bereits deutliche Spuren hinterlassen.

Wie können diese Länder gegensteuern,

wenn die fossile Energieproduktion noch

weiter gedrosselt wird? Und was sind

die Folgeprodukte, um die demnächst

Verteilungskämpfe stattfinden? Sind es

die Rohstoffe für Produkte wie Batterien

oder PV-Module (O´Sullivan, Overland,

Sandalow 2017)? Wie verhält es sich mit

der Verwundbarkeit von Versorgungssystemen

durch Cyber-Angriffe und wie

kann man sich davor schützen? Kurzum:

es besteht dringender Bedarf, frühzeitig

politische Verantwortung für die geopolitischen

Veränderungen zu übernehmen,

um eine win-win-Situation für alle Länder

zu erzielen und künftigen Konflikten bereits

im Entstehen zu begegnen.

Um den Weg der Decarbonierung zu gehen,

müssen alle Länder die Balance zwischen

Energieeinsparung und Erneuerbaren

ausloten und umsetzen. Deutschland

hat aufgrund seiner Rohstoffsituation

und der hohen Bevölkerungsdichte eine

eher ungünstige Ausgangsposition. Auf

der anderen Seite verfügen wir über ein

hohes Maß an Wissen, das es zu nutzen

gilt, um auch anderen Ländern Lösungswege

aufzuzeigen. Im Gebäudebereich

reichen die dargestellten Komponenten

und Techniken aus, um Klimaneutralität

bis 2050 zu erzielen. Dazu muss ab

2021 ein ambitionierter nZEB-Standard

mit Passivhaus-Qualität in der Breite umgesetzt

werden, und zwar bei weitestgehend

erneuerbarer Versorgung der

Gebäude. Die wesentlichen Einsparpotentiale

verbergen sich indes nach wie vor

im Bestand. Wer saniert, sollte ebenfalls

einen hocheffizienten Standard zwischen

20 und 35 kWh/(m²a) für den Heizwärmebedarf

anstreben, wobei denkmalgeschützte

und baukulturell wichtige Gebäude

selbstverständlich auch nach der

Sanierung mehr verbrauchen dürfen.

Uns steht ein ungeheurer Kraftakt bevor,

die aktuelle Sanierungsquote von 1,0 Prozent

auf 1,6 bis 1,8 Prozent zu erhöhen.

Dieser Wert stellt zugleich aus Nachhal-

Strukturen & Akteure 57


„Wir Bauschaffende können einen

großen Beitrag zum Gelingen der

Energiewende beitragen. Zugleich

stellt dieser herausfordernde

Prozess eine Chance dar, unsere gebaute

Umwelt hochwertig weiterzuentwickeln.

Anmerkung

Dieser Artikel ist zusätzlich in der Fachzeitschrift Gebäudeenergieberater

in der Ausgabe vom 07.08.2018

erschienen.

Burkhard Schulze-Darup

Schulze Darup Partner

tigkeitssicht ein Optimum dar, weil die

daraus resultierende Nutzungszeit der

Baukonstruktionen etwa 60 Jahren entspricht.

Als Ergebnis ist in der BRD-Bilanz

eine Energieeinsparung von 50 bis 55 %

bis 2050 erzielbar. Auf dieser Grundlage

ist es möglich, den Restbedarf kostengünstig

regenerativ zu decken. Die Grenzen

der erneuerbaren Ressourcen liegen

nicht in technischen Hürden, sondern

sind in der begrenzt verfügbaren Fläche

zu suchen. Bereits heute wird um Gebiete

für Solar-, Wind- und Biomasseflächen

gerungen. Einen großen Teil der erneuerbaren

Techniken gilt es in die Gebäudeund

Siedlungsstrukturen zu integrieren

und dabei eine hohe gestalterische Qualität

zu erzielen. Die eigentliche Herausforderung

ist eine kulturverträgliche Lösung,

die Belange von Landschaftsschutz,

Stadtplanung und Baukultur gleichermaßen

berücksichtigt.

Wir Bauschaffende können einen großen

Beitrag zum Gelingen der Energiewende

beitragen. Zugleich stellt dieser herausfordernde

Prozess eine Chance dar, unsere

gebaute Umwelt hochwertig weiterzuentwickeln.

Last but not least noch der

Hinweis, dass die Wertschöpfung durch

Effizienz und Erneuerbare bei konsequenter

Umsetzung der Energiewende in

Deutschland 150 bis 200 Mrd. Euro jährlich

betragen wird. Das entspricht zwei bis

drei Millionen Arbeitsplätzen. Diejenigen

Regionen und Akteure werden Gewinner

der Energiewende sein, die bei diesem

Prozess vorneweg gehen und die Erfahrungen

der Best Practice Techniken in der

Folge zu exportieren wissen.

Burkhard Schulze Darup

Schulze Darup & Partner

führt seit 1987 als freischaffender Architekt zahlreiche

Sanierungs- und Neubauprojekte im Sinne

der Ressourceneffizienz und passiver Solararchitektur

mit Passivhaus- und Plusenergie-Komponenten

durch. Er hält Vorträge, gibt Seminare

und arbeitet in Gremien und an zahlreichen

Forschungsprojekten mit.

Kontakt: www.schulze-darup.de

Literatur & Abbildungen

BBSR: eLCA – Werkzeug zur Ermittlung von Lebenszyklusanalysen

von Bauteilen und Gebäuden. – Bundesinstitut für Bau-,

Stadt- und Raumforschung, https://www.bauteileditor.de/

Bermich, Ralf (2014): Kostenvergleich unterschiedlicher Baustandards

Wohngebäude. – Amt für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht

und Energie der Stadt Heidelberg 2014

BMUB, Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen (Hrsg)

(2015): Bericht der Baukostensenkungskommission Berlin 2015

BMVBS (2012): Kosten energierelevanter Bau- und Anlagenteile

bei der energetischen Modernisierung von Wohngebäuden,

Berlin, Juni 2012 (BMVBS-Online-Publikation 07/2012), S. 15

DESTATIS (2015): Vom Bauherren/Architekten veranschlagte

Baukosten nach DIN 276 zum Zeitpunkt des Bauantrags. –

Statistisches Bundesamt 2015 (Daten aufbereitet durch Werner

Eicke-Hennig / Burkhard Schulze Darup)

DGS, Schulze Darup (2015): Klimaschutzszenario – Strategien

zur Klimaneutralität im Gebäudebestand bis 2050. – Im Auftrag

der DGS, gefördert durch das BMUB Berlin 2015

Ecofys, Schulze Darup (2014): Preisentwicklung Gebäudeenergieeffizienz.

– Im Auftrag der DENEFF, Berlin 2014

F+B (2016): Analyse des Einflusses der energetischen Standards

auf die Baukosten im öffentlich geförderten Wohnungsbau. -

Hamburg 2016

O’Sullivan, Overland, Sandalow (2017): The Geopolitics of

Renewable Energy. - Center on Global Energy Policy, Columbia

University, New York 2017

Passivhaus Institut Darmstadt (2017): PER-Faktoren – in: PHPP

(Passivhaus Projektierungs Paket) des Passivhaus Instituts

Darmstadt 2017

Schulze Darup, Burkhard (2018): Wohnungslüftung. – Broschüre

im Auftrag des LfU Bayern, Augsburg 2018

Schulze Darup, Burkhard (2018): Kostengünstiger und zukunftsfähiger

Geschosswohnungsbau im Quartier. – Forschungsvorhaben

in Arbeitsgemeinschaft mit ABG FRANKFURT, BGW

Bielefeld, GEWOBAU Erlangen, GUNDLACH Hannover, HOWOGE

Berlin mit Förderung der DBU (AZ 33119/01-25) Berlin 2018

Walberg, Gniechwitz, Halstenberg (2015): Kostentreiber für

den Wohnungsbau. – ARGE e.V. Bauforschungsbericht Nr. 67

Kiel 2015

58 Strukturen & Akteure


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angehängt wird. Bitte ordnen Sie diese in der Reihenfolge Anschreiben, Lebenslauf und relevante

Zeugnisse.

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Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!


Laura Bremenkamp

Bürgerbeteiligungsprozesse

und

digitale Medien

Von einer digitalen Bürgerbeteiligung durch

das myField- und das Essigfabrik-Projekt

Lefebvre (2010) beschreibt in seinem Werk Recht auf Stadt drei wesentliche

Komponenten: das Recht auf das städtische Gesamtwerk,

auf Aneignung und auf Beteiligung. Letzteres ist unabdingbar für

das Aufbrechen von festgefahrenen Machtstrukturen in Städten,

wie sie beispielsweise von Foucault (1980) oder Flyvbjerg (1998) beschrieben

werden. Doch wie spiegeln sich diese wichtigen, jedoch

schon lang bekannten Erkenntnisse in der heutigen Zeit wider?

Dieser Artikel setzt sich explorativ mit diesen Fragestellungen einer

gerechten Partizipation innerhalb einer hochdigitalisierten Gesellschaft

auseinander, indem Lösungsansätze in Form von zwei next-

Place-Forschungsprojekten aufgezeigt werden.

Digitale Medien haben in der Vergangenheit

bereits immense Beiträge zur

politischen Teilhabe von Menschen geleistet.

Der arabische Frühling im Jahre

2011 ist wohl eins der prominentesten

Beispiele hierfür (vgl. Gerbaudo 2012).

Auch im Kontext der Stadtplanung ist

„Krumholz (ibid.) konstatiert,

dass Planung durch Beteiligung

dazu befähigt wird, historisch

benachteiligten Menschengruppen,

denen häufig nur wenig oder keine

Teilhabemöglichkeiten zur Verfügung

stehen, ein diverses Setting an Entscheidungsmöglichkeiten

zu bieten.

Laura Bremenkamp M.Phil (Cantab.)

nextPlace

die Eignung der sozialen Medien für

Bürgerengagement weit anerkannt (vgl.

Bendor et al. 2012). So können beispielsweise

öffentliche Meinungen innerhalb

von Städten durch Social Media

Elicitation erfasst werden (vgl. Hosseini

et al. 2018).

Diesen Erfolgserlebnissen, bei welchen

es gelang, Machtstrukturen zu

diffundieren, steht jedoch die häufig

genannte Kritik der fehlenden Repräsentativität

von diversen Gesellschaften

gegenüber: Konkret ist damit die

Exklusion von ethnischen Minderheiten

und jüngeren Menschen gemeint (vgl.

ODPM 2002). Es besteht zudem in der

Planungsliteratur ein allgemeiner Konsens

bezüglich dessen. So wird häufig

beschrieben, dass Informationen zwischen

unterschiedlichen demographi-

60 Strukturen & Akteure


Screenshot des sich in

Entwicklung befindlichen

Prototypen der

myField-Anwendung

Abb.1 Quelle : eigene Darstellung (nextPlace)

schen Gruppen ungleich verteilt sind,

was häufig durch ungleiche Machtstrukturen

erklärt wird (vgl. Barton 2002;

Healey und Hillier 2008; Beard und

Sarmiento, 2014). Dies steht im starken

Kontrast zu den Aspirationen von Krumholz

(1982). Krumholz (ibid.) konstatiert,

dass Planung durch Beteiligung dazu

befähigt wird, historisch benachteiligten

Menschengruppen, denen häufig nur

wenig oder keine Teilhabemöglichkeiten

zur Verfügung stehen, ein diverses

Setting an Entscheidungsmöglichkeiten

zu bieten. Digitale Ansätze weisen eine

reale Chance auf, die zuvor genannten

Probleme effektiv anzugehen. Insbesondere

kann die planerische Teilhabe

junger Bevölkerungsgruppen bzw. von

Digital Natives gefördert werden. Die

große Bandbreite bereits bestehender

digitaler Beteiligungsstrukturen, sowie

die beiden nextPlace-Projekte, werden

nachfolgend erörtert.

BETEILIGUNG UND DIGITALE

MEDIEN: SOTA

Es existieren verschiedene digitale Beteiligungsmöglichkeiten.

Zum einen lassen

sich planungsspezifische Applikationen

bzw. Plattformen nennen, welche

sogenannte Public Participatory GIS (vgl.

Krek 2008), Smartphone Apps zur Bürgerbeteiligung

(vgl. Ivkovic et al. o.D.) und

gesonderte E-Partizipationsplattformen

(vgl. Thiel 2017) umfassen. Diese Beteiligungsmethoden

werden häufig der

sogenannten spielerischen Beteiligung

zugeordnet. Komplementär dazu gibt

es traditionelle Gaming-Anwendungen,

welche bisher eher weniger in Stadtentwicklungsprozessen

eingesetzt wurden,

wie beispielsweise Social Gaming oder

Mobile Gaming (vgl. Keating und Sunakawa

2010). Thiel (2015) beschreibt,

dass Gaming-Anwendungen ein hohes

Potential aufweisen, nicht nur einen Initialimpuls

zu liefern, sondern auch als

Partizipationsinstrument während des

gesamten Planungsprozesses genutzt

werden können. Wichtig ist es auch bei

der Bürgerbeteiligung durch digitale

Medien den Aspekt der urbanen Komplexität

zu berücksichtigen, welcher

traditionell beispielsweise in Film und

Literatur exploriert wird (vgl. Gurr und

Raussert 2011; Keating und Sunakawa

2010).

DIE MYFIELD-ANWENDUNG:

MULTIPLE AKTEURE SCHAFFEN

ÖKOLOGISCH NACHHALTIGE

QUARTIERE

Das Projekt myField verortet sich an

der Schnittstelle zwischen den beiden

Bereichen webbasierte Partizipation in

der Raumplanung und Bürgerbeteiligung

an Energie- und Umweltschutzschutzmaßnahmen.

Als web- und geodatenbasiertes

Partizipations-Tool bietet es

Kommunen oder sonstigen Planungs-

Strukturen & Akteure 61


„Thiel (2015) beschreibt, dass

Gaming-Anwendungen ein hohes

Potential aufweisen, nicht nur

einen Initialimpuls zu liefern,

sondern auch als Partizipationsinstrument

während des gesamten Planungsprozesses

genutzt werden können.

Laura Bremenkamp M.Phil (Cantab.)

Um die Nutzungsintensität zu steigern,

soll myField durch eine Gamification,

also durch die bereits erörterten Charakteristika

spielerischer Beteiligung,

geleitet werden. Bei der EntwicklungsmyField

Laufzeit

01.02.2018 - 31.12.2019

Verbundpartner

nextPlace, Universität Bonn

Fördermittelgeber

Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU)

Beteiligte Wissenschaftler*innen

Dipl.-Ing. Benjamin Dally

M.Sc. Kai-Fabian Henning

Dipl.-Ing. Carsten Oldenburg

B.A. Dorina Kranzmann

B.A. Sebastian Kühle

Prof. Dr. Axel Häusler

Prof. Dr. Klaus Greve

träger*innen ein digitales Werkzeug, um

Bürger*innen zu ermächtigen, nachbarschaftliche

Energie- und Umweltschutzvorhaben

gemeinschaftlich zu kommunizieren,

zu evaluieren und umzusetzen.

Dabei zeichnet sich die Anwendung dadurch

aus, dass Kommunen, Bürger*innen,

Institutionen, Ingenieurbüros und

weitere Planungsakteure allesamt über

eine Anwendung gemeinsam agieren.

myField wurde nämlich als Projekt zur

Ermöglichung einer digitalen Teilhabe

für Kommunalverwaltungen als Top-

Down-Ansatz initiiert und trägt damit

zur Digitalisierung und Vernetzung des

bürgerschaftlichen, kommunalen und

unternehmerischen Engagements in

Stadtentwicklungsprozessen und der

Schließung von Informations- und Kommunikationslücken

bei.

umgebung des entwickelten Prototypen

der Anwendung handelt es sich

um die Spiel-Engine Unity (siehe Abb.

1). Konkret lassen sich in dieser Spiele

bzw. Szenarios definieren, die spezifische

Herausforderungen beinhalten.

Ein solches Szenario könnte zum Beispiel

folgende Aufgabe darstellen: „Machen

Sie die Region Nordlippe bis 2030

energieautark!“. Für jedes Szenario sind

konkrete Anforderungen definiert (z.B.

Erhöhung des Anteils erneuerbarer

Energien von 33% auf 100%) und zur

Erfüllung dieser Anforderungen steht

ein konkretes Set der oben bereits eingeführten

Maßnahmen zur Verfügung

(im Szenario Energieautarkie beispielsweise

Maßnahmen der Gewinnung

Erneuerbarer Energie und zur Energieeinsparung).

Ein erfolgreich absolviertes

Szenario lässt sich ebenfalls in

die Cloud-Lösung hochladen oder an

Systemanbieter, Kommune(n) oder zivilgesellschaftlichen

Akteur*innen weiterleiten,

um Beratung hinsichtlich der

weiteren Umsetzung zu erhalten.

62 Strukturen & Akteure


Das Gelände der Essigfabrik

im Deutzer Hafen, Köln

Abb. 2 Quelle : nextPlace

DAS ESSIGFABRIK-PROJEKT:

TRANSFORMATION UND BETEILI-

GUNG IM SPANNUNGSFELD DER

KREATIVWIRTSCHAFT UND DER

DIGITALISIERUNG

Am Forschungsschwerpunkt nextPlace

ist mit dem Essigfabrik-Projekt ab sofort

ein neues, 3-jähriges Forschungsprojekt

verortet, welches sich im Rahmen der

digitalen Bürgerbeteiligung bewegt. In

mehreren Design-Thinking-Zyklen gilt es

hierbei, bis zum Jahr 2022 digitale, kollaborative

Technologien zu entwickeln und

deren Potentiale für eine neue Form der

digitalen, kreativen Kulturwirtschaft zu

erproben. Die Essigfabrik (siehe Abb.

2) ist seit fast 20 Jahren eine Kulturstätte

für Konzerte und Events im Deutzer

Hafen auf der rechtsrheinischen Seite

Kölns. Das gesamte Hafengebiet befindet

sich aktuell in einem städtebaulichen

Entwicklungsprozess vom ehemaligen

Industriehafen zu einem Wohn- und Arbeitsquartier

mit zukünftig etwa 6.900

Einwohner*innen und ca. 6.000 neuen

Arbeitsplätzen. Damit gehört der Deutzer

Hafen zu einem der aktuell größten,

innerstädtischen Stadtentwicklungsprojekte

in Deutschland. Dieser städtebauliche

Transformationsprozess wird zum

Anlass genommen, neue, innovative

Schnittstellen zwischen urbanen Digitalisierungsstrategien,

Stadtentwicklungsprozessen

und einer kommunikativen

Kreativwirtschaft zu erforschen.

Konkret wird beispielsweise der Forschungsfrage

nachgegangen, wie mittels

digitaler Technologien kulturelles Leben

und soziale Interaktion im öffentlichen

Raum gefördert werden kann. Damit einher

geht die Frage des nachhaltigen Nutzens

für Stakeholder eines Stadtentwicklungsprozesses

durch den Einsatz digitaler

Technologien während der verschiedenen

städtebaulichen Prozessphasen der Planung,

Vermarktung und Umsetzung. Es

muss jedoch auch beachtet bzw. erforscht

werden, welche technischen und sozialen

Restriktionen in der Entwicklung geeigneter

Lösungen existieren. Auch ökonomi-

Essigfabrik

Laufzeit

01.03.2019 - 28.02.2022

Verbundpartner

nextPlace, moStar Promotion GmbH

Fördermittelgeber

MWIDE NRW, EFRE.NRW

Beteiligte Wissenschaftler*innen

M.A. Ricarda Jacobi

M.Sc. Christopher Kintrup

Dipl.-Ing. Carsten Oldenburg

Prof. Dr. Axel Häusler

Strukturen & Akteure 63


sche Verwertungsmodelle müssen exploriert

werden. Im Zentrum steht zuletzt

auch die Frage des Programms und der

Aufgaben eines Quartierszentrums der

Zukunft, welches die Herausforderungen

der Digitalisierung für eine smarte, nachhaltige

Stadt mit den für eine gesunde

Nachbarschaft notwendigen Sozial-, Kultur-

und Kreativstrukturen verknüpft.

Anmerkung

Einige Textbausteine für die Abschnitte zum my-

Field- bzw. zum Essigfabrik-Projekt wurden jeweils

aus dem myField-Zwischenbericht von Januar

2019, dem Projektantrag LivingLab Essigfabrik

(Häusler et al. 2019) und dem Essigfabrik-Blogpost

auf der nextPlace-Seite (Bremenkamp 2019)

übernommen.

FAZIT

Laura Bremenkamp

M. Phil. (Cantab.)

nextPlace

Die Auseinandersetzung mit dem Thema

der digitalen Medien im Kontext der

Bürgerbeteiligung im konkreten Zusammenhang

mit den beiden Forschungsprojekten

zeigt, dass Partizipation über

verschiedene digitale Kanäle und methodische

Ansätze passieren kann und

muss. Nur so lassen sich die zu Anfang

erörterten Missstände, allen voran das

Exkludieren bestimmter demographischer

Gruppen, verhindern. Mit myField

und der Essigfabrik wurden im Rahmen

dieser ursprünglichen Problemstellung

zwei unterschiedliche Ansätze aufgezeigt,

Bürgerbeteiligung durch digitale Ansätze

fairer und greifbarer zu machen. Letztlich

lässt sich dazu ergänzen, dass myField

vor allem auf spielerische Komponenten

setzt, während die Essigfabrik Sozialkapital

und Kreativwirtschaft mit dem genannten

Themenkomplex verbindet.

ist die Koordinatorin des Forschungsschwerpunktes next-

Place an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe

(seit 2019). Ihren Bachelor hat sie im Fach Stadtplanung,

ebenfalls an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe,

absolviert. Dabei hat sie auch ein Auslandssemester

an der University of Florida (USA), Partnerhochschule

der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe,

verbracht (2015). Ihren Master im Fach „Planning, Growth

and Regeneration“ hat sie an der University of Cambridge

(UK) abgeschlossen (2018).

