das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
210 Petra Frerichs/Margareta Stein rücke<br />
der um kulturelle und biographische (Brock 1985) Elemente, um den Aspekt der<br />
Interessendifferenzierung (Heinze u.a. 1981) je nach besonderer Arbeits- und<br />
Lebenssituation2 und um die symbolische Dimension der Interessen wie Gerechtigkeit,<br />
Achtung und Anerkennung erweitert ist. Mit Bourdieu, demzufolge<br />
»den Verhaltensweisen der Ehre ein Interesse zugrunde (liegt), <strong>für</strong> <strong>das</strong> der Ökonornismus<br />
keinen Namen besitzt, und <strong>das</strong> mithin symbolisch genannt werden<br />
muß, obgleich ihm eigen ist, sehr direkt materielle Handlungen zu determinieren«<br />
(1979,353), sprechen wir von »symbolischen Interessen«. Gemeint sind jene,<br />
die keinen (unmittelbar) materiellen Gegenstand haben: <strong>das</strong> Interesse an<br />
Wahrung der persönlichen Würde und anständiger Behandlung, an Gerechtigkeit<br />
und Gleichbehandlung, an Anerkennung, Respektiert- und Ernstgenommenwerden,<br />
an Rationalität und der »Hunger nach Sinn« (Negt/Kluge 1981). Diese<br />
Art von Interessen entgeht dem üblichen Raster betrieblich-gewerkschaftlicher<br />
Interessenvertretung, die in aller Regel einen insbesondere Lohn-Interessen verfolgenden<br />
homo oeconomicus als Mitglied unterstellt. Damit begibt sich diese<br />
der Chance, ein wesentliches Antriebspotential bei den von ihr Vertretenen aufgreifen<br />
zu können. Denn meist ist eine Verschränkung materieller Interessen<br />
(z.B. an mehr Lohn, bessererer Arbeitsumgebung) mit symbolischen (z.B. an<br />
Gleichbehandlung, Wahrung der persönlichen Würde) die Grundlage, von der<br />
aus die abhängig Beschäftigten ihre Lage beurteilen. Dabei sind moralische Urteilsmaßstäbe<br />
in der Regel nicht klar bewußt wie eine systematische Ethik, sondern<br />
sie äußern sich implizit, bei den von uns befragten Frauen etwa in Verärgerung,<br />
Gekränktheit, Empörung, Entrüstung usw. Das Aufgreifen und Organisieren<br />
solcher Formen von Unrechtsempfinden (Moore 1982, Honneth 1981) und<br />
sittlicher Mißbilligung (M. Weber) durch gewerkschaftliche Interessenvertretung<br />
würde dieser eine ganz neue Schubkraft verleihen. Dabei ging es keineswegs<br />
darum, etwa im Sinne eines »ethischen Sozialismus« den »rohen« materiellen<br />
Interessen sozusagen eine ethische oder Gesinnungsdimension hinzuzufügen.<br />
Materielles und Immaterielles sind miteinander verschränkt, und erst in<br />
dieser Verschränkung kann sich die Handlungsfahigkeit wirksam erweitern.<br />
Nach unseren Ergebnissen sind es allerdings gerade die symbolischen Interessen<br />
und deren Verletzung, die zum Movens <strong>für</strong> <strong>das</strong> Eintreten <strong>für</strong> materielle Belange<br />
werden. Sie lenken also nicht etwa von materiellen Interessen ab, als ginge es um<br />
deren »Befriedung« durch ihre bloß »symbolische« Behandlung, sondern befordern<br />
in ihrer Verflechtung mit materiellen Interessen die Ausbildung von<br />
Empörung, Kritik und Veränderungsvorstellungen.<br />
Die mehr als »feinen Unterschiede«<br />
Bevor wir beispielhaft solche Interessenbrennpunkte in ihrer Verschränkung von<br />
materiellen und symbolischen Interesen aufzeigen, sollen zunächst die gröbsten<br />
Unterschiede in der Arbeitssituation und im sozialen Status von Arbeiterinnen<br />
und weiblichen Angestellten verdeutlicht werden. Ein erstes Ergebnis unserer<br />
Untersuchung besteht darin, daß die Arbeitssituation und die soziale Position<br />
von Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten nach wie vor und allen Angleichungsprophezeiungen<br />
zum Trotz enorme Unterschiede aufweisen. Am offen-<br />
DAS ARGUMENT 174/1989 ©