Simbacher Anzeiger Heimatseiten - Veloziped
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1. März 2020<br />
<strong>Simbacher</strong> <strong>Anzeiger</strong><br />
Nr. 5/2020<br />
Das <strong>Veloziped</strong> und Motorräder waren ihre Leidenschaft<br />
Von Walter Geiring<br />
Ein Motorrad aus Simbach, das<br />
noch heute für Aufsehen sorgt,<br />
erlangte in den letzten Jahren<br />
wieder Aufmerksamkeit. Das aufwendig<br />
restaurierte Modell der<br />
beiden Aufschläger-Brüder Franz<br />
und Ferdinand steht nach vielen<br />
ereignisreichen Stationen im Museum<br />
Industriekultur in Nürnberg<br />
und wurde mit einem ausführlichen<br />
Artikel in der Fachzeitschrift<br />
„Oldtimer Markt“ vorgestellt.<br />
Es besticht mit seinem geschlossenen<br />
Kastenrahmen nicht<br />
unbedingt durch Aerodynamik,<br />
doch das Innenleben und die ausgetüftelte<br />
Technik sorgen auch<br />
125 Jahre später noch für Aufmerksamkeit.<br />
„Es ist für mich die<br />
Auferstehung eines verlorenen<br />
Schatzes“, beschreibt Siegfried<br />
Zottmaier, ein Nachkomme der<br />
Aufschläger-Familie die späte Ehre<br />
der technischen Erfindung, die<br />
um 1895 entstanden sein dürfte.<br />
Geniale Erfinder und Tüftler<br />
Um 1895 entstand das erste Motorrad der Aufschläger-Brüder. Es ist<br />
heute im Museum Industriekultur in Nürnberg zu sehen<br />
Die Gebrüder Franz und Ferdinand<br />
Aufschläger haben mit<br />
zahlreichen Erfindungen und der<br />
Entwicklung technischer Neuheiten<br />
nicht nur in Simbach, sondern<br />
landesweit für Furore gesorgt.<br />
Bereits nach der Schmiedelehre<br />
mit 14 Jahren baute Ferdinand<br />
1869 nach Vorbildern<br />
beim Eisenbahn- und Brückenbau<br />
in Simbach ein funktionierende<br />
Dampfmaschinenmodell. Wegen<br />
Wassermangels erbohrte er im<br />
elterlichen Wohnhaus am Stachus<br />
erstmals in Bayern artesisch gespanntes<br />
Wasser. 1873 fing er an<br />
Tiefbrunnen zu bohren. In diese<br />
Zeit fiel der erste Hochradbau mit<br />
seinem Bruder Franz und die<br />
Erfindung eines Verfahrens zum<br />
Aufschmelzen von Vollgummireifen<br />
auf Radfelgen. Beide Brüder<br />
waren begeisterte „<strong>Veloziped</strong>isten“,<br />
wie man die Hochrad-Fahrer<br />
nannte und die in Simbach in<br />
einem eigenen Verein ihrer Leidenschaft<br />
frönten. Bekannt wurden<br />
die Brüder aber auch durch<br />
den Bau von drei Motorrädern.<br />
Zwei davon wurden gemeinschaftlich<br />
um 1895 gebaut, dabei<br />
war eins für Ferdinand gedacht,<br />
das andere für seinen Bruder<br />
Franz. Im Laufe der Zeit gab es immer<br />
wieder technische Neuerungen<br />
wie die elektrische Zündung,<br />
die sofort in die Motorräder<br />
nachträglich eingebaut wurden.<br />
Aus diesen Gründen zog sich die<br />
Fertigstellung der beiden motorisierten<br />
Zweiräder auch über mehrere<br />
Jahre hin. Franz Aufschläger<br />
baute später noch ein drittes Motorrad,<br />
dieses wesentlich jüngere<br />
Gefährt steht heute im <strong>Simbacher</strong><br />
Heimatmuseum. Von den<br />
beiden älteren Motorrädern existiert<br />
nur noch eine Maschine,<br />
über den Verbleib des zweiten<br />
Motorrades ist leider nichts mehr<br />
bekannt.<br />
Henry Ford bekundete Interesse<br />
Das motorisierte Zweirad aus<br />
der Gründerzeit der Firma Aufschläger,<br />
das alle Wirrungen und<br />
tief greifenden Ereignisse der Geschichte<br />
überlebt hat, steht heute<br />
im Museum Industriekultur in<br />
Nürnberg. Es ist ein Motorrad mit<br />
viel Geschichte, denn letztlich war<br />
es auch eine glückliche Fügung,<br />
dass ausgerechnet die richtigen<br />
Personen das wertvolle Unikat in<br />
die Hände bekamen und ihren<br />
Wert zu schätzen wussten. Das<br />
Motorrad erbte 1930 Franz Aufschlägers<br />
Tochter Elisabeth, die<br />
auch gerne Lisl genannt wurde.<br />
Sie war mit dem österreichischen<br />
Adligen Johannes von Manussi<br />