Literatur & Abbildungen

Barton, B. (2002): ‘Underlying Concepts and Theoretical Issues in

Public Participation in Resources Development’, in: D.N. Zillman,

A.R. Lucas and G. Pring (2002) (Hrsg.). ‘Human Rights in Natural

Resource Development: Public Participation in the Sustainable

Development of Mining and Energy Resources’, Oxford University

Press, S. 77-120.

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Participation, and Money Politics in Santa Ana (CA)’, Journal of the

American Planning Association, Vol. 80, Nr. 2, S. 168-181.

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There Not to ‘Like’? The Technical Affordances of Sustainability

Deliberations on Facebook’, eJournal of eDemocracy and Open

Government, Vol. 4, Nr. 1, S. 67-88.

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nextplacelab.de/de/neues-projekt-essigfabrik/ (letzter Zugriff:

07.07.2019).

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Practice’ (S. Sampson, Übers.), Morality and Society Series, University

of Chicago Press.

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Other Writings 1972–1977’, Harvester.

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Contemporary Activism’, Pluto Press.

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Americas and Beyond: Representations of Urban Complexity in

Literature and Film’, WVT.

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C. (2019): ‘Zwischenbericht: myField - Ein webbasiertes

Partizipations-Tool zur Simulation und Eigenabschätzung nachbarschaftlicher

Energie- & Umweltschutzvorhaben’, Technische

Hochschule Ostwestfalen-Lippe.

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Planning Theory: Critical Essays in Planning Theory: Volume 3’,

Erste Ausgabe, Routledge.

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Sustainable System Adoption: Socio-Semantic Analysis of Transit

Rider Debates on Social Media’, Sustainable Cities and Society,

Vol. 38, S. 123-136.

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and collaborative plans: Benefits and shortcomings of including

interactivity and gaming into the collaborative urban planning’,

http://beritpiepgras.nl/wp-content/uploads/2013/05/HYBRID_Fun_

games_plans_Final.pdf (letzter Zugriff: 02.02.2019).

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activity and collaboration in complex online gaming worlds’,

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Public Participation’, in: M. Schenk, V.V. Popovich, D. Engelke, P.

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2015”, DOI: 10.1145/2793107.2810282.

Thiel, S.-K. (2017): ‘Let’s play Urban Planner: The use of Game Elements

in Public Participation Platforms’, plaNext - next generation

planning, Vol. 4, S. 58-75.

64 Strukturen & Akteure


Erforschung und

Entwicklung eines

digitalen Quartiersund

Kulturzentrums

im Deutzer Hafen

Siegburger Str. 110, 50679 Köln

livinglab-essigfabrik.eu

gefördert

durch:

Strukturen & Akteure 65


Benjamin Dally

Zivilgesellschaftliches

Engagement für die

Verkehrswende

Bürger entwickeln gemeinschaftlich neue

Lösungen für die Mobilität in Stadt und Land

Der Mobilitätssektor ist in Bewegung: Kommunen und Verkehrsbetriebe,

aber auch private Anbieter, erproben neue Verkehrskonzepte

und Geschäftsmodelle. Aber auch aus der Zivilgesellschaft

heraus entstehen neue Ideen zur Weiterentwicklung des Verkehrssystems:

Bürgerinitiativen entwickeln und erproben neue

Verkehrskonzepte, tragen detaillierte Konzepte zur Stärkung des

Fahrradverkehrs in die politische Arena und tragen auf vielen

weiteren Wegen zu einer nachhaltigen Gestaltung des Verkehrs

bei. Eine Konferenz in Detmold gab die Möglichkeit lokale Projekte

kennenzulernen und stellte die Zusammenarbeit von Kommunen

und Zivilgesellschaft zur Diskussion.

*

natürlich mit unseren Lastenrädern!

Ein Projekt der Peter

Jetzt kostenlos ausleihen: www.dela.bike

66 Strukturen & Akteure

Unsere Stationen:

Gläsel Stiftung - in

Kooperation mit Lippe

im Wandel, dem ADFC


Der Mobilitätssektor stellt Stadt- und

Regionalentwicklung vor gewaltige Herausforderungen:

anders als in anderen

Sektoren sinkt der CO2-Ausstoß nicht

(Umweltbundesamt 2019). Strategien im

Umgang mit Emissionen des Verkehrs,

seien es Lärm-, Feinstaub- oder Stickstoffoxide,

sind umstritten und nicht immer

wirksam. Insbesondere in Großstädten

wird die Frage aufgeworfen, wie viel Verkehr

Städte überhaupt vertragen und ob

das Auto im Konflikt um knappen Stadtraum

nicht zu viel Raum einnimmt. Und

nicht zuletzt ist der Verkehrssektor eine

große Kostenbelastung für die öffentlichen

Haushalte, sowohl was den Erhalt

der Verkehrs-Infrastruktur, ihren klimagerechten

Umbau, aber auch den Betrieb

z.B. des Öffentlichen Verkehrs angeht.

Während der Mobilitätssektor im Wesentlichen

linear seine Trends fortschreibt,

wird der Bedarf nach einem

Trendbruch, einer Verkehrswende, also

immer offensichtlicher. Erfreulicherweise

werden neue Mobilitätkonzepte, die

mittel- oder langfristig das Potential für

eine solche Verkehrswende haben, an

vielen Stellen erprobt, sei es in Pilotprojekte

von Ländern, Kommunen und Verkehrsbetrieben

oder auch als neue digitale

Geschäftsmodelle privater Anbieter.

ZIVILGESELLSCHAFTLICHE

INITIATIVEN FÜR DIE MOBILITÄT

Bürger waren häufig auch über ihre

Rolle als bloße Nachfrager von Verkehrsangeboten

hinaus an der Gestaltung

des Verkehrssystems beteiligt, so prägt

zivilgesellschaftliches Engagement für

oder gegen bestimmte Großprojekte

die öffentliche Debatte dieser Projekte.

Es zeichnet sich jedoch in den letzten

Jahren der Durchbruch für eine neue

Art von Engagement ab, das nicht einfach

nur ein konkretes, klar umrissenes,

professionell geplantes Projekt oder

Angebot verneint (oder bejaht) oder

die Erreichung eines abstrakten, politischen

Ziels wie der Verringerung der

CO2-Emissionen fordert, sondern auf

deutlich konkretere Art und Weise einen

Beitrag zum Mobilitätssystem leistet.

Dies sind zum einen Mobilitätsangebote,

die durch Bürger geschaffen werden:

Während klassische Bürgerbusse oft

durch das ehrenamtliche (Fahr-)Engagement

der Bürger Lücken füllen können,

bauen sie noch stark auf die Infrastruktur

der professionellen Mobilitätsanbieter

auf. Mit dem Aufkommen von

Carsharing-Angeboten seit den frühen

1990er-Jahren (Petersen 1995: 11-15)

und geradezu explosionsartig mit der

Verbreitung digitaler Tools und Geräte

verbreiten sich Sharing-Angebote von

Nutzern für Nutzer. Eine wichtige Rolle

spielen dabei Verleihsysteme von Lastenfahrrädern:

Ausgehend vom Nachbarschaftsprojekt

Kasimir verleiht die

lose organisierte Szene der Freien Lastenräder

inzwischen über 230 Lastenräder

in 87 Städten (Forum freier Lastenräder

2019a), in OWL gibt es Projekte

in Bielefeld (Website Bisela) und – unter

Beteiligung des urbanLab – in Detmold

(Website Dela). Die mit dem Deutschen

Mobilitätspreis ausgezeichnete Bewegung

strebt danach, das Lastenrad als

Autoalternative im städtischen Kontext

„Während der Mobilitätssektor im

Wesentlichen linear seine Trends

fortschreibt, wird der Bedarf nach

einem Trendbruch, einer Verkehrswende,

also immer offensichtlicher. Erfreulicherweise

werden neue Mobilitätkonzepte,

die mittel- oder langfristig das Potential

für eine solche Verkehrswende haben, an

vielen Stellen erprobt, sei es in Pilotprojekte

von Ländern, Kommunen und Verkehrsbetrieben

oder auch als neue digitale

Geschäftsmodelle privater Anbieter.

Benjamin Dally Dipl.-Ing.

nextPlace

Strukturen & Akteure 67


populär zu machen. Aufgrund der Größe

der Angebote, zum Beispiel mit einer

mittleren zweistelligen Anzahl an Rädern

in Hannover oder Berlin, werden sie in

einigen Städten inzwischen als Mobilitätsanbieter

verstanden, wiewohl sie

weiterhin schwerpunktmäßig auf eine

ehrenamtliche Trägerstruktur vertrauen.

An anderer Stelle stoßen die Initiativen

auf Desinteresse (Forum Freier Lastenräder

2019b). Im ländlichen Raum entstehen

mit den sogenannten Dorfautos

– Carsharingangeboten in dörflichen

Strukturen – ähnliche Konzepte und

Trägerstrukturen. Das ostwestfälische

Beispiel des Dorfautos in St.Vit/Kreis Gütersloh

(Website Dorfverein St. Vit) zeigt

eine aktive Kooperation zwischen Kommune/Kreis

und Bürgern/Dorfverein.

Mit ihrem ehrenamtlichen Engagement

springen die zivilgesellschaftlichen Akteure

in eine Lücke, die die klassischen

Mobilitätsakteure auf Grund des hohen

personellen Aufwandes der Angebote,

ihres fehlenden Auftrags oder ihres (wirtschaftlichen)

Desinteresses an neuartigen,

experimentellen Angeboten – möglicherweise

noch ohne Aussicht auf ein

klassisches Geschäftsmodell oder einen

Subventionstopf – entstehen lassen. Die

Bürger jedoch ermöglichen im Kleinen

Experimente für Mobilitätskonzepte und

schaffen Visionen, wie die Mobilitätswende

konkret aussehen könnte.

„Mit ihrem ehrenamtlichen Engagement

springen die zivilgesellschaftlichen

Akteure in

eine Lücke, die die klassischen

Mobilitätsakteure auf Grund des hohen

personellen Aufwandes der Angebote,

ihres fehlenden Auftrags oder ihres

(wirtschaftlichen) Desinteresses an neuartigen,

experimentellen Angeboten [...]

entstehen lassen.

Benjamin Dally Dipl.-Ing.

nextPlace

Den Anspruch, das Mobilitätssystem

sehr konkret mitzugestalten, haben

auch sogenannte Radentscheide, Initiativen

zur Stärkung des Radverkehrs

durch Bürgerentscheide oder Volksbegehren.

Populär geworden durch

den das als erfolgreich eingeschätzten

Volksentscheid Radverkehr in Berlin verbreitet

sich die Idee auch nach Nordrhein-Westfalen

(Website Aufbruch

Fahrrad) und Bielefeld. Gemein ist diesen

Initiativen, dass sie sehr konkrete

Vorgaben machen, so zum Beispiel Ziel

2 (von 11) des Radentscheids Bielefeld:

„(Die Stadt Bielefeld errichtet) pro Jahr

an Hauptstraßen mindestens 5 Kilometer

geschützte Radwege (…), die gleichzeitig

die folgenden Kriterien erfüllen: a)

mindestens 2,3 Meter breit je Richtung,

b) farbig asphaltiert und ohne Absenkungen

an Nebenstraßen und Einfahrten

(…), f) mit Fahrradstraßen und anderen

Radverkehrsanlagen vernetzt“

(Radentscheid Bielefeld 2019).

Auch außerhalb dieser zwei wichtigsten

Kategorien gibt es vielfältige, spannende

Projekte – auch in der Region OWL.

Im Rahmen des Projektes Mobilagenten

beraten Ehrenamtliche Interessierte

zum Öffentlichen Nahverkehr im ländlichen

Raum in den Kreisen Herford und

Minden-Lübbecke; darüber hinaus informieren

sie persönlich in Schulen und

Betrieben und mit Informationsmaterial.

Sie senken damit emotionale und

informationsseitige Einstiegshürden zu

den Autoalternativen (Website Mobilagenten).

Bürgerradwege sind Projekte,

bei denen Bürgerinitiativen mit Spenden

oder Eigenleistungen den Ausbau

des Radwegenetzes vorantreiben, zum

Beispiel bei einem Projekt in Horn-Bad

Meinberg (Kreis Lippe) und Steinheim

(Höxter); Straßen.NRW berichtet von 50

Kommunen, in denen 55 Bürgerradwege

unterstützt wurden (Westfalenblatt

vom 27.06.2018).

68 Strukturen & Akteure


„WIR MÖCHTEN ETWAS BEWEGEN“

– KONFERENZ IN DETMOLD

Als Reaktion auf diese Entwicklung und

zum Abschluss seiner zweijährigen Förderphase

hat die Initiative dela – Detmolder

Lastenrad (vgl. urbanLab Magazin

Nummer #02), ein ehrenamtliches Lastenrad-Sharingangebot

in Trägerschaft

der Peter Gläsel Stiftung/Detmold und

mit dem urbanLab als kooperierendem

Forschungspartner, im Mai 2019 eine

Konferenz organisiert. Unter dem Motto

„Wir möchten etwas bewegen – Mobilität

für die Region von Morgen“ und

unter Beteiligung von vielen der an den

unterschiedlichen Projekten in der Region

Beteiligten diskutierten knapp 50

Teilnehmer aus Zivilgesellschaft, Initiativen,

Kommunen, Forschung und dem

Mobilitätssektor über die zukünftige Bedeutung

zivilgesellschaftlicher Initiativen

für die Mobilität. Keynote-Speakerin Lea

Heinrich von der Zeppelin Universität

wies auf die große Bedeutung von Experimenten

im Mobilitätssektor hin – und

auf die wichtige Rolle, die flexible und

wendige zivilgesellschaftliche Initiativen

damit haben, um neue Angebotsformen

und Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Michael Schem vom Radentscheid in

Bielefeld ging auf die 11 konkret formulierten

Ziele des Radentscheids Bielefeld

ein, auf die kreative Öffentlichkeitsarbeit

der Initiative und das Spannungsfeld

zwischen Konfrontation und Zusammenarbeit

mit der kommunalen Verkehrsplanung.

Christopher Schmiegel vom Kreis

Gütersloh und die Aktiven des Vereins

Dorfaktiv St. Vit hingegen schilderten die

vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der

Entwicklung des Projektes DorfAuto St. Vit.

Die anschließende Workshop-Phase

zeigte die Herausforderungen im Umgang

mit diesen neuen Mobilitätsinitiativen

auf. Die Fortführung des Förderprojektes

dela Lastenrad in Detmold

außerhalb des Förderzeitraums bedarf

einer soliden Finanzierung des laufenden

Betriebs: Während die tägliche Arbeit

des Projektes im Ehrenamt geleistet

wird und sich strukturell auf die am

Förderprojekt beteiligten Institutionen

stützen kann, so müssen Wartungen,

Reparaturen oder gar die Anschaffung

neuer Räder zukünftig im Betrieb „erwirtschaftet“

werden. Eine Erhebung

von Gebühren wird dabei vorerst verworfen,

da der Aufbau einer entsprechenden

Infrastruktur aufgrund der

IT-seitigen, rechtlichen und zahlungsseitigen

Herausforderungen als zu groß erachtet

wird. Alternativ setzt die Initiative

zukünftig auf Spenden und Sponsoring,

und ist optimistisch, dass es auf diese

Weise gelingt, das Projekt zu sichern;

schließlich ist auch das lokale Pendant

BISELA spendenfinanziert. Jedoch zeigt

sich an diesem Beispiel erneut die He-

Strukturen & Akteure 69


rausforderung, die die Überführung

eines Förderprojektes in den Alltag darstellt.

Angesichts der großen Erfolge

des Angebotes, der sich in der hohen

Anzahl an Nutzungen ebenso zeigt wie

an dem Beitrag, den das Projekt zur

Verbreitung in Privatbesitz befindlicher

Lastenräder geleistet hat, ist jedoch

auch die Frage zu stellen, ob es nicht

auch die Aufgabe klassischer kommunaler

Mobilitätsanbieter sein sollte, solche

nicht-klassischen Mobilitätsangebote in

ihr Leistungsspektrum aufzunehmen.

Jeder möchte

etwas bewegen!*

In einem weiteren Workshop zeigte sich

auf, dass es in OWL viele weitere Initiativen,

Einzelpersonen und Institutionen

(z.B. Studierendenvertreter) gibt,

die Interesse am Aufbau eines lokalen

Lastenrad-Sharing-Angebotes haben.

Wesentliche Herausforderungen dabei

sind die Finanzierung, der Betrieb, das

Akquirieren von Verleihstationen und

das Betreiben einer Buchungsplattform.

Unterschiedliche Akteure stehen

dabei vor unterschiedlichen Herausforderungen:

Beispielsweise mangelt es in

einer ostwestfälischen Stadt an einer

interessierten Ausleihstation. Für andere

Akteure ist insbesondere der Betrieb

einer Online-Buchungsplattform

ein Problem: Zwar stellt die bundesweite

Szene der Lastenrad-Sharing-Anbieter

nicht nur eine große Menge an

Informationsmaterial zum Betrieb ei-

nes Sharing-Angebotes bereit, sondern

auch das Web-Buchungstool Commons

Booking (Forum Freier Lastenräder

2019c). Trotzdem stellt der Betrieb

einer solchen Plattform ehrenamtliche

Initiativen ohne versierte IT-Kenntnis

vor Herausforderungen. Eine Lösung

sehen die Beteiligten darin, Ressourcen

in OWL zu bündeln und beispielsweise

in Hinblick auf die Web-Plattformen

zusammenzuarbeiten.

Der Workshop zur Zusammenarbeit

von Kommunen und Mobilitätsinitiativen

mit einer Vielzahl von Akteuren

sehr unterschiedlicher Herkunft zeigt

auf, dass die Zusammenarbeit auch

zukünftig nicht immer reibungslos sein

muss. Zwar bescheinigen kommunale

Vertreter, dass in den zivilgesellschaftlichen

Initiativen oft gute Arbeit geleistet

wird, das insbesondere in den ländlichen

Räumen bestimmte Projekte auch

gar nicht ohne das Ehrenamt leistbar

wären. Jedoch zeigt sich auch, dass

Kommunen insbesondere personell

nicht auf den Dialog mit den Initiativen

oder gar der Umsetzung ambitionierter

Transformationsprojekte der städtischen

Infrastruktur vorbereitet sind.

Zugleich entsteht die Frage nach der

Legitimation zivilgesellschaftlicher Initiativen

oder der tatsächlichen Relevanz

experimenteller Mobilitätsangebote,

die nur einige hundert oder gar nur

einige Dutzend Teilnehmer erreichen.

Kommunen stehen oft haftungsrechtlich,

finanziell und personell vor anderen

Herausforderungen als Vereine

und Initiativen, insbesondere was Experimente

und Modellversuche angeht.

Die Ausgangsvoraussetzungen werden

sich jedoch zum Teil ändern bzw. ändern

müssen, wenn Radentscheide

durch die Bürger positiv beschieden

werden. Es wird spannend sein zu beobachten,

wie kommunale Politik und

kommunale Planung mit den sehr detaillierten

und dann politisch legitimierten

Zielsetzungen umgeht.

70 Strukturen & Akteure


Jeder möchte

etwas bewegen*

dela - Lastenrad für Detmold

dela 1

Station 1

Petersilchen

Wiesenstraße 2

32756 Detmold

dela 2

Station 2

Schröder Non-Food

Büro- und Schulbedarf

Van-Melle-Straße 1

32760 Detmold

dela 3

Hier ausleiHen!

Station 3

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Friedrichstraße 15

32756 Detmold

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Stand: November

dela - Lastenrad für Detmold. Ein Projekt von:

Gefördert durch:


„Angesichts von Klimawandel und

den vielen weiteren Herausforderungen

insbesondere der städtischen

Mobilität hat sich die

Zivilgesellschaft aufgemacht, um eine

Wende im Verkehr zu erreichen.

Benjamin Dally Dipl.-Ing.

nextPlace

FAZIT: ARBEITET ZUSAMMEN!

Angesichts von Klimawandel und den

vielen weiteren Herausforderungen insbesondere

der städtischen Mobilität hat

sich die Zivilgesellschaft aufgemacht, um

eine Wende im Verkehr zu erreichen.

Radentscheide und vergleichbare Initiativen

werden intensiv in der politischen

Arena ausgetragen. Auf der anderen

Seite schaffen Initiativen mit ihren Projekten

neue vorbildliche Angebote oder

zumindest Experimentierräume. Kommunen

sollten in den Dialog mit diesen

zivilgesellschaftlichen Initiativen gehen

um in einen Erfahrungsaustausch einzutreten.

Solche Initiativen können oft

neue Wege beschreiten, die den klassischen

Akteuren versperrt sind; die

Kommunen erwartet daher ein großer

Benefit, wenn sie die Initiativen in beschränktem

Maße finanziell ausstatten

und sie zugleich in die eigenen Aktivitäten

einbinden. Auf Bundes- oder Landesebene

sollte das Augenmerk darauf

liegen, die Entwicklung von Software

oder Plattformen zu unterstützen, die

es lokalen Initiativen erheblich erleichtert,

Sharingangebote oder andere digital

unterstützte Services anzubieten.

Aufgabenträger, Verkehrsbetriebe und

vergleichbare Akteure sollten erwägen,

solche nicht-konventionellen Akteure

miteinzubeziehen. Gemeinsames Interesse

aller Akteure sollte es dabei bleiben,

angebots- und infrastrukturseitige

Alternativen zur Mobilität mit dem privaten

PKW zu konzeptionieren, erproben

und dauerhaft zu betreiben.

