FINDORFF GLEICH NEBENAN Nr. 14
FINDORFF GLEICH NEBENAN ist das Stadtteilmagazin für Findorff und Bremen für Handel, Dienstleistung, Kultur & Politik
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DANACH<br />
q MORGEN IST HEUTE SCHON GESTERN: EINE WAHRE GESCHICHTE<br />
» Die Kleinsten hielten es für ein Märchen. «<br />
DIE NEUE ZEIT<br />
<strong>FINDORFF</strong> <strong>GLEICH</strong> <strong>NEBENAN</strong> | 26<br />
BEA BIETKE<br />
W<br />
ir hatten vergessen, dass wir zu Gast<br />
hier waren. Nicht nur das. Wir traten<br />
auf, als wenn alles, das es gab,<br />
nur für uns alleine da sei und wir<br />
uns davon nehmen könnten, wie es<br />
uns gefiel. Und wir nahmen !<br />
Wir nahmen, bis es einige Dinge einfach<br />
nicht mehr gab. Obwohl immer<br />
genug für alle hätte da sein können, wenn wir uns nur ein wenig<br />
gezügelt hätten. Doch die meisten von uns wollten sich nicht<br />
zügeln. Viele von uns gingen sogar noch einen Schritt weiter: Aus<br />
Machtgelüsten zerstörten wir Dinge. Und nicht selten zerstörten<br />
wir auch andere von uns.<br />
Wir waren kurz davor, die Grundlage unserer Existenz komplett<br />
zu zerstören, als unerwartet Hilfe kam. Gekleidet im Gewand<br />
des Todes, jedoch mit Regeln im Gepäck, die es wahrscheinlicher<br />
machten, dem Tod nicht direkt in die Augen schauen zu<br />
müssen, kam die »neue Normalität« herbeigeeilt. Nur wenige<br />
von uns erkannten, dass die neuen Regeln unsere Chance waren,<br />
uns zu besinnen. Eine Regel besagte, dass wir uns voneinander<br />
fernhalten sollten. Eine andere besagte, dass wir uns nur noch<br />
in einem kleinen Radius von dem Ort aus, an dem wir uns gerade<br />
befanden, bewegen durften. So wurde jede und jeder auf sich<br />
selbst zurück geworfen.<br />
Dadurch, dass die meisten von uns eine Zeit lang nicht existenziell<br />
gefährdet waren, solange wir uns an die neuen Regeln hielten,<br />
gab es zunächst keine erwähnenswerten Aufstände. Einige<br />
dachten ausschließlich darüber nach, wie wir unser Zerstörspiel<br />
in Zukunft weiterspielen können würden. Sie versuchten, alle<br />
anderen davon zu überzeugen, dass dieses Spiel weitergehen<br />
müsse und nannten es: »Die Wirtschaft und der Weltmarkt<br />
müssen erhalten bleiben und weiter wachsen.«<br />
Es gab andere, die schon lange erkannt hatten, dass wir uns mehr<br />
als unangemessen verhielten und dass das Wirtschaftswachstum<br />
sehr bald an seine Grenzen stoßen musste. Denn das einzige,<br />
das wir kannten, das grenzenlos weiterwuchs, war Krebs. Sie<br />
hatten sich bereits seit geraumer Zeit damit beschäftigt, wie<br />
wir das, was wir zerstört hatten, nicht nur reparieren, sondern<br />
zu lange nicht dagewesener Schönheit transformieren könnten.<br />
Und es gab welche, die sich bisher in verschiedenen Strömen<br />
hatten mittreiben lassen und das Denken anderen überließen.<br />
In den meisten von uns steckten alle drei Verhaltensmuster. Das<br />
schien kompliziert, doch in Wirklichkeit vereinfachte das die<br />
ganze Angelegenheit enorm. Denn genau aus diesem Grund fiel<br />
es den meisten von uns leicht, sich in andere Personen hineinzuversetzen;<br />
selbst in eine, deren Verhalten wir nicht besonders<br />
mochten. Einige sagten, wir hätten uns bisher, unabhängig vom<br />
