STILVORLAGE. Auch in dieser Kampagne vonGucci spielt Styles mit Geschlechterklischees. Spiel mit dem Zeitgeist Popstar Harry Styleshinterlässt nicht nur als Musiker,sondern auch in der Mode mit einem rüschenreichen Stil bleibenden Eindruck. Text: Hildegard Suntinger Fotos: Harmony Korine für Gucci. 18 <strong>Schaufenster</strong>
Wer ist dieser 26-Jährige, der sich die Fingernägel lackiert und den Hosenbund über dem Bauchnabel trägt? Vor einigen Monaten machte sich James Corden in der Serie „Carpool Karaoke“ über den Aufzug von Harry Styles lustig. Die beiden saßen nebeneinander im Auto, und bei jedem Schnitt rutschte der Hosenbund höher –bis der Sänger fast darin verschwand. Styles blieb cool und unbeirrbar: Auf dem Cover seines zweitens Albums „Fine Line“ werden die weißen Schlaghosen von pinkfarbenen Hosenträgern gehalten. Der junge Brite ist seit zehn Jahren im Musikbusiness und gilt als drittreichster Brite unter dreißig. Neben den Fans seiner Musik spricht er auch ein arriviertes Modepublikum an, das ansonsten an Retrofilmsettings à la Wes Anderson und Quentin Tarantino Gefallen findet. Anzug mit Twist. So souverän war ernicht immer. Als er 2010 nach seiner Entdeckung in einer Castingshow mit der Boyband One Direction startete, zog er sich an wie sein Kollege Justin Bieber, den man zwei Jahre zuvor entdeckt hatte: Er trug enge Hosen, Cardigans und ziemlich viel Lila. Eine Stilformel, mit der sich Styles kaum von seinem jungen Publikum unterschied. Für mediale Aufregung sorgten allerdings seine extrem engen Jeans, die er nach eigenen Angaben in der Damenabteilung kaufte. Noch vehementer fiel die Kritik aus, als er einmal mit einer Lammfelljacke auftauchte, obwohl er kurz zuvor zum Tierschutz aufgerufen hatte! Nach vereinzelten Stileskapaden kam Styles ziemlich schnell auf den Anzug, den er schon 2013 trug, bei der Verleihung der British Style Awards. 2017 veröffentlichte Styles seine erste Solo-Single „Sign of the Times“ und erreichte damit Platz eins der britischen Charts. Erhatte sich auf West-Coast-Rock der Siebziger eingesungen und gewann prominente Fans wie Elton John und Stevie Nicks, die Frontfrau von Fleetwood Mac. Der Inbegriff der männlichen Garderobe wurde allmählich zur Konstante inder Stilbiografie von Harry Styles. Allerdings geht es bei ihm weniger darum, was erträgt, sondern eben, wie er es trägt. Styles spielt mit Humor und kindlicher Naivität mit den Gegensätzen von feminin und maskulin und hinterfragt damit die Vorstellungen von Geschlechterrollen und Männlichkeit. Zur MET-Gala 2019 und für das Motto „Mode und Camp“ trug er eine transparente schwarze Schluppenbluse, die den Blick auf seinen tätowierten Oberkörper freigab. Der Hosenbund war noch höher als gewöhnlich und reichte bis zur Brust. Bei den Brit Awards <strong>2020</strong> wechselte erseine Garderobe dreimal: Am roten Teppich erschien er mit einem rostbraunen Anzug von Gucci und zum Dinner in einem knallgelben von Marc Jacobs. Eigentlich war er gekommen, um den Song „Falling“ aus seinem zweiten Studioalbum zu performen. Das tat erauch, in einem weißen Spitzenoverall von Gucci. Von Modekennern und „Fashionistas“ bekommt Harry Styles großes Lob für seinen Mut, mit Bekleidung zu experimentieren und Geschlechterklischees aufzubrechen. Leandra Medine, Gründerin des klugen Modeblogs „Man Lackierte Nägel und Schluppenblusen für Männer machte Styles salonfähig. Repeller“, postete auf Instagram Detailfotos von einem seiner Brit-Awards-Outfits: Das dunkle Rostbraun des Anzugs, das mit dem lilafarbenen Pullover äußerst gewagt wirkt, die lilafarbenen Fingernägel, der weiße Spitzenkragen und die Perlenkette, die an Lady Di erinnern –und die kindlichen Mary-Jane-Schuhe, die mit dem Dresscode der Gothic Lolitas assoziiert sind. „Androgyner Großmutterschick“, kommentierte eine Userin, „das war der Traumlook meiner Mutter für mich in der Unterstufe“, eine andere, und „very Wes Anderson“, eine dritte. So freundlich sind die Kommentare inden (sozialen) Medien aber nicht immer. Manche nennen Harry Styles mitunter einen Clown oder einen Möchtegern-David-Bowie. Und tatsächlich trägt erauf dem Cover seines Albums „Fine Line“ fast die gleiche Hose wie David Bowie 1983. Bowie hatte allerdings viele Bühnenpersönlichkeiten. Styles macht es anders: Er möchte erselbst sein, weil er denkt, dass diese Art von Authentizität gerade viele Leute brauchen. Zum „Guardian“ sagte er: „Wenn ich etwas sage, dann möchte ich, dass die Leute annehmen können, ich meine das auch wirklich so.“ Model und Muse. Den Ausdruck seiner wahren Persönlichkeit fand er offenbar in den Kollektionen von Alessandro Michele für Gucci. Der erfolgreiche Designer unterscheidet nicht mehr zwischen männlichen und weiblichen Bekleidungskonventionen und inszeniert inseinen Shows eine bunt durchmischte Atmosphäre mit Einflüssen aus den 1970er-Jahren und diversen Subkulturen. Damit leitete erAnfang 2015 eine Stilwende ein, mit der niemand gerechnet hatte: Während seine Kollegen vernünftige Alltagskleidung designten, schwelgte Michele in farbenprächtigen floralen Dessins, opulenten Silhouetten und absurden Dekorationen. Wie sich später herausstellte, stellte ersich damit auf die Befindlichkeit einer neuen Zielgruppe ein. Harry Styles gilt als eine der Musen von Michele; der Sänger holt dessen Modevisionen vom Laufsteg in das echte Leben – oder zumindest auf den roten Teppich. Umgekehrt bringt ersein verspieltes Naturell auch in die Kampagnen des Labels ein. In einer Fotoserie taucht er mit einem Huhn auf dem Arm auf – in einem anderen spielt er mit Schweinchen und Lämmchen. Diese Szenarien sollen sich von verbreiteten Images der Luxusmode absetzen und zeigen, dass Mode zumindest in Genderfragen einen Unterschied machen kann. Bei jungen weiblichen Musikstars ist esderzeit chic, feministisch zu sein. Zuletzt war esdie 18-jährige Billie Eilish, die das Thema in den öffentlichen Diskurs brachte. Sie trägt weite Kleider, weil sie nicht nach ihrem Körper, sondern nach ihren Fähigkeiten beurteilt werden will. Harry Styles wiederum findet seinen unentschiedenen Stil passend für sein Image: Er zieht Parallelen zur Musik, wo die Grenzen zwischen den Genres auch gerade verfließen. Dass die Medien diese Attitüde mit seiner Sexualität in Verbindung bringen, sei Teil des Jobs, so Styles. Gegenüber dem „Guardian“ sagte er: „Sich darüber zubeschweren wäre einfach dumm. Man respektiert, dass jemand fragt, und man hofft, dass derjenige esauch respektiert, womöglich keine Antwort zu bekommen.“ s <strong>Schaufenster</strong> 19