Literatur, Abbildungen & Webseiten

Benjamin Dally

Dipl.-Ing.

nextPlace

hat Raumplanung an der TU Dortmund und der Königlich-Technischen

Hochschule, Stockholm, studiert und sich

in seiner Abschlussarbeit mit der Integration von flexiblen

Carsharing-Angeboten in kommunale Verkehrskonzepte

beschäftigt. Seit 2013 arbeitet er an der Hochschule

Ostwestfalen-Lippe, unter anderem für den Forschungsschwerpunkt

urbanLab. Seit 2016 ist er Wissenschaftlicher

Mitarbeiter am Forschungsschwerpunkt nextPlace, der sich

mit „Raum-Zeit-Mustern intelligenter Mobilität“ beschäftigt.

Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Regionalentwicklung

und Mobilität in den ländlichen Räumen.

Aufbruch Fahrrad: (https://www.aufbruch-fahrrad.de/) (letzter

Zugriff: 16.8.2019)

BISELA: (https://bisela.de/) (letzter Zugriff: 16.8.2019)

Brakemeier, Ralf (2018): Erster Spatenstich für neuen Bürgerradweg

zwischen Steinheim und Billerbeck - »Mutmacher, keine

Bedenkenträger«. In: Westfalen-Blatt vom 27.6.2018. Bielefeld

und Onlineressource, https://www.westfalen-blatt.de/OWL/

Kreis-Hoexter/Steinheim/3364404-Erster-Spatenstich-fuer-neuen-Buergerradweg-zwischen-Steinheim-und-Billerbeck-Mutmacher-keine-Bedenkentraeger

(letzter Zugriff: 18.6.2019)

Dorfverein St. Vit: (http://dorfaktiv.de/dorfauto/) (letzter Zugriff:

16.8.2019)

Forum Freier Lastenräder (2019a): Tabellarische Übersicht

aller Initiativen. Onlineressource: http://dein-lastenrad.de/index.

php?title=Tabellarische_%C3%9Cbersicht_aller_Initiativen (letzter

Zugriff: 16.8.2019)

Forum Freier Lastenräder (2019c): Commons Booking.

Onlineressource: (http://dein-lastenrad.de/index.php?title=Commons_Booking)

(letzter Zugriff: 16.8.2019)

Mobilagenten: (https://www.mobilagenten.de/) (letzter Zugriff:

16.8.2019)

Petersen, Markus (1995): Ökonomische Analyse des Carsharings.

Wiesbaden: Deutscher Universitäts-verlag: 11-15

Radentscheid Bielefeld (2019): Die 11 Ziele. Onlineressource:

https://radentscheid-bielefeld.de/ziele (letzter Zugriff: 16.8.2019)

Umweltbundesamt (2019): Emissionen des Verkehrs. Onlineressource:

https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/

emissionen-des-verkehrs#textpart-1 (letzter Zugriff: 16.8.2019)

Mündliche Quellen

Forum Freier Lastenräder (2019b): Protokoll/Dokumentation

der Jahrestagung 2019 in Augsburg. Onlineressource: https://

etherpad.net/p/FFL2019 (letzter Zugriff: 16.8.2019)

72 Strukturen & Akteure


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Quelle : Cykling Uden Alder (2015)

Janine Tüchsen

Radfahrend durch

die Nachbarschaft

Die Initiative Radeln ohne Alter –

Ein Plädoyer für die Einbeziehung

aller im Stadtraum

Mit steigendem Alter und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ist es

nicht selbstverständlich, am Stadtleben teilzunehmen. Selbst die

nahe Umgebung scheint mitunter schwer erreichbar. Wenn durch

Immobilität und Langsamkeit ältere Menschen nicht mehr Teil der

Stadtgesellschaft bleiben, wirkt sich das auch auf ihr urbanes Umfeld

aus. Einerseits ziehen sie sich zurück und erleben dadurch eine

Einschränkung in ihrer Lebensgestaltung. Andererseits verliert der

städtische Kontext an Diversität. Denn einer immer größer werdenden

Bevölkerungsgruppe ist es nur bedingt möglich, das Stadtgeschehen

mitzugestalten. Damit schwinden wertvolle Erinnerungen,

die die Stadt erst zu dem gemacht haben, was sie heute ist.

74 Strukturen & Akteure


DER TREND STADT

Städte scheinen der erwünschte Lebensraum

der Zukunft zu sein. Entsprechend

ist ein stetiges, weltweites Bevölkerungswachstum

in urbanisierten Siedlungsgebieten

zu beobachten. Heutzutage leben

schon 50 Prozent der Weltbevölkerung in

Städten, die Vereinten Nationen kündigen

für 2050 fast 70 Prozent der Gesellschaft

im städtischen Lebensraum an (vgl. Revision

of World Urbanization Prospects,

2018). Für Stadtbewohner bietet dieser

verdichtete Rahmen oftmals eine Vielzahl

an Potentialen. Zum einen ist der Wunsch

nach erleichtertem Zugang zu Wohnraum

(bezahlbar ist eine andere Frage)

und Bildung realistisch, zum anderen sind

aber auch gesundheitliche Einrichtungen

in direkter Nähe und ein gut ausgebautes

Mobilitätssystem in städtischer Umgebung

eher gegeben als auf dem Land.

Dennoch sind die Chancen in einem

konzentrierten und vermeintlich gut ausgebauten

urbanen Kontext nicht für alle

Bevölkerungsgruppen gleich. Doch eine

„sozialverträgliche nachhaltige Stadtentwicklung“

(Breckner, 2018) sollte die Lebensbedingungen

aller Menschen, die

Stadt nutzen und gestalten, berücksichtigen.

Der demografische Wandel und

die variierenden Lebensstile sind gesellschaftliche

Veränderungen, die sich im

Stadtbild widerspiegeln und auch deren

Entwicklung beeinflussen. Umso wichtiger

ist die Entstehung von generationsübergreifenden

Nachbarschaften, in

denen die Bewohner im gegenseitigen

Austausch miteinander stehen. Dieser

Lebensraum bekommt eine besondere

Bedeutung für sozialen Zusammenhalt,

aber auch für die Kultur und die Identität

eines Quartiers. Nur wenn ein Einbeziehen

aller und eine aktive Beteiligung

jeder Bevölkerungsschicht zur Prägung

und Gestaltung des Umfeldes beiträgt,

kann ein lebenswertes und rücksichtnehmendes

Miteinander entstehen. Diese

Einbindung aller Alterssparten und

„Neben dem persönlichen Verlust

der Teilhabe hat auch der städtische

Kontext mit der Abwesenheit

einer ganzen Generation zu kämpfen.

Denn es fehlen nicht nur die älteren

Menschen im Stadtbild, sondern mit ihnen

gehen Erfahrungen verloren – genauso

wie Erinnerungen an vergangene Entwicklungsprozesse

oder bedeutende Ereignisse

sowie eine generelle Kenntnis der Umgebung

und ihrer Geschichten.

Janine Tüchsen Dipl.-Ing. Architektur

Wissenschaftliche Mitarbeiterin TH OWL

die Möglichkeit zur Teilhabe sind Grundvoraussetzungen

für den Erhalt von Besonderheit

und Diversität einer Stadt.

Schon Jane Jacobs schrieb Anfang der

1960er Jahre: „Cities have the capability

of providing something for everybody,

only because, and only when, they are

created by everybody.“ (Jacobs, 1961).

Die vitale Sozialstruktur, auf die sich Jacobs

bezieht, ist die Grundlage für eine

funktionierende Stadtgesellschaft. Doch

gibt es mehrere Gruppen, die Schwierigkeiten

haben ein aktiver Teil ihres Umfeldes

zu bleiben. Oftmals ist es gerade

für die ältere Generation kompliziert, an

dem sie umgebenden Stadtgeschehen

langfristig teilzunehmen. Meist sind es

Einschränkungen in der Bewegung, die

zu einer Inaktivität und einen Rückzug

aus dem Nachbarschaftsgeschehen führen.

Mit dieser Mobilitätsverminderung

geht eine Verringerung der Lebensqualität

einher, die nicht aus eigener Kraft

rückgängig zu machen ist.

Neben dem persönlichen Verlust der

Teilhabe hat auch der städtische Kontext

mit der Abwesenheit einer ganzen

Generation zu kämpfen. Denn es fehlen

nicht nur die älteren Menschen im

Stadtbild, sondern mit ihnen gehen Erfahrungen

verloren – genauso wie Erinnerungen

an vergangene Entwicklungs-

Strukturen & Akteure 75


Aktiv in der

Stadtgesellschaft

Quelle : Cycling Without Age (2018)

prozesse oder bedeutende Ereignisse

sowie eine generelle Kenntnis der Umgebung

und ihrer Geschichten. Um dem

Vorzubeugen hat sich ein Projekt gebildet,

das durch gemeinsames Radfahren

den Stadtraum für alle zugänglich machen

möchte.

RADFAHREN FÜR EIN MITEINANDER

Durch die Initiative Radeln ohne Alter wird

das lokale Umfeld wieder erreichbar. Ehrenamtliche

Ausfahrten mit der Rikscha

machen es den Passagieren, meist Bewohnern

aus Alters- und Pflegeeinrichtungen,

möglich, im Stadtbild wahrgenommen

zu werden und sich gleichzeitig

einzubringen. Sie sind oftmals körperlich

nicht in der Lage, selber aktiv zu werden,

erleben aber bei der Mitfahrt in einer

Rikscha die altbekannte Umgebung von

neuem. Diese Ausfahrten und auch der

dadurch entstehende Dialog sind eine

Bereicherung für die städtische Gemeinschaft.

Denn für Passanten, die Piloten

der Rikscha als auch die Passagiere entstehen

positive Momente des Miteinanders

und des Austausches. So werden

Eindrücke der Fahrt sowie Geschichten,

die Leben und Stadt geprägt haben und

überdies weiterhin beeinflussen, geteilt.

Hierbei nimmt das Ehrenamt eine tragende

Rolle ein: Als Antreiber für eine

gemeinsame, selbst organisierte Ausfahrt

macht das freiwillige Engagement aus Unbekannten

Nachbarn – manchmal entstehen

sogar Freundschaften (vgl. Radeln

ohne Alter, 2018). Die Kommunikation im

Stadtraum wird gestärkt, denn die Aufgabe

der Rikscha-Fahrten besteht darin,

Teil des Stadtraumes zu sein und dort zu

verweilen, nicht aber ihn als Durchgangszone

und reine Bewegungsfläche zu

nutzen. Aufenthaltsbereiche werden so

stärker frequentiert, die gleichzeitig zu einer

intensiven Belebung des öffentlichen

Raumes führen und generationsübergreifende

Formen von Gemeinschaft bilden.

Eine funktionierende Partizipationskultur,

die darauf aufbaut, dass Quartiere von

innen, also von ihren Bewohnern aus, vitalisiert,

geprägt und mitgestaltet werden,

führt zu einer nachhaltigen und lebenswerten

Perspektive für unsere Städte.

Radeln ohne Alter, in Kopenhagen von

Ole Kassow gegründet, ist mittlerweile

eine weltweit agierende Initiative, die

mit Erfolg dazu beiträgt, dass städtische

Nachbarschaften diverser und zugänglich

für alle Generationen werden. Die

Anzahl der Standorte steigt kontinuierlich

– so wird ab September 2019 auch

in Detmold in Zusammenarbeit mit der

St. Elisabeth Stiftung eine Rikscha ältere

Menschen zurück in den öffentlichen

Raum bringen.

Die Vorteile der Integration aller Bevölkerungsgruppen

und Altersstufen sowie

die Wichtigkeit Menschen und ihre Geschichten

im Stadtleben zu verankern,

liegen auf der Hand: Neben der Verbesserung

der persönlichen Lebenssituation

entsteht auch eine lebendige und

einbeziehende Gemeinschaft, die die

Lebensqualität in einer Stadtlandschaft

stärken kann. Städte sind komplexe Konstruktionen,

die unterschiedliche Strukturen,

Ebenen sowie Berührungspunkte

aufweisen. Diese beeinflussen die Umgebung

und das Miteinander, gleichzeitig

können sie auch dadurch jede Nachbarschaft

zu etwas Besonderem machen.

Die gegenwärtige Wandlungsfähigkeit

von Quartieren und ihre Schnelllebigkeit

76 Strukturen & Akteure


bringt viele Vorteile mit sich, überfordert

aber an anderer Stelle zugleich. Entsprechend

ist der Dynamik einer Stadt – gerade

für den Teil der Bevölkerung, der vermeintlich

nicht mehr Schritt halten kann

– eine funktionierende Gemeinschaft

entgegenzusetzen, in der alle ein Recht

auf Stadt (vgl. Lefebvre, 2009) haben

und eine aktive Teilhabe gesichert ist.

Durch scheinbar kleine Gesten wie ein

gemeinsamer Ausflug mit einer Rikscha

können Grundlagen für wertvolle Nachbarschaften

und lebenswerte Quartiere

geschaffen werden. Die Anerkennung

für ehrenamtliche Tätigkeiten sowie

ein kontinuierlicher Austausch und die

Beteiligung aller Bewohnergruppe bei

quartiersbezogenen Entscheidungen

begünstigt eine nachhaltige und ganzheitliche

Stadtentwicklung. Ein Mehrwert

für alle wird geschaffen, der Städte lebendig

hält und die Besonderheiten der

Umgebung unterstreicht.

Janine Tüchsen

Dipl.-Ing. Architektur

TH OWL

Nach Arbeitserfahrungen in verschiedenen Büros (unter anderem RCR Arquitectes

in Olot, Spanien und COBE Architects in Kopenhagen, Dänemark) arbeitet sie als

wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrgebiet Kontextuelles Entwerfen der Detmolder

Schule für Architektur, Innenarchitektur und Stadtplanung. Sie hat weitere

Lehrerfahrungen im Bereich von Workshops und Sommerschulen, aber auch einen

langejährigen Lehrauftrag an der TH Lübeck. Ihre Interessen in der Architektur

gelten vor allem dem Umgang mit der Umgebung und der Erinnerung von Orten.

Literatur & Abbildungen

Breckner, Ingrid (2018): Nachhaltige Stadtentwicklung - Sozialverträglichkeit und Umweltorientierung in

der Stadtentwicklung

Cykling Uden Alder (2015): www.cyklingudenalder.dk/ (letzter Zugriff: 03.07.2017)

Cycling Without Age (2018): www.flickr.com/photos/cyklingudenalder/ (letzter Zugriff: 09.08.2019)

Jacobs, Jane (1961): The Death and Life of Great American Cities (New York, Random House)

Gehl, Jan (2010): Cities for People (Washington DC, Island Press)

Lefebvre, Henri (2009): Le droit à la ville. Anthropos (Paris), S. 108

Radeln ohne Alter: www.radelnohnealter.de/ (letzter Zugriff: 05.08.2019)

St. Elisabeth Stiftung: www.stiftung-sankt-elisabeth.de/seniorenhilfe/ (letzter Zugriff: 26.07.2019)

United Nations - World Urbanization Prospects: The 2018 Revision: www.population.un.org/wup/Publications/Files/WUP2018-KeyFacts.pdf

(letzter Zugriff: 08.08.2019)

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Strukturen & Akteure 77


Catterick Barracks

BIELEFELD


Habsburger Ring

MINDEN

Ilsetal

LEMGO

ZUKUNFTS-

VISION


Prof. Oliver Hall, Marcel Cardinali

Stadt Land Quartier

Erkenntnisse aus dem Studierendenwettbewerb

in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft

der Wohnungswirtschaft OWL

Zum dritten Mal hat das urbanLab einen Studierendenwettbewerb

zu einem relevanten städtebaulichen Thema vorbereitet und

durchgeführt. Der Forschungsschwerpunkt bietet damit regelmäßig

die Möglichkeit an der Schnittstelle zwischen Praxis, Forschung und

Lehre, über studentische Wettbewerbe fundierte Impulse und Bilder

in den öffentlichen Diskurs zu tragen, die durch den Vergleich

von alternativen Planungsszenarien eine ergebnisoffene Debatte

stimulieren. Der Wettbewerb wurde gemeinschaftlich von der

Arbeitsgemeinschaft der Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe

und dem urbanLab, als Forschungsschwerpunkt der Stadt- und Regionalforschung

an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe

in Kooperation mit den Städten Bielefeld, Lemgo und Minden

sowie der OstWestfalenLippe GmbH ausgelobt.

80 Zukunftsvision


ANLASS

Seit einigen Monaten bereitet sich die

Region Ostwestfalen-Lippe (OWL) auf

ihre zweite Regionale vor, die im Jahr

2022 ihre ersten Ergebnisse präsentieren

wird. Die Region möchte mit dem

Strukturförderprogramm unter dem Titel

Das neue UrbanLand gezielt Impulse

für eine lebenswerte räumliche Struktur

im nächsten Jahrzehnt setzen. Mit

dem UrbanLand hat sich OWL vorgenommen,

Wechselwirkungen zwischen

Zentren, Umland und Peripherien zu

nutzen, „um den Menschen aller Altersklassen

eine optimale Verbindung

von Wohnen, Arbeiten und Leben nach

ihren individuellen Wünschen zu bieten:

in großstädtischen Ballungsräumen,

lebenswerten Mittelzentren und landschaftlicher

Idylle mit kleinen Dörfern.“

Die Bewerbungsbroschüre der Regionale

benennt in der Aktionsebene 4

– Das neue Stadt Land Quartier – eine

Vielzahl von Projektansätzen, die sich

mit der Zukunft des Wohnens und Arbeitens

in den Teilräumen Ostwestfalens

beschäftigen werden. „Das neue

Stadt Land Quartier trägt dazu bei, vergleichbare

Lebensverhältnisse in der

ganzen Region zu schaffen, unabhängig

vom Wohnort. Stadt und Land werden

nicht als Gegensätze verstanden, sondern

gehen einen maßstabsübergreifenden,

symbiotischen Dialog ein. Im

neuen Stadt Land Quartier kommen

Menschen zusammen, hier findet Alltag

statt, hier wird eingekauft, hier geht

man in die Kneipe, hier trifft man sich.“

Derzeit werden innovative Projektvorschläge

aus den Kommunen und der

Wohnungswirtschaft gesammelt und

konkretisiert. Für die Aktionsebene

Stadt Land Quartier bedeutet das, sich

sowohl mit den Lebensbedingungen in

den städtischen Quartieren wie auch in

kleinen Dörfern zu beschäftigen, ihren

jeweiligen Qualitäten und Möglichkeiten

vor Ort auf die Spur zu kommen,

landschaftsräumliche Bezüge herauszuarbeiten

und charakteristische Lösungen

für das Wohnen und Arbeiten

zu entwickeln.

Eine Umfrage der Bundesstiftung Baukultur

zeigt deutlich, dass sich knapp

80% der befragten Menschen kleinere

räumliche Einheiten als Wohnort und

Lebensmittelpunkt wünschen, insgesamt

bevorzugen sogar 45% das Leben

in einer ländlichen Gemeinde. Nur etwa

ein Fünftel sucht das Leben in der Großstadt

– und das sind in der Mehrzahl

junge Leute zwischen 18-29 Jahren. Bei

der genannten Umfrage waren finanzielle

und sonstige Rahmenbedingungen

bewusst ausgeklammert. Die Gründe,

warum es trotzdem immer mehr Menschen

in die Städte treibt, liegen also

nicht an den eigenen Wohnwünschen,

sondern gehen vielmehr mit dem Studien-

und Arbeitsplatz sowie mit der

urbanen Infrastruktur und ihren vielfältigen

Nutzungsangeboten einher.

Gleichzeitig verändern sich unsere Arbeitsweisen

sowie unser Konsum- und

Sozialverhalten rasant und damit auch

die Art und Weise, wie wir Stadt nutzen.

Immer mehr Berufsbilder sind nicht

mehr ortsgebunden und können durch

die Digitalisierung jederzeit und überall

arbeiten. Die Anzahl der Wirtschaftszweige

die (wieder) stadtverträglich sind und

mit wenig oder gar ganz ohne Emissionen

auskommen steigt stetig. Die Urbane Produktion

kann somit zum selbstverständlichen

Bestandteil von funktionsgemischten

Quartiersentwicklungen werden.

Der öffentliche Raum, als zwangsläufiger

Treffpunkt bei dem Bedürfnis nach sozialer

Interaktion, Kultur und Freizeitangeboten

sowie den Gütern des täglichen

Bedarfs, wird zunehmend durch Onlineund

On-Demand-Angebote verdrängt.

Hieraus zeichnen sich einige Herausforderungen

für die zukünftige Gestaltung

Zukunftsvision 81


„Es galt zukunftsfähige Quartierskonzepte

zu entwickeln, die den

Wunsch nach einer überschaubaren

Nachbarschaft mit einer urbanen

Infrastruktur und einer entsprechenden

Nutzungsvielfalt in einem stimmigen

Gesamtkonzept verbinden.

Prof. Oliver Hall, Marcel Cardinali

urbanLab

von Quartieren ab, aber auch einige

Potentiale, deutlich kleinere räumliche

Einheiten zu ermöglichen, die gleichzeitig

eine urbane Nutzungsdichte und

einen lebendigen öffentlichen Raum mit

sich bringen.

Nicht zuletzt ist die europäische Stadt

von morgen bereits heute weitgehend

gebaut und erfordert in der Regel innovative

und individuelle Lösungen für

die genannten Herausforderungen im

Bestand. Insbesondere der monotone

Wohnungsbestand der Wiederaufbauzeit

nach dem zweiten Weltkrieg

sowie die freiwerdenden Kasernen in

Ostwestfalen-Lippe sind prominente

Beispiele für die aktuellen Herausforderungen,

denen sich die Akteure auf dem

hiesigen Wohnungsmarkt stellen müssen

und daher in dem studentischen

Wettbewerb, den das urbanLab ausgelobt

hat aufgegriffen werden.