Edler von Montesole verheiratet.<br />
Leider hatte die hübsche Lisl<br />
keine so rechte Verwendung für<br />
das geerbte Gefährt auf zwei Rädern.<br />
So schrieb sie am 19. Februar<br />
1931 an den berühmten Henry<br />
Ford und bot ihm das Werk ihres<br />
Vaters an. Für die Sammlung im<br />
Edison Institute ließ Ford sogar<br />
Interesse bekunden und nach Details<br />
der Konstruktion fragen.<br />
Doch außer der Entstehungszeit<br />
um 1895 verfügte Manussi über<br />
keine näheren Kenntnisse zu dem<br />
Motorrad, und nach weiterem<br />
Briefwechsel verblieb das Zweirad<br />
in Simbach. Nachdem ihr Ehemann<br />
1962 verstarb, lebte sie mit<br />
dem jüngeren Andreas Stoiber zusammen.<br />
Bei ihrem Tod im Jahr<br />
1968 vermachte sie das Motorrad<br />
Andreas Stoiber. Im Jahr 2005<br />
erbte schließlich Konservator und<br />
Neffe Hans-Peter Stoiber von seinem<br />
Onkel das historische Stück.<br />
Aufbewahrt wurde das Fahrzeug<br />
in dem Haus der Stoibers an der<br />
Passauer Straße in unmittelbarer<br />
Nähe zum Simbach.<br />
Vom Hochwasser zerstört<br />
Nun kam am 1. Juni 2016 das<br />
Ein weiteres Original von 1933 steht im <strong>Simbacher</strong> Heimatmuseum<br />
<br />
Fotos: Geiring<br />
verheerende Hochwasser und<br />
schluckte sprichwörtlich das besondere<br />
Unikat zum großen Bedauern<br />
von Stoiber. Mit bloßen<br />
Händen wurde das Motorrad<br />
nach der Schlammflut ausgegraben.<br />
Letztlich war nur noch ein<br />
großer Lehmbrocken übrig geblieben.<br />
Was sollte man nun mit<br />
dem kaputten Zweirad tun? Es<br />
war keine leichte Entscheidung,<br />
doch am Ende fand Stoiber in Vilsbiburg<br />
die Motorradwerkstatt<br />
von Stefan Datzer, die sich dem<br />
Problem annahm. Es musste sehr<br />
sorgfältig an die Arbeit herangegangen<br />
werden, schließlich wollte<br />
man unter der Zentimeter dicken<br />
und harten Dreckschicht nichts<br />
zerstören. Auch wenn sich nach<br />
vielen Arbeitsstunden das Hinterrad<br />
des historischen Unikums<br />
wieder drehen ließ, musste man<br />
die Vernietung der Hülle zerstören,<br />
um alles wieder mit Leinöl<br />
und Ballistol funktionsfähig zu<br />
machen. Doch letztlich hatte es<br />
sich gelohnt und alle Teile wurden<br />
wieder beweglich. Nun wurde die<br />
Frage nach dem Standort diskutiert.<br />
Wo sollte das Motorrad in<br />
Zukunft aufbewahrt werden? Zunächst<br />
dachte man an das Deutsche<br />
Museum in München. Doch<br />
die Verantwortlichen des Museums<br />
favorisierten als neuen Aufbewahrungsort<br />
das Museum Industriekultur<br />
in Nürnberg. Höchst<br />
erfreut zeigte sich hier die Museumsleitung<br />
über ein derartiges<br />
Angebot, obwohl man sonst nur<br />
Fahrzeuge aus Nürnberger Produktionen<br />
zeigte, griff man dort<br />
sofort zu. Als Dauerleihgabe präsentiert<br />
sich das erste Aufschläger-Motorrad<br />
nun in dem Museum<br />
und verdeutlicht eindrucksvoll<br />
den Zusammenhang von Technik-,<br />
Kultur und Sozialgeschichte. Später<br />
wurde die Maschine von Experten<br />
der Technischen Hochschule<br />
Nürnberg und eines namhafte<br />
Restaurators untersucht,<br />
ohne die Hülle zu zerstören. Die<br />
technische Analyse des Motors<br />
ergab für den liegenden Einzylinder<br />
rund 800 Kubikzentimeter mit<br />
einer Leistung von einer Pferdestärke.<br />
Nachdem der Zahnradantrieb<br />
zum Hinterrad fast keinen<br />
Verschleiß erkennen ließ, liegt die<br />
Vermutung nahe, dass nur wenig<br />
Kilometer mit dem Vehikel gefahren<br />
wurden. Eine geschnitzte<br />
Kopie nach Originalvorlagen des<br />
Motorrades wurde von Remy Insam<br />
aus Südtirol erstellt und ist<br />
aktuell im <strong>Simbacher</strong> Heimatmuseum<br />
zusammen mit dem dritten<br />
Motorrad aus dem Jahr 1933 zu<br />
sehen.<br />
Quellennachweis: Siegfried Zottmaier,<br />
Zeitschrift Oldtimer Markt 1/2019,<br />
Text: Stephan H. Schneider.