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Schaufenster 2020-06-12

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Infos<br />

Hotel: Sokrat HotelinTirana: Gut<br />

gelegen, ruhig, großes Frühstück.<br />

hotelsokrat.com<br />

HotelGuri in Elbasan: in der Festung,<br />

zu italienischer Villa umgebaut.<br />

Tel.: +355/(0)69208/30 89<br />

Essen/Trinken: Typisch sind frisches<br />

Gemüse inkl. Knoblauch<br />

und Frühlingszwiebeln, Schafskäse<br />

und Brot. Byrek mit Spinat,<br />

Käse oder Faschiertem. Fermet<br />

(Sauercreme aus Ziegenmilch),<br />

Auflauf von Elbasan (mit Joghurt,<br />

mariniertem Lamm und<br />

→<br />

mann“-Aufschrift unterwegs. Aber Albanien ist nicht<br />

mehr nur der Gnadenhof für Mitteleuropas Autoschrott:<br />

Sportwägen und SUVs zeigen, dass neues Geld auch mit<br />

neuen Autos protzen will.<br />

In den verfallenen Fabrikhallen des einstigen Kombinats<br />

„Stahl der Partei“ arbeiteten einst 11.000 Menschen.<br />

Heute schmelzen gerade einmal 3000 Angestellte<br />

Abfallmetall aus ganz Europa ein. Schon zwei,<br />

drei Kilometer weiter aber beginnen blühende Landschaften:<br />

Ginster leuchtet, Rebenreihen ziehen sich die<br />

Hänge hinauf, zwischen Pappeln und Vogelbeeren<br />

schmiegen sich Steinhäuser an steile Hänge. Bunker<br />

ragen wie halbversunkene Domkuppeln aus der Erde.<br />

Häuser in jedem Zustand der Nichtfertigstellung warten<br />

auf den nächsten Geldschub aus dem Ausland. Und entdeckt<br />

man irgendwo einen maurischen Tempel oder ein<br />

Märchenschloss mit einem schwarzen Adler, handelt es<br />

sich garantiert umein neues Hotel.<br />

Rebsorten und Bettenburgen. Bei türkischem Kaffee<br />

und Raki erfahren die Besucher, wie Ali und Flora<br />

Tafani im vergangenen Jahr von einem Aufkäufer um<br />

die ganze Tabakernte betrogen wurden. Nun versuchen<br />

sie es mit Heilkräutern. Zum Rotwein erzählt der 90-jährige<br />

Künstler Leke Tasi, wie er vom Regime Enver Hodschas<br />

wegen mangelnder Begeisterung in ein fernes<br />

Dorf deportiert wurde. Und Flori Uka, ein 43-jähriger<br />

Winzer, erklärt, wie erder alten Traubensorte<br />

Cernja zu neuer Blüte verhelfen will.<br />

Auch im Tourismus sind die Gegensätze frappierend.<br />

Entlang eines kilometerlangen Streifens<br />

an der Küste ziehen sich monströse Bettenburgen,<br />

wie sie Spanien vor 40Jahren verbrochen<br />

hat. In Berat, der schönen „Stadt der<br />

1000 Fenster“, sind viele albanische Schüler<br />

unterwegs, und von der 2400 Jahre alten Festung<br />

geht der Blick hinunter auf einen breiten<br />

Boulevard. Das dominierende Gebäude, das<br />

einer Mischung aus Petersdom und Tadj Mahal<br />

ähnelt, sollte ursprünglich als Privatuni betrieben<br />

werden. Dafür erhielt der Bauherr keine<br />

Genehmigung. Jetzt wird eszum Hotel.<br />

Ganz im Osten des Landes liegt der Shebenik-<br />

Jablanica-Nationalpark. Eine halbfertige Straße<br />

führt ins kleine Dorf Fushe Studa. Während<br />

STIMMUNG.<br />

Das Leben findet<br />

draußen statt: Die<br />

Straßen säumen<br />

Gastgärten.<br />

Eiern). Tipps: Restaurant Mangalemi:<br />

(mangalemihotel.com), Uka-<br />

Farm: Biofarm des früheren Landwirtschaftsministers<br />

Rexhep Uka.<br />

Infos: Visit-albania.com<br />

In den uralten Buchenwäldern<br />

leben Bären, Luchse, Wildziegen.<br />

RESERVE. DieÖlund<br />

Gasvorkommen<br />

des Landes<br />

sind noch wenig<br />

erschlossen.<br />

Fatnis Tupi, der Wirt des Lokals, im Kamin Weißbrot<br />

röstet und den Tisch mit Eingelegtem, harten Eiern,<br />

Salat, Lammstücken und Fergese (einer Mischung aus<br />

Leber, Käse und Öl) füllt, sitzen Männer aus dem Dorf<br />

beim Raki, rauchen und starren schweigend in den<br />

Regen. Juli Balla, der 34-jährige Chef der Ranger, erzählt<br />

von seiner Arbeit. Der größte Nationalpark Albaniens<br />

reicht von 260 bis in2660 Meter Höhe. Sein Juwel sind<br />

uralte Buchenwälder, indenen sich Bären, Luchse und<br />

Wildziegen tummeln. Das kleine Infozentrum nebenan<br />

hat eine italienische Organisation gestiftet. Die Zahl der<br />

Touristen nimmt zu, aber es gibt gerade mal 60 Betten<br />

in der Region. Deshalb organisieren er und seine Männer<br />

auch Treffen für Dorfbewohner, bei denen es um<br />

Hygiene, Kalkulation und Betriebsführung geht.<br />

„Nur der Tourismus kann das Dorf wiederbeleben“,<br />

ist sich Fatnis Tupi sicher.<br />

Am nächsten Morgen scheint die Sonne und<br />

Lorec, der freundliche Sohn des Wirten, führt<br />

die Besucher in die Berge. Farne und Wacholder<br />

säumen den Pfad. Aneiner Feuerstelle am türkisen<br />

Karstsee kickt er wütend ein paar zurückgebliebene<br />

Bierflaschen in die Asche. Seinetwegen,<br />

sagt Lorec, müsse die Zufahrtsstraße nicht verbessert<br />

werden. Touristen seien willkommen,<br />

aber noch mehr Leute mit Jeeps, die Bier tränken<br />

und rumgrölten, bräuchten sie hier nicht.<br />

400 Häuser in der Region stehen leer, seine<br />

Schwester arbeitet als Ärztin in Miami, er selbst<br />

findet im Dorf keine Frau. Und doch, sagt Lorec,<br />

der 31-Jährige, der jeden Tag inseinen Bergen<br />

wandert, lächelnd: „Alles ist gut, wie es ist.“ s<br />

Fotos: Die Recherche erfolgte „vor Corona“ auf Einladungn des Veranstalters „Reisen mit Sinnen“, www.reisenmitsinnen.de, Perboge/Istock, Getty via Istock,<br />

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