WETTBEWERB

An die Herausforderung des studentischen

Ideenwettbewerbs Stadt Land

Quartier haben sich über 100 Studierende

der Fachrichtungen Stadtplanung,

Architektur und Landschaftsarchitektur

gewagt und ihre Version des Stadt Land

Quartiers ausgearbeitet. In jeder Arbeit

sollte neben dem Gesamtkonzept des

Stadt Land Quartiers jeweils im Vertiefungsbereich

spezifische Themen aus

der Architektur, Stadtplanung oder Landschaftsarchitektur

behandelt werden. Es

galt zukunftsfähige Quartierskonzepte zu

entwickeln, die den Wunsch nach einer

überschaubaren Nachbarschaft mit einer

urbanen Infrastruktur und einer entsprechenden

Nutzungsvielfalt in einem

stimmigen Gesamtkonzept verbinden.

Erwartet wurde ein sensibler Umgang

mit den städtebaulichen Anforderungen

aus der Umgebung, dem vorgefundenen

Gebäudebestand im Plangebiet und einer

möglichen höheren Verdichtung, sowie

die Auseinandersetzung mit den im

Anlass skizzierten Herausforderungen

und Potentialen der aktuellen gesamtgesellschaftlichen

Entwicklungen.

Gefordert war demnach ein Quartiersentwurf

an der Schnittstelle von Stadt

und Landschaft, der die aktuellen Entwicklungen

nutzt, um zukunftsfähige

Lebens- und Arbeitsräume zu schaffen

und dabei gleichzeitig den Wunsch nach

idyllischen ländlichen Räumen aufgreift.

Die Wettbewerbsaufgabe war an drei

unterschiedlichen städtebaulichen Situationen

verortet: Einer Stadtrandlage in

Lemgo mit sanierungsbedürftigem Bestand

aus den 60er Jahren in Form von

Wohnriegeln und einer leerstehenden

Schule; einer innerstädtischen Lage in

Minden mit innenliegender Landschaftsachse;

einer Konversionsfläche in Stadtrandlage

von Bielefeld unweit des Teutoburger

Walds.

Die vorgeschlagenen Standorte zeigen

einerseits exemplarisch den Handlungsdruck

der Wohnungswirtschaft

bezüglich ihres Wohnungsbestands aus

der Nachkriegszeit und andererseits

den Entwicklungsdruck auf Seiten der

Kommunen durch die freiwerdenden

Kasernenstandorte. Für die Studierenden

ergab sich mit den drei Plangebieten

die Chance, zukunftsgerichtete Konzepte

praxisorientiert auszuloten und

einen fachlichen Diskurs mit konkreten

Plänen und Bildern zu unterstützen.

82 Zukunftsvision


Die Wettbewerbsstandorte

Das Plangebiet liegt nordwestlich der

Kernstadt und ist etwa 46 ha groß. Das

Areal weist mit einem typischen Wohnungsmix

aus Einfamilienhäusern und ca.

20 Mehrfamilienhäusern der Wohnbau

Lemgo aus den 60er Jahren sowie einer

aus der Nutzung gefallenen Schule, die typischen

Merkmale einer Siedlungserweiterung

der Nachkriegszeit auf. Neben der

notwendigen Beseitigung der typischen

Mängel dieser Baualtersklasse, drängt

sich die Frage nach einer Aufwertung der

öffentlichen Freiräume sowie die Suche

nach einem Quartiersmittelpunkt auf.

Ilsetal

Lemgo

Das ca. 40 ha große Planungsgebiet liegt

nordwestlich der Kernstadt Mindens

und ist wenige Gehminuten vom Botanischen

Garten entfernt. Das prägende

Element des Plangebiets ist die in Richtung

Nord-Westen verlaufende Landschaftsachse,

die nicht gänzlich überplant,

aber als durchgängige Verbindung

der Parklandschaft bis zur Kernstadt

qualifiziert werden soll. Im südlichen

Bereich der Landschaftsachse befindet

sich Geschosswohnungsbau der GSW

Minden und der Wohnhaus Minden, der

einer Weiterentwicklung bedarf.

Habsburger Ring

Minden

Der Kasernenstandort Catterick Barracks

ist seit 2013 das Hauptquartier der britischen

Streitkräfte. Er befindet sich im

Stadtbezirk Stieghorst und ist nur wenige

Gehminuten vom Stadtteilzentrum

mit einer Bahnhaltestelle entfertn. Die

Fläche des Planungsraums beträgt rund

34 ha. Die Gebäude sind 1934 bis 1935

erbaut worden und größtenteils erhalten

und setzen sich im Wesentlichen

aus Verwaltungs-, Unterkunfts- und Hallengebäuden,

versiegelte Stellflächen

für Fahrzeuge sowie Schule, Kita und

Sportplätze zusammen.

Catterick Barracks

Bielefeld

Vertiefungsbereich Stadtplanung

Vertiefungsbereich Architektur

Vertiefungsbereich Landschaftsarchitektur

Zukunftsvision 83


Foto: urbanLab

Folgende Fragen waren im Rahmen der Wettbewerbsaufgabe

zu beantworten:

Wie sieht ein zukunftsfähiges Stadt Land Quartier am jeweiligen

Standort aus, wenn es durch die Wohnungswirtschaft

getragen als Leuchtturmprojekt für die Regionale 2022

entwickelt wird?

Wie soll dabei mit dem alternden Gebäudebestand der Wohnungswirtschaft

und den Kasernengebäuden umgegangen

werden?

Wie ist der öffentliche Raum zu organisieren, damit dieser

als lebendiger Kristallisationspunkt des Quartiers und

selbstverständlicher Treffpunkt wahrgenommen wird?

Welche Nutzungen muss ein Stadt Land Quartier neben dem

Wohnen bereitstellen?

Wie kann eine angemessene, harmonische Urbanität, eine

Durchmischung von Nutzungen, Lebensstilen und Wohnsituationen

erreicht werden, die gleichzeitig hochqualitative

private Räume und Erholungsangebote bereithält?

Im Ergebnis sind wertvolle Ideenpläne

von jungen angehenden Architekt*innen

und Planer*innen entstanden, die

neue Impulse geben für die Diskussion

um zukünftige Quartiersentwicklungen.

Die Konzepte und inspirierenden

Bilder junger Menschen, die mit ihren

Wertvorstellungen bezüglich Lebensstil,

Fortbewegung und Kommunikation

neue Wege gehen, können den Diskurs

um das drängende Problem der

Wohnraumversorgung, der Transformation

des Bestands bei gleichzeitiger

Sicherung von Natur und Landschaft

unterstützen und bereichern. Aus den

studentischen Arbeiten lassen sich

wichtige Erkenntnisse ableiten, die im

Folgenden dargestellt werden.

Welche städtebauliche Anordnung gilt dabei als vorteilhaft?

Welche Aspekte kann die umliegende Landschaft zu den

einzelnen Anforderungen an das Wohnumfeld beitragen,

sodass ein wahrnehmbares Stadt Land Quartier entsteht?

84 Zukunftsvision


1. NUTZUNGSDICHTE IST DIE

NEUE FORM DER DICHTE

Der Vortrag Edgar Salins mit dem Thema

Urbanität und das aufkommende

Problembewusstsein der neuen Großwohnsiedlungen

führte in den 1960er

und 1970er Jahren zu dem Leitbild Urbanität

durch Dichte und verengte damit

den weitaus umfassenderen Urbanitätsbegriff

Edgar Salins auf das rein

Technische. Bis heute assoziieren nicht

wenige eine städtebauliche Dichte mit

Urbanität, auch wenn das ohne Zweifel

nicht gleichzusetzen ist. Das Thema Urbanität

und Dichte beschäftigt deswegen

auch im Studierendenwettbewerb

viele Verfasser*innen und wird eher

als Atmosphäre verstanden, die durch

Nutzungsangebote und Begegnungsmöglichkeiten

entsteht.

So werden Quartiersentwicklungen

gezeigt, die lebendige und pulsierende

Quartiersplätze zeigen und für die

fußläufige Erreichbarkeit der Angebote

des täglichen Bedarfs sorgen. Mit Hilfe

dichter Innenentwicklung und vertikaler

Nutzungsmischung können so

die umliegenden Landschaftsräume

als wichtiger Bestandteil des menschlichen

Habitats erhalten und qualifiziert

werden. Im Gegensatz zur klassischen

Einfamilienhaussiedlung oder monofunktionalem

Geschosswohnungsbau

können die bestehenden und zukünftigen

Bewohner*innen auf ein attraktives

Wohnumfeld mit diversen Angeboten in

fußläufiger Erreichbarkeit hoffen.

2. DICHTE UND KONZENTRATION

WECHSELN SICH AB MIT FREI-

RAUM UND WEITE

Es zeigt sich, dass der Wunsch urban zu

wohnen nicht gleichzusetzen ist mit dem

Wunsch (groß-) städtisch zu wohnen. Die

studentischen Entwürfe zeigen, dass es

notwendig ist zwischen Dichte und Nutzungsdichte

zu unterscheiden, dass auch

„Es zeigt sich, dass der Wunsch

urban zu wohnen nicht gleichzusetzen

ist mit dem Wunsch (groß-)

städtisch zu wohnen. Die studentischen

Entwürfe zeigen, dass es notwendig

ist zwischen Dichte und Nutzungsdichte

zu unterscheiden, dass auch Angebote des

öffentlichen Raums eine Nutzungsdichte

aufweisen können und dass es bei einer

angemessenen Urbanität um Nutzungen

und Begegnungsmöglichkeiten geht, nicht

so sehr um bauliche Dichte.

Oliver Hall, Marcel Cardinali

urbanLab

Angebote des öffentlichen Raums eine

Nutzungsdichte aufweisen können und

dass es bei einer angemessenen Urbanität

um Nutzungen und Begegnungsmöglichkeiten

geht, nicht so sehr um bauliche

Dichte. Gleichwohl bedingt eine Dichte an

Nutzungen eine gewisse bauliche Dichte,

um genug Nachfrage zu erzeugen, die die

Rentabilität solcher Angebote sicherstellt.

Hier gilt es die richtige Balance zu finden,

die in der Regel dazu führt, dass sich eine

höhere bauliche Dichte mit einer räumlichen

Weite stetig abwechselt.

Eine kleinteilige Verzweigung und eine

stetige Abwechslung zwischen Konzentration

und Weite erzeugt kurze Wege

und einen breiten Zugang zur Landschaft.

Nicht zuletzt ergibt die neue

Vernetzung der Freiflächen eine klare

Ablesbarkeit der neuen Quartiere. Die

mittelalterliche Stadt von vorgestern

wird so zur Blaupause für das Quartier

von übermorgen. Mit der Entwicklung

des Freiraums als ersten Schritt, ist der

Rahmen für die weitere Entwicklung gesetzt.

Umliegende Flächen werden so

wieder in Wert gesetzt und wirken als

Impuls für nachfolgende Maßnahmen.

(siehe Stadt Land Quartier, S. 104, Adrian

Buck, Denice Müller, Bachelor Städtebau,

HTWG Konstanz)

Zukunftsvision 85


„Die dichte kompakte europäische

Stadt findet wieder zu ihren Wurzeln

zurück, gibt dabei der Natur

nicht mehr benötigte Flächen zurück

und schafft so gleichzeitig ein Netz aus

grünen Landschaften, das einen direkten

Zugang in gesundheitsfördernde Naturräume

für das Quartier ermöglicht.

Prof. Oliver Hall, Marcel Cardinali

3. DIE STADT VON VORGESTERN

IST DAS QUARTIER VON ÜBER-

MORGEN

Ehemals weitgehend monofunktionale

Standorte werden zu einem vielschichtigen

und gemischten Stadtquartier, die

auch wieder Raum für immer mehr gewerbliche

Ansiedlungen bieten. Immer

mehr Arbeitsformen stoßen keine Emissionen

mehr aus und ermöglichen die

Renaissance der funktionsgemischten

europäischen Stadt auf Quartiersebene –

ohne Emissionen und mit WLAN Zugang.

Die sortierte funktionsgetrennte Stadt

gehört so zur Vergangenheit. Die Arbeit

kehrt zurück ins Quartier. Die zukünftig

benötigte Fläche für Stadtentwicklung

wird dadurch kleiner. Die dichte kompakte

europäische Stadt findet so wieder

zu ihren Wurzeln zurück, gibt dabei der

Natur nicht mehr benötigte Flächen zurück

und schafft so gleichzeitig ein Netz

aus grünen Landschaften, das einen direkten

Zugang in gesundheitsfördernde

Naturräume für das Quartier ermöglicht.

(siehe Catterick Barracks. Bestand neu interpretiert,

S. 96, Tristan Jack Rath, Vanessa

Nicole Luz, Johannes Nils, Patrick Deneser,

Master Städtebau NRW)

4. SHARING IST EIN WESENT-

LICHER ASPEKT ZUKÜNFTIGER

NACHBARSCHAFTEN

Der Trend Produkte, Verkehrsmittel und

Räume zu teilen, bietet darüber hinaus

zusätzliche Möglichkeiten den Flächenund

Ressourcenanspruch neuer städtebaulicher

Entwicklungen zu minimieren.

Viele Arbeiten demonstrieren mit ihren

Sharingmodellen, wie durch Car-Sharing

beispielsweise Parkplätze eingespart werden,

die mehr Grünanlagen ermöglichen.

Einige der Arbeiten nutzen die städtebauliche

Anordnung um Erschließungsflächen

als Mischflächen zu teilen oder

um Gemeinschaftsgärten im Inneren zu

integrieren. Das Prinzip des Teilens in

Zeiten des kollaborativen Individualismus

und der kreativen Wissensgesellschaft ist

nicht nur zeitgemäß und greift zukünftige

Wohnformen auf, es spart Ressourcen

und erzeugt mehr ökologischen und sozialen

Reichtum. In der Folge kann zudem

ein Wohnumfeld entstehen, welches auf

dem Markt bisher kaum angeboten wird

und auch von ganz anderen Milieus als

den klassischen Häuslebauern nachgefragt

wird. (siehe NetzWERKeln. helfen,austauschen,verbinden,

S.92 Anna Noldus,

Denise Krins, Master Städtebau NRW)

5. DIE HETEROGENISIERUNG DES

WOHNANGEBOTS IN DEN QUAR-

TIEREN STÄRKT DIE GEMEIN-

SCHAFTSBILDUNG

Die Heterogenisierung der Wohnraumangebote

in den studentischen Entwürfen

schafft dabei nicht nur ein neues Wohnangebot

für Wohnraumsuchende, sondern

bietet ebenso die Chance den Wohnungsmarkt

der Kommune zu diversifizieren und

86 Zukunftsvision


Foto: urbanLab

für verschiedene Lebensentwürfe und

Einkommenssituationen zu öffnen. In der

Folge wird das oft beschriebene Problem

der zu großen Eigenheime im Alter und

zu kleinen Geschosswohnungen in Zeiten

der Familiengründung durch neue Angebote

zu einer lokalen Rochade der Wohnungssuchenden.

Die neuen Wohnungsangebote

für ältere Menschen erlauben

es den ansässigen Bewohner*innen, in

angemessenen Wohnraum umzuziehen

und trotzdem in ihrer Heimat zu bleiben.

Damit wiederum stehen jungen Familien

Einfamilienhäuser zur Verfügung, ohne

dass neue Baugebiete für Einfamilienhäuser

ausgewiesen werden müssen. Die

Heterogenisierung der Wohnangebote in

neuen Quartiersentwicklungen ist demnach

in der Lage, dem gesamten lokalen

Wohnungsmarkt eine Dynamik zu geben,

die für eine angemessene Auslastung des

Bestandes und damit schließlich auch

eine gesteigerte Modernisierungsrate

sorgen kann. Nicht zuletzt können damit

Wohnkarrieren im lokalen Markt erfolgen,

die schließlich dafür sorgen, dass

die Fluktuation der Bewohner*innen insgesamt

reduziert wird und damit das Potential

der Gemeinschaftsbildung und der

Identität mit Stadt und Stadtteil erhöht.

Dazu fördern die zufälligen unverfänglichen

Begegnungen mit anderen sozialen

Gruppen den sozialen Zusammenhalt

und dienen dem Abbau von Ängsten und

Vorurteilen. (siehe Stadt Land Quartier, S.

104, Adrian Buck, Denice Müller, Bachelor

Städtebau, HTWG Konstanz)

Das Preisgericht

Rainer Bohne

Geschäftsführer SRL

Ulrich Burmeister

Cordula Fay

Referatsleiterin Stadtentwicklung, Wohnungsbau und Raumordnung, GdW

Dr. Uwe Günther

ehem. Gruppenleitung Nachhaltige, klimagerechte Stadt, Flächen- und Regiona-

lentwicklung und Denkmalpflege im Ministerium für Heimat, Kommunales,

Bau und Gleichstellung des Landes NRW

ehem. Abteilungsleiter Bauministerium NRW (stellv. Juryvorsitz)

Dr. Svenja Haferkamp

VdW-Rheinland Westfalen

Catrin Hedwig

Amtsleiterin Bauamt der Stadt Bielefeld

Prof. Bettina Mons

Professorin für Architektur, Planungstheorie und Projektsteuerung an der

FH Bielefeld

Annette Nothnagel

Regionale Managerin OstWestfalenLippe GmbH und Landschaftarchitektin

Prof. Johannes Ringel (Juryvorsitz)

Direktor des Instituts für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft an der Wirtschaftswissenschaftlichen

Fakultär der Universität Leipzig | Gesellschafter RKW Architektur

Kai Schwartz

Vorsitzender AdW Ostwestfalen-Lippe

Tilmann Teske

Urban Catalyst

Berit Weber

Abteilungsleitung Stadtplanung der Stadt Lemgo

Malte Wittbecker

Bereichsleiter Stadtplanung und Umwelt der Stadt Minden

Hans-Otto Kraus

Förderverein der Bundesstiftung Baukultur

Zukunftsvision 87


Foto: urbanLab

6. ERFOLGREICHE QUARTIERS-

PLANUNG ORIENTIERT SICH AN

DENEN, DIE DA SIND UND AN

DENEN, DIE KOMMEN SOLLEN

Stadtentwicklung ist immer eine Weiterentwicklung

bestehender Strukturen.

Es geht um die Verbesserung

der Stadtstrukturen und damit auch

um eine Verbesserung der Lebensund

Arbeitsqualität der bestehenden

Bewohnerschaft, nicht nur um ein

Auffüllen mit mehr Wohnraum. Stadtreparatur

bedeutet das Schließen

von Angebotslücken, die Verbindung

von Freiraum- und Wegestrukturen.

Gleichzeitig werden so auch attraktive

Standortfaktoren für avisierte Neubürger

und Unternehmen geschaffen.

Für all diese Gruppen und ihre Bedürfnisse

bedarf es einer Wertschätzung.

Auf dieser Grundlage kann im

Anschluss gemeinsam die notwendige

Stadtreparatur und zukunftsfähige

Quartiersgestaltung ausgehandelt und

austariert werden. Es gilt, die Expertise

der bestehenden Akteur*innen über

notwendige Veränderungen mit den

Standortanforderungen derjenigen zu

vereinbaren, die kommen sollen – ob

Einzelhandel, Gewerbetreibende oder

Wohnungssuchende. Es gilt, Stadt und

Quartier gemeinsam zu gestalten. (siehe

Catterick Barracks. Bestand neu interpretiert,

S. 96, Tristan Jack Rath, Vanessa

Nicole Luz, Johannes Nils, Patrick

Deneser, Master Städtebau NRW)

7. DIE MOBILITÄTSKETTE REICHT

VOM ERSTEN BIS ZUM LETZTEN

KILOMETER

Dennoch können nicht alle Zielorte des

Alltags innerhalb des Quartiers verortet

sein. Um die Abhängigkeit vom PKW zu

verringern gilt es, einen möglichst leistungsfähigen

Mobilitätsknoten im Quartier

bereitzuhalten, der in der Lage ist,

die letzten Meter bis zur Wohnung zu

überbrücken. Denn die Einheit für die

Distanz zwischen Zielort A und B wird

in Zeit und nicht in Kilometern angegeben.

In der Folge ist es zur Optimierung

notwendig, die Mobilitätskette vom ersten

bis zum letzten Kilometer zu denken.

Hier helfen die Sharing-Prinzipien

aus den entwickelten Gemeinschaften

ebenso wie moderne Mobilitäts-Hubs,

88 Zukunftsvision


die es erlauben, die gefühlte Entfernung

zur Kernstadt oder dem Arbeitsplatz

auf ein Minimum zu reduzieren. Mit ihren

Arbeiten geben die Studierenden

Hinweise, wie eine effiziente, störungsresistente

Mobilitätskette für derartige

Quartiere aussehen kann, die dem

Komfort des eigenen PKW in Kosten,

Zeit und Störanfälligkeit überlegen sein

kann. (siehe Catterick City, S. 106, Ecem

Besdüz, Laura Kreische, Arthur Spruck,

Bachelor Stadtplanung, TH-OWL)

8. BEWOHNER UND GEBÄUDE

WERDEN VOM KONSUMENTEN

ZUM PRODUZENTEN

Lebensmittel und Energieproduktion in

der Landwirtschaft außerhalb der Stadt

erhalten durch aktive Bewohner und innovative

Gebäudelösungen in der Stadt

eine sinnvolle Ergänzung. Neue technische

Lösungen erlauben einen geringen

Energiebedarf und gleichzeitig die Produktion

von Energie durch beispielsweise

Solaranlagen, Mini-Windkraftanlagen

oder einen klugen Umgang mit Niederschlagswasser.

