06.06.2020 Aufrufe

FINDORFF GLEICH NEBENAN Nr. 14

FINDORFF GLEICH NEBENAN ist das Stadtteilmagazin für Findorff und Bremen für Handel, Dienstleistung, Kultur & Politik

FINDORFF GLEICH NEBENAN ist das Stadtteilmagazin für Findorff und Bremen für Handel, Dienstleistung, Kultur & Politik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

DANACH<br />

q MORGEN IST HEUTE SCHON GESTERN: EINE WAHRE GESCHICHTE<br />

» Die Kleinsten hielten es für ein Märchen. «<br />

DIE NEUE ZEIT<br />

<strong>FINDORFF</strong> <strong>GLEICH</strong> <strong>NEBENAN</strong> | 26<br />

BEA BIETKE<br />

W<br />

ir hatten vergessen, dass wir zu Gast<br />

hier waren. Nicht nur das. Wir traten<br />

auf, als wenn alles, das es gab,<br />

nur für uns alleine da sei und wir<br />

uns davon nehmen könnten, wie es<br />

uns gefiel. Und wir nahmen !<br />

Wir nahmen, bis es einige Dinge einfach<br />

nicht mehr gab. Obwohl immer<br />

genug für alle hätte da sein können, wenn wir uns nur ein wenig<br />

gezügelt hätten. Doch die meisten von uns wollten sich nicht<br />

zügeln. Viele von uns gingen sogar noch einen Schritt weiter: Aus<br />

Machtgelüsten zerstörten wir Dinge. Und nicht selten zerstörten<br />

wir auch andere von uns.<br />

Wir waren kurz davor, die Grundlage unserer Existenz komplett<br />

zu zerstören, als unerwartet Hilfe kam. Gekleidet im Gewand<br />

des Todes, jedoch mit Regeln im Gepäck, die es wahrscheinlicher<br />

machten, dem Tod nicht direkt in die Augen schauen zu<br />

müssen, kam die »neue Normalität« herbeigeeilt. Nur wenige<br />

von uns erkannten, dass die neuen Regeln unsere Chance waren,<br />

uns zu besinnen. Eine Regel besagte, dass wir uns voneinander<br />

fernhalten sollten. Eine andere besagte, dass wir uns nur noch<br />

in einem kleinen Radius von dem Ort aus, an dem wir uns gerade<br />

befanden, bewegen durften. So wurde jede und jeder auf sich<br />

selbst zurück geworfen.<br />

Dadurch, dass die meisten von uns eine Zeit lang nicht existenziell<br />

gefährdet waren, solange wir uns an die neuen Regeln hielten,<br />

gab es zunächst keine erwähnenswerten Aufstände. Einige<br />

dachten ausschließlich darüber nach, wie wir unser Zerstörspiel<br />

in Zukunft weiterspielen können würden. Sie versuchten, alle<br />

anderen davon zu überzeugen, dass dieses Spiel weitergehen<br />

müsse und nannten es: »Die Wirtschaft und der Weltmarkt<br />

müssen erhalten bleiben und weiter wachsen.«<br />

Es gab andere, die schon lange erkannt hatten, dass wir uns mehr<br />

als unangemessen verhielten und dass das Wirtschaftswachstum<br />

sehr bald an seine Grenzen stoßen musste. Denn das einzige,<br />

das wir kannten, das grenzenlos weiterwuchs, war Krebs. Sie<br />

hatten sich bereits seit geraumer Zeit damit beschäftigt, wie<br />

wir das, was wir zerstört hatten, nicht nur reparieren, sondern<br />

zu lange nicht dagewesener Schönheit transformieren könnten.<br />

Und es gab welche, die sich bisher in verschiedenen Strömen<br />

hatten mittreiben lassen und das Denken anderen überließen.<br />

In den meisten von uns steckten alle drei Verhaltensmuster. Das<br />

schien kompliziert, doch in Wirklichkeit vereinfachte das die<br />

ganze Angelegenheit enorm. Denn genau aus diesem Grund fiel<br />

es den meisten von uns leicht, sich in andere Personen hineinzuversetzen;<br />

selbst in eine, deren Verhalten wir nicht besonders<br />

