das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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186 Frigga Haug<br />
von der Lohnverzichtsthese direkt betroffen waren, die Über-5000-DM-Verdiener (im folgenden<br />
Höherverdienende). 8. Schließlich eine Gruppe, die die Mehrheit der Bevölkerung ausmacht<br />
und gewöhnlich als Durchschnitt gefaßt wird: Normalerwerbstätig, weniger als<br />
5000-DM verdienend, nicht im Funktionärsstab der Gewerkschaften. Eigentümlicherweise<br />
konnten wir uns am wenigsten vorstellen, wie sie die einzelnen Thesen aufnehmen würden.<br />
Lohnverzicht<br />
Unsere Vorgabe <strong>für</strong> dieses Thema enthielt folgende widersprüchliche Informationen:<br />
die Behauptung, die Geldmenge, die eingespart werden könnte, wenn die<br />
Höherverdienenden bei einer Arbeitszeitverkürzung auf einen Lohnausgleich<br />
verzichteten, sei sehr gering; wir lieferten Daten, wie viele Menschen tatsächlich<br />
so viel und mehr verdienen (15 Prozent) und wieviel Arbeitsplätze davon finanziert<br />
werden könnten. 12 Wir wiesen die Wachstumsraten bei den Unternehmergewinnen<br />
und bei den Arbeitenden in den letzten vier Jahren aus (42,6 vs. 2,5 %)<br />
und betonten die sehr ungleiche soziale Lage zwischen denen, die gut bezahlte<br />
Arbeitsplätze haben, und den Arbeitslosen. Wir formulierten die Notwendigkeit<br />
einer Einkommensnivellierung und wiederholten die Argumente der Gewerkschaften,<br />
daß in der Tarifrunde von politischer Seite nicht eingegriffen werden<br />
dürfe. 13<br />
Unsere erste Gewerkschaftsgruppe - drei männliche Funktionäre - liest unsere<br />
Vorgaben aufWiedererkennbares: »Zunächst mal ist auffallend, daß hier die<br />
gewerkschaftliche Position wiedergegeben wird und <strong>das</strong>, was sonst so sich in der<br />
Diskussion befindet. Ist ja auffallend. Es ist wahrscheinlich müßig zu fragen,<br />
welcher Position wir zuneigen.« Das Feld ist vorbereitet: Klar und unerschütterlich<br />
stehen da die Kontrahenten: Kapital und Arbeit; verantwortlich <strong>für</strong> die Arbeitslosigkeit<br />
sind die Unternehmer und ihr Verlangen, die von ihnen verursachten<br />
Probleme auf diejenigen, »die ohnehin die Lasten tragen«, abzuwälzen. Unvermutet<br />
wird Arbeitslosigkeit ein reines Versorgungs problem - als Lösung<br />
wird eine Maschinensteuer vorgeschlagen. Gefragt wird, wie wir in einer zukünftigen<br />
Gesellschaft die anstehenden Aufgaben von Ökologie, Sozialem und<br />
Ressourceneinsparung durch bezahlte Arbeit tätigen können. Die ungewollte Nähe<br />
zu einigen Argumenten Lafontaines wird in widersprüchlicher Weise abgebogen.<br />
Die Gewerkschafter mutmaßen, daß seine Vorschläge auf einige Akzeptanz<br />
- insbesondere bei Intellektuellen - stoßen würden:<br />
» ... die sagen, Gewerkschaften sind bisher immer Lohnmaschinen gewesen, die paar Mark<br />
mehr interessieren uns gar nicht; wir hätten viel mehr Interesse daran, mehr Freizeit zu haben<br />
... Wir machen vermutlich einen Fehler, wenn wir ihn [Lafontainel zu pauschal aburteilen und<br />
ihn einordnen in die Reihe derjenigen, denen es wirklich nur darum geht, zugunsten des Kapitals<br />
die Gewerkschaften zu disziplinieren.«<br />
Weitere Überlegungen werden durch die paradoxe Behauptung abgeschnitten: Lafontaines<br />
Thesen sind nicht neu, sie sind sowohl vom »Arbeitgeberverband« als<br />
auch von »Lothar Späth« und »von den Gewerkschaften« längst geäußert worden.<br />
In unserer zweiten Gewerkschajtsgruppe diskutieren eine Vertrauensfrau aus<br />
der Vertrauensleuteleitung in einer Lagergesellschaft (mV), eine spanische<br />
Kollegin aus der HBV und ein männliches mV-Mitglied aus der städtischen Verwaltung.<br />
Sie beginnen sofort mit der Analyse der in unserer Vorgabe erkenn-<br />
DAS ARGUMENT 174/1989 ©