Die aufgeschlossene klimasensible

Stadtgesellschaft engagiert

„Es gilt, die Expertise der bestehenden

Akteur*innen über notwendige

Veränderungen mit den Standortanforderungen

derjenigen

zu vereinbaren, die kommen sollen – ob

Einzelhandel, Gewerbetreibende oder Wohnungssuchende.

Es gilt, Stadt und Quartier

gemeinsam zu gestalten.

Prof. Oliver Hall, Marcel Cardinali

urbanLab

sich darüber hinaus in Themen wie urban

farming und urban gardening und

nimmt entsprechende Angebote als attraktiven

Standort war. (siehe Greenspired

Dencity, S. 110, Sandra Marin, Master

Architektur, TH-OWL)

RESÜMEE

Die Übersicht aller Arbeiten zeigt, dass

die vorgenannten Erkenntnisse nicht

unabhängig voneinander zu betrachten

sind, sondern sich gegenseitig bedingen.

So bedürfen unter anderem die entwickelten

Sharingkonzepte in den Ent-

Preisverleihung des Studierendenwettbewerbs auf dem 14. Bielefelder Kongress für Stadtentwicklung

Foto: BGW

Zukunftsvision 89


würfen einer gewissen Dichte und für

alternative Mobilitätsangebote bedarf es

konkreter Mobilitäts-Hubs. Die Entwürfe

zeigen außerdem, dass zukünftige Quartiersentwicklungen

eine hohe Nutzungsdichte

aufweisen, die bedingt durch

verschiedene Trends wie Digitalisierung,

Zero Emission und Sharing Economy in

dieser Intensität erst möglich werden.

Ergänzt mit heterogenen Wohnraumangeboten

und einer klaren Vernetzung

mit Kommune und Region bieten diese

Art von Quartieren das Potential wieder

stark frequentierte und lebendige öffentliche

Räume hervorzubringen. Die

Vorzüge der Natur und Landschaftsräume,

die alle Entwicklungsflächen unmittelbar

tangieren, bleiben dabei nur

erhalten, wenn ressourcenschonend mit

Grund und Boden umgegangen wird.

Hierfür sollten zukünftige Quartiersentwicklungen

auf Sharingprinzipien zurückgreifen,

die wiederum nur gelingen

können, wenn sich eine Gemeinschaft

innerhalb der Quartiere entwickelt. Die

Qualität und Notwendigkeit der Naturräume

bleibt dann gesichert, wenn klare

Grenzen für die Quartiersentwicklung

gezogen werden und die Übergänge

zwischen Quartier und Landschaftsraum

qualitätsvoll gestaltet sind.

Um die Chance für neue Quartiere mit

kurzen Wegen und zeitgenössischen Angeboten

zur Infrastruktur und Produktion

zu nutzen, müssen zukünftig stärker

noch die fehlenden Angebote und Bedarfe

des Umfeldes mit bestehenden

Akteuren identifiziert werden. Insbesondere

die Angebote hinsichtlich Mobilität,

Freiraumversorgung, Schule, Arbeit und

die Heterogenität der Wohnangebote

gilt es zu überprüfen und gegeben falls

in Abstimmung mit der lokalen Bevölkerung

zu ergänzen. Im Ergebnis bietet das

Stadt Land Quartier so das Potential Leitlinien

für eine Quartiersentwicklung unabhängig

vom Standort bereitzustellen,

die ein nachhaltiges, resilientes Wachstum

in der Region fördern kann.

Auslober

in Kooperation mit

Stadt Bielefeld Stadt Lemgo Stadt Minden OstWestfalenLippe

GmbH

Oliver Hall

Prof. Dipl.-Ing.

TH OWL, Sprecher urbanLab

Gesellschafter ASTOC Architects and

Planners, Köln

Mit der Gründung von ASTOC 1990 und der Professur

für „Stadtplanung und Städtebauliches Entwerfen“ an der

Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe seit 2003,

ist die Arbeitsweise von Oliver Hall geprägt durch das

Zusammenwirken von Berufspraxis, Forschung und Lehre.

Er ist zudem Sprecher des Forschungsschwerpunktes

„urbanLab“ und beschäftigt sich dort insbesondere mit der

Klein- und Mittelstadtforschung im ländlichen Raum.

Marcel Cardinali

M. Sc. Städtebau

urbanLab

koordiniert als Wissenschaftlicher Mitarbeiter die Forschungs-

und Projektarbeit im urbanLab der Technischen

Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Er beschäftigt sich mit den

Auswirkungen von gebautem Raum auf die menschliche

Umwelt, untersucht die Wechselwirkungen zwischen den

einzelnen Handlungsfeldern in der Stadtplanung und plädiert

für eine soziale Architektur, die ihre Verantwortung für

den menschlich geformten Lebensraum ernst nimmt.

90 Zukunftsvision


Architektur von morgen schon heute entdecken.

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für Studenten

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PALIMPSEST

Zukunftsvision 91


Anna Noldus, Denise Krins

TH Köln - Master Städtebau NRW, Prof. Dipl.-Ing. Christian Moczala, Dipl.-Ing. Dana Kurz M.Sc.

1. Platz 2.000 € Preisgeld

NetzWERKeln

helfen, austauschen, verbinden

Minden

1

Landwirtschaft

Der Landwirtschaftscontainer klärt die Bewohner

des Quartiers über die Möglichkeiten einer

Selbstversorgung auf und ermöglicht, sich mit

Landwirtschaft und deren Produkten auseinanderzusetzen.

Schlussendlich sollen sich die Bewohner

einbringen und sich mit den „eigenen“

Produkten identifizieren.

Anmeldung für die

Feldparzellen

2

Spiel & Sport

Mit generationsübergreifenden Spielgeräten

wird nicht nur körperliche Fitness gefördert. Auch

die soziale, altersunabhängige Durchmischung

innerhalb eines Spielplatzes oder der Sporthalle,

wird vorangetrieben.

Der Container bildet die ideale Plattform zur

Förderung und Entwicklung dieses Gedankenansatzes.

Ideen für den Spie

Sportbereich

werden konkretisiert

3

Neubau

Der Infocontainer für die neue Babauung

vermittelt den Bürgern und Besuchern des

Quartiers das Konzept ``Wohnen für Hilfe``.

(Näheres unter Entwurf)

Ide

Wo

gen

Wo

Stud

Containerstandorte

Aufstellung der Container

und Bürgerfest

Bürgerhaus/

Quartierszentrum

Frühling 2019 Sommer 2019

4

Der Bürgercontainer befindet sich in der

vorhandenen Bebauung. Er zeigt den späteren

Standort des Bürgerhauses und ist

zugleich Informationsstandort.

Bürgerbeteiligung

mit

Workshops

Herbst 2019 Winter 2

Bottom Up Container als Initialzündung der räumlich und sozia

92 Zukunftsvision - Wettbewerbsergebnisse


BEURTEILUNG

Das Projekt überzeugt insbesondere

mit seinem partizipativen Ansatz zur

Integration aktueller und zukünftiger

Bewohner und seiner konsequenten

Umsetzung eines der demografischen

Situation angepassten zukunftsfähigen

Zielgruppenkonzeptes. Von der Analyse

bis zur Umsetzung beschäftigt sich

der Vorschlag mit der älter werdenden

Gesellschaft und der Organisation des

Zusammenlebens verschiedener Generationen

im Quartier. Der Entwurf erfüllt

damit in anschaulicher Weise, wie

lebenswerte Stadtteile mit und für die

Bewohner entwickelt werden können.

Die behutsam geplante Weiterentwicklung

des Wohnungsbestandes passt

sich der stadträumlichen Situation an

und schafft einen schlüssigen Übergang

zwischen der bestehenden Wohnbebauung

und dem Grünflächenzug.

Sie schafft damit eine Ergänzung zum

Bestand, ohne diesen städtebaulich zu

dominieren. Die Qualitäten der Freiflächen

bleiben den jetzigen Bewohnern

zugänglich und werden durch die Neuqualifizierung

darüber hinaus attraktiver.

Insgesamt ist der Wettbewerbsbeitrag

ein schlüssiges, realisierbares

Projekt, in dem sich Antworten auf die

Anforderungen zukünftiger Quartiersentwicklung

finden.

Städtebauliche Einbindung M 1:2000

die Felder werden

bestellt

SoLawi

„jeder packt

mit an“

Erntedankfest

Jetzt ist der Zeitpunkt

Mitglied zu werden in

der SoLawi

Aktionen ganzjährig:

Jahreszeitenfeste/ Hoffeste

SoLawi-Picknick

Baumpflanzaktionen

Erntedank-Fest

Wildkräuterwanderungen

Gemüsekiste

l- und

Aktionen ganzjährig:

Spiel ohne Ranzen,

Inlinerkurs,

Fahrrad-Führerschein,

Naturlehrpfad

Fitness-Kurse

Baubeginn

Spielplatz

Baubeginn Sportbereich

Fertigstellung

Parkanlage

enfindung:

hnung für Hilfe, Mehrerationen-Wohnen;

hnungsbau mit

enten;

Aktionen ganzjährig:

Repair-Cafe,

Hausaufgabenhilfe,

Fahrrad reparieren,

Bingoabend,

Schachtunier

Baubeginn

Wohnungsbau

Bürgerbeteiligung

Baubeginn

Bürgerhaus

Aktionen ganzjährig:

Spielenachmittag,

Treffen,

Bürgerinitiative

Fertigstellung

Bürgerhaus

019 Frühling 2020 Sommer 2020 Herbst 2020 Sommer 2021

len Entwicklung

Konzept

Konzeptgrafik

Wettbewerbsergebnisse - Zukunftsvision 93


und südlich aus drei bis viergeschossiger Zeilenbebauung besteht.

Innerhalb des Quartiers selbst existieren keine Einrichtungen zur

Nahversorgung, direkt angrenzend ist ausreichend Angebot von

Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs vorhanden.

1 Geschossig

2 Geschossig

3-4 Geschossig

6-8 Geschossig

SP 181269

Hochschule mit

Wohnungsbedarf

Analyse der Baustruktur M 1:5000

Aktivitäszentrum

Altenheime

Berufsschulen

+ beruf. Weiterbildung

Fachhochschule

soziale und bildende

Einrichtungen M 1:5000

Innerhalb des Neubau-Komplexes entstehen unterschiedliche

Bereiche. Beispielsweise Wohnfläche für

Studenten/ Auszubildende und Senioren, die innerhalb

eines Gebäudes liegen und gegenseitige Förderung

anregt. Auch Mehrgenerationenhäuser und

eine quartierseigene Werkstatt tragen zum Gemeinschaftsgedanken

bei.

Altersgruppen

2012 2030

65 +

20 - 65

0 - 20

Bevölkerungsprognose Kreis Minden-Lübbecke bis 2030

Parkfläche wird teilweise in Tiefgaragen untergebracht.

Gewonnene, unversiegelte Flächen dienen

als Spielplatz, Erholungs- und Gartenfläche. Mit Coworking

werden temporär notwendige Arbeitsplätze

geschaffen und den Quartiersbewohnern zur Verfügung

gestellt.

1 Erkennen und sichern bestehender

nutzbarer Grünräume

Nutzungsverteilung

Analyse Grünstruktur

2 Verbindung und Erweiterung der Grünräume

durch Entwicklung von Potenzialflächen

3 Ergänzung städtebauliches Gewebe 4 Grünstruktur Verbinden

Freiraumverteilung

Analysen

Analyse

Spielplatz

Rasenhügel

U3-Bereich

Goethe Park

Rasenhügel

Blumenwiese

Baumgruppe

Radweg

Rasenhügel

Container

Spiel und Sport

2

Sanierung der

vorhandenen Spielfläche

Obstbaumwiese

Park Erweiterung

Spielplatz

Feldparzellen

Kletterfelsen

Solidarische Landwirtschaft

1

Multifunktionssportfläche

Rasenhügel

Container

Landwirtschaft

Bienenweide

Gemeinschaftshof

Kita

Hoflanden

mit Erntelager

3

Einfahrt Tiefgarage

Rasenhügel

Einfahrt Tiefgarage

Gemeinschaftshof

Mennoniten Kirche

Neues Zentrum

Container

Quartier/ Bürgerhaus

Bürgerhaus

4

Lageplan M 1:1000

Kletterfelsen

Balancierbalken

Wildblumenwiese

Parkanlage

1

Landwirtschaft/ Parkerweiterung

Um eine bessere Identifikation mit Grünflächen, der Landwirtschaft und deren

Produkten zu erreichen, entsteht eine entsprechende Fläche innerhalb des

Quartiers. Hier entstehen Möglichkeiten, sich mit der Landwirtschaft auseinanderzusetzen.

Diverse Aktionen, wie der Bau von Insektenhotels, die Übernahme

von Baumpatenschaften oder der kleinteiliger Anbau von Obst und Gemüse

stärken das ökologische Verständnis. Ökologische Fragestellungen können

„hautnah“ erlebt und sogar gelebt werden. Ähnlich des Siedlungsgedankens

aus den 1950er Jahren ensteht durch die Selbstversorgung ein starker Zusammenhalt

der Bewohner untereinander.

Die Parkfläche wird behutsam mit heimischen Gehölzen, Wildblumenwiesen als

Lebensraum für Bienen und mit einer durchgängigen Fahrradtrasse so erweitert,

dass nicht nur eine Vernetzung innerhalb des Quartiers stattfinden kann,

sondern auch eine bestehende Fahrradtrasse im Osten des Plangebiets angeschlossen

wird.

Solidarische Landwirtschaft

Streuobstwiese

2

Spiel und Sport

Körperliche Gesundheit und Fitness sind entscheidende Faktoren für das

Wohlbefinden vieler Menschen. Daher sollen die Bewohner des Quartiers bei

einer großen Auswahl an Spiel- und Sportgeräten mitentscheiden dürfen,

wie ihr zukünftiges Erholungsgebiet gestaltet wird.

3

Neubau

Durch Gemeinschaftsprojekte und Bürgerbeteiligungen sollen Ideen herausgearbeitet

und zukünftige Nutzungen der Flächen neu definiert werden.

Durch den stetigen Wegzug von jüngeren Menschen aus den ländlichen

Regionen lösen sich meist alte Familienstrukturen auf. Wo früher noch ältere

Mitmenschen durch Verwandte gepflegt wurden, ist heute das Leben in

Einfamilienhäusern mit maximal zwei Generationen vorzufinden. Andererseits

können Auszubildende und Studierende sich kaum noch bezahlbaren

Wohnraum leisten.

Abhilfe schaffen neue Wohnkonzepte, bei denen junge Erwachsene zu Personen

ziehen, die mit einem „leeren Nest“ ungenutzen Wohnraum vorhalten.

Mit dem Konzept „Wohnen für Hilfe“, das bereits in einigen deutschen

Städten Anklang fand, profitieren beide Seiten und kann auch in Minden

die Wohnraumsituation verbessern.

Dabei begenen sich junge und hilfebedürftige Menschen, bilden ein soziales

Gefüge und stärken somit auch die Quartiersgemeinschaft.

4

Quartieszentrum/ Bürgerhaus

Dieser Container findet später im Quartier sein steinernes Äquivalent. An zentraler

Stelle wird ein multifunktionaler Gemeinschaftsraum errichtet. Bis der Begegnungsort

erstellt wird, übernimmt der Container diese zentrale Funktionen in dem

sich entwickelnden Quartier.

Entwurf

94 Zukunftsvision - Wettbewerbsergebnisse

Entwurf M 1:1000 (i.O.)


Parkperspektive

Parkerweiterung

Spielplatz

Container

Spiel und Sport

Multifunktionssportfläche

darische Landwirtschaft

extensive

Dachbegrünung

Gemeinschaftshof

Radweg

Hoflanden

mit Erntelager

Werkstatt

extensive

Dachbegrünung

Gemeinschaftshof

Rasen

Tiefgaragen-

Einfahrt

Wasserbecken

Spielfläche

Eingang

mit Fahrradständer

Tiefgaragen-

Einfahrt

Südterrassen

Wettbewerbsergebnisse

Vertiefungsbereich

- Zukunftsvision

M 1:500 (i.O.)

95


Tristan Jack Rath, Vanessa Nicola Luz, Johannes Nils Patrick Deneser

TH Köln - Master Städtebau NRW, Prof. Dipl.-Ing. Christian Moczala, Dipl.-Ing. Dana Kurz M.Sc.

2. Platz 1.400 € Preisgeld

Catterick Barracks.

Bestand neu interpretiert

Bielefeld

Sitzinsel

Bühne

In

Grundriss Musterwohnung

Perspektive

BEURTEILUNG

Die Verfasser formulieren eine sensible

Strategie, die den Besonderheiten eines

jahrzehntelang abgeschlossenen Kasernenareals

Rechnung trägt und mit der

glaubhaft, schrittweise ein städtebaulich

gemischtes und lebendiges Quartier

entstehen kann. Das Preisgericht begrüßt

den Umgang mit den Bestandsgebäuden

und den naturräumlichen

Rahmenbedingungen. Darüber hinaus

überzeugt die konzeptionelle Einbindung

und das vielfältige Raumangebot

für die künftigen Bewohner – ob Studierende,

Familien, Kreative oder Unternehmer.

Der städtebauliche Entwurf

der Verfasser wird vom Preisgericht

zwar als ausbaufähig bewertet, insgesamt

wertet das Preisgericht die Arbeit

aber weniger als Endergebnis, sondern

vielmehr als einen Standpunkt für einen

Prozess der Aneignung eines städtischen

Potentialraumes. Der Wettbewerbsbeitrag

zeigt anschaulich, welches

Potential in dem Areal steckt, insbesondere

für die junge und agile Szene der

Wissenschaftsstadt Bielefeld.

Basketball

96 Zukunftsvision - Wettbewerbsergebnisse


fo Point

Café

Saal

Ausstellung

Maker Space

Fahrrad

Werkstatt

Mobile Küche

Trödelmarkt

Garten Container

Urban Gardening

Tischtennis

Skaten

Fussball

Vertiefungsbereich M 1:500 (i.O.)


ZIELE:

RÜCKGEWINNUNG DES RAUMES

CHARAKTER ERHALTEN UND STÄRKEN

GRÜNRAUM VERNETZEN

WEITERE VERSIEGELUNG VERHINDERN

PHASE 1:

AKZEPTANZ SCHAFFEN

PROZESSHAFTE INTERVENTIONEN

IM ÖFFENTLICHEN RAUM UM INTERESSE

AUF- UND HEMMUNGEN ABZUBAUEN

PHASE 2:

BAULICHE AUFWERTUNG

ABGÄNIGE GEBÄUDE ZURÜCKBAUEN

ERHALTENSWERTEN BESTAND UMNUTZEN UND

SENSIBEL ERGÄNZEN

a. ZÄUNE AUFBRECHEN

GEBIET FÜR DIE ALLGEMEINHEIT ÖFFENEN

a. BESTAND (UM-)NUTZEN

WEGESTRUKTUR, BAUFELDER UND BAUMBESTAND

ERHALTEN UND SENSIBEL ERGÄNZEN

b. PIONIERQUARTIER

AUFTAKTRAUM IM BESTAND BESTIMMEN

b. STADT- UND FREIRÄUME BILDEN

NUR BEREITS VERSIEGELTE FLÄCHEN BEBAUUEN

UND GRÜNBAND VERNETZEN

c. RÄUME BELEBEN!

INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM

c. RÄUME SCHAFFEN

BESTAND KLASSIFIZIEREN UND DIFFERENZIERT

SOZIALVERTRÄGLICH ERGÄNZEN

Konzeptgrafik

Mitmachhof

Genossenschaft

Villa-Urbaine

Baugruppen

Veranstaltungshallen

Handwerkshöfe

Genossenschaft

Stadthäuser

gef. Wohnungsbau

Historienhaus

Sportcampus

Bildungsband

Hofhäuser

Genossenschaft

KiTa

Q1

MIXED-USE

Vertikaler Kiez

freifinanziert

Wohnen am Park

Baugruppe

Mobility HUB

Ideenräume

Pionierquartier

"Hofladen"

Markthalle

Mehrgenerationen

Wohnen

Stadtlabor

Ideenschmiede

Coworking Space

WORK&LIFE

Genossenschaft

Kulturzentrum

Nutzungskonzept

98 Zukunftsvision - Wettbewerbsergebnisse


19 13 20

Entwurf M 1:1000 (i.O.)

1 GESCHOSSIG

2 GESCHOSSIG

3 GESCHOSSIG

4 GESCHOSSIG

5 GESCHOSSIG

>5 GESCHOSSIG

60 %

WOHNEN

30 %

10 %

KULTUR

ARBEITEN SPORT

FREIZEIT BILDUNG

SOZIALES

VERSORGUNG

Kenndaten

K

FREI UND GRÜNFLÄCHEN

93.000 qm

ÜBERBAUTE FLÄCHE

63.000 qm

BGF GESAMT

230.000 qm

NUTZUNGSMISCHUNG

WOHNEN 138.000 qm

ARBEITEN... 69.000qm

KULTUR... 23.000 qm

Info Point

rtiefungsbereich

ischenstand

Dekompositionen

Wettbewerbsergebnisse - Zukunftsvision 99


Emine Baykus, Alexandra Garbar, Annalena Grobbel

TH Köln - Master Städtebau NRW, Prof. Dipl.-Ing. Christian Moczala, Dipl.-Ing. Dana Kurz M.Sc.

