möbel kultur 06/20
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Je länger wir den<br />
Lockdown hinter uns<br />
lassen, desto mehr<br />
hellt sich die Lage auf.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Herr Kurth, wie steht es<br />
nach dem Corona-Lockdown um die deutsche<br />
Möbelindustrie insgesamt?<br />
Jan Kurth: Die Möbelhäuser mussten<br />
nicht nur in Deutschland, sondern<br />
auch in den Haupt-Exportmärkten<br />
wegen der Pandemie für etliche<br />
Wochen schließen. Dadurch hat sich<br />
die Auftragslage der Möbelhersteller<br />
massiv verschlechtert. Probleme gab es<br />
zudem durch Störungen in den Lieferketten,<br />
also fehlende Zulieferteile aus<br />
dem Ausland. Vielfach mussten die<br />
Produktionskapazitäten heruntergefahren<br />
werden. Aus unseren Mitgliederbefragungen<br />
kristallisiert sich aber<br />
heraus, dass sich das Thema beruhigt<br />
hat. Denn viele Produzenten haben<br />
ihre Supply Chains auf den Prüfstand<br />
gestellt und sich nach Alternativen<br />
umgeschaut, um flexibler zu sein.<br />
Die momentane Lage ist für die<br />
Betriebe dennoch sehr schwierig.<br />
Gleichwohl hoffen wir, dass die<br />
Branche noch mit einem blauen<br />
Auge davonkommt. Je länger wir den<br />
Lockdown hinter uns lassen, desto<br />
mehr hellt sich die Lage auf. Nicht<br />
zuletzt setzt das von der Bundesregierung<br />
verabschiedete Konjunkturpaket<br />
wichtige Impulse, die unserer<br />
Branche zugute kommen können.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Was hören Sie von Ihren<br />
Mitgliedsunternehmen – wie sehen die<br />
unterschiedlichen Betroffenheiten aus?<br />
Und wie bewerten Sie die verschiedenen<br />
Segmente?<br />
Jan Kurth: Tendenziell ist die Küchen<strong>möbel</strong>industrie<br />
nicht so stark betroffen<br />
wie die Segmente Polster und<br />
Wohnen, die im April beim Auftrags-<br />
eingang einen Rückgang von mehr<br />
als 60 Prozent verkraften mussten.<br />
In der Küchenindustrie waren die<br />
Einbußen nur etwa halb so hoch,<br />
weil zum einen der Auftragsvorlauf<br />
bei Küchen länger ist und der<br />
Auftragsbestand gut gewesen ist.<br />
Zum anderen haben viele kleinere<br />
Küchenstudios Mittel und Wege<br />
gefunden, während des Lockdowns<br />
weiter zu verkaufen.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Gibt es Corona-bedingte<br />
Vorkehrungen, die Industrieunternehmen<br />
aktuell in der Produktion treffen müssen?<br />
Jan Kurth: Die Unternehmen setzen<br />
die behördlichen Vorgaben und<br />
die Empfehlungen der Berufsgenossenschaften<br />
in Bezug auf die<br />
Abstands- und Hygieneregeln im<br />
Rahmen einer sogenannten Gefährdungsbeurteilung<br />
um. Dazu gehören<br />
unter anderem die Vermeidung von<br />
Schichtübergaben, spezielle Regelungen<br />
für die Pause, die Bildung<br />
von kleinen, festen Teams und die<br />
Nutzung von Onlinekonferenzen.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Armin Laschet hat im<br />
Zusammenhang mit der 800-qm-Regelung<br />
die Möbelbranche in den Tagesthemen<br />
erwähnt – ein lobbyistischer Erfolg?<br />
Jan Kurth: Diese Erwähnung unterstreicht<br />
die große Bedeutung der<br />
Möbelindustrie in Nordrhein-Westfalen<br />
und zeigt, dass wir unser Licht<br />
nicht unter den Scheffel stellen<br />
müssen.<br />
In Nordrhein-Westfalen hat<br />
man schnell erkannt, dass die<br />
800-qm-Regelung nicht haltbar<br />
gewesen ist. Erfreulicherweise hat<br />
sich dann auch gezeigt, dass die<br />
Möbelhändler mit den Wiedereröffnungen<br />
sehr strikte Sicherheitsvorkehrungen<br />
