<strong>Julius</strong> <strong>Grünewald</strong> Ich male, was mir nahe liegt (...) Am Anfang ist das Motiv und die Lust am Malen. Das Motiv steht fest, ansonsten darf alles passieren (...) Im besten Fall fängt das Bild an zu denken. Wir stehen davor und wissen nicht was ...« 1
Von der Kopfform der Bilder Hans-Joachim Müller Er hat Ritterrüstungen gemalt und Wildschweine. Er hat eine Standuhr gemalt und ein Nashorn. Rot gedeckte Tische und grün gedeckte Tische. Wohnzimmer und Esszimmer. Brennende Kerzen und eine Frau beim Kartoffelschälen. Man hätte vor der Begegnung mit dem Werk des <strong>Julius</strong> <strong>Grünewald</strong> nicht gedacht, dass zeitgenössische Malerei noch einmal eine Frau beim Kartoffelschälen auftreten lassen würde. Man hätte schon gar nicht gedacht, dass zeitgenössische Malerei so sehr an ihren Gegenständen haften könnte, dass sie sich ausnehmen wie ohne Belang. Unerheblich. Als sei der eigentliche Inhalt der Gegenstände eine gänzliche Unzuständigkeit für die Gegenstände. Das Werk ist einzigartig, seine Wirkung stark. Vor dem surreal grundierten Hintergrund der gegenständlich figürlichen Malerei dieser Jahre nehmen sich <strong>Grünewald</strong>s Motive seltsam einzelgängerisch, bezugslos, wie schiere Aktualitätsverweigerung aus. Was mögen sie meinen, gar bedeuten, die schweren Vitrinenschränke, Kommoden, Anrichten, Polstergarnituren, Kronleuchter und Rundtische mit ihren gedrechselten Säulen und den Voluten an den ausladenden Füßen? Der großzügigen, die Details virtuos überspielenden Malerei ist nicht anzumerken, ob das wuchtige Bürgerbarock gefeiert oder dekonstruiert wird. Nichts deutet auf Zustimmung, nichts auf Spott. Ist das alles womöglich nur Vorwand? Stimulus, an dem der Maler wieder und wieder diese seine großzügige, die Details virtuos überspielende Malerei erprobt? Wechsel Andererseits kann der stupende Eindruck, den <strong>Grünewald</strong>s Bilder machen, nicht allein den Malmitteln geschuldet sein. Es ist ja nicht zuletzt die Insistenz, mit der der Maler seine Malgegenstände vorführt, die so irritiert und fasziniert in einem. Und es sind die jähen Registerwechsel, die die Irritation und die Faszination bestärken. Gerade noch hielt man sich in den überladenen guten Stuben auf. Und schon ist man draußen in der Rebenlandschaft, wo der geschwungene Weg zum Weinbergturm führt, den <strong>Grünewald</strong>s Vater gebaut hat. Und dann wieder steht man vor Ohren, Händen und lauter linken und rechten Füßen und weiß nicht recht, was da für Trophäen oder Indizien in der pathologischen Kühle der Extremitäten-Galerie verwahrt werden. 2 Das Werk öffnet sich ein Stück weit, wenn man es von diesen neueren Körper- und Körperteilbildern (Abb. 10–19) her betritt. 1 Die kunstgeschichtlichen Referenzen erscheinen offensichtlich. Menzels berühmte „Atelierwand“ fällt einem ein, behangen mit Köpfen, Händen, Torsi und Bruststücken aus Gips. 2 Auch er hat mehrfach seine rechte Hand 3 und seinen rechten Fuß 4 gemalt, aber es gibt Unterschiede. Bei Menzel muten Hände und Füße wie Ausschnittvergrößerungen des eigenen Körpers an. Menzel mikroskopiert, holt näher heran, was von Armen und Beinen auf Abstand gehalten wird. <strong>Julius</strong> <strong>Grünewald</strong> schneidet ab, amputiert. Seine Füße (Abb. 11–15) haben keine Körperverbindung, keine Körperanbindung mehr. So wenig wie die ineinander verschränkten Hände (Abb. 10). So wenig wie das Ohr (Abb. 16), das im samtigen Schwarzgrund des Bildes liegt, als sei es nach der Resektion wie ein toter Schmetterling im Kasten aufgespannt worden. Das ist das eigentlich Befremdliche: die Herkunftslosigkeit und Isolation der Gliedmaßen. Das Ohr da oben, die Hände da vorn, die Füße da unten, sie kommen dem forschenden Malblick wie ferne Gegenstände vor. Und das hat weniger damit zu tun, dass sie <strong>Grünewald</strong> nach Fotografien malt, die er meist mit dem Selbstauslöser aufnimmt. Der Schock rührt viel eher aus jener Erfahrung der Subjektauflösung, die Jean Paul in seinem Roman „Titan“ beschreibt: „Alles kann ich leiden, (sagte Schoppe) nur nicht den Mich, den reinen, intellektuellen Mich, den Gott der Götter – Wie oft hab‘ ich nicht schon meinen Namen verändert wie mein Namens- und Taten-Vetter Scioppins oder Schoppe und wurde jährlich ein anderer, aber noch setzt mir der reine Ich merkbar nach. Man sieht das am besten auf Reisen, wenn man seine Beine anschauet und sie schreiten sieht und hört und dann fragt: wer marschiert doch da unten so mit?“ 5 Das ist <strong>Grünewald</strong>s Frage, die er nicht stellt, die er malt: Wer marschiert doch da unten so mit? Es ist die Frage nach der Desintegration des Bewusstseins, die sich umso dringlicher, umso schärfer stellt, je geordneter, aufgeräumter, unberührbarer das Leben anmutet, das der Maler auf seinen Interieur-Bildern zu entwerfen scheint. Gerade von Händen, Ohr und Füßen aus bestärkt sich der Verdacht, dass es möglicherweise auch den schweren Vitrinenschränken, Kom-