3. Platz 800 € Preisgeld

Genossenschaft 2.0

participation, connectivity & mixture

Minden

BEURTEILUNG

Die Arbeit Genossenschaft 2.0 überzeugt

insbesondere durch ihre behutsame

Berücksichtigung und Analyse

der Ausgangssituation. Der Fokus des

Konzeptes richtet sich auf die Entwicklung

des Wohnungsbestandes und dem

Wohnungsneubau an einigen wenigen

Stellen des Quartiers. Diese umfassende

Bestands- und Bedarfsanalyse

ist die Grundlage für ein Konzept, das

aus Sicht der Jury für den Standort besonders

tragfähig und zukunftsweisend

ist. Das Konzept greift die bestehenden

Strukturen und Akteursnetzwerke auf,

entwickelt diese fort und begreift das

genossenschaftliche Modell als einen

nachhaltigen Ansatz in der Quartiersentwicklung.

Das gelungene mehrstufige

Entwicklungskonzept sieht zunächst

informelle Beteiligungsverfahren und

einen im Prozess fortschreitenden

Grad der Formalisierung vor. Dabei

bleiben sowohl Konzept als auch bauliche

Module so flexibel, dass auf veränderte

Rahmenbedingungen jederzeit

Rücksicht genommen werden kann.

Insgesamt wird die Arbeit als beispielhaftes

Konzept zur Weiterentwicklung

des genossenschaftlichen Gedankens

gewürdigt. Allerdings werden sowohl

städtebauliche als auch freiraumplanerische

Entwicklungsmöglichkeiten im

restlichen Plangebiet nicht genutzt.

100 Zukunftsvision - Wettbewerbsergebnisse


Analysen

Perspektive

Entwurf M 1:1000 (i.O.)

Wettbewerbsergebnisse - Zukunftsvision 101


Entwicklungsstufen

Städtebauliche Einbindung

102 Zukunftsvision - Wettbewerbsergebnisse


Umsetzungsstrategie

Perspektive

Wettbewerbsergebnisse - Zukunftsvision 103


GSEducationalVersion

GSEducationalVersion

Mittellandkanal

Grünverbindung

Goethepark

Adrian Buck, Denice Müller

HTWG Konstanz, Bachelor Städtebau, Prof. Leonhard Schenk

Ankauf 300 € Preisgeld

Spiel- und Sportpark

Angrenzender Sportplatz

Auftaktpark mit Spielplatz

privates Grün

Stadt Land Quartier

Minden

Grünbezüge

Freiflächen

Städtebauliche Einbindung

BEURTEILUNG

Baugemeinschaft

Baugemeinschaft

Baugemeinschaft

Mischung: freifinanzierter, Mischung: freifinanzierter,

Das stabile städtebauliche Gerüst der

sozialer Wohnungsbau,

Frühzeitige Mischung: freifinanzierter,

Anregung von

sozialer Wohnungsbau,

Baugemeinschaften

Information sozialer Wohnungsbau, Frühzeitige Frühzeitige

Bürgerbeteiligung

Information

konzept

über Vorhaben

Baugemeinschaften

Information

Baugemeinschaften

Arbeit Baugenossenschaft überzeugt durch

Baugenossenschaft

die gelungene

über Vorhaben

Baugenossenschaft

freifinanzierter Wohnungsbau

freifinanzierter Wohnungsbau

Verbindung des Grünzuges vom Mittellandkanal

zum Botanischen Garten, die

Vorhabenseite

im Internet,

allen Seiten

Initiierung von

Vorhaben-

freifinanzierter Wohnungsbau

Stadtblatt, Presse

möglich

Beschluss zur

Vorhabenseite

im Internet,

Durchführung:

Gemeinderat

durch ihren modular ausgearbeiteten

Stadtblatt, Presse

Funktionsmix hohes Aneignungspotential

durch die anliegende Bewohnerschaft

ggf. Koordinations-

Beiräte,

Verwaltung

Bürgerschaft,

Gemeinderat

beirat

Baugemeinschaften

generiert. Die Freihaltung von motorisiertem

Verkehr in Nord-Süd-Richtung

Verwaltung

Gemeinderat

wird ausdrücklich begrüßt. Die durchaus

Beteiligungs-

über Vorhaben

Kooperative

seite im Internet,

Planung Parkgestaltung,

Stadtblatt, Presse

Wohnformen

Beschluss:

Gemeinderat

Verwaltung

Gemeinderat Beiräte,

Bürgerschaft,

ggf. Koordinationsbeirat

Ergebnisübermittlung

Bestandserweiterung Ergebnis-

Ergebnisübermittlung

Anregung von

Beteiligungs-

Erarbeitung einer übermittlung Entscheidung

offensive

Erarbeitung einer

Entscheidung

erzielt

von

Beteiligungskonzept

Empfehlung

Erarbeitung einer

Empfehlung

in der Sache

Bürgerbeteiligunkonzept

Empfehlung

in der Sache

beteiligung qualitative Aufwertung des eine Gesamt-

beirat

Beiräte,

Bürgerschaft,

ggf. Koordinationsbeirat

Beiräte,

Bürgerschaft,

ggf. Koordinationsbeirat

Strukturkonzept 1:2000

areals, ohne sich gegenüber der bereits

Initiierung Umsetzung von durch Kooperative

Beteiligungsergebnis

fließt

Umsetzung durch

Beteiligungsergebnis

fließt

allen Seiten

Planung Parkgestaltung,

ggf. Steuerung

verlässlich den

Verwaltung

Verwaltung

möglich

ggf. Steuerung

verlässlich in den

bestehenden Beschluss zur

Wohnformen Bebauung durch als zu Abwägungs- dominant

und

durch

Abwägungs- und

Initiierung Durchführung: von Beschluss: Kooperative Koordinationsbeiraprozess

ein,

Umsetzung Entscheidungs-

durch

Gemeinderat Koordinationsbeirat

Seiten

Planung prozess Park-

ein,

Verwaltung

bindet den

Gemeinderat Entscheidungs-

allen

oder

möglich

gar separierend

gestaltung, bindet den zu präsentieren.

Gemeinderat

ggf. Steuerung

Gemeinderat

aber nicht

Beschluss zur

Wohnformen

aber nicht

durch

Insgesamt Durchführung:

Beiräte,

Beiräte, zeigt Beschluss: der Beiräte, Entwurf Koordinationsbeirat

eine Gemeinderat solide

Bürgerschaft,

Bürgerschaft,

Bürgerschaft,

Gemeinderat

ggf. Koordinationsbeirat

Bürgerschaft, beirat

beirat

Beiräte, ggf. Koordinations-

Gemeinderat ggf. Gemeinderat Koordinations-

städtebauliche ggf. Koordinations-

Antwort für den Stand-

Bürgerbeiteiligung

ort, die aber mehr konzeptionelle Tiefe

in Bezug auf die speziellen Fragen der

Auslobung liefern könnte.

Beiräte,

Bürgerschaft,

ggf. Koordinationsbeirat

Entscheidung

in der Sache

Beteiligungsergebnis

fließt

verlässlich in de

Abwägungs- un

Entscheidungs

prozess ein,

bindet den

Gemeinderat

aber nicht

Gemeindera

104 Zukunftsvision - Wettbewerbsergebnisse


Perspektive

Pespektivische Ans

Birkenweg

Goethepark

Baugemeinschaft

TG TG

Café

III

IV IV

III

freifinanzierter

Wohnungsbau

freifinanzierter

Wohnungsbau

freifinanzierter

Wohnungsbau

IV

Tischtennis

Freifläche

II

Volleyball

IV

IV

Badminton

Bouldern

Boule

TG

freifinanzierter

& sozialer

Wohnungsbau

II

III

IV

II

Ausschnitt Lageplan 1:

Lageplan 1:1000

III

IV

freifinanzierter

& sozialer

Wohnungsbau

freifinanzierter

& sozialer

Wohnungsbau

Schnitt 1:

nitt 1 Bauabschnitt 2 Bauabschnitt 3

IV

freifinanzierter

& sozialer

Wohnungsbau

II

IV

TG

IV

TG

Brottobauland

Nettobauland Wohnungsbau

Brottobauland

Nettobauland Gemischte Bauflächen

Nettobauland Wohnungsbau

Nettobauland Reines Gewerbe

Nettobauland Gemischte Bauflächen

Vertiefungsbereich Nettobauland M für 1:500 Gemeinbedarf (i.O.)

Wettbewerbsergebnisse Nettobauland Reines - Zukunftsvision Gewerbe 105

Verkehrsflächen

Nettobauland für Gemeinbedarf

Öffentliche Freiflächen

Verkehrsflächen

Gesamt BGF

Öffentliche Freiflächen

BGF Wohnen

IV

1

5

136.872 m

3

58.095 m

0

3.631 m²

0

0 m²

4

0 m²

7

4.390 m²

7

70.756 m7


Waldgebiet

Park

Hauptstraße

Hauptstraße

Nebenstraße

Nebenstraße

Hauptstraße Hauptstraße Hauptstraße

Nebenstraße Nebenstraße Nebenstraße

Anliegerstraße

Anliegerstraße

Spielstraße

Spielstraße

Anliegerstraße Anliegerstraße Anliegerstraße

Stadtbahn Stadtbahn Stadtbahn

Linie Linie Linie

3 Richtung 3 Richtung 3 Richtung

Innenstadt Innenstadt Innenstadt

H H

H

Bushaltestelle

Bushaltestelle Bushaltestelle

Rad- Rad- Radund

und und

Fußweg Fußweg Fußweg

Zug Zug Zug

H

H H

Stadtbahn Stadtbahn Stadtbahn

Haltestelle Haltestelle Haltestelle

Friedhof

Sportplatz

Stadtbahn Linie 3 Richtung Innenstadt

Stadtbahn Linie Linie 3 3 Richtung Innenstadt

Landwirtschaft

Wiese

H H

H H

H H

H H

H H

H H

H Bushaltestelle

Bushaltestelle

H Stadtbahn Haltestelle

Stadtbahn Haltestelle

H

H

H

H

Gewässer

Zug

Zug

Parkhaus

Wohnbebauung

Wohnbebauung

Gastronomie

Gastronomie

Mischnutzung

Mischnutzung

Soziale Einrichtungen

Soziale Einrichtungen

Dienstleistung

Dienstleistung

Gewerbe

Gewerbe

Nahversorger

Nahversorger

C A T T E R I C K C I T Y

E N T S T E H U N G Ecem E Bezdüz, I N E S Laura Z Kreische, U K U Arthur N F T Spruck S W E I S E N D E N Q U A R T I E R S

TH Ostwestfalen-Lippe, Bachelor Stadtplanung, Prof.'in-Vertr. Dipl.-Ing. Isabel Finkenberger,

D U R C H T E I L H A B E U N D M O D E R N E T E C H N O L O G I E N

Bernd Zimmermann

Innenstadt

Innenstadt

Herford

Bielefeld

Ankauf 300 € Preisgeld

Lemgo

Catterick City

Bielefeld

A2

Hannover

BEURTEILUNG

Erschließungstruktur M 1:10.000

Hauptstraße Anliegerstraße Fußwege Bushaltestelle Zug

Nebenstraße Spielstraße Stadtbahn 3 StadtB. Halt.

Die Verfasser schlagen ein sozial heterogenes

und energieautarkes Quartier vor,

dass die Dachlandschaft als Verfügungsmasse

miteinbezieht. Das Preisgericht

würdigt diesen konzeptionellen Ansatz

und die gekonnte Einbeziehung des Bestands.

In der Durcharbeitung werden jedoch

städtebauliche Mängel deutlich, die

eine mögliche Klimaneutralität zugunsten

von einer erwartbar hohen Zahl an

motorisiertem Verkehr aufgibt. So geht

die städtebauliche Qualität durch einen

Parkplatz direkt auf dem Kreativcampus

Schwarz- und Parzellenplan M 1:10.000

verloren. Das südliche Quartier mit den

Punkthäusern am Fuß des Teutoburger

Wald erscheint gewagt, ist aber als solitäre

Bebauung direkt am Park gelegen

nachvollziehbar. Die den Punkthäusern

gegenüberliegende Riegelbebauung

wird kritisch bewertet, da diese dem

Solitärgedanken städtebaulich zuwider

läuft. Insgesamt betrachtet, bewertet

das Preisgericht die Arbeit als interessantes

Zukunftskonzept, das an einigen

Stellen noch städtebauliche Potentiale

außer Acht lässt.

Grünraumstruktur M 1:10.000

Wald Friedhof

Landwirtschaft Gewässer Wohnen

Mischnutzung Dienstleistung Nahversorger

Park Sportplatz

Wiese Nutzungsstruktur M 1:10.000

Gastronomie

Soz. Einrichtung Gewerbe

106 Zukunftsvision - Wettbewerbsergebnisse

Perspektive


Umsetzungsstrategie

KONZEPT

Kaltluftschneise

Anbau von Windkrafträdern

Nordsüd- &Ostwestverbindung

Kulturelle Atmosphäre durch erhaltene

Kasernengebäude

Raum & Unterkunft

für Studenten

Erhalt der Bestandsbäume &Parkverortung

durch den Bestand

Verdichtung von bestehenden

Höfen zu geschlossenen Blöcken

Teutoburger Wald

Wettbewerbsergebnisse - Zukunftsvision 107

Konzept & Städtebauliche Einbindung

HISTORISCHE ENTWICKLUNG EINBEZIEHUNG


Marvin Düsterhus

TH Ostwestfalen-Lippe, Master of Integrated Architectural Design, Prof. Oliver Hall, Prof. Dipl.-Ing. Tillmann Wagner

Ankauf 300 € Preisgeld

Höhen und Geraden

Bielefeld

Entwurf M 1:1000 (i.O.)

Dekomposition & Blockentwicklung

108 Zukunftsvision - Wettbewerbsergebnisse


BEURTEILUNG

Mit einer grafisch konzeptionellen Auseinandersetzung

entwerfen die Verfasser

eine städtebauliche Struktur, die sich an

den Höhenlinien des nahen Teutoburger

Wald-Höhenzugs anlehnt. Der Topografie

folgend werden die Gebäude in einer

aufgelockerten Blockstruktur parallel

zur Detmolder Straße angeordnet. Eine

städtische Blockstruktur wird mit Freiraumachsen

überlagert, sodass eine

hybridartige Fingerstruktur aus diesen

beiden Komponenten entsteht, die auch

zwischen den Blöcken Aufweitungen zulassen

und die im zentralen Bereich des

gesamten Areals zum Quartiersanger

ausformuliert wird. Insgesamt wird durch

den Entwurf eine Symbiose von Stadt und

Land erzeugt, die in der flexiblen Gebäudestruktur

eine Koexistenz von Wohnen,

Arbeiten und Freizeit ebenso ermöglichen

kann, wie die Umsetzung unterschiedlicher

Wohnformen. In der Durcharbeitung

offenbaren sich allerdings einige

städtebaulich-architektonische Mängel

durch die fehlende Differenzierung der

baulichen Strukturen und der gewählten

engen Blockstruktur. Eine differenzierte

Nutzungsverteilung zwischen Wohnen,

Gewerbe und Sondernutzungen ist in der

Gebäudestruktur kaum erkennbar. Das

Preisgericht bemängelt teilweise schwierige

Lichtverhältnisse in den Höfen, wenig

Privatheit und problematische, nicht

mehr zeitgemäße Grundrisse in den Blöcken.

Eine differenzierte Gestaltung von

Grün- und Freiflächen wird ebenfalls vermisst.

Insgesamt würdigt das Preisgericht

die gekonnte Verschränkung zwischen

Stadt und Land sowie die Transformation

der Bestandsbauten als innovativen Ansatz,

weist jedoch auf die Schwächen in

der Durcharbeitung hin.

Herleitung

Perspektive

Wettbewerbsergebnisse - Zukunftsvision 109


Sandra Marin

TH Ostwestfalen-Lippe, Master of Integrated Architectural Design, Prof. Oliver Hall

Sonderpreis 250 € Preisgeld

Greenspired Dencity

Bielefeld

Perspektive

BEURTEILUNG

Der Entwurf setzt sich insbesondere mit

der nachhaltigen Quartiersentwicklung

auseinander und zeigt, wie sich innovative

Ansätze wie selbstversorgende

Technologien und lokale Produktionstechnologien

in die Stadtplanung integrieren

lassen. Die Verfasser nutzen

dabei gängige Konzepte wie Urban Gardening,

Hydro- und Aquaponik sowie

Energiegewinnung durch Solarkraft. Mit

dem Sonderpreis würdigt das Preisgericht

die Auseinandersetzung mit nachhaltiger

Quartiersentwicklung und den

Umgang mit alternativen Energien. Die

Thematik wurde zwar informativ und

prozessual im Entwurf dargestellt, aber

nur ansatzweise in die städtebauliche

Struktur überführt. Dementsprechend

würdigt das Preisgericht insbesondere

den konzeptionellen Ansatz.

110 Zukunftsvision - Wettbewerbsergebnisse


Mathias Karuzys

TH Ostwestfalen-Lippe, Master of Integrated Architectural Design, Prof. ir. Michel Melenhorst

Sonderpreis 250 € Preisgeld

Stadt Land Quartier

Bielefeld

Perspektive

BEURTEILUNG

Der Verfasser überrascht mit einem

visionären Entwurf, der einer philosophischen

Betrachtung entspringt. Die

Herleitung der gedachten Lösung ist interessant

und schlüssig. Leider führt das

gewählte Konzept nicht zu einer realistischen

Gebäude- und Lebensform, die

das Stadt-Wohnen mit dem Naturerlebnis

verbindet. Leben unter der Erde, um

dem Stadtlärm zu entfliehen, entspricht

nicht den natürlichen Lebensbedürfnissen

in unseren Breitengraden. Außerdem

würde die notwendige künstliche

Beleuchtung und Belüftung erhebliche

ökologische Nachteile bedeuten. Insgesamt

würdigt das Preisgericht aber den

mutigen und innovativen Ansatz und

vergibt einen Sonderpreis.

Wettbewerbsergebnisse - Zukunftsvision 111



IN EIGENER

SACHE

Bericht über Forschungs-

aktivitäten des urbanLabs


Prof. Oliver Hall, Marcel Cardinali

Kreativ Quartier Detmold

Potentialstudie

Die Region Ostwestfalen-Lippe hat großes Potential, die Profilierung

im Bereich der Kreativwirtschaft nachhaltig auszubauen, zu festigen

und dies durch Kreativquartiere sichtbar zu gestalten. Insbesondere

Detmold bietet mit seinen Einrichtungen, wie z.B. der Hochschule für

Musik Detmold, den gestaltenden Fachbereichen der TH OWL und

überdurchschnittlich vielen Unternehmen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft,

sowie bereits bestehenden Kooperationen in der Region

sehr gute Vorrausetzungen perspektivisch ein zentraler Knoten

im kreativwirtschaftlichen Netzwerk Ostwestfalen-Lippes zu sein. Die

beauftragte Studie hatte zur Aufgabe die Erfolgschancen, Potentiale,

Herausforderungen und Anforderungen an eine solche Entwicklung an

verschiedenen Standorten in Detmold zu untersuchen.

114 In eigener Sache


STAKEHOLDERANALYSE

Die Studie untersuchte diese (Weiter-)

Entwicklungspotentiale der Kultur-

und Kreativwirtschaft in Detmold

und ihrer Vernetzung in Ostwestfalen-Lippe

(nachfolgend OWL) insbesondere

in städtebaulicher, aber auch in gesamtstrategischer

Hinsicht. Sie geht der

Frage nach, wie durch bereits beschlossene

oder noch zu planende öffentlich

geförderte städtebauliche Impulse ein

sichtbares kreatives Netzwerk entstehen

kann, das die Wertschöpfungsketten

zwischen Bildung, Forschung, Wirtschaft

und Gesellschaft stimuliert und

festigt. Um sich diesem hochkomplexen

Thema systematisch zu nähern, kamen

verschiedene Methoden zum Einsatz.

Die Stakeholderanalyse hatte zum

Ziel Informationen zu Bedürfnissen,

Anforderungen und Herausforderungen

der Kreativwirtschaft in Ostwestfalen-Lippe

zu generieren. Sie wertete

vorhandene statistische Erhebungen

auf Bundes-, Landes- und Regionaler

Ebene aus und ergänzte sie durch eine

eigene Umfrage, die gezielt Fragen zu

Raum- und Standortanforderungen

sowie zur Vernetzung zwischen Hochschulen,

Berufsschulen und Wirtschaft

stellte. Adressaten der Umfrage waren

neben der Kreativwirtschaft Ostwestfalen-Lippes,

auch Vereine und

Netzwerke sowie Studierende, Alumni

und Berufsschüler der kreativen Bildungsbereiche

in Detmold. Diese Ergebnisse

wurden im Anschluss durch

ausgewählte Kurzinterviews qualitativ

ergänzt und validiert. Im Ergebnis sind

so Entwicklungsanforderungen der

kreativen Milieus an ein Kreativquartier

erkennbar.

Absolvent*innen Student*innen Berufsschüler*innen

Gründungs-

potential

Ja

Ja, ...

Nein

Ja, ich würde gerne mein Fachwissen

am Markt anbieten.

Ja, ich würde gerne ein innovatives Produkt

entwickeln und am Markt anbieten.

Ja, ich habe keine Stelle gefunden und

brauchte eine Alternative.

Haben Sie schon mal daran gedacht sich

selbstständig zu machen? (Absolventin*innen)

n=60

Ja

Ja, ...

Nein

Ja, ich würde gerne mein Fachwissen

am Markt anbieten.

Ja, ich würde gerne ein innovatives Produkt

entwickeln und am Markt anbieten.

Ja, ich habe keine Stelle gefunden und

brauchte eine Alternative.

Haben Sie schon mal daran gedacht sich

selbstständig zu machen? (Student*innen)

n=97

Ja

Ja, ...

Nein

Ja, ich würde gerne mein Fachwissen

am Markt anbieten.

Ja, ich würde gerne ein innovatives Produkt

entwickeln und am Markt anbieten.