tatsächlichen Alter, wie Jugendliche verhalten. Und nun hätten<br />
wir die Chance, wie Erwachsene zu handeln.<br />
Wir erinnerten uns, dass wir nur zu Gast hier waren. Und dass<br />
nach uns andere Gäste kommen würden. Und wir erinnerten<br />
uns daran, wie schön dieser Ort einst gewesen ist, bevor wir<br />
ihn zerstört hatten. Es lag nicht allzu lang zurück, als die Erde<br />
gesund und fruchtbar war, die Flüsse klar und in natürlichen<br />
Bahnen geflossen sind und die Luft weich und sauber gewesen<br />
ist. Und als auch die Tierwelt gesund gewesen ist.<br />
In noch kürzerer Zeit, als wir gebraucht hatten, all dies zu<br />
zerstören, schafften wir es, die Schönheit wiederherzustellen.<br />
Wir nutzten des Weiteren all unsere Erfindungen, um die neue<br />
Entschleunigung für uns alle beizubehalten. Denn uns wurde<br />
bewusst, dass es uns unter Stress unmöglich war, angenehme<br />
Gäste zu sein. Viele von uns waren zudem bereit, den Lebensstandard<br />
zu verringern für eine höhere Lebensqualität.<br />
Wir sorgten außerdem dafür, dass es ausnahmslos allen von uns<br />
gut ging. Das war für einen Großteil von uns die größte Herausforderung<br />
! Viele von uns hatten einen so festen Glauben daran<br />
entwickelt, dass wir niemals, einfach nur, weil es uns gab, Dinge<br />
geschenkt bekommen könnten. So lange hatten wir geglaubt,<br />
dass wir für alles, wonach wir begehrten, hart arbeiten müssten.<br />
Und dass wir schon gar nicht überwiegend das tun könnten,<br />
was wir gerne machten. Doch genau so richteten wir es ein: In<br />
den vielen kleinen Gemeinschaften, die wir bildeten, machte<br />
jede Person überwiegend das, was sie gerne machte. Einige<br />
kochten für alle. Und sie kochten mit so viel Herzblut, dass es<br />
köstlich schmeckte ! Und anders als früher waren die Speisen<br />
nun nahrhaft.<br />
Die Nahrungsmittel wuchsen nach den Regeln der Permakultur,<br />
die bereits in den 1970er Jahren entwickelt worden war. Die<br />
Prinzipien der permanenten Landwirtschaft besagten: »Sorge<br />
für die Erde. Sorge für die Menschen. Begrenze Konsum und<br />
Wachstum und teile Überschüsse.« Die Böden wurden wieder<br />
fruchtbar und die Erträge waren reichhaltig. Dafür benötigten<br />
wir nur wenige gezielte Eingriffe in die Natur und ein wenig<br />
ExpertInnenwissen, welches bereits weltweit vorhanden war.<br />
Wir griffen auf längst bekanntes Wissen zurück, um Lebensmittel<br />
auf natürliche Weise haltbar zu machen. Fertiggerichte, Konservierungsstoffe<br />
und in Plastik verpackte Lebensmittel kannte<br />
man bald nur noch aus den Erzählungen der Alten. Und in dem<br />
Maße, wie die Erde wieder gesundete, gesundeten auch wir.<br />
Wenn die Kinder den Geschichten von früher lauschten, lachten<br />
sie oft laut heraus. So unglaublich klang es in ihren Ohren, wie<br />
wir uns früher verhalten haben sollen und wie karg die Erde<br />
früher ausgesehen haben soll. Die Kleinsten hielten es für ein<br />
Märchen.<br />
Text: Bea Bietke, Foto: Noam Armonn, www.shutterstock.com<br />
Zum Thema »Permakultur« gibt es im Internet derzeit den<br />
Film »INHABIT: An Indigenous Perspective« – kostenlos zu<br />
sehen auf www.inhabitfilm.com ▲<br />
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