das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
190 Frigga Haug<br />
berechnet und als vermutlich nicht ausreichend diagnostiziert. Die Höherverdienenden<br />
sollen schließlich nicht auf Lohn verzichten, weil sie durchweg ohnehin<br />
48 Stunden arbeiteten.<br />
Positiv stellt sich zunächst auch die Gruppe der Alternativen zur Lohnverzichtsthese.<br />
Hier diskutieren zwei Studenten und eine Diplom-Volkswirtin aus<br />
einem »Dritte-Welt-Laden«. Nach allgemeinem Wohlwollen wegen des gut gewählten<br />
Zeitpunkts - »größtmögliche Öffentlichkeit« - und der Zustimmung,<br />
so etwas überhaupt zu diskutieren, wird den Beteiligten die Frage selbst immer<br />
unrealistischer.<br />
»Ich glaube, daß Lohnverzicht doch nicht <strong>das</strong> richtige Mittel ist, um Arbeitsplätze zu schaffen,<br />
denn Lohnverzicht bedeutet konkret mehr Gewinne, und der Unternehmer kriegt also mehr<br />
flüssige Mittel ... Und der geringe Teil, den er investiert, der fließt womöglich zu einem großen<br />
Prozentsatz in irgendwelche Rationalisierungsmaßnahmen, die dann wieder Arbeitsplätze<br />
kosten und sich wieder gewinnmaximierend <strong>für</strong> ihn auswirken.«<br />
Durch den Eingriff eines Teilnehmers verschiebt sich die Diskussion auf Fragen<br />
der Lebensweise. Lohnverzicht als Ausdruck scheint ihm irreführend, da es in<br />
Wirklichkeit doch um Freizeitverlängerung gehe. Die Diskutanten stellen fest,<br />
daß sie eine Wertehierarchie <strong>für</strong> die Lösung der Fragen brauchen. Als Hauptproblern<br />
behaupten sie jetzt, daß ältere Menschen an ihren Arbeitsplätzen festhielten,<br />
oder daß andere ihre individuellen Arbeitszeiten heimlich verdoppelten. Arbeit<br />
wird zum kostbaren Gut, daß vor widerrechtlicher Aneignung geschützt<br />
werden muß. Sie wollen Arbeitsverhalten einerseits der individuellen Freiheit<br />
anheimstellen, andererseits dem Recht auf Arbeit <strong>für</strong> alle unterordnen. Eine Lösung<br />
scheint ihnen, den Begriff Arbeit so weit auszudehnen, daß alle darin Sinn<br />
und Lebensinhalt finden können, einfach, weil durch die begriffliche Ausdehnung<br />
genug reale Arbeit da wäre. Für die Einhaltung einer Durchschnittsarbeitszeit<br />
fordern sie abschließend Gesetze.<br />
In der Gruppe der Normalerwerbstätigen diskutieren eine Auszubildende, ein<br />
Datentypist und eine Verwaltungsangestellte; sie sind zwischen 20 und 31 Jahre<br />
alt. Die Zumutung in unseren Fragen, sich als wirklich Gefragte zu verstehen,<br />
wird von ihnen energisch abgewehrt: »Über die Geldmittel in diesem Staat verfügen<br />
Unternehmer, Kapital. Wir haben keinen Einfluß.«<br />
In der Abwehr wird ein düsteres Bild des Nichts-Geht gezeichnet, indem die<br />
unterschiedlichen Argumente einander zwar ausschließen, dies aber in Kauf genommen<br />
wird, solange sie nur zur Farbe Schwarz beitragen. Da wird nacheinander<br />
behauptet, es seien nicht nur die gemeint, die mehr als 5000 DM verdienen,<br />
sondern alle; auch sei die Zahl der Höherverdienenden mit 15 Prozent zu hoch<br />
ausgewiesen. Im Anschluß werden die Einkommen durch wechselnden Bezug<br />
auf Bedarf und Leistung schon mal in Worten nivelliert. Obwohl sie selbst nur<br />
zwischen 1000 und 2000 DM verdienen, behaupten sie: 5000 DM sei nicht viel.<br />
Um <strong>das</strong> zu begründen, erfinden sie einen alleinverdienenden Facharbeiter mit<br />
zwei bis drei Kindern. Sie versetzen ihn in eine Großstadt, wo er eine hohe Miete<br />
hat. Zudem habe er schlechte Arbeitsbedingungen, welche die Höhe seines Einkommens<br />
rechtfertigten. Ihre Behauptung, daß es die Spaltung zwischen Menschen,<br />
die Arbeitsplätze haben, und Arbeitslosen nicht gebe, führt sie in der Folge<br />
zu Einsichten, die die Klasse als Ganze betreffen. So entziffern sie <strong>das</strong> Gerede<br />
DAS ARGUMENT 174/1989 ©