Ja, ich habe keine Stelle gefunden und

brauchte eine Alternative.

Haben Sie schon mal daran gedacht sich

selbstständig zu machen? (Berufsschüler*innen)

n=31

Unter anderem wurden

in der Studie

die Absolvent*innen,

Studierenden und

Berufsschüler*innen

gefragt, ob sie schon

mal daran gedacht

haben, sich selbständig

zu machen.

In eigener Sache 115


Stadtjubiläum

AKTEURE

Zukunftswerkstatt

Jungbusch

Künstlernetzwerk

Laboratorio17

2007

Modernisierungsberatung

1996 2003

Stabilisierung des Quartiers

Ausstellungen, ...

Aufwertung des Quartiers

FALLSTUDIEN

STEUERUNG

FÖRDERUNG

INVESTITIONEN

PROJEKT-

ENTWICKLUNG

ZEIT

Beschluss zur

Entwicklung

des Kanals

1998

Popakademie

Musikpark

Beteiligungsprozess

Rahmenplan

VK

Quartiersmanagement

Jungbusch

2000 2001 2002-2007

Gig7

URBAN II

2000-2006

Ziel 2-Förderung

EFRE 2002-2006

Städtebauförderung

Soziale Stadt 2002-2007

Erste Prozessphase

Impulswirkung

RWB EFRE

2007-2013

C-Hub

2002 2003 2004 2010 2011 2015

1996 2000 2010 2016

Das Instrument der Fallstudien gab Einblicke

in bestehende Kreativquartiere

in Deutschland und ihre Umsetzungsstrategien

sowie die Konzeption des

Betriebsablaufs. Für die Untersuchung

wurden Kreativquartiere ausgewählt,

die einerseits die Bandbreite möglicher

Entwicklungsstrategien und Dimensionen

zeigen und andererseits in möglichst

vielen Indikatoren vergleichbar

mit den aktuellen Bedingungen in der

Mittelstadt Detmold sind. Zusammengefasst

entsteht so ein Bild eines möglichen

Entwicklungsrahmens sowie der

Ablauf einzelner Schritte im Prozess

zum Kreativquartier.

Entwicklungsprozess

Clustermanagement

Popakademie

Aufstockung

Musikwirts.

In der Studie wurden die

Entwicklungsprozesse vergleichbarer

Kreativquartiere

skizziert. Am Beispiel des

Prozesses in Mannheim -

Jungbusch ist zu erkennen,

dass Rahmenplanungen

und Stadtentwicklungskonzepte

die Grundlage für

Förderanträge mit hochbaulichen

und städtebaulichen

Entwicklungsimpulsen

bilden.

Entwicklungsräume

Durch die Überlagerung der

einzelnen Analyseschritte

wird ein Teil der komplexen

Stadtstruktur sichtbar.

Dadurch konnten vier

Raumkategorien identifiziert

werden, die jeweils eigene

Herausforderungen und Potentiale

mit sich bringen.

STÄDTEBAULICH RÄUMLICHE

ANALYSE

Eine städtebaulich räumliche Analyse

des Untersuchungsraums identifizierte

schließlich Neubau-, Umbau-, Umnutzungs-

und Aneignungspotentiale zur

Etablierung eines Kreativquartiers in der

bestehenden Stadtstruktur Detmolds.

Hierfür wurden nach einschlägiger Literatur

verschiedene Raumkategorien

untersucht und insbesondere die Frequentierung

und Lebendigkeit des öffentlichen

Raums betrachtet. In der

Folge wurden Räume mit besonders vielversprechenden

Entwicklungsmöglichkeiten

und Impulswirkungen erkennbar.

Um abschließend zu validen Entwicklungsschritten

zu gelangen, die eine

größtmögliche nachhaltige Impulswirkung

auf dem Weg zum Kreativ Quartier

Detmold ermöglichen, wurden drei

städtebauliche Szenarien entwickelt

und anhand der vorher identifizierten

Bedürfnisse und Anforderungen sowie

den räumlichen Potentialen und den

vorliegenden Entwicklungsmöglichkeiten

bewertet.

116 In eigener Sache


EINBETTUNG IN DIE REGION

Zusätzlich wurde die Einbettung des

potentiellen Kreativquartiers in die

Region untersucht, der aufgrund der

besonderen polyzentrischen Struktur

der Region und der gedeckelten Leistbarkeit

von Mittelstädten wie Detmold

eine besondere Bedeutung zukommt.

Die Einordnung der verschiedenen Aktivitäten

in OWL erfolgt einerseits durch

eine geodatenbasierte Auswertung der

Adressdaten sowie einer vertiefenden

Untersuchung bestehender Netzwerke.

Am Ende werden so Anknüpfungspunkte,

Unterstützungsmöglichkeiten für die

Region, aber auch Alleinstellungsmerkmale

für Detmold sichtbar.

Potentialstudie

Kreativ Quartier

Detmold

Laufzeit

01.07.2018 - 28.02.2019

im Auftrag von


Regionale Einbindung

Die Region Ostwestfalen-

Lippe ist gut aufgestellt im

Bereich der KUK und hat das

Potential die polyzentrische

Struktur der Region zu nutzen,

um bestehende Netzwerke

und Institutionen zu

bündeln und auszubauen.

118 In eigener Sache


ERGEBNISSE DER POTENTIAL-

STUDIE

Im Ergebnis entstanden wissensbasierte

Handlungsempfehlungen für wichtige

Meilensteile und die nächsten Schritte im

Prozess zum Kreativ Quartier Detmold

sowie dessen Einbindung in die Kreativ

Region OWL. Die im April 2019 veröffentlichte

Studie konnte einen hohen Bedarf

für ein Kreativ Quartier Detmold an zahlreichen

Indikatoren belegen. Insbesondere

die Stakeholderanalyse weist auf

zahlreiche Standortfaktoren der Kulturund

Kreativwirtschaft (KuK) hin, die durch

den Standort an der Bielefelder Straße in

der Nähe der Hochschule erfüllt werden

können. Dabei zeigt sich, dass die städtebauliche

Entwicklung hier nicht nur ein

hochattraktiver Standort für die Kreativwirtschaft

sein kann, sondern dabei auch

wichtige strategische Zielsetzungen erfüllen

kann, wie die Vernetzung von Bildung,

Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft

in der Branche. Dazu birgt der Standort

das Potential die Strahlkraft von Detmold

und der Region im Bereich der KuK zu erhöhen

und somit dem Fachkräftemangel

entgegenzuwirken.

Zusammenfassend betrachtet erweist

sich Detmold nicht nur als hervorragender

Standort für die Entwicklung eines

Kreativquartiers, die Stadt kann durch

Bündelung der bereits vorhandenen

technischen Infrastruktur (Fab-Lab,

Lichtlabor, Baustofflabor, Schreinerei,

Medienlabore, Tonstudios, uvm.) und

dem Wissen an den Hochschulen als

Schwerpunkt in der Kreativlandschaft

Ostwestfalen-Lippes gesehen werden.

Damit hat das Kreativ Quartier Detmold

das Potential zu einem wichtigen

Schlüsselprojekt zur Stärkung der Kultur-

und Kreativwirtschaft in Detmold,

Lippe und der Region zu werden.

Kreativ Quartier

Detmold

Wiss. Leitung

Prof. Dipl.-Ing. Oliver Hall

Marcel Cardinali, MSc.

Bearbeitung

Julia Krick, MSc.

Norman Kalesse, BA.

Oliver Großpietsch, BA.

Nele Rodenberg

Manuela Kasper

Isabell Santüns

Sandra Vanessa Marin, BA.

Laura Marie Sportelli

Kontakt

Marcel Cardinali

05231 769-6329

marcel.cardinali@th-owl.de

Link zur Studie

www.th-owl.de/fb1/forschung/urbanlab/projekte/kreativ-quartier-detmold

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In eigener Sache 119


Julia Krick, Prof. Oliver Hall

Gedenkstätte

STALAG 326 (VI K)

Schloß Holte-Stukenbrock

Variantenuntersuchung

Im Auftrag der Stadt Schloß

Holte-Stukenbrock und des

Kreises Gütersloh untersuchte

das urbanLab im Zeitraum

von Februar bis April 2019

räumliche Potentiale einer

Gedenkstättenentwicklung von

nationaler und internationaler

Bedeutung auf dem Gelände

des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers

STALAG 326

(VI K) im Ortsteil Senne in

Schloß Holte-Stukenbrock.

Die Variantenuntersuchung

bildet eine fundierte Grundlage

für eine Machbarkeitsstudie zur

Entwicklung der Gedenkstätte

STALAG 326 im Ortsteil Senne in

Schloß Holte-Stukenbrock

Verfasser: Lucas Tiemann, Marvin Düsterhus,

Mario Bergen - MIAD S1, WiSe 2018/19, TH OWL.

120 In eigener Sache


Potentiale einer

Gedenklandschaft

in Schloß Holte-

Stukenbrock

und Hövelhof

Quelle: urbanLab

Bisher erinnert auf dem Gelände eine

Ausstellung auf 16 qm in der ehemaligen

Arrestbaracke an die damaligen

Leiden sowjetischer Kriegsgefangener,

die bislang in der deutschen Erinnerungskultur

eine eher untergeordnete

Rolle spielen. Seit Kriegsende wurde

das Gelände durch verschiedene Folgenutzungen

überformt und nur noch

einzelne Bauwerke und Elemente weisen

auf die Vergangenheit dieses historischen

Ortes hin. Heute wird das

gesamte Gelände vom Ausbildungszentrum

des Landes NRW (Landesamt für

Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten

der Polizei NRW Erich

Klausener, kurz LAFP) genutzt, wodurch

abermals die Strukturen der Liegenschaft

überformt wurden.

In der Studie des urbanLab wurden zunächst

die Rahmenbedingungen analysiert,

v.a. hinsichtlich Erschließung,

Umweltbelange, Ausgleichs- und Potentialflächen

sowie im Vergleich mit anderen

Fallbeispielen in Deutschland die

Alleinstellungsmerkmale der potentiellen

Gedenkstätte in Schloß Holte-Stukenbrock

herausgearbeitet. Mit der

Studie wurden Varianten untersucht,

die aufzeigen, wie eine räumlich-funktionale

Trennung der 56,2 ha großen Fläche

bei gleichzeitigem Flächenanspruch

der beiden Hauptakteure, Gedenkstätte

STALAG 326 und LAFP, entstehen kann.

Um diesem Anspruch nachhaltig gerecht

zu werden, stehen die Interessen

und Belange der Entwicklung einer

Gedenkstätte, die über den bisherigen

Ausstellungsbestand hinausgeht, einerseits

und die Weiterentwicklung der Polizeischule

mit neuen Nutzungen andererseits

im Fokus und sind maßgebend

für die Untersuchung der Varianten.

Nach intensivem Dialog und Austausch,

in dem vom Landtagspräsidenten André

Kuper initiierten Lenkungskreis, wurden

9,3 ha der Liegenschaft als Mögliche

Entwicklungsfläche identifiziert und entsprechende

Handlungsempfehlungen

und Lösungsvorschläge für Teilbereiche

dokumentiert.

Im Umkreis des ehemaligen STALAG 326

befinden sich darüber hinaus sichtbare

und unsichtbare Spuren der Lagergeschichte.

Es besteht ein großes Potential

im Zuge der Gedenkstättenentwicklung,

die historischen Relikte in Schloß

Holte-Stukenbrock, Hövelhof und Hövelhof-Staumühle

innerhalb einer regionalen

Kultur- und Gedenklandschaft

konzeptionell und gestalterisch miteinander

zu verbinden.

Ausgangspunkt ist die Gedenkstätte des

ehemaligen STALAG 326 in Schloß Holte-

Stukenbrock, die mit historischen Erinnerungsorten

in Nachbarkommunen

In eigener Sache 121


vernetzt werden soll, insbesondere mit

dem sowjetischen Ehrenfriedhof, dem

Bahnhof Hövelhof und dem ehemaligen

Lazarett in Staumühle. Die dazu anzulegenden

oder auszubauenden Wege

nutzen soweit möglich vorhandene touristische

Wanderrouten und geben diesen

damit eine neue Bedeutung als Teil

der Gedenklandschaft.

Es werden Ansätze verfolgt, diese Idee

als ein Projekt im Rahmen der Regionale

2022 weiter zu verfolgen. Die

gesamträumlichen Analysen haben

gezeigt, dass das naturräumliche und

touristische Potential aufgrund der

Nähe zu Naherholungsgebieten, wie

den Emsquellen, aber auch durch die

zahlreichen Rad- und Wanderwege

gegeben ist. Besonders zu erwähnen

ist in diesem Zusammenhang der Europa-Radweg

1, der von Calais durch

Ostwestfalen-Lippe unmittelbar am

Standort des STALAG 326 vorbeiführt

und sich nach Osten sogar bis nach

Russland, dem Herkunftsland vieler

damaliger Kriegsgefangener und auch

heutiger Besuchergruppen, erstreckt.

Darüber hinaus sollen neue Wege nach

historischem Vorbild angelegt werden,

wie der Russenpatt, der den Bahnhof

Hövelhof mit dem STALAG 326 verband

und heute nur in Teilen wahrnehmbar

ist. Der Wegaus- bzw. -neubau soll mit

einer konsequenten Bepflanzung durch

Hecken und Obstbäume einhergehen

und damit einen Beitrag zum Biotopverbund

leisten.

Mit der Variantenuntersuchung des

urbanLab liegt eine fundierte Grundlage

für eine Machbarkeitsstudie zur

Entwicklung der Gedenkstätte vor, die

in der Regie des Landschaftsverbandes

Westfalen-Lippe demnächst ausgeschrieben

wird.

th-owl.de/fb1/forschung/urbanlab/

projekte/gedenkstaette-stalag-326-vi-k

veröffentlicht.

An den Handlungsempfehlungen der

Studie orientierte sich ein weiteres Entwurfsprojekt

im vergangenen Sommersemester,

das von Prof. Jasper Jochimsen

und Prof. Tillman Wagner betreut

wurde. Die Studierenden im Master Architektur

entwickelten auf der Grundlage

der Studie konkrete architektonische

und landschaftsarchitektonische Lösungsvorschläge

für eine Gedenkstätte.

Im Vordergrund stand dabei einen zeitgemäßen

Ort der Erinnerung zu entwerfen,

der die Geschichte des ehemaligen

Kriegsgefangenenlagers STALAG 326 (VI

K) Senne und seiner Nachfolgenutzungen

(Internierungslager und Sozialwerk)

für künftige Generationen erfahrbar

macht. Die Entwürfe der Studierenden

stellen eine große Bandbreite auf, wie

eine angemessene architektonische Intervention

aussehen kann. Unter den

Entwürfen finden sich dezentrale Konzepte

mit über die Ausstellungsfläche

verteilten folieartigen Pavillons, aufgeständerten

Stegen über lineare Räume

oder akzentuierende Gebäudekörper

als Eingangstor oder Aussichtsturm.

Alle Arbeiten vereinen die Haltung die

historischen Ereignisse räumlich zu interpretieren,

anstatt sie authentisch

wiederherzustellen.

Die viel beachteten Entwurfsergebnisse

wurden in einer Ausstellung im ehemaligen

Entlausungsgebäude auf dem Gelände

präsentiert. Die Ausstellung läuft

noch bis zum 15. September 2019. Zum

Besuch der Ausstellung ist eine Anmeldung

per Mail unter m.wibe@stalag326.

de erforderlich.

Die gesamte Variantenuntersuchung

ist auf unserer Webseite unter www.

122 In eigener Sache


Verfasser: Maren Bunte, Bachelor Thesis SoSe 2019

Betreuer : Prof. Tillmann Wagner, TH OWL

Verfasser: Sandra Marin, MIAD P2, SoSe 2019

Betreuer : Prof. Jasper Jochimsen, TH OWL

Funktionale und räumliche Trennung der Liegenschaft

Akzentuierende Baukörper als Besucherzentrum

Verfasser: Laura Stephan, Bachelor Thesis SoSe 2019

Betreuer : Prof. Tillmann Wagner, TH OWL

weitere Studierendenarbeiten auf der

Grundlage der Variantenuntersuchung

Gedenkstätte STALAG 326

Laufzeit

01.02.2019 - 31.03.2019

im Auftrag von

Wiss. Leitung

Prof. Dipl.-Ing. Oliver Hall

Prof. Dipl.-Ing. Kathrin Volk

Julia Krick, MSc.

Bearbeitung

Carsten Schade, Dipl.-Ing. Architekt

Eva Düll, BA.

Jonas Krikor, BA.

Kontakt

Prof. Dipl.-Ing.

Oliver Hall

05231 769-6401

oliver.hall@th-owl.de

Link zur Studie

Orte des Gedenkens

http://www.th-owl.de/fb1/

forschung/urbanlab/projekte/

gedenkstaette-stalag-326-vi-k

In eigener Sache 123


Carsten Schade

HUeBro

Haushebung in Ueberschwemmungsgebieten

am Beispiel des

Elbe-Dorfes Brockwitz

Foto: Prof. Dipl.-Ing. Kathrin Volk

Extreme Hochwasser treten infolge des Klimawandels

vermehrt auf (vgl. Jongman 2014). Dies

geschieht oft als Folge langer relativ niederschlagsarmer

Perioden mit darauffolgendem Unwetter und

starken beziehungsweise langandauernden Niederschlägen.

Hiervon ist auch das mehr als tausend

Jahre alte Angerdorf Brockwitz an der Elbe zwischen

Dresden und Meißen betroffen, wo über die letzten

Jahre drei Extremhochwasser zu verzeichnen waren.

In dem Forschungsprojekt Haushebung in Ueberschwemmungsgebieten

am Beispiel des Elbe-Dorfes

Brockwitz (HUeBro) wurde erforscht, inwiefern die Anhebung

von Häusern in Flutgebieten eine innovative

Alternative für klassische Hochwasserschutzmaßnahmen

(Deiche etc.) sein kann.

Ausgelöst durch den Impuls der Stadt

Coswig haben sich Projektpartner*innen

aus verschiedenen wissenschaftlichen

Fachrichtungen und Einrichtungen

gefunden, um das angedachte

Verfahren der Haushebung interdisziplinär

und exemplarisch für den Standort

Brockwitz zu untersuchen und mittels

multikriterieller Bewertungsverfahren

zu beurteilen (vgl. Schinke et al. 2019,

Carstensen et al. 2018). Dabei entwickelte

die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe

einen Gesamtkatalog

mit Leitfäden für die baukonstruktive

Durchführung (ConstructionLab) sowie

übertragbare Lösungen für die ortsund

freiraumplanerischen Herausforderungen

unter Beteiligung der Bewohner*innen

(urbanLab, nextPlace).

ORTS-UND FREIRAUMPLANUNG

Innerhalb des Forschungsprojekts verfolgte

das Arbeitspaket Orts- und Freiraumplanung

die Frage, welche Auswirkungen

das Anheben von Gebäuden und

Teilen eines Ortes auf die Gestaltung des

gebäudenahen und landschaftlichen Freiraums

in einem dörflichen Siedlungsraum

hat. Es wurde untersucht, wie das Gefüge

Straße-Haus-Garten-Landschaftsraum als

erlebbarer Wohn- und Lebensraum mit

seinen Raum- und Aufenthaltsqualitäten

bewahrt beziehungsweise erweitert werden

kann. Anhand einer eingehenden Betrachtung

des gebäudenahen Freiraums

124 In eigener Sache


Die Entwurfsvarianten griffen

Anregungen aus dem Partizipationsprozess

auf. Sie machten räumliche

Veränderungen begreifbar und

dienten als Anregung für Diskussionen.

Darstellung: Carsten Schade, urbanLab

und dessen räumlichen Verbindungen

zu benachbarten Grundstücken sowie

zu Landschaft und öffentlichem Straßenraum

wurden gestaltende Parameter im

Zuge der Haushebung erforscht.

In einem Partizipationsprozess wurden

Beteiligungsformate und -methoden auf

ihre Anwendbarkeit für Haushebung untersucht

und erforscht wie die Bürger*innen

in den Entwurfsprozess einbezogen

werden können. Aus der Projektbearbeitung

heraus entwickelten sich weitergehende

Fragen, unter anderem nach räumlichen

Bereichen, die in der Gestaltung

sensibel zu bearbeiten waren. Weiterhin

wurde betrachtet, welche Potentiale der

Ortsentwicklung beispielsweise durch

städtebauliche Verdichtung oder neuartige

Orts- und Landschaftsbilder entstehen

können und welche Potentiale Haushebung

für einen innovativen Umgang mit

vorhandener Bausubstanz bietet.

METHODIK

Die Forschungsfragen wurden mit einem

entwurfsbasierten Forschungsansatz untersucht

(vgl. Weidinger 2014, De Jong

2002). Der Arbeitsprozess gliederte sich

in fünf Phasen: Auf Grundlage einer ausführlichen

Projektvorbereitung (A) wurde

das Untersuchungsgebiet multimodal

analysiert (B). Die Erkenntnisse wurden in

Entwurfsvarianten überführt (C) und anschließend

vergleichend evaluiert, um sie

in einem Handbuch zusammenzufassen

und Empfehlungen für eine Übertragbarkeit

der Methodik auf andere räumliche

Situationen auszusprechen (D). Diese dienen

als Vorbereitung für eine später beabsichtigte

Umsetzung der Haushebung (E).

Es wurden unterschiedliche Analyse- und

Entwurfsmethoden angewandt, die sich

als Methodenmix gegenseitig ergänzten.

Die Daten und Erkenntnisse der Projektpartner*innen

wurden durch eigene Literatur-

und Planrecherchen erweitert.

