60 MÖBEL, PENDULEN, BRONZEN, SPIEGEL, TAPISSERIEN UND DIVERSES 1130* 1 PAAR PRUNK-ANRICHTEN „ASPASIA ET LE PHILOSOPHE“, spätes Louis XIV, sign. ALIX A PARIS (Georges François Alix, 1846- 1906), nach Vorlagen von A.C. BOULLE (André Charles Boulle, 1642-1732), Paris um 1880. Holz ebonisiert und fein eingelegt mit Messingfilets in „contre partie“; Blumen, Blätter, Kartuschen und Zierfries. Rechteckiger Korpus mit vorstehendem Blatt auf profiliertem, ausgeschnittenem Sockel. Zweitürige Front mit markanter Schlagleiste. Ausserordentlich feine, matt- und glanzvergoldete Bronzebeschläge und -applikationen in Form von Figuren, Maskaronen, Medaillen, Blättern und Zierfries. 124x49x130 cm. Provenienz: Aus einer europäischen Sammlung. Hochbedeutendes Paar von bestechender Qualität. Das Modell von A.C. Boulle war in den Jahren um 1700 äusserst beliebt. Es sind mehrere Halbschränke bekannt - mindestens 8 Paare, die sich nur minimal unterscheiden. Ein solches ist heute Bestand der Sammlungen der Ermitage in St. Petersburg, ein weiteres ist in Pariser Privatbesitz und abgebildet in: A. Pradère, Die Kunst des französischen Möbels, Paris 1994; S. 81 (Abb. 32). Die Tatsache, dass eine Pariser Meisterwerkstatt des 19. Jahrhunderts die Produktion solcher Prunk<strong>möbel</strong> wieder aufnahm, kann als Beleg für die grosse Bedeutung des Ebenisten A.C. Boulle gewertet werden und ist zugleich ein Hinweis für das damalige Verständnis von Luxus im „goût Louis XIV“ der neuen wirtschaftlichen Elite der französischen Metropole. Aspasia ( ca. 470-420 v. Chr.) war eine griechische Philosophin, eine geistvolle und schöne Frau, für die Perikles seine erste Gattin verliess. Um 450/445 v. Chr. heirateten sie, Aspasia gebar bald darauf einen Sohn. Aufgrund des sogenannten „Bastardgesetzes“ von 451 v. Chr., wonach nur aus der Verbindung attischer Bürger das volle Bürgerrecht entspringen konnte, blieb Aspasias Sprössling zunächst vom Recht ausgeschlossen, denn die Verbindung zwischen dem Athener Perikles und der Milesierin Aspasia war rechtlich gesehen ein Konkubinat und widersprach der attischen Gesellschaftsstruktur - daher die Vermutung, Aspasia sei Perikles Geliebte oder gar Hetäre. Dem üblen Gerede der Bevölkerung folgte die Anschuldigung, Aspasia sei für den Ausbruch des samischen Aufstandes um 441 v. Chr. verantwortlich gewesen. Die hochgebildete Frau hatte besten Kontakt zu den neuen philosophischen Strömungen aus Ionien und ihren Vertretern; Sokrates, Sophokles, Euripides, Pheidias und die Elite der damaligen Zeit verkehrten in ihrem Hause. In Platons Dialog „Menexenos“ beruft sich Sokrates auf Aspasia als seine Lehrerin der Rhetorik. Anderseits wird Aspasia von antiken Komödienverfassern, insbesondere vom berühmten Aristophanes als Hetäre dargestellt und verun- 1130 (Detail) glimpft. Die angebliche Gefahr der politischen Einflussnahme auf Perikles trieb auch die Anklage der Gottlosigkeit und Kuppelei (433/32 v.Chr.) voran. Perikles selbst konnte nur mit Mühe einen Freispruch erreichen. Nach Perikles’ Tod 429 v. Chr. lebte Aspasia mit Lysikles, einem Anhänger des Perikles, bis zu ihrem Lebensende in Athen. Bei der männlichen Figur könnte es sich um den Philosophen Anaxagoras handeln, der Perikles’ Lehrer und philosophischer Berater war. Er vermittelte seinem Schüler geistige Orientierung und gab ihm Ratschläge für das Auftreten in der Öffentlichkeit. Gemäss Plutarch war es Anaxagoras, der dem athenischen Staatsmann „jene Kraft, jenen festen und standhaften Mut, das Volk zu leiten beibrachte und überhaupt seinen Charakter zu einer besonderen Würde und Vollkommenheit erhob“. Perikles, der Anaxagoras ausserordentlich schätzte, soll von ihm „in der Kenntnis überirdischer und himmlischer Dinge unterrichtet“ worden sein. Durch die Schulung gelangte Perikles „zu einer hohen Denkungsart und zu einem erhabenen Vortrage, der von allem erkünstelten, auf Volksgunst abzielenden Gewäsch ganz rein war“. Der Irreligiosität angeklagt, wurde Anaxagoras von Perikles vor der Todesstrafe gerettet und verbrachte seine letzten Lebensjahre in der Verbannung in Lampsakos. J.F. Alix gehört zu den bedeutendsten Ebenisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Er spezialisierte sich sowohl auf eigene, sehr originelle Kreationen als auch auf Möbel nach Vorbildern des 18. Jahrhunderts und des Empire. Von bestechender Qualität waren seine Prunk<strong>möbel</strong> mit Boulle-Marketerie - Berufskollegen wie F. Linke erwarben solche Stücke bei ihm. Zu Alix’ illustren Kundschaft zählten wichtige und wohlhabende Aristokraten und Bankiers des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Alix stellte seit den 1880er Jahren regelmässig in den „Expositions“ in Paris aus, wo er zahlreiche Medaillen gewann. Die ursprünglich aus Italien und Holland stammende Einlegearbeit mit Messingfilets, Schildpatt und Elfenbein wurde im späten 17. Jahrhundert von dem für den Hof im Louvre tätigen A.C. Boulle zu höchster Vollendung weiterentwickelt; daher wird diese Technik als „Boulle-Marketerie“ bezeichnet. Als zeichnerische Vorlagen für die Motive müssen vor allem die Arbeiten von J. Bérain (1638-1711) erwähnt werden. Lit.: D. Ledoux-Lebard, Le mobilier français du XIXe siècle, Paris 1989; S. 25 (biogr. Angaben zu Alix). P. Kjellberg, Le mobilier français du XVIIIe siècle, Paris 1989; S. 106-114 (biogr. Angaben zu Boulle). A. Pradère, Die Kunst des französischen Möbels, München o.J.; S. 67-109 (biogr. Angaben zu Boulle). J.P. Samoyault, André-Charles Boulle et sa famille, 1979. CHF 200 000.- / 300 000.- (€ 124 220.- / 186 340.-) Siehe Abb.
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