getroffen haben,<br />
so dass sich schnell auch andere<br />
Bundes länder an der Lage in Nordrhein-Westfalen<br />
orientiert haben.<br />
START FÜR KENNZEICHEN „MÖBEL MADE IN GERMANY“<br />
Zum 1. Juni hat der Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM) das neue Herkunftsgewährzeichen<br />
„Möbel Made in Germany“ herausgebracht. „Mit dem neuen Label können Verbraucher<br />
sicher sein, dass sie Möbel aus deutscher Produktion kaufen“, sagt VDM-Geschäftsführer<br />
Jan Kurth. Die strengen Anforderungen wurden vom Deutschen Institut für Gütesicherung und<br />
Kennzeichnung (RAL) festgelegt. Es handelt sich dabei um das erste von RAL anerkannte<br />
Herkunftsgewährzeichen für Möbel – sowie das erste für Gebrauchsgegenstände überhaupt.<br />
„Für die Verbraucher haben wir einen neutral geprüften Nachweis für Qualitäts<strong>möbel</strong> aus<br />
deutscher Herstellung geschaffen“, sagt Kurth. Bei der Kaufentscheidung spiele die Herkunft<br />
der Produkte eine immer größere Rolle. Für die heimische Möbelindustrie biete das neue Label<br />
die Chance, den Absatzanteil auf dem Heimatmarkt zu erhöhen. Momentan stammen zwei<br />
Drittel aller in Deutschland verkauften Möbel aus dem Ausland. „Aber auch im Export<br />
versprechen wir uns verbesserte Absatzmöglichkeiten“, sagt der VDM-Geschäftsführer.<br />
Zum Start haben sich schon 45 Unternehmen mit ihren Produkten für die Kennzeichnung<br />
angemeldet. Die ursprünglich bis Jahresende angepeilte Marke von 50 teilnehmenden<br />
Herstellern wird damit voraussichtlich übertroffen.<br />
„‚Made in Germany‘ ist für viele Verbraucher sehr wichtig“, stellt auch Hans Strothoff,<br />
Präsident des Handelsverbands Möbel und Küchen (BVDM), fest. „Die Bezeichnung gibt<br />
unserer Branche sehr viel Rückenwind, weil sie die exzellente Qualität unserer<br />
heimischen Hersteller, die Regionalität und damit den Nachhaltigkeitsgedanken<br />
unterstreicht.“<br />
Die Anforderungen des neuen Labels sind anspruchsvoll und stehen für einen hohen<br />
Qualitätsstandard. Konstruktion, Montage und Qualitätsprüfung finden in<br />
Deutschland statt. Zudem muss der für die Qualität relevante Herstellungsprozess<br />
überwiegend in Deutschland erfolgen. Die Einhaltung der Kriterien wird im<br />
Auftrag des VDM von der Deutschen Gütegemeinschaft Möbel (DGM) überwacht.<br />
Entwickelt und eingeführt hat das Zeichen der VDM gemeinsam mit RAL.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Wie eng standen die Verbände<br />
in den vergangenen Wochen im<br />
Austausch mit der Politik?<br />
Jan Kurth: Natürlich sehr eng, es gab<br />
laufend Gespräche. Es war uns wichtig,<br />
unsere Positionen und Probleme<br />
schnell zu transportieren. Parallel<br />
hat der Möbelhandel – gerade in<br />
Nordrhein-Westfalen – ebenfalls<br />
seine guten Kontakte genutzt. Das<br />
war wirklich ein sehr effizientes<br />
„Miteinander“.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Glauben Sie, dass die Politik<br />
ein realistisches Bild der Möbelbranche<br />
hat?<br />
Jan Kurth: Das nehme ich von Bundesland<br />
zu Bundesland Unterschiede<br />
wahr. In Nordrhein-Westfalen ist<br />
die Politik wegen der Stärke unserer<br />
Industrie näher dran, in anderen<br />
Bundesländern ist sie vielleicht<br />
etwas weiter weg. Wir versuchen,<br />
unseren Teil dazu beizutragen, dass<br />
die Schwierigkeiten und Besonderheiten<br />
wahrgenommen werden. Das<br />
versuchen wir neben Ostwestfalen<br />
verstärkt in den Möbel-Cluster-Regionen<br />
in den Bundesländern Bayern,<br />
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