Beobachtungen während der Ortsbegehungen

sowie qualitative Interviews

wurden anhand von Foto-, Video-, Audioaufnahmen

und durch Notizen, Skizzen,

Gedächtnisprotokolle dokumentiert.

Ergänzend zur Analysephase untersuchten

Studierende in einem studentischen

Entwurfsprojekt den Betrachtungsraum

in Brockwitz. Die Studierendenentwürfe

bildeten zusammen mit Referenzbeispielen

aus einem eigens erstellten

Inspirationsbuch einen Ideenpool, der

einerseits mit den Projektpartner*innen

diskutiert wurde und andererseits

in einen Partizipationsprozess mit den

Bürger*innen vor Ort eingebracht wurde.

Die Bürger*innen wurden über eine

kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit sowie

in einer Informationsveranstaltung

über das Projekt informiert. In einem

partizipativen Workshop und in einer

Feedbackveranstaltung konnten sie am

Entwurfsprozess mitwirken. Die

In eigener Sache 125


ERKENNTNISSE

Ergebnis der Orts- und Freiraumplanung

ist eine Strategie für die Planung von Haushebung

auf Ortsebene, die als Methodik in

einem Handbuch beschrieben wird. Die

Methodik ist übertragbar auf ähnliche Situationen.

Das Handbuch richtet sich an Planende,

Kommunen und projektbeteiligte

Bürger*innen in vergleichbaren Projekten.

Graphic Recording als

Teil des Moderationsdie

Bürger*innen

teams STADTGEeigene

SCHICHTEN aus Berlin.

In einem partizipativen

Workshop entwickelten

Entwurfsansätze.

Foto: Carsten Schade

gewonnenen Erkenntnisse und Daten

aus der Analysephase wurden schließlich

hinsichtlich ihrer räumlichen Qualitäten,

Schwierigkeiten und Potentiale

für die verschiedenen Maßstabsebenen

ausgewertet. Zeitlich überschnitt sich

die Analysephase mit der Entwurfsphase,

da Erkenntnisse aus der einen Phase

die Anpassung und Erarbeitung von Methoden

aus der anderen Phase bedingten

und umgekehrt. Zur Beantwortung

der Forschungsfragen mussten unterschiedliche

Maßstabsebenen und deren

Schnittstellen betrachtet werden. Infolgedessen

zeichnete sich die Methodik

durch ein häufiges Wechseln der Maßstabsebenen

aus, wodurch das Ineinandergreifen

der Maßstabsebenen und

deren Charakteristika in die Entwurfsvarianten

integriert wurde.

Es lässt sich festhalten, dass ein Partizipationsprozess

für eine Haushebung auf

Ortsebene sinnvoll und notwendig ist.

Die Unterteilung in einzelne Privatgrundstücke,

unterschiedliche Hebehöhen der

Gebäude, der Geländeversprung zum

Nachbargrundstück oder der Anschluss

an den öffentlichen Raum sind nur einige

der Aspekte, die eine Beteiligung aller

Betroffenen einschließlich der Kommune

und Fachplaner*innen erfordern. Die

partizipativen Workshops haben gezeigt,

dass die Eigentümer*innen ihre Partikularinteressen

zurückstellen würden, um

eine gemeinsame Lösung zu finden. Dies

ist hauptsächlich motiviert durch die

hohe Betroffenheit der Eigentümer*innen

von Extremhochwasser und dem

damit verbundenen Wunsch nach einer

schnellen Lösung, um unter anderem

den starken psychischen Belastungen eines

potentiellen nächsten Hochwassers

und dessen Folgeschäden nicht länger

ausgesetzt zu sein. Jedoch spielen auch

Aspekte wie der Erhalt des Ortsbilds und

des nachbarschaftlichen Miteinanders im

Dorf eine Rolle. Sie zeugen von einer hohen

Identifikation der Bewohner*innen

mit ihrem Lebensumfeld. Der Prozess

hat gezeigt, dass Hochwasserschutz nur

als Gemeinschaftsaufgabe zu bewältigen

ist. Eingeordnet in das Stufenmodell der

Partizipationsleiter nach Lüttringhausen

(2000) ist das Mitentscheiden der Betroffenen

in dem Planungsprozess essentiell

für eine spätere Umsetzung der Haushebung.

Dieser Prozess ist jedoch für viele

ungewohnt und erfordert eine subtile

Moderation mit klar formulierten Zie-

126 In eigener Sache

Foto: Carsten Schade


len und Handlungsspielräumen sowie

Transparenz, um keine falschen Erwartungen

und Hoffnungen zu wecken (vgl.

SenStadtUm 2012, MagWien 2012).

Bezüglich der eingesetzten Methoden

und Instrumente übernahm eine zweitägige

Veranstaltung zur Information und

aktiven Beteiligung der Bürger*innen

eine Schlüsselfunktion. Das Moderationsteam

von STADTGESCHICHTEN aus

Berlin bewirkte durch sensibel eingesetzte

Methoden sowie durch die aktive

Einbindung der Projektpartner*innen

aller Fachdisziplinen, dass das emotionale

Thema der Transformation des

privaten Grundstücks sachlich und konstruktiv

diskutiert wurde. Dabei konnte

auf eine intensive Beschäftigung der Betroffenen

mit der Hochwasserthematik

und deren individuellen Strategien und

Wissen zurückgegriffen werden. Zentral

war der Einsatz von Kommunikationsinstrumenten

wie einem abstrahierten

Partizipationsmodell des Ortes, in dem

die Teilnehmenden ihr Eigenheim markierten

und von ihren Hochwassererfahrungen

berichteten. Auch das Bauen

schematischer Modelle zur Visualisierung

eigener Vorstellungen wurde von

den Betroffenen sehr gut angenommen.

Eine begleitende Live-Dokumentation

(Graphic Recording) half bei der späteren

Entwicklung von Entwurfsvarianten.

Die Entwürfe dienten unter anderem

zur Anregung von Diskussionen und

schafften Bewusstsein für Potentiale,

Schwierigkeiten und Abstimmungsbedarfe

für eine beabsichtigte Realisierung

der Haushebung. Eine enge Abstimmung

mit den Projektpartner*innen sicherte

die Qualität der Arbeiten und gab

Einschätzungen zur Realisierbarkeit von

Entwurfsvarianten.

DOKUMENTATION UND AUSBLICK

Die Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen

der Orts- und Freiraumplanung

werden in dem Handbuch Haus-

hebung Brockwitz der Öffentlichkeit

zugänglich gemacht (Webseite urban-

Lab), ebenso wie die Ergebnisse zu Architektur

und Technologie als HUeBro

Gesamtkatalog veröffentlicht werden

inkl. eines Bauteilkatalogs, Checklisten

und Handlungsempfehlungen zu unterschiedlichen

Hebevarianten (Webseite

ConstructionLab).

Gesamtergebnis des Forschungsprojekts

ist, dass Haushebung eine theoretische

Alternative zu klassischen Hochwasservorsorgemaßnahmen

darstellt, deren

Umsetzung in Brockwitz als Pilotprojekt

in den kommenden Jahren beabsichtigt

ist. Um die betroffenen Bürger*innen

dabei finanziell so wenig wie möglich zu

belasten, wird derzeit nach geeigneten

Förderprogrammen gesucht.

Literatur & Abbildungen

Carstensen, D.; Schwarze, R.; Ahlers, C. & Koszinski, C. (2018):

Hochwasservorsorge für das Elbedorf Brockwitz - ein unkonventioneller

Ansatz. In: Schütze, N.; Müller, U.; Schwarze, R.; Wöhling,

T. & Grundmann, J. (Hrsg.): Forum für Hydrologie und Wasserbewirtschaftung;

Heft 39.18 ; M3 - Messen, Modellieren, Managen in

Hydrologie und Wasserressourcenbewirtschaf tung; Beiträge zum

Tag der Hydrologie am 22./23. März 2018 an der Technischen Universität

Dresden.

De Jong, T. M. & Van der Voordt, D. J. M. (Hrsg.) (2002): Ways

to Study and Research Urban, Architectural and Technical Design.

Delft: Delft University Press (DUP Science).

Jongman, B.; Hochrainer-Stigler, S.; Feyen, L.; Aerts, J. C. J. H.;

Mechler, R.; Botzen, W. W. J.; Bouwer, L. M.; Pflug, G.; Rodrigo,

R. & Ward, P. J. (2014): Increasing stress on disaster-risk finance

due to large floods. In: Nature Climate Change 4, 2014, 264–268,

https://www.nature.com/articles/nclimate2124, abgerufen am

18.07.2019.

Lüttringhausen, M. (2000): Stadtentwicklung und Partizipation.

Fallstudien aus Essen Katernberg und der Dresdner Äußeren Neustadt.

Bonn: Stiftung Mitarbeit. S. 66ff.

Magistrat der Stadt Wien Magistratsabteilung 18 - Stadtentwicklung

und Stadtplanung (Hrsg.) (2012): Praxishandbuch. Partizipation.

Gemeinsam die Stadt entwickeln, Wien: Ma-gistratsabteilung

18 - Stadtentwicklung und Stadtplanung Wien. URL: https://www.

wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008273.pdf abgerufen

am 18.07.2019.

Schinke, R.; Schwarze, R.; Carstensen, D.; Neubert, M.; Schinker,

N.; Melenhorst, M.; Schade, C. & Lier, O. (2019): Haushebung,

eine geeignete Maßnahme zur Hochwasservorsorge? Das Fallbeispiel

Brockwitz. In: Technische Universität Dresden, Institut

für Wasserbau und technische Hydromechanik (Hrsg.): Komplexe

Planungsaufgaben im Wasserbau und ihre Lösungen. Dresdner

Wasserbauliche Mitteilungen 62. Dresden: Technische Universität

Dresden, Institut für Wasserbau und technische Hydromechanik.

S. 373-382.

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin

(SenStadtUm) (Hrsg.) (2012): Handbuch zur Partizipation. 2. Aufl.,

Kulturbuch-Verlag. URL: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/

soziale_stadt/partizipation/download/Handbuch_Partizipation.pdf

abgerufen am 18.07.2019.

Weidinger, J. (Hrsg.) (2014): Entwurfsbasiert Forschen. Berlin: Universitätsverlag

der TU Berlin.

HUeBro

Laufzeit

01.04.2017 - 31.05.2019

Gefördert durch

Förderkennzeichen

03DAS104ABCDE

Förderprogramm

Anpassung an den

Klimawandel

Verbundpartner

TH Nürnberg -

Institut für Wasserbau und

Wasserwirtschaft

TU Dresden -

Institut für Hydrologie und

Meteorologie

TU Dresden -

Institut für Baugeschichte,

Architekturtheorie und

Denkmalpflege

TH Ostwestfalen-Lippe

urbanLab, nextPlace,

ConstructionLab

Leibniz Institut für ökolog.

Raumentwicklung e.V.,

Dresden

Kooperationspartner

Stadt Coswig

und weitere Kooperations-

partner

Kontakt

Prof. ir.

Michel Melenhorst

05231 769-6691

michel.melenhorst@th-owl.de

weitere Informationen

www.th-owl.de/fb1/forschung/

urbanlab/projekte/huebro-haushebung-ueberschwemmungsgebiete

In eigener Sache 127


Prof. Oliver Hall

Heimatwerker.NRW

Quelle: StadtBauKultur NRW. Fotograf: Sebastian Becker

Das im September 2016 gestartete

Modellprojekt Heimatwerker.NRW

in der Stadt Nieheim

(Landkreis Höxter) geht auf seine

Vollendung zu. Ein altes, von

Leerstand bedrohtes Ackerbürgerhaus

im historischen

Stadtkern wurde mit vereinten

Kräften von Geflüchteten,

Studierenden der Technischen

Hochschule OWL und Anwohner*innen

saniert. Während

des Umbaus erwarben die Projektteilnehmer*innen

auf der

Baustelle und in begleitenden

Kursen handwerkliche Kenntnissen,

die z.B. für die Qualifizierung

im Baugewerbe nützlich

sind. Bei der Umsetzung

wurden die Projektbeteiligten

fachkundig durch Architekt*innen

und Bauleiter*innen mit

sozialer Kompetenz angeleitet.

Nach Fertigstellung des Umbaus in

2019 kann das Haus in der Lüttgestraße

inklusive der eingerichteten Küche und

Werkstatt von allen Bewohner*innen

der Stadt Nieheim weiterhin für handwerkliche

und kreative Tätigkeiten sowie

für andere gemeinschaftliche Zwecke

genutzt werden.

Die Sanierung des Hauses wurde finanziert

durch das Städtebau-Sonderförderprogramm

des Ministeriums für

Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und

Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen

und einem Eigenanteil der Stadt Nieheim.

Weitere Kosten für Organisation,

Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen

und Dokumentation hat die Landesinitiative

StadtBauKultur NRW beigetragen.

Darüber hinaus wurden für den Umbau

und die langfristige Nutzung des

Gebäudes weitere Fördergeber, Sponsoren

und Spenden gewonnen, hierfür

wurde eigens der Förderverein Heimatwerker

e.V. gegründet.

128 In eigener Sache


Heimatwerker.NRW wurde als Pilotprojekt

zur Integration von Geflüchteten

auf dem Land gestartet, darüberhinaus

aber auch zur Bekämpfung des häufig

stadtbildprägenden Leerstands in historischen

Ortskernen. Das betrifft v.a.

die Ackerbürgerhäuser, die ehemals

multifunktional genutzt wurden zum

Wohnen, zur Unterbringung von Vieh

und Lagern von Heu. Dieser Archetyp

findet sich tausendfach in deutschen

Kleinstädten, meist aber als Leerstand

da viel zu groß dimensioniert für heutige

Wohnerfordernisse. Das Pilotprojekt

sollte belegen, dass mit einer Gemeinbedarfsnutzung

wie die Heimatwerker

nicht nur das Gebäude sinnvoll revitalisiert

wird, sondern als Treffpunkt

auch eine Vitalisierung des historischen

Stadtkerns einhergeht.

Die Strategie zur Schaffung von Bleibeperspektiven

für die Geflüchteten in

dem Projekt Heimatwerker beinhaltete

praktische Qualifizierungsmaßnahmen

vor Ort und das Selber machen lassen

durch Geflüchtete, Studierende und

Nachbar*innen. Das Angebot zur Beteiligung

und Aneignung der Räume wurde

über den Projektzeitraum in unterschiedlicher

Intensität wahrgenommen.

Als nachhaltig erfolgreich erwies sich

schließlich der Workshop Heimatwerker.TEXTIL

in dem Studierende geflüchtete

Frauen zur Teilnahme motivierten,

die anfangs, wohl auch aus kulturellen/

traditionellen Gründen der Baustelle

fernblieben. Aus dem Workshop heraus

ist die Zusammenarbeit mit der Caritas

Kleiderkammer gewachsen, mit der eine

Textilwerkstatt eingerichtet werden soll,

so dass nach Baufertigstellung die Gemeinbedarfsnutzung

sichergestellt ist.

Von dem Modellprojekt Heimatwerker.

NRW konnten somit alle Beteiligten profitieren:

Die Asylsuchenden konnten

sich beruflich qualifizieren, ihre Sprachkenntnisse

verbessern und sich aktiv

in die Stadtgesellschaft integrieren; die

„Von dem Modellprojekt Heimatwerker.NRW

konnten somit alle Beteiligten

profitieren: Die Asylsuchenden

konnten sich beruflich qualifizieren,

ihre Sprachkenntnisse verbessern und sich

aktiv in die Stadtgesellschaft integrieren; die

Gewerbetreibenden aus der lokalen Baubranche

konnten interessierten beruflichen

Nachwuchs gewinnen, der auf der Baustelle

vorgebildet wurde; die Studierenden sammelten

fachliche und soziale Erfahrungen;

die Stadt Nieheim erhält langfristig historische

Bausubstanz durch die neue Gemeinbedarfsnutzung;

den Bewohnerinnen und

Bewohnern von Nieheim werden Räume für

handwerkliche und kreative Tätigkeiten vor

allem im Textilgewerbe zur Verfügung gestellt

und mit der Gemeinschaftsküche und

Veranstaltungssaal entsteht langfristig ein

Begegnungsort der Kulturen.

Prof. Oliver Hall

urbanLab

Gewerbetreibenden aus der lokalen

Baubranche konnten interessierten beruflichen

Nachwuchs gewinnen, der auf

der Baustelle vorgebildet wurde; die

Studierenden sammelten fachliche und

soziale Erfahrungen; die Stadt Nieheim

erhält langfristig historische Bausubstanz

durch die neue Gemeinbedarfsnutzung;

den Bürger*innen Nieheims

werden Räume für handwerkliche und

kreative Tätigkeiten vor allem im Textilgewerbe

zur Verfügung gestellt und mit

der Gemeinschaftsküche und dem Veranstaltungssaal

entsteht langfristig ein

Begegnungsort der Kulturen.

Resümierend kann gesagt werden, dass

jeder Ort, und sei er noch so fremd für

Neubewohner*innen, Zugezogene und

Geflüchtete zu einer Heimat bzw. home

away from home werden kann, wenn

u.a. folgende Bedingungen / Kriterien

gegeben sind:

In eigener Sache 129


1. ANEIGUNGSFÄHIGKEIT

Durch selber machen, selber bauen

wird die Identifikation der Neu-Bewohner*innen

mit dem Ort stimuliert.

Die eingebrachte Muskelhypothek der

Projektbeteiligten reduziert die Kosten

und stärkt das Wir-Gefühl. Das Motto

der Heimatwerker „Wer einen Ort selber

baut, der bleibt“ trifft vor allem auf

Menschen zu, die ihre Heimat auf der

Flucht verlassen haben.

2. INFRASTRUKTUR

Schuster*in, Schneider*in, der kleine

Laden an der Ecke oder Angebote für

gemeinschaftliche Aktivitäten stärken

die Identifikation mit einem Ort. Der Begriff

Heimat hat also sehr viel mit lebenswertem

Umfeld und Wohnzufriedenheit

zu tun, dabei geht es um mehr als die

reine Wohnfunktion. Gemeinbedarfsangebote,

Infrastruktur und allgemeine

Nutzungsmischung bieten daher gute

Gründe sich heimisch zu fühlen.

Die Bedeutung von Heimat wird vermutlich

noch klarer, wenn es um den

Verlust von Heimat geht, und zwar den

erzwungenen Verlust durch Flucht und

Vertreibung, wie bei den über 1 Millionen

Geflüchteten, die v.a. 2015 aber

auch danach zu uns kamen.

Das, was alteingesessene Menschen

als Heimat empfinden, ist für die zugezogenen

Menschen ein ungewöhnlicher

und fremder Ort, vor allem wenn

diesen Menschen auf der Flucht nach

dem Königssteiner Schlüssel ein Bleibeort

in Deutschland zugewiesen wurde,

den sie sich nicht selber ausgesucht

haben, also ein home away from home.

Heimat wird subjektiv empfunden und

kann als solche nicht hergestellt werden,

allenfalls können Rahmenbedingungen

geschaffen bzw. gebaut werden, die

bei den zugezogenen Bewohner*innen

Heimatgefühle wecken. Das sind Erkenntnisse

aus dem beispielhaften Projekt

Heimatwerker in Nieheim.

3. GEMEINSCHAFT

Die kollektive Erfahrung eines gemeinsamen

Raums begünstigt das Gefühl

sich „heimisch“ zu fühlen. Die Dimension

des gebauten Bezugsraums reicht

dabei von einem Festsaal oder Gemeinschaftshaus,

wie das in Nieheim, bis zu

einem ganzen Quartier, das kollektiv als

Veedel oder Kiez erlebt wird.

Kontakt

Prof. Dipl.-Ing.

Oliver Hall

05231 769-6401

oliver.hall@th-owl.de

Ein gemeinsames Projekt von

StadtBauKultur NRW und das

Projekt werden gefördert durch

weitere Informationen

www.heimatwerker.nrw

www.th-owl.de/fb1/forschung/

urbanlab/projekte/heimatwerker

130 In eigener Sache


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Konferenzen & Fortbildungen

Kommunikation ist ein wichtiger Baustein zum

Wissenstransfer zwischen Forschung, Praxis

und Lehre. Das Symposium Regionaler Salon

debattiert Zukunftsfragen zwischen Forschern,

Planern und Politikern. Das Lab of the Region

entwickelt Projektideen aus der Bürgerschaft in

einem Open-Space Prozess.

Impressum

Herausgeber

Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe

Forschungsschwerpunkt urbanLab

Emilienstraße 45

32756 Detmold

Verantwortlich (Magazin)

Prof. Dipl.-Ing. Oliver Hall

Redaktion, Layout & Grafik

Marcel Cardinali

Oliver Großpietsch

Julia Krick

Nele Rodenberg

Abbildungen

Cover, S.6: Fabrizi M.; Lucarelli, F. (2010): symbiosis.

microcities, Architects, Paris.

Die Abbildungen sind, soweit nicht anders gekennzeichnet,

Eigentum der jeweiligen Verfasser.

Hinweis

Einige Artikel in diesem Magazin verwenden das

generische Maskulin und verzichten auf eine gendergerechte

Schreibweise. Wir möchten betonen,

dass mit Begriffen im generischen Maskulin

gleichermaßen männliche, weibliche und diverse

Personen gemeint sind.

Druck

Bösmann Medien und Druck GmbH & Co. KG,

Detmold

Auflage

1.400 Exemplare

Weiterführende

Informationen:

www.th-owl.de/urbanlab

facebook:

www.facebook.com/

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ist ein Zusammenschluss von Wohnungsbaugenossenschaften,

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Das urbanLab ist ein Forschungsschwerpunkt der Fachbereiche

Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur,

Bauingenieurwesen und des Fachbereichs

Landschafsarchitektur und Umweltplanung an der Technischen

Hochschule Ostwestfalen-Lippe.

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