mochten. Einige sagten, wir hätten uns bisher, unabhängig vom<br />

tatsächlichen Alter, wie Jugendliche verhalten. Und nun hätten<br />

wir die Chance, wie Erwachsene zu handeln.<br />

Wir erinnerten uns, dass wir nur zu Gast hier waren. Und dass<br />

nach uns andere Gäste kommen würden. Und wir erinnerten<br />

uns daran, wie schön dieser Ort einst gewesen ist, bevor wir<br />

ihn zerstört hatten. Es lag nicht allzu lang zurück, als die Erde<br />

gesund und fruchtbar war, die Flüsse klar und in natürlichen<br />

Bahnen geflossen sind und die Luft weich und sauber gewesen<br />

ist. Und als auch die Tierwelt gesund gewesen ist.<br />

In noch kürzerer Zeit, als wir gebraucht hatten, all dies zu<br />

zerstören, schafften wir es, die Schönheit wiederherzustellen.<br />

Wir nutzten des Weiteren all unsere Erfindungen, um die neue<br />

Entschleunigung für uns alle beizubehalten. Denn uns wurde<br />

bewusst, dass es uns unter Stress unmöglich war, angenehme<br />

Gäste zu sein. Viele von uns waren zudem bereit, den Lebensstandard<br />

zu verringern für eine höhere Lebensqualität.<br />

Wir sorgten außerdem dafür, dass es ausnahmslos allen von uns<br />

gut ging. Das war für einen Großteil von uns die größte Herausforderung<br />

! Viele von uns hatten einen so festen Glauben daran<br />

entwickelt, dass wir niemals, einfach nur, weil es uns gab, Dinge<br />

geschenkt bekommen könnten. So lange hatten wir geglaubt,<br />

dass wir für alles, wonach wir begehrten, hart arbeiten müssten.<br />

Und dass wir schon gar nicht überwiegend das tun könnten,<br />

was wir gerne machten. Doch genau so richteten wir es ein: In<br />

den vielen kleinen Gemeinschaften, die wir bildeten, machte<br />

jede Person überwiegend das, was sie gerne machte. Einige<br />

kochten für alle. Und sie kochten mit so viel Herzblut, dass es<br />

köstlich schmeckte ! Und anders als früher waren die Speisen<br />

nun nahrhaft.<br />

Die Nahrungsmittel wuchsen nach den Regeln der Permakultur,<br />

die bereits in den 1970er Jahren entwickelt worden war. Die<br />

Prinzipien der permanenten Landwirtschaft besagten: »Sorge<br />

für die Erde. Sorge für die Menschen. Begrenze Konsum und<br />

Wachstum und teile Überschüsse.« Die Böden wurden wieder<br />

fruchtbar und die Erträge waren reichhaltig. Dafür benötigten<br />

wir nur wenige gezielte Eingriffe in die Natur und ein wenig<br />

ExpertInnenwissen, welches bereits weltweit vorhanden war.<br />

Wir griffen auf längst bekanntes Wissen zurück, um Lebensmittel<br />

auf natürliche Weise haltbar zu machen. Fertiggerichte, Konservierungsstoffe<br />

und in Plastik verpackte Lebensmittel kannte<br />

man bald nur noch aus den Erzählungen der Alten. Und in dem<br />

Maße, wie die Erde wieder gesundete, gesundeten auch wir.<br />

Wenn die Kinder den Geschichten von früher lauschten, lachten<br />

sie oft laut heraus. So unglaublich klang es in ihren Ohren, wie<br />

wir uns früher verhalten haben sollen und wie karg die Erde<br />

früher ausgesehen haben soll. Die Kleinsten hielten es für ein<br />

Märchen.<br />

Text: Bea Bietke, Foto: Noam Armonn, www.shutterstock.com<br />

Zum Thema »Permakultur« gibt es im Internet derzeit den<br />

Film »INHABIT: An Indigenous Perspective« – kostenlos zu<br />

sehen auf www.inhabitfilm.com ▲<br />

<strong>FINDORFF</strong> <strong>GLEICH</strong> <strong>NEBENAN</strong> | 27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!